Holde Isolde
Warum Karl Marx auf Isolde Kurz schimpfte
Was können sie schon gemeinsam haben, der Weltrevoluzzer
und die Schriftstellerin? Karl Marx kannte Isolde Kurz zwar nicht persönlich,
hatte gleichwohl mit ihr zu tun.
Karl Marx
Eine Arabeske der (Literatur-)Geschichte, gewiss, aber sie soll
hier doch wenigstens kurz erwähnt werden.
Isolde Kurz.
Isolde Kurz war 1877 knapp 24 Jahre alt, hatte keinen Tag die
Schule besucht und Tübingen gerade hinter sich gelassen. In ihrem Gedicht
„Abschied von Tübingen“ wirft sie der Stadt ihre als zwiespältig empfundenen
Jugendjahre vor:
„Der Abschied löst den Bann vom Munde,
Drum eh ich fern
ans Ufer stieg,
Laß jetzt in dieser
Trennungsstunde
Dir sagen, was ich lang
verschwieg:
Du hast vom Baume meines Lebens
Die schönsten Blüten früh geknickt.
Der Jugend Lust, die Kraft des Strebens
In meiner jungen
Brust erstickt.“
Das klingt nicht gerade nach einer unbeschwerten
Kindheit, wie sie Hermann Kurz" Töchterlein aus dem väterlichen Fachwerkhaus am
Markt (dem heutigen „Ranitzky“) sehnsüchtig auf die Stöfflersche Rathausuhr
starren ließ. „Der Vorzeit graue Steine“ und den „hundertjähr"gen Moder“ mochte
sie am philisterhaft verschnarchten Tübingen verabscheuen. Bereits die heute
selbstverständliche Anregung der selbstbewussten jungen Dame, in der
Badeanstalt einen Wochentag nur den Frauen zu reservieren, verschreckte die
hiesigen Mitbürger zutiefst.
Vater Hermann Kurz, ein Radikaldemokrat bester Güte, verschied im Jahr 1873,
weil er sich bei der Einweihung des Uhlanddenkmals einen Sonnenstich einfing.
Tod und Grab beschäftigen die Tochter danach so sehr, dass sie den gedichteten
„Abschied von Tübingen“ dann doch versöhnlicher enden lässt:
„Und kehr ich einst mit müden Flügeln,
Wenn meine Bahn ein
Ende hat
Dann gönne bei des Vaters Hügel,
Der Tochter eine Ruhestatt!“
Doch erst einmal ging"s hinaus
in die Welt, nach München und später für lange Zeit nach Italien. Die recht
sprachbegabte Isolde – sie beherrschte, im Hausunterricht antrainiert, neben
Englisch, Französisch, Italienisch und Russisch auch Latein und Griechisch –
versuchte sich an Übersetzungen, und ihr erstes nennenswertes
Übersetzungshonorar (1000 Gulden) investierte sie postwendend ins Grabmal des
Vaters auf dem Tübinger Stadtfriedhof. In dessen Nähe wurden dann später auch
die Mutter und sie selber beigesetzt.
Noch einmal kam Isolde kurz nach Tübingen, als sie im August 1877 beim
Uni-Jubiläum zum 400. Stiftungstag auf den herzoglichen Wagen als musenhaft
anmutende Amazone vier störrische Rösser durch Tübingens enge Gassen lenkte.
„Kein anderes Mädchen hätte dies vermocht“, staunte Biografin
Hella Mohr noch
viel später.
Doch Isolde Kurz, deren libertäres Elternhaus mit seinen „jakobinisch
angehauchten Sezessionen“ (so Inge Jens) sie zwar nicht zur Frauenrechtlerin
oder Revolutionärin, doch aber zu einer eminent erfolgreichen Schriftstellerin
werden ließ, begann ihre Karriere als Übersetzerin. Und hier kommt nun Karl
Marx ins Spiel. Der hatte im Londoner Exil einen französischen Neo-Jakobiner
namens Prosper-Olivier Lissagaray angehalten, aus eigener Erfahrung die Tage
der Pariser Kommune aufzuschreiben, obwohl Lissagaray hinter Marx" Rücken mit
dessen Tochter Eleanor anbandelte.
Nun wurde jemand gesucht, um Prosper-Olivier Lissagarays Manuskript ins
Deutsche zu übertragen. Und in Isolde Kurz gefunden. Karl Marx" Kommentare in
fünf Briefen an einen Freund und Kollegen sind nun allerdings wenig
schmeichelhaft ausgefallen, was die sprachliche Kunstfertigkeit der
Auftragsarbeiterin angeht:
„Im ganzen ist die Übersetzung, wo sie nicht direkt falsch ist, oft
unbehülflich, philisterhaft und ledern“, ätzt Marx. „Doch dies mag vielleicht
gewissermaßen deutschem Geschmack entsprechen.“
Im Oktober 1877 platzt Redakteur Marx endgültig der Kragen. An Briefpartner
Wilhelm Bracke schreibt er: „Ich habe Ihnen schon verschiedenmal angedeutet,
die holde Isolde an die Luft zu setzen. Mit aller Korrektur bleibt das Produkt
derselben ein Abortus. Dazu die Zeitvergeudung, die Kostenverschwendung etc.
Juristisch kann dem "an die Luft setzen" kein Hindernis im Weg stehn, da die
Person nicht leistet noch leisten kann, wozu sie kontraktlich verpflichtet
ist.“
So endet die kurze Beziehung zwischen Karl Marx und Isolde Kurz, bevor aus
ihr eine wunderbare Freundschaft erwachsen konnte. Im Alter von 90 Jahren,
krank, schwach und von den herrschenden Nazis hofiert, kehrt Isolde Kurz
schließlich in ihre Vaterstadt zurück. Das Hermann-Kurz-Grab auf dem
Stadtfriedhof wurde mittlerweile generalüberholt und sandstrahlt nun in neuem
Glanze.
Wilhelm Triebold