Familienarchiv
HERRGOTTSKIRCHE IN CREGLINGEN
Das weltberühmte Gotteshaus wurde im 21. März 1389 geweiht /
Feierstunde der Kirchengemeinde am 23. März 2014
ARTIKEL VOM SAMSTAG, DEN 01.03.2014 der
Fränkische Nachrichten Tauberbischofsheim
VERSTECKSPIEL HINTER DEM VEIT-STOSS-ALTAR
Eine Fußnote von Inge Braune, Creglingen.
Marie-Luise Mündlein lebt in Tübingen. Geboren wurde sie in
Creglingen, wohin es ihren Vater, Pfarrer Heinrich Mohr de Sylva, im Jahr 1930
verschlagen hatte. 39 Jahre alt war er, als der Pfarrer aus der Kocherregion
ins Taubertal wechselte. Von den sieben Kindern, die sich nach und nach in der
Pfarrersfamilie einstellten - Marie-Luise ist das erste Kind, das nach der
Hochzeit des Pfarrers mit Johanna, geb. Gerber, das Licht der Welt erblickte -
wohnt keines mehr am Geburtsort.
Der Herrgottskirche, die heuer das 625. Jubiläum ihrer Grundsteinlegung feiern
kann, gehörte für die sieben Mohr-Kinder einfach dazu. Gut erinnert sich die
putzmuntere Dame, die inzwischen in den 80ern steht, an die Zeit, als sie den
Vater in die Herrgottskirche begleitete. Bestaunt haben sie immer wieder den
riesigen Christopherus an der Wand im Chorraum.
"Der machte großen Eindruck
auf uns," erzählt sie. Auch das Chorgestühl faszinierte die Pfarrerskinder:
Sie erinnert sich noch gut, wie sie immer wieder die ganze Reihe der Köpfe
durchgemustert haben - und hinten beim Veit Stoß-Altar unterm Altarbild
hindurchschlüpften. Solche Versteckplätze sind natürlich etwas ganz
Besonderes. "Die Gottesdienste war auch damals eigentlich schon
Beerdigungskirche", erzählt sie. Bis heute tun Marie-Luise Mündlein die
Chormädchen leid, die auch bei schlechtem Wetter etwa bei Beisetzungen von in
Erdbach Verstorbenen zuerst dort hinlaufen mussten, um bereits am Trauerhaus zu
singen und den Sarg zu den Beisetzungsfeierlichkeiten in der Herrgottskirche
begleiteten. Oft waren die Sängerinnen - Pfarrersfrau Johanna Mohr leitete den
Chor - schon völlig erledigt, wenn sie in der Herrgottskirche ankamen, in der
es oft jämmerlich kalt war. "Das kann man sich heute gar nicht mehr
vorstellen."
Die Eltern hielten die Kinder fern von den Umtrieben der NS-Zeit, sprachen
möglichst nicht vor ihnen über die Ereignisse. Dennoch bekamen die einiges
mit - etwa, wenn die Eltern fast schon in das flüsterleise laufende
Radiogerät hineinkrochen, um über die Entwicklungen auf dem Laufenden zu sein
- was den feinen Kinderohren natürlich nicht entging. Auf leise Art entzog die
Mutter schon mal die Tochter dem NS-Dienst auf dem Sportplatz, indem sie sie
kurzerhand zum Beerenpflücken in den Wald mitnahm.
Auch Mohr selbst fand manchen kleinen Umweg, wenn er immer wieder
NS-Delegationen durch die Kirche führen musste. Die meist auf eine halbe
Stunde begrenzte Führungszeit nutzte er geschickt, führte die uniformierten
Herren erst ausführlich um die Kirche herum - und kam dann oft feixend nach
Hause. Wieder einmal war es ihm wieder gelungen, die NS-Leute für anderthalb
Stunden zu fesseln. Denen habe er "eine Predigt gehalten", ließ er dann
verlauten.
Seit er sein Amt in Creglingen angetreten hatte, hatte sich Pfarrer Mohr in die
Geschichte der Schätze der Herrgottskirche hineingekniet und so viel zur
Würdigung des Riemenscheider-Werks beigetragen - und wohl auch einiges zu
ihrer Erhaltung.
Als in den letzten Kriegstagen amerikanische Soldaten näher rückten, sorgte
er, wie sich Marie-Luise Mündlein erinnert, für die Tarnung des Altars, legte
selbst Hand an an Gerüst und Brettergestell, das den Altar tarnte. Hätte er
nicht zufällig erfahren, dass die Verteidiger Minen in der Kirchenmauer
platzierten, um die beim Einmarsch der US-Truppen als Straßensperre zu
sprengen, wäre heute vielleicht nichts mehr übrig vom Kunstwerk. Mohr muss
wohl noch etwas blass gewesen sein, als er der Familie davon berichtete, wie er
den Kommandanten herbeiholte und ihm im Schnelldurchlauf klar machte, welche
Schätze durch diese Aktion in Gefahr geraten würden. Das Unternehmen wurde
abgeblasen. Bis heute fühlt sich die Pfarrerstochter der Herrgottskirche
verbunden: Kein Jahr vergeht, in dem Marie-Luise Mündlein der Herrgottskirche
nicht mindestens einen Besuch abstattet.
Kirchenbau nach Hostienfund begonnen
Von unserer Mitarbeiterin Inge Braune
Eine alte Ansicht der Herrgottskirche.
Die Aufnahme stammt aus dem Fundus des Heimatforschers Hugo Kistner.
CREGLINGEN. Ob Konrad und Gottfried von Hohenlohe-Brauneck wohl je damit
gerechnet hätten, dass die von ihnen gestiftete Kirche auch im Jahr 2014 noch
stehen würde? 625 Jahre sind eine stolze Zeitspanne, in der über 30
Menschengenerationen die Kirche zwischen Creglingen und Münster im lieblichen
Herrgottstal besuchten.
Am 21. März 1389 erfolgte die Weihe. Den Ort des Kirchenbaus hatte ein rund
fünf Jahre vorher erfolgter wundersamer Fund bestimmt: Ein Bauer, heißt es,
entdeckte beim Pflügen auf dem Acker eine unversehrte Hostie. Für die
damalige Gesellschaft kam dieser Fund einem Wunder gleich: Die Hostie galt als
echte Verkörperung Jesu, der damit seine Anwesenheit an dieser Stelle klar und
deutlich bekundet hatte.
Das Stiftergeld konnte schwerlich die Kosten für den großen Bau decken:
Anderthalb Jahrzehnte nach der Kirchenweihe erschloss der Päpstliche
Ablassbrief - 1404 ausgestellt von Papst Bonifacius IX. - einen kräftigen
Ablasshandel. Die Wallfahrer erhofften, sich durch kleinere und gern auch
große Spenden von jenseitigen Strafen für ihre Sünden freizukaufen.
Nicht nur die Angst vorm Höllenfeuer aber war es wohl, die an hohen Feiertagen
Gläubige in derart großen Scharen anlockte, dass alten Berichten nach das Tal
regelrecht von den Menschenmassen geflutet war: Der Glaube bestimmte in weitaus
höherem Maß als heute den Alltag, die wenigen arbeitsfreien oder zumindest
weniger durch den Arbeitszwang geprägten Tage verdankten die Menschen dem
kirchlichen Heiligenkalender.
Rund ein Jahrhundert nach Erlass des Ablassbriefes für die Herrgottskirche
dürfte der Marien-Altar von Tilman Riemenschneider entstanden sein, der bis
heute Besucher aus aller Welt fasziniert und insbesondere zur Zeit des
"Lichtwunders" viele Gäste anlockt, denn um den Feiertag Mariä Himmelfahrt am
15. August fällt das Licht der untergehenden Sonne auf die Zentralszene des
Altars, der die Aufnahme Mariens in den Himmel darstellt. Genau über der
Hostienfundstelle soll der Altar, dessen Entstehung zwischen 1505 und 1510
datiert wird, der Überlieferung nach stehen.
Schon kurz danach jedoch wurden Klagen laut: zunehmend "verlottere" die
Wallfahrt, berichteten Zeitgenossen in starken Worten, was zur zeitweisen
Schließung der 1530 evangelisch gewordenen Kirche führte.
Längerfristig tat das der Beliebtheit keinen Abbruch - und eine echte
Renaissance erlebte die Herrgottskirche nach dem zweiten Weltkrieg: Bis zu
250 000 Besucher jährlich zog die an der frisch etablierten "Romantischen
Straße" gelegene Kirche an. Inzwischen lässt sich von derartigen
Besucherzahlen nur noch träumen: Nur noch knapp 50 000 Gäste zählt die
Kirchengemeinde, die allerdings auch zusätzliche Einbußen durch
Schließungsphasen während der Renovierung zu verbuchen hatte.
Die Kirche und ihre Ausstattung bietet nicht nur für Touristen und Gläubige
viel zu entdecken - auch Forscher zieht es immer wieder in die Herrgottskirche.
2005 nahmen Stuttgarter Museumskundler den rechten Seitenaltar genau unter die
Lupe, konnten weitere Indizien für die Zuschreibung der Fassmalerei an den
Windsheimer Künstler Jakob Mühlholtzer finden.
2006 galt es, mit einer Begasung gegen Holzwurm und ähnliche Schädlinge
vorzugehen. Da wurde die mit Spezialfolien an Fenstern und Türen möglichst
luftdicht eingepackten Kirche für einige Tage zur echten Sperrzone. Mit
Staubpinsel und UV-Licht rückten die Fachleute der Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste dem Marienaltar auf den Pelz: Eine farbliche Fassung, so das
Ergebnis, gab es nie, nur Augen und Lippen sind ganz zart betönt.
Im 625. Jahr nach ihrer Weihe widmet die Kirchengemeinde ihrem so besonderen
Edelstein zunächst am Sonntag, 23. März, eine Feierstunde, am 15. Juli ist
eine Andacht zum Feiertag "Mariä Himmelfahrt" vorgesehen.
Die Herrgottskirche 2014