Joachim Mohr Mathematik Musik Delphi
Mathematische Beschreibung von Tonsystemen
Das Verständnis über Töne und Intervalle kann ohne physikalische Begriffe
vermittelt werden. Ein Lehrer kann seinem Schüler "zeigen", was ein Oktave,
eine Quinte, eine große Terz usw. ist, ohne auf das Frequenzverhältnis der
Schwingungen einzugehen. Der Schüler kann dies wiederum seinen Schülern
weiter geben. Im Folgenden wird die zugrundeliegende Theorie erläutert. Dies
ist neben der Anschaulichkeit für die Interpretation historischer
Tonsystembeschreibungen wichtig.
Zusammenfassung
Vom hörpsychologischen Standpunkt aus (wie die alten Griechen ohne Physik) kann man feststellen:
Die Intervalle des Tonraums sind geordnet ("7 Oktaven
sind kleiner als 12 Quinten"), werden additiv geschrieben und
können im System der reinen Stimmung durch 3-dimensionale "Vektoren"
(je nach Basis verschieden) dargestellt werden. Die von der Physik her
bekannten Frequenzverhältnisse erhält man allein aus der
Obertonreihe 1, 2, 3, 4, 5.
Für Mathematiker: Der Intervallraum ist eine archimedisch geordnete kommutative Gruppe.
Diese Gruppe ist nach dem Satz von Hölder isomorph zu eine additiven Teilgruppe der reellen Zahlen.
Es handelt sich hier um eine Vereinfachung eines Systems von Winfried Neumaier und ist dort als Anhang in seinem
Buch
"Was ist ein Tonsystem" veröffentlicht. Ein
am mathematischen Institut in Tübingen im Dezember 1996 gehaltener Vortrag wird hier in überarbeiteter Version vorgestellt.
Einleitung
Ich beabsichtige im folgenden die formale Struktur des Tonraums
ohne Bezugnahme auf die Physik mathematisch zu beschreiben.
Nur was man mit Hilfe des Hörens bestimmen kann, soll beschrieben werden.
Das Gehör ist also die einzige Möglichkeit, Aussagen zu verifizieren.
Wir werden uns dem Gegenstand mit möglichst wenigen Voraussetzungen annähern.
Der Ton- und Intervallraum als mathematische Struktur
Töne sind hörbar. Von diesem unmittelbares sinnliches Erlebnis
gehen wird aus ... ohne Messinstrumente. Uns genügt, was wir hören.
Wir lassen uns wie ein Sänger nur von unserem Gehör leiten.
Intervalle sind als Klang wahrnehmbar, eng verbunden mit zwei Tönen.
Wir führen für das Intervall i, das durch zwei Töne A und B bestimmt ist,
die Bezeichnung i = AB ein.
Wenn Sie zum Beispiel zuerst eine große Terz gT auf dem Ton Des intonieren und anschließend
auf dem Endton F eine kleine Terz kT, dann landen Sie bei As. Nach der nun folgenden Bezeichnung
haben Sie zwei Intervalle addiert und eine Quinte Q erhalten:
As = (Des + gT) + kT
= Des + (gT+kT)
= Des + Q mit
Q = gT + kT.
Wir betrachten:
Die Menge der Töne
Die Menge T der Töne (genauer: Tonhöhe) A,B, ...
zum Beispiel: A=Des B=As
Die Menge I der Intervalle
Intervalle bezeichnen wir mit i, j, ...
zum Beispiel i=gT (große Terz), j=kT (kleine Terz)
Sind A und B zwei Töne, so bestimmen sie eindeutig ein Intervall i.
Wir schreiben dafür: i=AB (A "Grundton", B "Endton").
zum Beispiel ist für A=
Des und B=
As die Quinte Q=AB bestimmt.
Ist umgkehrt der Grundton A und das Intervall i bekannt, so ist durch i=AB der Endton B eindeutig
bestimmt.
Wir schreiben dafür B=A+i. (B Ton, i Intervall)
Intervalle kann man nach folgender Vorschrift addieren:
Ist i=AB und j=BC, dann sei i+j = AC.
Das bedeutet: Singe ich zuerst auf dem Grundton A das Intervall i bis zum Endton B
und dann auf dem Grundton B das Intervall j bis C, dann ist das Intervall k=AC eindeutig
bestimmt und werde mit i+j bezeichnet: k = i+j.
zum Beispiel gT + kT = Q (Große Terz + kleinen Terz = Quint).
Schließlich kann man Intervalle vergleichen.
Wir schreiben i
zum Beispiel Q < Ok (Quint < Oktav) oder 2Q > Ok (Zwei Quinten > Oktav), wobei
wie üblich 2Q=Q+Q bedeutet.
Damit haben wir eine mathematische Struktur (T,I,+,<) für den Tonraum eingeführt (siehe
Anhang ).
Tonsysteme
Im folgenden werden wir 1. das gleichschwebende, 2. das Quintsystem
und 3. das der reinen Stimmung mit einem Anhang über mitteltönige Stimmungen als "Tonräume" beschreiben.
In allen Erweiterungen verwenden wir das Oktavaxiom (ein "Reichhaltigkeitsaxiom":
Neben dem Nullintervall soll noch ein zweites existieren.)
Axiom: Es gibt ein Intervall Ok - genannt die Oktave-, verschieden vom Nullintervall, der Prim.
(Mathematisch ist jedes beliebige Intervall geeignet. Ich kenne keine Eigenschaft in diesem System,
das die Oktav auszeichnen würde. Man muss also zum Beispiel die Seite eines Monocords halbieren, um
den Höreindruck einer Oktav zu erzeugen.)
Weitere Intervalle können mit der Oktavaxiom verglichen werden. Zum Beispiel:
Ein bestimmtes Intervall i (denken Sie an die "Quinte") ist kleiner als die
Oktav, aber das zweifache Intervall 2·i=i+i ist größer als die Oktav.
1. Der zwölfstufige Tonraum
Dieses System ist mathematisch sehr einfach. Vom Hören kann man es jedoch
nicht erschließen, wenn wir nicht Tongenerator und Logarithmentafel oder ähnliches zu Hilfe nehmen.
Axiom Es gibt ein Intervall H -genannt Halbton- so, daß 12·H=Ok
und jedes Intervall ist ein Vielfaches von H.
Somit ist der Intervallraum mit
Z= Menge der ganzen Zahlen darstellbar als I=
Z·H={z·H| z ε
Z} Wählt man willkürlich einen Ton c ε T, dann ist T=c+
Z·H={c+z·H|z ε
Z}
Vom Geigen- oder Trompetenspiel u.s.w her gesehen ist die gleichmäßige Einteilung der
Oktave in zwölf gleiche Intervalle jedoch alles andere als trivial ... es ist ein Artefakt.
Vereinfachen wir das Problem und versuchen wir, die Oktave in zwei gleiche Intervalle aufzuteilen.
Gesucht: Intervall i mit 2·i = Ok.
Ein an die gleichschwebenden Stimmung gewöhnte Musiker würde sagen:
C - Fis halbiert die Oktave.
Gehen wir einmal davon aus, dass ein Musiker die reine Oktave, die reine Quint, die reine Terz
und alle Intervalle die sich daraus kombinieren lassen, exakt intonieren kann. (siehe das
nächste Tonsystem). Dass dies ein guter Sänger, Violinist, Trompeter u. s. w. kann, wird
wohl niemand ernsthaft bestreiten.
Wie ist aber C - Fis zu intonieren?
Eine große Terz plus ein Ganzton?
Mit Frequenzverhältnissen gerechnet:
i = Terz + Ganzton = Intervall mit dem Frequenzverhältnis 5/4·9/8 = 45 /32.
Dann hat 2·i das Frequenzverhältnis 2025/1024 < 2048/1024 (=Ok)
Zu klein für eine Oktav!!
Man müßte also das gesuchte Intervall i etwas vergrößern, damit 2·i = Ok.
Exakt kann man das nicht.
Und dasselbe gilt erst recht für den Halbton H mit 12·H = Ok.
Ich behaupte deshalb:
Der zwölfstufige Tonraum ist allein vom Hören her nicht zu begründen.
Wer das Gegenteil behauptet, müßte den exakten Halbton mit Musikinstrumenten ohne Berechnung
der 12. Wurzel von 2 so intonieren können wie eine Oktave, eine Quint
oder eine Terz. (Die mit Hilfe der
Obertonreihe einfach zu finden sind.)
Die gleichstufige Stimmung ist nur eine bequeme Möglichkeit, Tasteninstrumente in
allen Tonarten spielbar zu machen. Erst nach der zerfallenden Harmonik der Spätromantik
betrachtete man den zwölfstufigen Tonraum als eigenständig.
Historisch gesehen war es ein großes Problem,
ohne Stimmgeräten und Frequenzmessern, die erst im 20. Jahrhundert
verfügbar waren, Instrumente gleichstufig zu stimmen. Neben dem Gehör
wurde etwa das Metronom verwendet, um die Frequenz der Schwebungen zu bestimmen
Die wohltemperierten Stimmungen kamen der gleichstufigen Stimmung mehr oder weniger nah,
behielten aber stets noch eine "Tonartencharakteristik".
Andreas Werckmeister (1645-1706), ein Zeitgenosse Buxtehudes und Bachs,
preist die Vorzüge solcher Stimmungen mit Vorbehalt: Die Menschen
würden "jubiliren" "wenn ... ein accurates Ohr dieselbe auch ... zu stimmen weiss".
Johann Sebastian Bach stimme sein Clavichord immer selbst
und benötigte dafür nie mehr als eine Viertelstunde. Es ist anzunehmen, dass er sie nicht
gleichstufig stimmte. Aber seine "wohl temperierte" Stimmung wird sein Geheimnis bleiben. (Quelle
Balint Dobozi ).
Nachtrag 2006: Das Geheimnis J.S. Bachs wurde 1998 durch eine
bahnbrechende Entdeckung gelüftet. Siehe
8. Lektion zur Musiktheorie
2. Das Quintsystem
Sie alle kennen musikalisch die Quinte. Sie werde mit Q bezeichnet.
Im diesem Abschnitt überlegen wir uns. Wie können wir einen kleinsten
Tonraum darstellen, der durch die Oktave und die Quinte bestimmt ist?
Wir definieren das Quintsystem folgendermaßen:
Definition: (1) Es gibt zwei Intervall Ok (Oktav) und Q (Quint).
(2) Zu jedem weiteren Intervall i gibt es eindeutig
bestimmte ganze Zahlen n,m so, daß i=n·Ok+m·Q.
d.h. jedes Intervall ist eindeutig als
Linearkombination von Ok und Q darstellbar.
(2) ist äquivalent zu
(2a)
Jedes Intervall ist Linearkombination von Ok und Q und (2b)
aus n·Ok=m·Q folgt n=m=0.
Wir schreiben für Intervalle i, j und ganze Zahlen n, m (m>0)
n/
m: -i<=j,
falls ni <= mj.
Beispiel: Da (hörpsychologisch) 12 Quinten 7 Oktaven übertreffen, ist
die Quinte größer als der zwölfte Teil von 7 Oktaven: Q >
7/
12Ok.
Beachte :
n/
m·i braucht kein Intervall zu sein.
Im vorhergehenden
Abschnitt sahen wir ja, dass mit dem Gehör die "halbe Oktav" nicht exakt
zu treffen ist.
Axiom (2b) besagt dann: Es ist nicht möglich Q als rationales Vielfaches
der Oktave darzustellen.
Unser Intervallraum hat nun die einfache Darstellung
I =
Z·Ok +
Z·Q (Ok=Oktave; Q=Quinte;
Z = Menge der ganzen Zahlen)
Dann kann man weitere Intervalle definieren (im Vorgriff werden
die Frequenzverhältnisse schon angeben.)
Ganzton Q=2Q-Ok (9/8)
Ditonos 2G=4Q-2Ok (81/64)
Quart q=Ok-Q (4/3)
Leimma L=Quart-Ditonos (256/243) (=H- siehe unten)
———————— für die Theorie ——————————
Apotome A=G-L (2187/2048)
pyth. Komma k=12Q-7Ok=A-L (531441/524288) (Im Vorgriff: 23,46 Cent)
Daraus lässt sich eine Tonleiter bauen: die Pythagoras zugeschriebene
Quintenstimmung (Gratzki S.21) (das diatonische Tongeschlecht)
Intervall G G L G G G L
Ton c d e f g a h c
In der frühen Zweistimmigkeit und den Anfängen der Mehrstimmigkeit ist diese Intonation denkbar.
Quinten klingen in dieser Intonation rein. Mir ist aufgefallen, dass auch die
Diskantklausel mit dem pythagoreischen Ganzton in dieser Tonleiter
einen besonders guten Klang hat (Mit dem kleinen Ganzton - siehe unten- klänge sie fade).
In der Einstimmigkeit hat die pythagoreische Tonleiter eine gewisse
Berechtigung. Die Terz klingt dissonant (scharf). Bei Tastenistrumente, die bis 1550 so
gestimmt wurden, wurde klar, dass bei der Mehrstimmigkeiten Unreinheiten auftraten. Dem
begegnete man dadurch, dass man sie nach mitteltönigen Temperaturen stimmte. Eine reine Stimmung
der Tasteninstrumente für alle Tonarten war bei einer Beschränkung auf 12 Tasten pro Oktave unmöglich.
Bemerkung zur scharfen Terz der pythagoreischen Stimmung ("Cent" siehe unten).
Mit TTMusik lässt sich das leicht darstellen.
TA D Akkord In Cent
c ce 386,3
c ce+ 407,8
~ ce 400
Die reine Terz umfasst 387 Cent, die pythagoreische 408 Cent und die gleichschwebende 400 Cent.
In diesem Brief beschreibt Guido von Arezzo (992(ca.) - 1050) die pythagoreische Tonleiter folgendermaßen.
(Anschließend die authentischen und plagalen Kirchentöne).
(1) Denn wie es in der Woche sieben Tage gibt, so gibt es in der Musik sieben Töne.
(2) Die andern Töne, welche über diese sieben hinaus noch beigefügt werden, sind
dieselben und klingen in jeder Beziehung ganz gleich, indem sie in Nichts eine
Verschiedenheit zeigen, als nur darin, daß sie noch einmal so hoch tönen. Darum
nennen wir auch die einen sieben die "tiefen", die andern sieben dagegen die
"hohen".
<3> Die sieben Buchstaben (zur Bezeichnung der Töne) werden aber nicht
doppelt (d. h. einmal wie das andere Mal), sondern in verschiedener Weise so
geschrieben:
Gamma A B C D E F G a h c d e f g aa hh cc dd
Im Monochorde aber werden die Töne nach folgenden Buchstaben oder Maßen
verteilt:
- Das griechische Gamma, im Lateinischen "G", setze an den Kopf.
Von da anfangend teile die ganze Linie, welche unter der tönenden Saite liegt, ganz
genau in neun Teile, und wo der erste Teil endet, da setze neben das Gamma als
ersten Buchstaben den Buchstaben A.
- Von diesem ersten Buchstaben bis zum
Endpunkte mache in gleicher Weise neun Teile, und wo der erste Teil endet, da
füge als zweiten Buchstaben B [S..46b] hinzu.
-
Hierauf gehe zum Buchstaben Gamma
zurück, teile von diesem aus bis zum Ende in vier Teile, und setze am Endpunkte
des ersten Teiles als dritten Buchstaben. C.
-
In gleicher Weise mache von dem ersten Buchstaben A aus vier Teile, und zeichne ebenso als vierten Buchstaben D
an.
- In derselben Weise, wie von dem ersten Buchstaben aus der vierte gefunden
wurde, ebenso wird auch von dem zweiten aus als fünfter E,
- und von dem dritten aus als sechster F,
- und von dem vierten aus als siebenter G gefunden.
Hierauf zurückgehend zum ersten Buchstaben A findest du in der Mitte von diesem bis zum
Ende den andern ersten Buchstaben a, und in ähnlicher Weise vom zweiten aus den
andern zweiten b, und vom dritten aus den andern dritten c; so auch von allen
übrigen aus in gleicher Weise durch die ganze Reihe.
InFrequenzverhältnisse übersetzt bedeutet dies
- A:1G = Ganzton = 9:8 [1G: eine Oktave tiefer wie G]
- H:A = Ganzton = 9:8 [Im deutschen Sprachraum wird "H" statt "B" geschrieben.]
- c:1G = Quarte = 4:3
- D:A = Quarte = 4:3
- Man erhält nun die Tonfolge: G (Ganzton) A (Ganzton) H (Halbton) C (Ganzton) D
- Der Halbton hier als Differenz Quarte-2Ganztöne hat als Frequenzverhältnis 4:3/(9/8)^2 = 256/243, entspricht
90 Cent. Dieser pythagoreische Halbton wird auch "Leimma" genannt.
- E:A = D:G = 3Ganztöne + Halbton = Ganzton + Quarte = Quinte = 3:2
- F:H = Quinte = 3:3
- G:1G = a:a = h:H = c:C = ... = Oktave = 2:1
Auf diese Weise erhält man die Tonfolge:
A | | H | | C | | D | | E | | F | | G | a |
| Ganzton | | Leimma | | Ganzton | | Ganzton | | Halbton | | Ganzton | Ganzton | |
Dieses System wird durch drei Basisvektoren Ok,Q und gT (Ok,Q,gT)
bestimmt (Im Vorgriff: In Klammer die Frequenzverhältnisse).
(1) Die Oktav, geschrieben als Vektor Ok= [ 1 0 0] (2/1)
(2) Die Quint, geschrieben Q = [ 0 1 0] (3/2)
(3) Die große Terz, geschrieben gT = [ 0 0 1] (5/4)
Hörpsychologisch beschreibe ich die "reine Stimmung" durch folgende Axiome.
Axiom: Keines der Grundintervalle lässt sich als Linearkombination
der übrigen beiden darstellen.
Axiom: Jedes Intervall lässt sich als Summe oder Differenz dieser
Grundintervalle schreiben.
Vektorschreibweise: i=[ x y z ]=x·Ok + y·Q + z·gT
x,y,z ganze Zahlen (auch negative)
[x y z] werde der Oktav-Quint-Terz-Vektor genant.
Die Basisintervalle können ersetzt werden durch folgende drei
Basisintervalle.
(1) Großer Ganzton G, geschrieben als Vektor (100)=[-1 2 0] (9/8)
(2) kleiner Ganzton G-, geschrieben (010)=[ 1 -2 1] (10/9)
(3) Halbton H, geschrieben (001)=[ 1 -1 -1] (16/15)
Umrechnung: Oktav Ok= (322)
Quint Q = (211)
Terz gT = (110)
Oder durch folgende drei Basisintervalle (Halbtöne + Korrektur)
(1) Halbton H H={100}=(001)=[1 -1 -1] (16/15)
(2) synt. Komma K={010}=(1 -1 0)=[-2 4 -1] (81/80) (Im Vorgriff: 21,51 Cent)
(3) 2H-G k={001}=(-1 0 2)=[3 -4 -2] (2048/2025)
Rechenbeispiel: Wie setzt sich die kleine Sext
c-as aus Oktaven, Quinten und
Terzen zusammen?
c-d-e-f-g-as: G + (G-) + H + G + H
Als (G,G-,H)-Vektor = (Anzahl von G und G- und H) geschrieben: c-as = (2 1 2)
"Zwei große Ganztöne, ein kleiner Ganzton und zwei Halbtöne".
Vektorrechnung:
(2 1 2) = 2·(1 0 0) + (0 1 0) + 2·(0 0 1)
= 2·[-1 2 0] + [1 -2 1] + 2·[1 -1 -1]
=[1 0 -1] = "Eine Oktav - eine große Terz"
c-as ist ein Intervall, das 8 Halbtöne umfasst (c-des-d-es-e-f-fis-g-as).
Genaugenommen handelt es sich aber um keine gleichen Halbtöne. Man muss noch
die "Korrekturen" K={0 1 0} (synthonisches Komma) und
k={0 0 1} (Ganzton - 2 Halbtöne) anbringen.
Wird diese ausgedrückt als {x y z} muss folgende Gleichung gelöst werden:
{x y z} = x·(0 0 1) + y·(1 -1 0) + z·(-1 0 2) = (2 1 2)
Das lineares Gleichungssystem
y - z = 2
-y = 1
x + 2·z = 2
hat die Lösung: {x y z} = {8 -1 -3), d.h.
c-as liegt 8 Halbtöne auseinander. Der Ton ist jedoch zu hoch.
Zur Korrektur muss man ein synth. Komma und drei mal die (Differenz von zwei
Halbtönen und Ganzton) tiefer.
Das Programm TTMusik basiert auf diesem Tonsystem. Jedes Intervall erklingt dort rein.
Man muss dabei vorgeben, in welcher Tonart man sich befindet. Zum Beispiel erklingt der Dreiklang
dfa
in C-Dur unrein, in F-Dur oder d-moll jedoch rein.
Die Ordnung in Tonsystemen
Was in der Darstellung unseres Tonsystems nicht bestimmbar ist,
sind die Größenverhältnisse von Oktav, Quint, Quart u.s.w.
Die sind hörpsychologisch vorgegeben. Bei den Pythagoreern
rein spekulativ (aber - wie sich später zeigte- als Frequenzverhältnisse).
[Bei Euklid "Teilung des Kanons" zum Beispiel
Ok<6G, q<5/2G, und Q<7/2G (siehe Neumeier S.132)]
Wir schreiben für Intervalle i, j und ganze Zahlen z, n (n>0):
z/
n·i<=j,
falls zi<=nj (
z/
n·i braucht jedoch kein Intervall zu sein!)
Die folgende Funktion ist nun eindeutig definiert:
(I = Intervallraum; R = Menge der reellen Zahlen)
I ——> R
i ——>m(i)=sup{
z/
n·| z Z; n N;
z/
n·i<=Ok
zum Beispiel Vergleich Quinte und Oktav.
1. Näherung: 2Q > Ok
2. Näherung: 5Q < 3Ok
3. Näherung: 12Q > 7Ok
4. Näherung: 41Q < 24Ok (noch hörbar)
5. Näherung: 53Q > 31Ok
(Grenze des hörbaren Unterschiedes erreicht.
Hörpsychologisch also fast 53Q = 31 Ok)
6. Näherung: 306Q < 179 Ok (rein theoretisch)
7. Näherung 665Q > 398 Ok
...
Berechnung: Siehe
Kettenbrüche
Nach dem Satz von Hölder, der für alle archimedisch geordnete Gruppen
hergeleitet werden kann, gilt dann:
Die Zuordnung m ist ein Isomorphismus von (I,+,<) in (
R,+,<), d.h.
Für diese Funktion gilt: (i) m(o)=0
(ii) m(Ok)=1 und
(iii) m(i+j)=m(i)+m(j) für alle i,j ε I
(iv) aus i
Mit dieser Funktion kann ich jedes Intervall als reelles Vielfaches
von Ok betrachtet: j=m(i)·Ok m(i) ε
R.
Die Maßeinheit Cent wird dann nach dem Engländer Alexander John Ellis definiert
durch: 1 Ok =1200 Cent
Das Intervall i hat x Cent, falls x=m(i)·1200,
Bei der gleichmäßigen Stimmung kommt man mit der Einheit
1 Halbton =
1/
12 Oktav aus.
Ich kann sogar ein
"Zentimetermaß" für Intervalle einführen. Setzte ich: 1 Einheit = 1 Oktave, dann ist zum Beispiel durch Q = 0,585
[genau Q =lb(3/2)]zum Ausdruck gebracht, dass Q das 0,585-te Vielfache einer Oktav ist.
Dann ist i mit m(i) identifiziert. Die Zahl 0 die Prim und 1 ist die Oktave.
In der reinen Stimmung sind jedoch fast alle Intervalle inkommensurabel
zur Oktave ,d.h. m(i) ist irrational.
Die Verwendung der reellen Zahlen ist hier ein mathematisches Artefakt:
Jede Näherung (zum Beispiel die ganzzahlige) in Cent lässt keine
Rückschlüsse mehr zu, wie sich das Intervall aus Oktaven, Quinten und Terzen zusammensetzt.
Geeigneter ist hier ein Isomorphismus f von (I,+,<) in (
R+,·,<),
wobei
R+ die Menge der positiven reellen Zahlen bezeichnet.
Es gilt also:
(i) f(0)=1
(ii) f(Ok)=2 und
(iii) f(i+j)=f(i)·f(j) für alle i,j ε I
(iv) aus i
Der Zusammenhang der Funktionen m und f ist dann folgender
f(i)=2
m(i) m(i)=lb(f(i)) =
lg(f(i))/
lg2
(lb ist der Logarithmus zur Basis 2, lg der Logarithmus zur Basis 10).
Modern gesprochen ist f(i) das Frequenzverhältnis des Intervalls i und
m(i) das Maß des Intervalls in der oben angesprochenen additiven Struktur
der Intervalle. Multipliziert man m(i) mit 1200, so erhält man die Angabe des Intervalls in
Cent.
Die klassische Umrechnung werde an folgenden Beispielen erläutert:
Die
Quinte: Frequenzverhältnis f(Q)=
3/
2,
m(i) = lb - = 0,585 = 702 Cent
mit Cent =
1/
1200. (Analog zu 0,25 = 25% mit % =
1/
100.)
Das
pythagoreische Komma (12 Quinten aufwärts 7 Oktave abwärts):
12
1,5
f(12Q-7Ok) = —————— = 1,0136
7
2
(klassisches Frequenzverhältnis).
m(12Q-7Ok)=12·m(Q)-7·m(Ok)=12·lb
3/
2 - 7·lb(2) = 0,01955 = 23,46 Cent.
Erinnern Sie sich noch an die Logarithmengesetze? Dann ist auch folgende Beziehung klar:
12
1.5 3
m(12Q-7Ok) = lb ——— = 12·lb- - 7·lb2,
7 2
2
d.h. Bei Frequenzverhältnissen wird multiplikativ gerechnet, bei
Centangaben additiv!
Das
Terzkomma (Zwei Ganztöne aufwärts eine große Terz abwärts):
2
(9/8) 81
f(2G - gT) = ————— = —— = 1,0125
5/4 80
(klassisches Frequenzverhältnis).
m(2G - gT) = 2·lb(9/8) - lb(5/4) = 0,017 921 = 21,5 Cent.
Zuordnung der Verhältnissen aus der
Obertonreihe
Modern sind Tönen Frequenzen und Intervallen Frequenzverhältnisse zugeordnet.
Diese Verhältnisse erhalten wir hier ganz natürlich in unserem Tonraum durch die Obertonreihe.
Im folgenden sei (T,I,<) der Quint-Terz-Tonraum.
Jedes Intervall i hat dann die Darstellung i=xOk+yQ+zgT=[x y z] für
ganze Zahlen x,y und z.
Wir betrachten den Isomorphismus f von (I,+,<) in (
Q+,·,<) (siehe
oben).
Aus der Obertonreihe erhalten wir (ohne Umwege über die Funktion m):
f(Ok)=2
f(Ok+Q)=3 -> f(Q)=3/f(Ok)=3/2
f(2Ok)=4
f(2Ok+gT)=5 -> f(gT)=5/f(2Ok)=5/4
Mathematisch sind das Axiome, die wir zusätzlich fordern.
Mit Hilfe unserer Basisvektoren
f(Ok) =f[1 0 0]=2, f(Q)=f[0 1 0]=
3/
2 und f(gT)=f[0 0 1]=
5/
5
folgt daraus:
y z
x 3 5
f[x y z]=2 ·(-) ·(-)
2 4
(x,y,z ganze Zahlen).
Schon die Pythagoreer ordneten den Intervallen Verhältnisse zu.
Modern gesprochen ordnen wir jedem Intervall sein Frequenzverhältnis zu.
Der Wertebereich dieser Abbildung ist
ZDF={2
x·3
y·5
z | x,y,z ε
Z}
(Z_weierpotenzen,D_reierpotenzen und F_ünferpotenzen).
Die Umkehrfunktion erhalten wir ohne Logarithmen folgendermaßen
aus der Obertonreihe:
_ _ _
f(2)=[1 0 0], f(3)=[1 1 0] und f(5)=[2 0 1], somit
_ x y z
f(2·3 ·5 )=[x 0 0] + [y y 0] + [2z 0 z]=[x+y+2z y z]
Bsp.:
_ 81 _ 3·3·3·3
f(——) = f(—————————)
80 2·2·2·2·5
-4[1 0 0] + 4[1 1 0] - [2 0 1] = [-2 4 -1]
d.h. zwei Oktaven abwärts 4 Quinten aufwärts
1 Terz abwärts.
c' ——>C——>e'+ ——>c'+ (syntonisches Komma)
Anhang: Ein Axiomensystem für den Tonraum
Wir betrachten den Tonraum (T,I,+,<).
T=Menge der Töne (genauer: Tonhöhe)
Variablen von Tönen werden mit großen Buchstaben A,B,C,.. geschrieben.
I = Menge der Intervalle
Variablen von Intervallen werden mit kleinen Buchstaben i,j,... geschrieben.
Nun folgen 11 Axiome für diese Struktur ähnlich den Axiomen des affinen Raumes.
Die Töne A, B ... entsprechen den Punkten, die Intervalle i=AB ... den Vektoren.
Zuerst wird die Struktur der Intervalle beschrieben:
Die Menge der Intervalle I ist bez. '+' eine kommutative archimedisch geordnete Gruppe.
D.h. es gelten die Gesetze (1) bis (8):
(1) |
Abgeschlossenheit: Für zwei Intervalle i und j gilt: i+j ist wieder ein |
|
Intervall [zum Beispiel Quart + Terz =Sext] |
(2) |
Assoziativgesetz: (i+j)+k=i+(j+k) |
(3) |
Kommutativgesetz: i+j=j+i |
(4) |
Existenz des Nullelementes und Inversen: |
|
i+x=j ist stets eindeutig lösbar, geschrieben x=j-i |
|
(Insbesondere gibt es das Nullintervall [Prim] o: i+o=i |
|
und zu jedem Intervall i das inverse Intervall -i mit |
|
i+(-i)=o) |
(5) |
Trichotomie: Stets gilt: ij |
(6) |
Transitiv: Aus i
|
(7) |
Monotonie: Aus i
|
(8) |
Archimedisches Gesetz: Stets gibt es zu Intervallen i und j mit 0
|
|
natürliche Zahl n so, dass n·i>j, wobei man das Intervall n·i durch n-maliges |
|
Addieren des Intervalls i erhält. |
Nun wird die Struktur der Töne beschrieben:
T ist "affiner" Raum über I.
D.h. Es gelten die folgenden Gesetze (9), (10) und (11).
(9) |
Je zwei Töne A und B bestimmen genau ein Intervall i, |
|
geschrieben i=AB [oder wie Vektoren AB mit Pfeil darüber] |
|
[Auf diese Weise kann ich erst jemanden das Intervall mitteilen, sinnlich |
|
ist das Intervall ein Klang] |
|
(Alternativ könnte man auch wie bei Ortsvektoren i=B-A schreiben). |
(10) |
Ein Ton A und ein Intervall i bestimmen genau einen Ton B |
|
so, dass i=AB, geschrieben B=A+i. |
|
[Achtung: A+i ist eine andere Addition als i+j!] |
|
[Allein mit dem Gehör finde ich zu einem gegeben Ton den Ton, der zum Beispiel |
|
eine große Terz höher liegt] |
|
Also:
i=AB <-> B=A+i
|
(11) |
A+(i+j)=(A+i)+j für Töne A und Intervalle i und j |
|
("gemischtes" Assoziativgesetz.) |
|
[zum Beispiel Oft findet man den Ton, der eine Quinte höher liegt, mit Hilfe |
|
des Dur-Dreiklanges: zuerst wird die große Terz, dann die kleine |
|
Terz angesetzt]. |
(11A) |
Alternativ: AB+BC=AC |
Beweis der Gleichwertigkeit:
Setze B=A+i, d.h. i=AB, und C=B+j, d.h. j=BC. |
"=>" |
Sei A+(i+j)=(A+i)+j für alle A ε T und i,j ε I. |
|
Dann folgt: A+(i+j)=(A+i)+j (nach (11)) |
|
= B+ j=C. |
|
Somit AC=i+j=AB+BC |
"<=" |
Sei AB+BC=AC für alle A,B,C ε T |
|
Gegeben sei A ε T und i,j El I. |
|
Setze B=A+i und C=B+j, d.h. i=AB und j=BC. Dann gilt: |
|
(A+i)+j=B+j=C und A+(i+j)=A+(AB+BC)=A+AC=C. Somit: |
|
A+(i+j)=(A+i)+j |
|
q.e.d. |
Lemma: A+o=A, wobei o das Nullintervall ist; d.h. AA=o.
Beweis: Nach (11A) gilt: AA=AA+AA -> AA=o
Lemma: BA=-AB Bew.: AB+BA=o => BA=-AB
Bemerkung: In T kann man auf folgende Weise noch eine
Ordnung definieren:
A < B <=> AB > o (siehe Axiom 4;
AB ist das den Tönen A und B zugeordnete Intervall)
Hörpsychologisch: Der Ton B erklingt "
höher" als der Ton A.
Axiome brauchen wir für diese Relation nicht, da alles über Größenverhältnisse
auf Intervalle zurückgeführt werden kann.
Hinweis: |
T ist "geordneter affiner" Raum über dem "Intervallraum" I, wobei I |
|
diesmal kein Vektorraum - wie bei affinen Räumen üblich- sondern |
|
eine kommutative archimedisch geordnete Gruppe ist. |
- Man beachte:
-
Nur zwei Intervalle oder ein Ton und ein Intervall können addiert
werden, nicht jedoch zwei Töne! (Man könnte - wie bei affinen Räumen- von
"Ortsintervallen" sprechen):
-
Wird in T ein Ton -zum Beispiel A- als Basis genommen, dann ist jeder weitere
Ton X durch das Intervall i=AX eindeutig bestimmt und umgekehrt jedes
Intervall i durch den Ton X=A+i.
-
Ein gleichwertiges Axiomensystem ist auch durch eine Äquivalenzrelation
auf Tonpaaren zu bewerkstelligen.
-
Zwei Tonpaare (A,B) und (C,D) sind äquivalent, wenn Ihnen dasselbe
Intervall zugeordnet wird: (A,B)~(C,D) <-> AB = CD (siehe oben Axiom 9 ).
- Bemerkung:
-
Nach dem Satz von Hölder ist der Intervallraum (I,+,<)
isomorph zu einer Teilgruppe von (R,+,<).
-
Mit heutigem physikalischen Kenntnisstand über Frequenzverhältnisse
und dem Logarithmus ist das klar. Davon machen wir aber
keinen Gebrauch, da die axiomatische Betrachtungsweise wesentlich intuitiver ist.
Literatur siehe Wilfried Neumaier