Joachim Mohr Mathematik Musik
Lektion 1 Lektion 2 Lektion 3 Lektion 4 Lektion 5 Lektion 6 Lektion 7 Lektion 8 Lektion 9
6. Lektion: Das pythagoreische
und
syntonische Komma
Jetzt, wo in der Überschrift das Stichwort gefallen
ist, wird eine historische Bemerkung fällig.
Pythagoras von Samos (5. Jh. v. Chr.) war der
Auffassung: "Alles ist Zahl" und dies bestätigte sich in
der Musiktheorie aufs beste. Pythagoras experimentierte auf dem
Monochord, bei dem über einem quaderförmigen
Resonanzkörper eine Saite gespannt ist, die an einem Ende
fest verankert und am anderen Ende über eine feste Rolle
mit einem Gewicht belastet ist, dadurch also immer die gleiche
Spannung hat. Mit einem beweglichen Steg konnte er die
Saitenlänge verändern. Ganz im Sinne der
Experimentalphysik, die eigentlich erst mit Galileo
Galilei (1564-1642) begann, untersuchte Pythagoras die
Tonhöhe in Abhängigkeit von der Saitenlänge und
fand dabei heraus - wie Euklid 300 vor Christus in seiner
Schrift "
Teilung des Kanons" erläutert:
Seine Vehältniszahlen sind die Kehrwerte der
Frequenzverhältnisse. Um die Lektionen einheitlich zu
gestalten, nehmen wir uns die Freiheit und drehen die
Verhältnisse um.
Der Quart
|
entspricht das Verhältnis
|
4:3
|
Der Quint
|
entspricht das Verhältnis
|
3:2
|
Der Oktav
|
entspricht das Verhältnis
|
2:1
|
Der Quint+Oktave
|
entspricht das Verhältnis
|
3:1
|
Der Doppeloktave
|
entspricht das Verhältnis
|
4:1
|
Des Weiteren fand er heraus, dass dem
Nacheinanderausführen zweier Tonschritte die
Multiplikation der entsprechenden Verhältniszahlen
entspricht. Er konnte also Berechnungen über Intervalle -
wie wir mit Hilfe der Akustik - mit Hilfe der
Verhältniszahlen durchführen.
So folgerte er: Dem Ganzton als Differenz von Quint und Quart
entspricht das Verhältnis 9:8.
Und:
Die Oktave ist kleiner als 6 Ganztöne. Den
Unterschied zwischen Oktav und 6 Ganztönen nennen wir das
pythagoreische Komma.
Da für den Ganzton gilt: G =2·Qui - Ok ist Ok 〈 6G
gleichbedeutend Ok〈12Qui-6Ok oder 7Ok〈12Qui. In
dieser Weise wird das pythagoreische Komma meist
erläutert.
Das pythagoreische Komma
Geht man von c 12 Quinten nach oben und 7 Oktaven
zurück, so landet man bei einem Tasteninstrument auf dem
selben Ton c. In Wahrheit handelt es sich jedoch um His.
Die 12 Töne der Quintenfolgen sind:
c g d' a' e'' h'' fis''' cis'''' gis'''' dis''''' ais'''''
eis'''''' his''''''
7 Oktaven zurück:
his'''''' his''''' his'''' his''' his'' his' his His
Der Unterschied zwischen His und c wird als pythagoreisches
Komma bezeichnet. Genauer:
pythagoreische Komma = 12Qui - 7Ok
Das Frequenzverhältnis ist
3 12 7 531441
q = (-) : 2 = —————— = 1,013 643 265
2 524288
oder - und hier sieht man den Vorteil der Centangabe -
pythagoreische Komma = 1200*lb(q) = 23,46 Cent, ungefähr ein
Fünftel Halbton (h = 100 Cent).
pythagoreische Komma= 23,5 Cent
Historische Bemerkung: Von
Aristoxenos (2. Hälfte des 4.Jh. v. Chr.), ein
scharfer Logiker, ist die früheste Tonsystemtheorie mit
dem Titel "Harmonische Elemente" in Fragmenten überliefert
(siehe
Literatur: Neumaier).
Aristoxenos argumentierte rein hörpsychologisch, er
verwendete keine Verhältnisse. Er stellte durch Hören
fest, dass die Quarte zweieinhalb Ganztöne beträgt
(was nur fast stimmt) und konnte damit logische eine in sich
stimmige Theorie aufbauen. Euklid deckt den Fehler auf: "Die
Quarte ist kleiner als zweieinhalb Ganztöne".
Genauer: Aristoxenos machte einen
Hörtest und
behauptete: Qua - 2G + Qua - 2G + Qua sei eine Quinte = Quarte
+ Ganzton und folgerte aus 3Qua - 4 G = Qua + G, dass 2Qua =
5G, also Qua = 2 1/2G.
4 9
Rechnen wir nach: 3Qua-4G = 3lb(-) - 4lb(-) = 678,495 Cent
3 8
Der Vergleich mit der Quinte Qui = 701,955 Cent ergibt als
Differenz 23,46 Cent. Aristoxenos "verhörte" sich exakt um das
pythagoreische Komma.
Eine Bemerkung zu His = c (angeblich): Das His wie oben durch
12 Quinten - 7 Oktaven bestimmt, kommt normalerweise so in
Modulationen gar nicht vor, es sei denn, man stimmt sein
Instrument nur mit reinen Quinten. Dann ist der Unterschied
zwischen c und His tatsächlich das pythagoreische
Komma.
Wir begeben uns nun aber in die Betrachtungsweise der reinen
Stimmung.
Schon in der Quintenreihe c g d' a' (alles reine Quinten) ist
dieses a' kein a der C-Dur-Tonleiter mehr, da das Intervall ga'
in C-Dur ein kleiner Ganzton ist. Nur in G-Dur ist g'a' ein
großer Ganzton.
Suchen wir ein passendes His! Zum Beispiel bei der Modulation
C-Dur über E-Dur nach cis-moll.
Cis-moll hat noch das ,e von C-Dur. Von c = 0 Cent aus
gerechnet: ,e = 386,314 Cent (Im
Eulerschen Tonnetz: ,e [Tiefkomma e]).
Eine kleine Terz (gT = 315,641 Cent) tiefer ergibt: Cis =
70,672 Cent (Im Eulerschen Tonnetz ,,Cis).
His wäre ein Halbton tiefer: His = - 41,059 Cent (Im Eulerschen Tonnetz: ,,,His).
Das ist fast ein halber Halbton zu tief im Vergleich zu c!
Diese Differenz besteht auch zwischen
Cis und Des.
Eine Bemerkung zur
pythagoreischen Tonleiter: Bis in die
Renaissance ist von Tetrachorden, Tongeschlechtern bzw.
Kirchentönen die Rede. Unter diesen Betrachtungen kann man
eine Aufeinanderfolge von Tönen als die diatonische
(=Dur-)Tonleiter finden.
Erst mit der Mehrstimmigkeit erkannte man, dass die große
Terz (386 Cent) viel wohlklingender ist als der Ditonos
(Ditonos = 2 große Ganztöne = 408 Cent). In der
folgenden Tonleiter kommt die große Terz nicht vor.
Die pythagoreischen Tonleiter hat folgende Intervalle zum
Grundton:
G, 2G, Qua, Qui, Qui+G, Qui+2G und Ok. Übersetzt in die
C-Dur-Tonleiter erhalten wir im Vergleich:
|
c
|
d
|
e
|
f
|
g
|
a
|
h
|
c'
|
|
rein
|
0
|
204
|
386
|
498
|
702
|
884
|
1088
|
1200
|
Cent
|
pythagoreisch
|
0
|
204
|
408
|
498
|
702
|
906
|
1110
|
1200
|
Cent
|
gleichstufig
|
0
|
200
|
400
|
500
|
700
|
900
|
1100
|
1200
|
Cent
|
Fachleute bestätigen den Wohlklang dieser Tonschritte beim
einstimmigen Singen.
In der pythagoreischen Stimmung fällt auf:
Die "große Terz" ce, genauer der
Ditonos ist "geschärft" (um 22 Cent
größer als die reine Terz).
Der "Halbton" ef bzw. hc, genauer das
Leimma ist "eng"
(um 22 Cent kleiner als der reine Halbton).
Sie hat Ähnlichkeiten mit der gleichstufigen Stimmung.
Zum Nachschlagen:
Intervall
|
Frequenzverhältnis
|
in Cent
|
reine große Terz = G + (G-)
|
4:3
|
386
|
Ditonos = 2G
|
81:64
|
408
|
reiner Halbton
|
16:15
|
112
|
Leimma = Quart - 2G
|
256:243
|
90
|
Das syntonische Komma (Terzkomma)
Unter dem syntonischen Komma, auch Terzkomma genannt,
versteht man die Differenz zwischen 2 großen
Ganztönen und der großen Terz.
Anders ausgedrückt ist das syntonische Komma der
Unterschied zwischen Ditonos und großer Terz.
K = syntonisches Komma = 2G - gT
Das ist genau der Unterschied zwischen dem großen
Ganzton und dem kleinem Ganzton.
K = G - (G-) oder G- = G - K
9 9 5 81
Berechnung des Frequenzverhältnisses: -·-:- = ——
8 8 4 80
In Cent: 2·lb(9/8) - lb(5/4) = lb(81/80) = 21,5 Cent
K = 21,5 Cent
Mit Aufkommen der Mehrstimmigkeit erkannte man
allmählich den Wohlklang der reinen Terz. Der Ditonos
dagegen wurde als Dissonanz vermieden. Und nun begann ein
Umschwung:
In der Durtonleiter lies man den dritten Ton zum Grundton als
reine Terz erklingen. Dieser dritte Ton, und ähnlich der
6. und 7. Ton, musste deshalb im Vergleich zur pythagoreischen
Tonleiter gerade um das syntonische erniedrigt werden.
Diese Stimmung (siehe oben) heißt die
reine
Stimmung.
Die Tonleiter der reinen Stimmung ist so gestimmt dass bei der
Kadenz mit Tonika, Dominante und Subdominante ( in C-dur die
Akkorde ceg, afc und ghd) rein erklingen, d.h. nur reine
Quinten, große und kleine Terzen vorkommen.
Da der 3., der 6. und der 7. Ton der Tonleiter um das
syntonische Komma erniedrigt werden müssen (im Vergleich
zur pytagoreischen Tonleiter), wird von Theoretikern
häufig die reine C-Dur-Tonleiter folgendermaßen
geschrieben:
c d e f g a h c' (der 3., 6. und 7. Ton
unterstrichen).
Wir verwenden die typographisch einfachere
Schreibweise:
c d ,e f g ,a ,h c
Damit wird angedeutet, dass cg und fc' sowie gd' reine Quinten und
c,e und
f,a sowie
g,h reine große Terzen
sind. In der Quintenfolge "f c g d a e h" muss
also e, a und h um ein syntonisches Komma erniedrigt werden,
was durch das Tiefkomma angedeutet werden soll.
Weitere Mikrointervalle
In der historischen Literatur werden noch folgende "Kleine" Intervalle genannt (in Klammer Frequenzverhältnisse):
großes Chroma (135/128) = großer Ganzton (
9/
8) - diatonischem Halbton (
16/
15) = 91,18 Cent
kleines Chroma (25/24) = kleiner Ganzton (
10/
9) - diatonischem Halbton (
16/
15) = 70,67 Cent
(Chroma = chromatischer Halbton)
Diaschisma (2048/2025) = diatonischer Halbton (
16/
15) - große Chroma (
135/
128) = 19,55 Cent
Schisma (32805/32768) = pythagoreisches Komma (
531441/
524288) - syntonisches Komma (
81/
80) = 1,95 Cent
kleine Diesis (128/125) = Oktave (2) - drei große Terzen ((
5/
4)
3) = 41,06 Cent
große Diesis (648/625) = vier kleine Terzen ((
6/
5)
4) - Oktav (2) = 62,57 Cent
Limma (256/243) = Quarte (
4/
3) - pythagoreische Terz (
81/
64) = 90,22 Cent
Apotome (2187/2048) = pythagoreische übermäßige Prim (C-Cis) = sieben Quinten
((
3/
2)
7) - 4 Oktaven (16) = 113,69 Cent
Siehe auch die
Intervalltabelle
Weiter mit ...
- Lektion 1 Töne, Intervalle, Frequenzen und Frequenzverhältnisse
- Lektion 2 Hintereinanderausführung zweier Tonschritte. Reine Stimmung
- Lektion 3 Beschreibung von Tonsystemen ohne Akustik
- Lektion 4 Das Centmaß für Intervalle
- Lektion 5 Die gleichstufige Stimmung
- Lektion 6 Das pythagoreische und syntonische Komma
- Lektion 7 Eulersches Tonnetz - Modulationen
- Lektion 8 Mitteltönige und wohltemperierte Stimmungen
- Lektion 9 Der Akkord der 2. Stufe, die Kommafalle, der neapolitanische Sextakkord und die Doppeldominante