8. Lektion: mitteltönige und wohltemperierte Stimmungen
Bei Modulationen ändern sich Frequenzen von
Tönen. Zum Beispiel bei der Modulation von C-Dur nach
F-Dur nicht nur h in b um einen Halbton, sondern auch d in ,d ("Tiefkomma d")
um ein syntonisches Komma. Dass die chromatischen
Töne jeweils eine andere Funktion haben, sieht man (zum
Glück) schon am Notenbild, zum Beispiel ist Cis von Des
verschieden.
Bei den folgenden Harmonisierungen ist bei reiner Intonation 'Des 41 Cent
höher als ,,Cis. (Der Unterschied heißt "kleine Diesis".)
C-Dur Neapolitaner
C 'Des (rein)
C Des (gleichstufig)
C-Dur Doppeldoppel-
dominante
C Cis (rein)
C-Dur Cis (gleichstufig)
Des Cis
Im Beispiel "Vom Himmel
hoch" ist der Unterschied zwisches Dis und Es "nur" 20
Cent.
Das richtig zu intonieren ist für einen Chor (oder TTMusik)
kein Problem. Die SängerInnen hören sich in die Harmonie ein.
Weitere Beispiele dazu findet man im Beitrag
"As-Fis" und
Passus Duriusculus
Schwierig wird es für ein Tasteninstrument, mehr als eine
Tonart rein spielen zu können. In der Tat wurden im 16.
Jahrhundert Tasteninstrumente mit vielerlei zusätzlichen
Tasten gebaut (zum Beispiel 31 Töne in der Oktave).
Spielbar waren diese jedoch kaum, technisch zu anspruchsvoll,
noch mehr theoretisch, musste der Spielende doch die Funktion
eines Tones ermitteln und danach die richtige Taste
schlagen.
Heutzutage sind die Tasteninstrumente gleichstufig gestimmt. Und manchmal
übt ein Chor nach der Klaviervorgabe und wird unsensibel
für reine Akkorde. (Wenn Sie im obigen Beispiel rein und
gleichstufig vergleichen und Ihnen erscheint gleichstufig
richtiger, dann hat sich Ihr Gehör an die geschärfte
gleichstufige Terz gewöhnt. Aber bitte achten Sie bei
"C-Dur Cis" auf die Schwebungen).
Seit einigen Jahrzehnten orientiert man sich wieder mehr an der
historischen Aufführungspraxis. Daher besteht ein
wachsendes Interesse an historischen Stimmungen. Orgeln
gewinnen durch historische Stimmungen mehr Farbe und
harmonischen Klang.
Hören Sie sich zunächst einmal die verschieden
Stimmungen an!
rein spielen
mitteltönig
gleichstufig
rein spielen
mitteltönig
gleichstufig
Nun zur Theorie: Da die reine Stimmung, das (Quint-Terz-System)
auf dem Griffsystem der Lauten oder bei Tasteninstrumenten
nicht zu verwirklichen ist (für "gleiche" Töne
braucht man bei Modulationen eigene Tasten), versuchte man
durch Abwandlung der reinen Stimmung mit möglichst wenigen
Tönen auszukommen.
Bei der mitteltönigen Stimmung wird versucht,
möglichst viele reine Terzen zu verwenden.
Die Quinten im Quintenzirkel werden entsprechend
angepasst.
(697 Cent im Vergleich zur reinen Quint mit 702
Cent).
Die zwölfte Quinte wird dabei viel zu groß.
Man nennt sie die "Wolfsquinte".
Terzen, die nicht über die Wolfsquinte reichen, sind
rein (386 Cent).
Terzen über die Wolfsquinte sind deutlich
verstimmt.
In der Skizze ist der gleichstufige
Quintenzirkel als 12-Eck gezeichnet.
Das mitteltönige Gis und das (theoretische) As
unterscheiden sich um 41 Cent.
Für den Mathematiker:
CGis(mitteltönig)
= 2*gT = 8*mQ - 4*Ok = 772,6 Cent
CAs(mitteltönig)
= 3*Ok - 4 mQ = 813,7 Cent
Differenz = 41,1 Cent
(ein Fünftelton)
Die Zeichnung vergröbert (entsprechend der
Wahrnehmung des Gehörs):
Für den Mathematiker:
Gleichstufige Quint
(700 Cent) hier ≈ 20 mm
41,1 Cent ≈ 1,2
mm
Die Oktaven und "viele" Terzen sind rein, d.h. dieselben wie
im Quint-Terz-System. Der Ganzton jedoch gemittelt zwischen
großem und kleinem Ganzton (204 Cent und 182 Cent), die
Quinte entsprechend angepasst (Zum Vergleich: reine Quinte =
702 Cent. Quinte des zwölfstufigen Tonraumes = 700
Cent).
Damit kann man wohltönende Tonleitern aufbauen, die
Modulationen (beschränkt) ermöglichen. Allerdings
ist der Quintenzirkel nicht wie beim zwölfstufige
Tonraum geschlossen. Und: Modulationen in entferntere
Tonlagen sind mit solch einem gestimmten Tasteninstrument nur
bedingt möglich. Manche unreine Quinten zum Beispiel
EsAs=EsGis wurden deshalb als "Wolf" bezeichnet.
Hörbeispiel: Kadenzen F-Dur und As-Dur
In mitteltöniger Stimmung wird statt As und Des
das um 41 Cent tiefere Gis bzw. Cis gespielt.
Spiele F-Dur und As-Dur
mitteltönig
wohltemperiert
Wohltemperierten Stimmungen waren ca. 1700-1870 weit
verbreitet.
Zu Johann Sebastian Bachs Zeit fand ein Umbruch zu den
wohltemperierten Stimmungen statt, die es ermöglichte,
in mehr Tonarten zu modulieren. Bei diesen Stimmungen
erhält man eine Klangfarbenabstufung der Tonarten. Die
C-Dur-nahen Tonarten klingen harmonisch, daher kraftvoll,
während andere geschärft bzw. gespannt klingen.
Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts richteten sich nach
diesen Stimmungen.
Bei den wohltemperierten Stimmungen werden die Quinten
unterschiedlich verstimmt mit der Tendenz zu
"geschärften" Terzen. In letzter Konsequenz
führte das zur gleichstufigen Stimmung.
Zunächst wurde - vereinfacht
dargestellt - die zweite Terz im Quintenzirkel E-Gis
geschärft (erhöht), später auch die erste,
damit keine Wolfsquinten mehr auftraten.
In zahlreichen Versuchen behielt man
zunächst verkleinerte Quinten (mQ=697 Cent) bei, so dass in C-Dur nahen Tonarten die
Terzen rein erklangen, ersetzte jedoch im Quintenzirkel
andere Quinten durch (die im Vergleich zu 700 Cent, zur
gleichstufigen Stimmung zu hohen) reine Quinten Q= 702 Cent). Die Terzen wurden "geschärft"
(erhöht), sodass die Wolfsquinte
verschwand.
Bei der Diskussion über
historische Stimmungen muss man sich heute stets vor
Augen halten, dass es keine physikalischen
Stimmgeräte gab. Man konnte leicht reine Terzen und
reine Quinten stimmen. Die "verstimmten" musste man
jedoch durch Auszählen von Schwebungen ermitteln.
Dies wurde noch dadurch erschwert, dass sich die
Schwebungen bei Intervallen in höheren Lagen
erhöhen, zum Beispiel in Oktavlage
verdoppeln.
Mit Programm TTMusik kann man sehen,
wie charakteristisch noch die einzelnen Tonarten im Vergleich
zur gleichstufigen Stimmung klingen.
Anhang: Wie stimmte J. S. Bach sein Instrument?
Es wird berichtet, dass J. S. Bach sein Clavichord in
weniger als 15 Minuten stimmte. Lange rätselte man, wie er
seine Quinten stimmte. Es gibt hierüber von Bach selbst
oder seinen Zeitgenossen keine brauchbaren Aufzeichnungen.
Andreas Sparschuh entdeckte 1998 (und berichtete 1999 bei der Jahrestagung der
Deutschen Mathematiker Vereinigung darüber) , dass man die Girlande auf dem
Titelblatt von Bachs wohltemperierten Klavier, I. Teil, 1722
als Stimmungsanweisung interpretieren könnte.
Siehe: Sparschuh, Andreas
"Stimm-Arithmetik des wohltemperierten Klaviers von J.S. Bach"
in Deutsche Mathematikervereinigung Jahrestagung, Band 1999 (1999), pp. 154-155.
Es ist erstaunlich, dass man dies Jahrhunderte lang übersehen hatte.
Die Girlande kann als Vorschrift zum Stimmen des Quintenzirkels
gesehen werden, war es doch damals üblich, die Quinten,
die im Quintenzirkel ja angepasst werden müssen, durch
Auszählung der Schwebungen zu ermitteln und die Schleifen
in den Kringeln können dazu Hinweise geben.
Inzwischen (Stand 2010) ist diese Stimmung nicht mehr unbestritten. Es gibt darüber eine umfangreiche Diskussion.
Siehe
↑Wikipedia.
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Lektion 1 Töne, Intervalle, Frequenzen und Frequenzverhältnisse