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Beschreibung der Tonstruktur hörpsychologisch ohne Akustik
Das Verständnis über Töne und Intervalle kann ohne physikalische Begriffe vermittelt werden. Die ersten bekannten hörpsychologisch mathematischen Beschreibungen eines Tonsystems stammen von Aristoxenos.
Die
Tonhöhe eines bestimmten Tones kann durch eine „Ur“-Stimmgabel ohne Angabe seiner Frequenz festgelegt und weitervermittelt werden (ähnlich wie die Einheit Meter durch das Urmeter festgelegt werden kann).
Ein Lehrer kann seinem Schüler „zeigen“, was ein
Oktave, eine
Quinte, eine
große Terz usw. ist, ohne auf das Frequenzverhältnis der Schwingungen einzugehen. Im Folgenden wird die zugrundeliegende Theorie erläutert.
Beschreibung der Tonstruktur als Algebraische Struktur
Bei einer Tonstruktur hat man einerseits eine Menge von Tönen und andererseits eine Menge von Intervallen, für die die folgenden offensichtlichen Regeln gelten:
- Jedem Tonpaar (x,y) wird ein eindeutiges Intervall i=xy zuordnet.
- Ist umgekehrt der Grundton x und das Intervall bekannt, so ist durch i=xy der Endton y eindeutig bestimmt.
- Die Hintereinanderausführung von Intervallen definiert eine Addition: Ist i=xy und j=yz, dann ist i+j=xz.
- Intervalle kann man vergleichen: Wir schreiben i < j, wenn der Endton von j höher als der Endton von i bei gleichem Grundton ist.
- Für Intervalle gilt auf der additiven musikalischen Ebene das alltägliche Rechnen mit Größen. Mathematisch gesehen ist der Intervallraum eine archimedisch geordnete kommutative Gruppe. Dies ergibt sich rein hörpsychologisch aus der Erfahrung der musikalischen Praxis.
- Zum Messen der Intervallgröße eignet sich als Maßeinheit die Oktave mit der Untereinheit Cent mit 1200 Cent = 1 Oktave.
Beispiel 1 (Oktave = 12 Halbtöne)
- Geht man 12 Quinten nach oben, so erhält man oktaviert (ungefähr) wieder den Ausgangston:
12 Quinten = 7 Oktaven. Folglich ergibt sich Quinte = 7⁄12 Oktave = 700 Cent. Entsprechend:
- Geht man drei große Terzen nach oben, so erhält man (ungefähr) eine Oktave.
Also ist große Terz = 1⁄3 Oktave =400 Cent. Hier kann man nun weiter rechnen:
- Kleine Terz = Quinte − große Terz = 1⁄4 Oktave =300 Cent und
- Halbton = Große Terz − kleine Terz = 1⁄12 Oktave =100 Cent.
- So kann man rein hörpsychologisch die Oktave (angenähert) in 12 Halbtöne teilen und jedes Intervall als Vielfaches von Halbtönen darstellen.
Beispiel 2 (Oktave = 53 Kommata)
Zu Zeiten Zarlinos (16. Jahrhundert) lehrte man in Musikschulen: Der große Ganzton hat ein Größe von 9 Teilen, der kleine Ganzton von 8 Teilen und der diatonische Halbton von 5 Teilen.
Hieraus folgt:
- Oktave = 1200 Cent = 3 große Ganztöne + 2 kleine Ganztöne + 2 diatonische Halbtöne = 53 Teile
- große Terz = großer Ganzton + kleiner Ganzton = 17 Teile = 385 Cent
- kleine Terz = großer Ganzton + diatonischer Halbton = 14 Teile = 317 Cent
- Quinte = große Terz + kleine Terz = 31 Teile = 702 Cent
Mit dieser Einteilung ließen sich die Größenverhältnisse für die reine Intonation von Tonschritten einfach beschreiben.
- diatonischer Halbton = 5 Teile
- kleiner Ganzton = 8 Teile
- Großer Ganzton = 9 Teile
verminderte Terz zum Beispiel Gis nach B = Gis nach A (5Teile) + A nach B (5 Teile) = 10 Teile
Diese Teilung der Oktave in 53 Teile kann aus zwei ganzzahligen Beziehungen für die drei Intervalle Ok=Oktave, Q=Quinte und gT=große Terz ohne Bezugnahme auf die Frequenzverhältnisse rein mathematisch hergeleitet werden. (Am Spinett bestätigt von Neumaier[12])
- 53 Q = 31 Ok (kein Unterschied zwischen Ausgangston und oktaviert nach 53 Quinten hörbar)
- 12 Q - 7Ok = 4Q - 2Ok -gT (kein Unterschied zwischen syntonischem Komma und pythagoreischem Komma hörbar)
Dieses Gleichungssystem aufgelöst ergibt mit k =
1/
53Ok:
- Ok = 53k
- Q = 31k
- gT = 17k[16]
Nun kann man weitere Intervalle definieren und als Vielfache von k darstellen: Zum Beispiel:
- Quarte = Ok - Q = 22k
- kleine Terz = Q - gT = 14k
- großer Ganzton = 2Q - Ok = 9k
- kleiner Ganzton = gT - großer Ganzton = 8k
- diatonischer Halbton = gT - kleine Terz = 5k
Beispiel 3 (Das Quint Terz-System)
Axiom: Es gibt einen Homomorphismus f von der additiven Gruppe des Intervallraums mit den Intervallen Ok = Oktave, Q = Quinte und gT = große Terz in die multiplikative Gruppe der reellen Zahlen, für die gilt:
- f(Ok) = 2
- f(Q) = 3/2 und
- f(gT) = 5/4
Homomorphismus besagt: f(i1 +i2) = f(i1)•f(i2) und f(r•i) = f(i)r für Intervalle i1, i2 und i sowie für eine reelle Zahl r.
Für die Berechnung von r und s für Q=r•Ok und gT = s•Ok folgt mit der Untereinheit Ok = 1200 Cent:
- f(r•Ok) = 2r = 3/2 also Q = log2(3/2)Ok = 701,955 Cent
- f(s•Ok) = 2s = 5/4 also gT = log2(5/4)Ok = 386,314 Cent.
Wenn keine Skalarmultiplikation im Intervallraum
I vorausgesetzt wird, gilt die Definition
r•Ok = sup {i∈I | z/n ≤ r, n•i ≤ z•Ok, z∈Z, n∈N}
Diese kleinste obere Schranke muss nicht immer existieren. Der Intervallraum aller Vielfache von Ok, Q und gT enthält zum Beispiel nicht
1/
2•Ok = 600 Cent, da sup {
i∈
I | 2•
i ≤ Ok} nicht existiert.
{
i∈
I | 2•
i ≤ Ok} enthält zum Beispiel die Intervalle
3Ok-q-6gT = 580 Cent
4Ok-6Q = 588 Cent
2Q+gt-Ok = 590 Cent (Tritonus)
5Ok-14gT = 592 Cent
8Q-13gT = 594 Cent
7gT-3Q=598 Cent
6Ok-5Q-8gT=599,7 Cent
und hat die oberen Schranken
2Ok-2Q-gT = 610 Cent (verminderte Quinte)
Ok-8Q+13gT = 606 Cent
Ok+3Q-7gt = 602 Cent
2Ok+20Q-41gT = 600,2 Cent
Die Intervallmenge besitzt kein Maximum und keine kleinste obere Schranke.