Joachim Mohr Mathematik Musik
Vorbemerkung: Körpererweiterungen von ℚ
Die Menge ℚ(√
2)=
{a+b√
2|a,b∈ℚ} ist ein Körper, in dem man addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren (mit Ausnahme durch Null) kann. ℚ(√
2) ist auch ein 2-dimensionalere Vektorraum über ℚ. Man sagt:
ℚ(√
2) ist eine
Körpererweiterung von ℚ vom Grade 2.
Entsprechend sind weitere Körpererweiterungen definiert.
Konstruktion mit Zirkel und Lineal
Wir identifizieren unsere Zeichenebene mit der komplexen Zahlenebene ℂ. Wir gehen vom Punkt 0 und 1 aus und überlegen, welche Punkte man in ℂ von diesen beiden Punkten konstruieren kann. Da gehört natürlich die Zahl i mit i
2=-1 dazu, da man mit Zirkel und Lineal Senkrechte errichten kann und Strecken abtragen. Mit Zirkel und Lineal kann man alle 4 Rechenarten +,-,· und : durchführen. Also gehören alle Punkte
K1={a+bi|a,b∈∈ℚ} dazu. Wir haben also zum Körper ℚ die imaginäre Zahl i adjungiert
und den Körper K
1=ℚ(i) erhalten.
ℚ(i)={a+bi|a,b∈∈ℚ} hat den Grad 2 über ℚ, da {a+bi|a,b∈∈ℚ} ein 2-dimensionaler Vektorraum über ℚ ist.

Damit wäre das Kapitel "Konstruktion mit Zirkel und Lineal" erledigt, wenn nicht noch die Konstruktion einer Quadratwurzel mit Zirkel und Lineal möglich wäre. Dies ist z.B. mit dem Höhensatz (h
2=a·b) möglich. Ich kann also zum Beispiel zu K
1 noch √
2
adjungieren, allgemein √
a für a∈ℚ und a›0.
Der Körper K
2=K
1(√
a) hat den Grad 2 über K
1 und damit den Grad 2·2=4 über ℚ, da K
2={a+bi+c√
a+d√
ai|a,b,c,d∈ℚ}.
Wir schreiben dafür [K
2:ℚ]=4.
Nun kann man noch weitere Wurzeln adjungieren und kann zeigen, dass das Ergebnis in K
n für n=2,3,4,... liegt.
Der Grad der Körpererweiterung ist
[Kn:ℚ]=2n.
Zum Beispiel kann die Zahl
konstruiert werden und damit auch das 17-Eck.
Die Frage, ob sich gewisse Konstruktionen mit Zirkel und Lineal lösen lassen, kann zurückgeführt werden, ob die der Konstruktion zugeordnete Zahl in eine Körpererweiterung von ℚ mit dem Grad 2n für n∈ℕ liegt.
Alle diese Zahlen sind algebraisch, d.h. Nullstellen von Polynomen mit rationalen Koeffizienten.
Die Quadratur des Kreises
Da π eine tranzendente, also keine algebraische Zahl ist (Beweis: Ferdinand von Lindemann 1882), kann man die Kreisfläche π·r
2 nicht mit Zirkel und Lineal in ein Quadrat verwandeln.
Die Würfelverdopplung - Das Delische Problem
Man hat einen Würfel mit der Kante 1 und versuche einen Würfel zu konstruieren, der das doppelte Volumen, also das Volumen 2 besitzt.
Der Würfel mit doppelten Volumen hat also die Kantenlänge
∛2.
Adjungiere ich zu ℚ oder zu K
1 oder K
2 u.s.w.(siehe oben) ∛
2, so erhalte ich eine Körpererweiterung vom Grade 3, oder 3·2, oder 3·2
2 u.s.w.
Die Verdopplung des Volumens eines Würfels mit Zirkel und Lineal ist nicht möglich.
Die Dreiteilung des Winkels
Der Winkel von 60° läßt sich mit Hilfe von cos(60°)=1/2 konstruieren.
Könnte mn den Winkel von 60° dreiteilen, könnte man also für α=20° den Wert cos(α) konstruieren.
Nun folgt aus dem Additionstheoren cos(3α)=4(cos(α)3-3cos(α).
Für α=20°, 3α=60° und cos(20°)=x heißt das:
1/2=4x3-3x.
Also ist x=cos(20°) eine Lösung der Gleichung 4x3-6x-1=0.
Das Polynom p=4x3-6x-1 ist über ℚ irreduzibel. Der Zerfällungskörper von p hat den Grad 3.
Also ist Grad[x:ℚ]=3 und daher x nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar.
Konstruktion von Vielecken mit Zirkel und Lineal
Im Juni 1796 konnte man in dem in Jena erscheinenden
”Intelligenzblatt der allgemeinen Literaturzeitung“ unter der
Rubrik ”Neue Entdeckungen“ lesen:
Es ist jedem Anfänger der Geometrie bekannt, dass
verschiedene ordentliche Vielecke, namentlich das
Dreieck, Fünfeck, Fünfzehneck, und die, welche durch ¨
wiederholte Verdopplung der Seitenzahl eines derselben entstehen, sich geometrisch konstruieren lassen.
So weit war man schon zu Euklids Zeit und es scheint, man habe sich seitdem allgemein überredet, dass das
Gebiet der Elementargeometrie sich nicht weiter erstrecke: wenigstens kenne ich keinen geglückten Versuch,
ihre Grenzen auf dieser Seite zu erweitern. Desto mehr, dünkt mich, verdient die Entdeckung
Aufmerksamkeit, dass außer jenen ordentlichen Vielecken noch eine Menge anderer, z. B. das Siebzehneck,
einer geometrischen Konstruktion fähig ist. Diese Entdeckung ist eigentlich nur ein Corollarium einer noch
nicht ganz vollendeten Theorie von größerm Umfange,
und sie soll, sobald diese ihre Vollendung erhalten hat,
dem Publikum vorgelegt werden.
C. F. Gauß aus Braunschweig. Stud. der Mathematik
zu Göttingen.
Es verdient angemerkt zu werden, dass Herr Gauß (1777-1855)
jetzt in seinem 18ten Jahre steht, und sich hier in
Braunschweig mit ebenso glücklichem Erfolge der Philosophie und der klassischen Literatur als der höheren
Mathematik gewidmet hat.
Dies war die erste Veröffentlichung von Gauß.
Die Konstruktion des n-Ecks läuft auf die Konstruktion der Einheitswurzeln - Lösungen von xn=1 - hinaus.
Die Gleichung xn=1 hat n Lösungen ςk (k=0,1,2,...,n-1)
360° 360° 360°
für ς=cis(————) = cos(————)+isin(————)
n n n
Beispiel: n=5
0
ς =1
————————
1 1 — 1 /1 — — 5
ς =cis(72°)=—√5-—+i√ —√5√5+—
4 4 8 8
2
ς =cis(144°)
3
ς =cis(216°)
4
ς =cis(288°)
1 — 1
Das Fünfeck kann mit cos(72°)=—√5-— konstruiert werden.
4 4
Satz von Gauß (vereinfacht): Das 3-Eck,
das 5-Eck,
das 17-Eck,
das 257-Eck und
das 65537-Eck ist mit Zirkel und Lineal konstruierbar.
0 1 2 3 4
2 2 2 2 2
Die Zahlen 3=2 + 1, 5=2 +1, 17=2 +1, 257 = 2 +1 und 65537 =2 +1
sind
Fermatsche Primzahlen, weitere sind bis heute (2023) nicht bekannt.
Da mit Zirkel und Lineal die Eckenzahl eines Vielecks sich verdoppeln läßt und zum Beispiel mit einem ineinander geschachtelten 3-Eck und 5-Eck das 15-Eck konstruieren läßt, kann der oben genannte Satz allgemeiner gefaßt werden.
Satz von Gauß:
Ein n-Eck (n≥3) läßt sich genau dann mit Zirkel und Lineal konstruieren, wenn n von der der Form
n=2k·p1·p2···pm für k∈ℕ0 und paarweise Fermatsche Primzahlen p1,p2,···pm ist.
Der Beweis hierfür kann über die
Eulersche φ-Funktion geführt werden.
Sei n≥3 und C={1,ζ,ζ
2,...,ζ
n-1} die Menge der n Einheitswurzeln über ℚ.
Eine primitive Einheitswurzel ist eine Element, das C erzeugt. Das sind die Elemente ζ
m∈C mit ggT(m,n)=1 (m=1,2,...,n-1).
Ihre Anzahl ist φ(n) (φ: Eulersche Funktion).
Beispiel: {x|x6=1}={cis(k·360°/6)|k=0,1,2,3,4,5}. Nur cis(360°/6) und cis(5·360°/6} sind primitiv ⇒ φ(6)=2.
Man kann beweisen, dass [ℚ(cis(
360°/
n):ℚ]=φ(n) ist.
Jetzt bleibt nur noch zu zeigen, dass der Erweiterungskörper, in dem die Einheitswurzeln liegen, den Grad einer Zweipotenz hat, dass also
φ(n) eine Zweierpotenz ist und das kann nur der Fall sein, wenn n von der oben genannten Form
n=2
k·p
1·p
2···p
m ist. Dies kann man beweisen. ∎