Klaus Mohr
Bild: Auf dem Tisch in der Tagblatt-Redaktion
hat Klaus Mohr seine Stammbäume
aus Kilchberg ausgepackt.
Schwäbisches Tagblatt 21.10.2017 Gast der Woche
Mit liebender Strenge
Die Kilchberger Ortschronist Klaus Mohr hat seine
abschließenden Projekte geplant.
Der 75-Jährige spricht auch über seinen
Lehrer-Beruf, wer ihn prägte
und warum er die Adelsbezeichnung
ablehnt.
Es sind mehrere Jahrzehnte, in denen Klaus Mohr fast alles gesammelt hat, was
es über Kilchberg zu erfahren gibt. Besonders die älteren Familien aus dem Ort
kennt er aus dem Effeff. Durch Gespräche mit Zeitzeugen, rund 6000 Bilder und
etliche Stammtafeln, die der 75-Jährige zusammengefügt hat. Aber: „Wen
interessiert das schon noch?“, fragt er mit Wehmut in der Stimme. „Im Dorf
sterben die Leute langsam aus.“ Keine einfache Situation, sagt er. Das mache
nachdenklich, wenn immer wieder Menschen sterben, die er kenne.
Der Historiker ...
... und Genealoge hat nach wie vor Spaß an der Recherche und dem Erhalt der
Geschichte. Seine Ausstellung in der Dorfscheune hätten zuletzt etwa 150 Leute
besucht. „Ich war zufrieden damit“, sagt er. Jeden Tag, so erzählt er, setzt er
sich gegen 8.30 Uhr an seinen Computer und arbeitet – obwohl er seit elf Jahren
im Ruhestand ist. Mittags kocht er und gönnt sich ein Schläfchen, „bei gutem
Wetter bin ich auch gerne in meinem Garten“, sagt er.
Mohr genießt sein Leben.
Das könne der Pfarrerssohn, weil er von größeren Krankheiten verschont
geblieben ist. „Christlich gesprochen ist das eine Gnade“, sagt der 75-Jährige.
Seine Frau verstarb schon 1994, Mohrs neue Partnerin lebt in Derendingen.
Alleine fühlt er sich trotzdem nicht: dank der Arbeit und vor allem seines
Zwillingsbruders
Jochen, „mein bester Freund“, wie Klaus Mohr sagt. Sie
telefonieren regelmäßig, spielen gemeinsam Tischtennis und selbst die Mutter
habe beide am Telefon nie auseinander halten können.
Beide teilten sich auch
den Beruf: Klaus Mohr war Lehrer für Latein, Geschichte und Geographie. Als er
noch selbst am Tübinger Uhland-Gymnasium die Schulbank drückte, habe ihm sein
Geschichtslehrer Eberhard Krauß imponiert: „Er hat mich begeistert, weil er
sich auch nicht gescheut hat, die heiklen Themen anzusprechen.“ Sich selbst
beschreibt Mohr als Lehrer mit „anstrengender Liebe oder liebender Strenge“.
Das sei offenbar ganz gut angekommen.
Zuletzt habe ihn in einem Café ein
ehemaliger Schüler angesprochen. „Den habe ich bestimmt 30 Jahre nicht
gesehen.“ Der Schüler habe ihn an der Stimme erkannt, sagt Mohr, „und er hat
gesagt, wenn er mich damals nicht gemocht hätte, hätte er mich auch nicht
angesprochen.“ Immer am Buß- und Bettag hat er auch ehemalige Schüler zu einer
Feier zu sich nach Hause eingeladen. 20 bis 30 seien immer gekommen.
Insgesamt
hat Mohr zwei Brüder und vier Schwestern, die mit einer Ausnahme alle
studierten. Eine Schwester lebt nahe Porto Alegre in Brasilien, vor neun Jahren
hat er sie mit dem Zwillingsbruder einmal besucht. Generell gelte aber: „Urlaub
am Strand ist nichts für mich.“ Was sich wie ein roter Faden durch die Familie
zieht, ist nicht etwa die Begeisterung für die Historik, sondern für die Musik.
Der 75-Jährige selbst ist beim Stephanuschor dabei und spielt auch noch
Waldhorn. „Musik ist ganz wichtig für mich“, sagt er. „Die beruhigt das Leben.“
Mohr bevorzugt die klassischen Werke, von Bach über Mozart hinein in die
Spätromantik. Und Chormusik. „Das hält mich auch ein bisschen jung“, sagt der
vierfache Vater. Wie auch das E-Bike-Fahren.
Seine Begeisterung für die
Historik und Genealogie hat ihm sein Vater vererbt: Hermann Mohr de Sylva – ein
Name, der seit 1832 für den Adel steht. Aber: „Ich bin nicht adlig und fühle
mich auch nicht so“, sagt Klaus Mohr, obwohl in seiner Geburtsurkunde ebenfalls
Mohr de Sylva steht. Der Vater, der die Familie 1950 nach Kilchberg gebracht
hatte, habe durchaus gezeigt, dass er ein wichtiger Mann war. „Er hat damit ein
bisschen angegeben“, sagt Mohr. Das liege ihm selbst fern. Der 75-Jährige wirkt
auch bodenständig und nennt die Nächstenliebe als wichtigen Baustein seines
Lebens. So kümmert er sich unter anderem um erkrankte Verwandte.
Bereits als
13-Jähriger bekam Mohr einen Rollfilm zur Konfirmation und machte Bilder von
Kilchberg – mit 17 kaufte er sich seine erste Dunkelkammerausrüstung.
Finanziert mit dem Stundenlohn von 1,49 D-Mark bei einem Bauunternehmen. Über
die Jahre hat sich sein Aufgabengebiet verändert. Musste er früher ins
kirchliche Archiv nach Möhringen fahren, kann er heute über den Computer und
das Internet recherchieren. Auf seine Arbeit habe sich die Digitalisierung
positiv ausgewirkt, sagt er. „Ich habe Zugang zu ganz anderen Dingen.“ Eine
Internet-Plattform hat er auch aufgebaut, von Sozialen Medien hält sich Mohr
jedoch fern.
Als 2015 der Hirsch in Kilchberg wiedereröffnete, fand er zum
Beispiel heraus, dass die jetzige Pächterin mit dem ersten Pächter von 1790
verwandt ist. Was ihn an der ganzen Arbeit reize? „Das ist schlicht Heimat für
mich“, sagt Mohr. „Und es macht mir einfach Spaß.“ Vor allem will er auch etwas
erhalten. Denn die Geschichte könne von der jüngeren Generation immer schwerer
erarbeitet werden – die Sütterlinschrift sei da oftmals ein Problem.
Wie lange
er noch die Kilchberger – und auch Weilheimer – Geschichte hinterfragen möchte,
das hat Mohr im Blick. Seine beiden Bücher über Kilchberger Familien und
Ortsgeschichte sollen zeitnah herauskommen. All seine Bücher hat der 75-Jährige
nach ähnlichem Muster gestaltet: „Mein Stil ist, dass ich immer trockenen Text
mit Bildern bereichere. Da haben selbst Reigschmeckte dann was davon.“ Geplant
hat er noch ein zweites Familienbuch, in denen er die Kilchberger Stammtafeln
aufzeigen möchte. „Dann ist wahrscheinlich Schluss für mich.“
Mit einer
Ausnahme: Ein Buch über die eigene Familie will er noch machen. Denn die
eigenen Kinder teilen seine Begeisterung nicht. „Da hab’ ich das Gefühl: Wenn
ich mal nicht mehr bin, kommt’s in den Container“, erzählt Mohr. Deshalb will
er seine Zeitzeugnisse in Museen oder Archiven unterbringen. Erste Gespräche
hat er schon geführt.
Zur Person
Klaus Mohr
Kilchberger Ortschronist
1942 geboren in Creglingen
1962 Abitur am Tübinger Uhland-
Gymnasium
bis 1969 Studium in Tübingen,
Wien und Kiel
ab 1970 Lehrer am Tübinger Kepler-Gymnasium, vorher Referendariat
und Promotion
ab 1982 Aufbau des Tübinger
Carlo-Schmid-Gymnasiums
von 1995 bis 2006 Schulleiter
in Haigerloch
seit 1986 Ortschronist von Kilchberg
Schwäbisches Tagblatt 12.08.2017
Ortsgeschichte Kilchberg
Drei Autos und drei Telefone
Klaus Mohr forscht über Kilchberg und hat den Stammbaum jeder der ungefähr vierzig Familien erfasst.
Was macht man im Ruhestand? „Man versauert oder man beschäftigt sich mit
etwas“, sagt Klaus Mohr. Seit elf Jahren forscht der pensionierte Schulleiter
als Dorfhistoriker zur Kilchberger Geschichte. 5000
Fotos hat er gesammelt und
einige Bücher über Kilchberg geschrieben. Mit Bildern und Texten präsentiert er
das Dorfleben von früher.
Außerdem sind da noch zwölf Zeitzeugen-Berichte zum
Anhören auf CD. „Die hab ich schwäbisch schwätza lasse“, sagt der 75-Jährige.
So erzählt ein Bäcker zum Beispiel, dass er jeden Tag von Stockach nach
Tübingen gelaufen ist in seiner Bäckerlehre. Viel Material hat Klaus Mohr zudem
von der 750-Jahre-Kilchberg-Feier, die 1986 ausgerichtet wurde.
Dafür
befragten Grundschüler Zeitzeugen. „Kilchberg war ein armes, bäuerliches Dorf“,
sagt Klaus Mohr über die Zeit vor dem Wirtschaftswunder. Drei Autos und drei
Telefone habe es in ganz Kilchberg gegeben. Mit einem dieser Telefone rief
Klaus Mohr die Tübinger Feuerwehr, als es 1960 in Kilchberg brannte. Obwohl es
im Ort selbst auch eine Feuerwehr gab, doch die Tübinger war schneller da.
Schließlich hat man damals Alarm geschlagen, indem man fahrradfahrend mit der
Trompete Laut gab.
Es ist nur eine von vielen Geschichten, die Klaus Mohr
erzählt. An seinen Kindern und Enkelkindern sieht er, dass sie die damalige
Zeit gar nicht mehr verstehen können. So nennt er als Beispiel, dass seine
Enkelin mit drei Jahren bereits ein Fahrrad besitzt, er hingegen mit 14 Jahren
zur Konfirmation sein erstes bekam.
Die Kilchberger Dorfscheune füllte er vor
kurzem mit seinen Arbeiten – beziehungsweise einem Bruchteil seiner Arbeit, wie
er sagt. Gerade mal fünf Prozent seiner Bilder präsentierte er dort. Fotos sind
Klaus Mohr wichtig: „Wenn die Leute Bilder anschauen, lesen sie auch die
Texte.“
Neben Plakaten mit Fotos lagen mehrere vier Meter lange Papierrollen
zu den einzelnen Stammbäumen von Kilchbergern aus. Klaus Mohr ist nicht nur
Hobby-Dorfhistoriker, sondern auch Hobby-Genealoge.
Ein gebrochener Fuß und
die daraufhin verordnete Bettruhe brachten ihn dazu. Bis zum Jahr 1191 zurück
hat er seine eigene Familie aufgearbeitet. Inzwischen hat er alle alten
Kilchberger Familien – etwa vierzig – in seinem PC erfasst. Die Daten hat er
aus Kirchenbucheinträgen, Tauf-, Toten-, Familien- und Ehebüchern. Wenn ein
Besucher in die Dorfscheune kommt und nach seinen Vorfahren fragt, wirft Klaus
Mohr den jeweiligen Stammbaum per Beamer an die Wand.
Seine Hobbys passen zu
seinem früheren Beruf: Als Lehrer unterrichtete er am Kepler- und
Carlo-Schmid-Gymnasium Latein, Geschichte und Geographie. Ab 1995 war er
Schulleiter in Haigerloch. Seine vier Kinder und seine Enkel wohnen alle in der
Nähe.
Seit 67 Jahren lebt Klaus Mohr nun schon in Kilchberg – und vermutlich
kennt keiner die Vergangenheit des Fleckens so gut wie er: „Negativ könnte man
sagen, ich bin ein rückwärtsgewandter Mensch. Aber zum Wohle der Menschheit.“
Vaters Fahrad
Zum Vergößern: Bild anklicken
Schwäbisches Tagblatt: Mittwoch, 8. November 2017 Lorenzo Zimmer
Der Schatz des Vaters stand im Keller
200 Jahre Fahrrad Das Radfahren lernten Klaus Mohr und seine
Geschwister auf dem Drahtesel ihrer Mutter. Doch das „Hercules Modell 71“
des Vaters hat für sie bis heute eine besondere Anziehungskraft.
Lange stand es unbeachtet
im Keller. Gammelte unter
dem Haus von
Klaus Mohr
in Küchberg vor sich hin.
„Wegwerfen wollten wir es nicht“,
sagt
der ehemalige Lehrer und
Historiker über seine und die Gefiihlslage seiner
Geschwister gegenüber dem alten Drahtesel.
Uber Jahre blieb es beim Wunsch,
das alte „Modell 71“ der Marke Hercules wieder herzurichten
Dann
gab es ein Gespräch mit
dem Weilhehner Fahrrad-Begeisterten und
-Museumsbetreiber
Michael Faiss. Und einen Auftrag
für ihn. Mohr, der sich
als Landesgeschichtler bezeichnet und sehr
an der Ortshistorie von
Kilchberg
und Weilheim interessiert ist,
wollte dem Rad nicht länger
beim
Einstauben zusehen. „Monatelang
schraubte Faiss in seiner Freizeit
am
Fahrrad herum — raus kam ein
Prachtexemplar, berichtet Mohr
stolz. Seitdem
wurde das Zweirad
immer wieder in der Weilheimer
Fahrradkirche
ausgestellt.
Der Historiker Mohr arbeitete,
während Faiss das Rad wieder
fit
machte, die Geschichte des Gefahrts auf. Es ist eine bewegte
Geschichte über alltägliche Bewegung mit diesem Rad — bevor
das
Autofahren allgegenwärtig wurde.
Als es kaum eine andere Möglichkeit
gab, um von A nach B zu kommen. Das Fahrrad ist fiir Mohr
heute wie eine
Quelle aus der Vergangenheit, irgendwo zwischen
Familienerbstück,
Zeitzeugnis
und Kollektiverbstück der Kirchengemeinden der
benachbarten
Teilorte Weilheim und Kilchberg.
Es handelt sich um das
alte
Fortbewegungsmittel des evange-
lischen Pfarrers Heinrich Mohr
de Sylva, Klaus Mohrs Vater. „Es war,
als mein Vater 1950 die Pfarrstellen Weilheim und Kilchberg
bekam, seine einzige Fortbewegungshilfe, um in seine Predigtorte zu
kommen“, berichtet Mohr.
Die Kirche in Weilheim, die der
Vater betreute, ist
jene, in der das
restaurierte Rad heute immer
ieder ausgestellt
wird.
Vor dem Zweiten Weltkrieg besaß Mohr de Sylva einen Opel:
„Doch der wurde ihm 1939 weggenommen.“ Autos waren dann — direkt nach dem
Zweiten Weltkrieg
— extrem selten. „In Kilchberg gab
es zu dieser Zeit gerade
mal drei
kleine Dreiräder-Autos“, sagt
Mohr. Es sind diese kleinen
Details, fiir die er sich interessiert
und die auch die Geschichte des
Rads
seines Vaters lebendigwerden lassen. Und sie sagen ihm viel
über Mobilität
nach dem Zweiten
Weltkrieg. Lange vor den Plänen
fiir eine Regionalstadtbahn
oder
selbstfahrende Elektroautos.
Wann genau das Fahrrad
in den
Familienbesitz kam, vermag Mohr
heute nicht zu sagen. Gebaut wurde
es vermutlich 1923. Und fiir
Mohr und seine sechs Geschwister hatte es,
während sie aufwuchsen, seit jeher eine „große Anziehungskraft. Wir
durften es warten“, sagt Mohr. Und manchmal
aus dem Dreck ziehen, wenn
der
Vater am Morgen auf dem Feldweg zwischen Weilheim und
Kilchberg im
Schlamm steckengeblieben war. Und schnell zum
nächsten Gottesdienst
musste:
„Bei Nässe war das ein katastrophaler Weg“, sagt Mehr.
Sein
Vater hatte neben Kilchberg und Weilheim auch die katholischen Filialorte
Bühl und
Hirschau zu betreuen. „Dort gab
es nur wenige Protestanten,
aber
hinfahren musste er trotzdem“, so
Mohr. Mit dem Dienstgefährt
des
Vaters fahren durften Mehr und
seine Geschwister damals selten.
Bis zu
einem gewissen Alter war
schon das Aufsteigen eine Herausforderung: „Man
musste mit dem
linken Fuß auf eine Querstrebe an
der Hinterachse.“ Von dort
konnte
man sich auf den Sattel schwingen, erinnert sich Mohr: „Solche
Versuche fiihrten oft
zum Sturz.“
Mohr und seine zwei Brüder
und vier Schwestern lernten
das
Radeln auf dem Damenrad ihrer
Mutter. „Viel bequemer zum Einsteigen“,
sagt Mohr. Und doch behielt das „Modell 71“ ihres Vaters
eine bestimmte
Wirkung. „Es war
ein besonderes Lustobjekt.“ Der
Anziehung gegenüber stand
die
Abhängigkeit des Vaters vom Rad
als Fortbewegungsmittel: „Er hat
immer
geschimpft, wenn wir es
nicht sorgfältig behandelten.“
Zur Wartung, die die
Töchter und Söhne für ihren Vater übernahmen, gehörte auch die
eine
oder andere technische Erweiterung im Inaufe der Jahre: „Als es
dann
Rücklichter zu kaufen gab,
haben wir ihm die Kabel an der
Stange entlang
gelegt“, erinnert
sich Mohr. Noch etwas später kamen dann Pedale mit
Katzenaugen hinzu: „Daran habe ich noch
sehr lebendige Erinnerungen.
Mit
sehr viel Mühe haben wir ihm die-
se Dinger angebracht.“
Auch das
präzise Einstellen der
Nabenschaltung war Aufgabe der
Pfarrerskinder. Denn
Vater Heinrich war „äußerst jugendbewegt“
und ständig
unterwegs. „Er ist viel
über Land gefahren. Heute ist das
schwer vorstellbar,
wie wichtig
dieses Fahrrad fiir ihn war.“ Deshalb ist Mohr froh, dass es im
Keller die Zeit überdauerte.
Zwischntext;
In Kilchberg gab es zu dieser Zeit gerade mal drei kleine
Dreiräder—Autos. Klaus Mohir, Historiker
Bild links: Auf dem Fahrrad der Mutter — ohne eine Querstange deutlich leichter
Zweites Bild: Klaus Mohr durfte als Kind nicht mit dem Rad fahren.
Rechtes Bild: Mohr ließ das Fahrrad seines Vaters Heinrich Mohr de Sylva vom Michael Faiss reparieren und pflegen. So steht es heute da.
Bild rechts unten: Pfarrer Mohr de Sylva
Senga duet g’wiß et wai
21.04.2015 Schwäbisches Tagblatt WOLFGANG
ALBERS
Ausstellung blickt auf eine wechselvolle
Vergangenheit des Sängerkranzes Kilchberg
150 Jahre Sängerkranz Kilchberg:
Eine Ausstellung zeigt nicht nur die erfolgreichen Seiten des Vereinslebens,
sondern auch Konflikte und Tiefen.
Kilchberg. Die Verzweiflung spricht
aus jeder Zeile der handgeschriebenen zwei Seiten. „Der Sängerkranz ist ein
Wesen, das am Abgrund entlang geht. Es macht sich zu dieser Zeit in unserem
Verein eine große Resignation breit“, notiert am 19. Januar 1988 Hans Krauß,
der Schriftführer des Sängerkranzes Kilchberg. „Einerseits sind wir mit unserem
Dirigenten unzufrieden, andererseits muss man sich fragen, was dieser mit dem
kleinen Häuflein, bei dem die Fehlquoten immer größer werden, eigentlich noch
beginnen soll. Wir drehen uns im Kreis, und keiner hat den Mut, zu sagen, wir
hören auf.“ Kurz darauf appellierte Hans Krauß auf Schwäbisch: „Descht a Bitt
an ganze Flecka: Lent dea Chor doch et verrecka. Kommet doch en Gsangsverei,
Senga duet doch gwiß et wai.“
Trotz Krach und Krisen ging es immer
weiter
Aber: Kurz darauf – Chor und Dirigent waren so zerstritten, dass
Letzterer hingeschmissen hatte – beschlossen fünf Männer und drei Frauen, der
ganze Rest, der bei einer Probe noch übrig geblieben war, die Singerei
einzustellen. Und dann? 25 Jahre später ist die Dorfscheune voll, die 35
Sängerinnen und Sänger des Chores Kilchberg stimmen das „Hallelujah“ an, der
Oberbürgermeister kommt zum Gratulieren, ebenfalls Heidrun Frick, die Erste
Vorsitzende des Bezirkes Tübingen im Chorverband Ludwig Uhland, und die
Ortsvorsteherin Gundi Reichenmiller dankt für die vielen Beiträge, mit denen
der Sängerkranz das Dorfleben bereichert – im jetzt 150. Jahr seines Bestehens.
Das Jubiläum feiert der Chor mit einem Konzert am 25. und 26. Juli, und jetzt
mit einer Ausstellung, die Rückschau hält auf ein Chorleben, das über 150 Jahre
eine Konstante aufweist: Es gab immer Krach und Krisen – und es ging immer
weiter, oft glanzvoll.
Schon der erste Anlauf 1858 scheiterte nach einem Jahr.
Kaum gegründet, löste sich der Verein wieder auf, weil man sich bei den Wahlen
nicht einigen konnte. Am 11. November 1864 klappte es dann. Nur ledige Männer
durften eintreten – und bleiben, wenn sie heirateten.
„Stimmt ein mit hellem,
schönen Klang“ hieß das erste gemeinsam gesungene Lied. Aber so harmonisch
blieb es nicht. Mal lahmte der Probenbesuch – die Zeitumstände, die manchen zum
Auswandern zwangen, hatten auch ihren Anteil –, mal hatte der Dirigent keine
Lust mehr, weil er sein Geld nicht bekam. Oder der Dirigent, meist der
Ortslehrer, atmete mit solch schulischer Strenge, dass es Krach gab. Im Jahr
1906 seufzte der Schriftführer in seinem Jahresbericht: „Seid einig, einig,
einig.“
Eine interessante Phase war auch die NS-Zeit.
Klaus Mohr, Kilchberger
Orts-Chronist und Verfasser einer Dokumentation über den Sängerbund, hat den
Quellen eine innere Zerrissenheit des Vereines entnommen, in dem sich
fanatische Nazis und kirchlichere oder sozialdemokratischere Mitglieder
gegenüberstanden. „Der Verein lavierte“, hat Klaus Mohr festgestellt.
Neben
all den Auseinandersetzungen zieht sich noch eine weitere Konstante durchs
Vereinsleben: Immer, wenn es besonders kriselte, fanden sich Personen, die mit
viel Engagement wieder Leben und Beständigkeit in den Verein brachten. Das
waren Männer wie der Oberlehrer Binder, Vorstand und Dirigent von 1895 bis
1930, oder nach der Hitler-Zeit Wilhelm Hansis, der den Verein von 1950 bis
1969 leitete.
Hansis stieß eine gewaltige Reform an: 1950 nahm der Verein auch
Frauen auf. Sie hatten bis dahin als Festjungfrauen nur dekoratives Beiwerk
sein dürfen. Leicht machten es sich die Männer nicht. „Ein gemischter Chor kann
einen Verein, wenn Taktgefühl, Anstand, innere Moral da sind, in die Höhe
bringen, er kann einen Verein aber auch in kurzer Zeit ruinieren.“
Das Rezept:
Möglichst wenig Verein
Ganz im Gegenteil: So waren es Mirjam und Susanne
Steiff, die ab 1990 dem Chor eine neue Richtung gaben, als Junger Chor. Händel,
Mozart und die Beatles lösten Silcher im Repertoire ab. Hat auch nicht allen
gepasst. „Der Junge Chor konnte nicht mehr alte Traditionen bedienen, das haben
manche ältere Mitglieder nicht verstanden“, berichtete Andreas Müller von der
Arbeitsgruppe Ausstellung.
Aber der Weg war erfolgreich. Der Verein, der mit
der Ersten Vorsitzenden Birgit Nordmann und der Chorleiterin Christina
Schütz-Bock ein weibliches Führungsteam hat, steht mit 90 Mitgliedern gut da
und gilt als so qualitätsorientiert, dass auch etliche Auswärtige mitsingen.
Den Zusatz Jung hat Birgit Nordmann aus dem Chornamen gestrichen – nach 25
Jahren hat sich auch hier der Altersschnitt gehoben. Aber er liegt noch unter
50. Und damit man für junge Leute attraktiv bleibt, gilt laut Andreas Müller:
„So wenig Verein wie möglich, soviel wie nötig. Allzu enge Vereinsstrukturen
wirken auf junge Leute eher abschreckend.“
Info Die Ausstellung ist noch am
Sonntag, 26. April 1915, von 14 bis 17 Uhr zu sehen, außerdem am 30. April zur
Maifeier, etwa von 19 bis 22 Uhr. Es gibt auch eine Chronik zum Preis von 15
Euro.
06.05.2013 Schwäbisches Tagblatt MADELEINE WEGNER
Der Alltag der
kleinen Leute
Über 420 historische Weilheimer Bilder: Klaus Mohr stellt
sein Heimatbuch vor
Einen handbetriebenen Zahnbohrer im Schützengraben
zeigt die Grußkarte des Soldaten, ernste Kindergesichter blicken aus der
Schul-Fotografie von 1894: Zum 100-jährigen Bestehen des Weilheimer Schulhauses
hat Klaus Mohr ein neues Heimatbuch herausgebracht.
Weilheim. Es
sind vor allem die mehr als 420 Bilder, mit denen das neue Weilheimer
Heimatbuch zu einer Reise in die Vergangenheit einlädt. Klaus Mohr,
Geschichtslehrer im Ruhestand und Landeskundler, hat damit eine umfangreiche
Sammlung zusammengetragen: Die alten Fotografien, Postkarten und teilweise
farbigen Bilder zeigen das Alltagsleben der Weilheimer und historische
Dorfansichten. 15 Weilheimer Familien haben ihm das Material zur Verfügung
gestellt.
Die begleitenden Texte hat Mohr in meist leicht verständlicher,
bildhafter Sprache geschrieben – gerade so, als ob der Großvater beim
Betrachten alter Bilder seinem Enkelkind von damals erzählt. Tatsächlich war
solch eine Situation Auslöser für die Entstehung des Buches: Mohrs Enkel
fragte, wie die Schulzeit der Kinder denn früher gewesen sei.
Das knapp 180
Seiten starke Heimatbuch ist in über 30 Kapitel untergliedert – zu Themen wie
Heirat, Kirchengemeinde, Kleidung, Vereinsleben, Gebäude, Fuhrwerke sowie
Männer- und Frauenberufe. Dabei lässt sich manches Detail entdecken, etwa dass
der Rammert in den 1930er Jahren fast kahl war und der Foto-begeisterte Pfarrer
Karl Dieterich als Dank für einen Foto-Abzug von den Bauern Eier erhielt.
Eine
Zeitspanne von 1890 bis 1980 umfasst Mohrs Bildband. Für die begleitenden Texte
hat er nicht nur mit alten Dorfbewohnern gesprochen, sondern auch in Archiven
und Kirchenbüchern nachgelesen. Während die Zeit des Ersten Weltkriegs durch
Fotografien von Soldaten oder auch Grußkarten aus dem Schützengraben
dokumentiert wird, klammert Mohr die Zeit des Nationalsozialismus weitgehend
aus. Hier wären kritische Kommentare wichtig gewesen. Doch so bleiben die
wenigen Bilder aus diesen Jahren – beispielsweise ein Bube, der beim Kinderfest
stolz eine Hakenkreuz-Fahne trägt – unkommentiert.
Mohr selbst beschreibt sein
Buch als „ein Bilderbuch zu möglichst vielen Facetten des Lebens“. Dabei wollte
er nicht Institutionen oder herausragende Personen darstellen, sondern den
Alltag der Menschen in den Mittelpunkt rücken, „das Bildhafte der einfachen,
normalen Menschen“. Der Arbeitsalltag der Weilheimer war lange Zeit von der
Landwirtschaft geprägt. Darauf spielt bereits der Titel des Buches an.
„Bauernkraft – gutes Brot schafft“: Diesen Spruch hatten die Weilheimer Bauern
auf ihrem Wagen beim Festumzug der Heimattage 1957 angebracht.
„Da in Weilheim
ein Geschichts- und Kulturverein fehlt, gebe ich das Buch selbst heraus – mit
vollem Risiko“, sagt Mohr. Zunächst hat er deshalb 100 Exemplare drucken
lassen. Für 29 Euro ist der Bildband unter anderem im Weilheimer Rathaus
erhältlich.
Info: Am heutigen Montag stellt Klaus Mohr um 20 Uhr sein Buch mit
einem Dia-Vortrag im Weilheimer Kneiple (Alte Landstraße 36) vor.
Über 420
historische Weilheimer Bilder: Klaus Mohr stellt sein Heimatbuch
vor
„Bauernkraft gutes Brot schafft“ hieß es beim Fest-Umzug 1957 – auch Klaus
Mohrs Heimatbuch trägt diesen Titel.
29.12.2012 Schwäbisches Tagblatt FILIPP MÜNST
100 Schüler waren für den
alten Schulsaal in Weilheim viel zu viel
Im neuen Schulhaus begann vor
100 Jahren der Unterricht
Mit Ratssaal, Schule und Lehrerwohnung in einem
einzigen Haus wurde es 1912 viel zu eng für die Weilheimer Schüler. Nach den
Weihnachtsferien zogen sie in die neue Schule um.
Weilheim. Schule
auf dem Land war vor 100 Jahren noch etwas völlig anderes. Mit dem Neubau der
Weilheimer Schule in der Wilon straße, wo ab Anfang 1913 der Unterricht
stattfand, bekamen die Schüler endlich ihr eigenes Gebäude neben dem Rathaus
und der Lehrerwohnung. Davor mussten sie teilweise auf der Treppe ihre Aufgaben
machen, weil der Platz einfach nicht mehr ausreichte.
Im neuen Schulhaus
begann vor 100 Jahren der Unterricht
Wilhelm Trautmann, der um 1900 die
Weilheimer Schule besuchte, berichtet im Heimatbuch „900 Jahre Weilheim“ von
diesen Umständen. Während Schulleiter Karl Dieter im proppevollen Schulsaal
knapp 100 ältere Schüler/innen unterrichtete, mussten er und die anderen
ABC-Schützen auf der Treppe zur Bühne sitzen. Eine der guten älteren
Schülerinnen kümmerte sich um sie, bis der Unterricht für die Älteren zu Ende
war. Dann durften die Kleinen hinein.
Anfang des 19. Jahrhunderts musste noch
ein einziges Haus als Schule, Rathaus und Lehrerwohnung herhalten. 1835 kam ein
einfacher Anbau hinzu, in dem fortan der Unterricht stattfand. Doch auch hier
wurde der Platz schnell knapp, da die Schülerzahlen in die Höhe schnellten und
später zudem der Ratssaal einzog. Schultheiß Karl Braun kam 1912 um einen
Neubau der Schule und wenige Jahre später um den Bau eines neuen Rathauses
nicht herum.
Die kleine Gemeinde musste für diese beiden Bauvorhaben eine
Menge Geld in die Hand nehmen. Da wenige Jahre zuvor Weilheim an das Stromnetz
angeschlossen wurde und zusammen mit Kilchberg Wasserleitungen baute, standen
die Finanzen nicht so gut. Leidtragender war Schulleiter Karl Dieter, der für
sich und seine Familie schon lange eine anständige Wohnung suchte. Seine
Lehrerwohnung war umringt von einem Schweinestall, einer Scheune, dem Schulhof
und die nahegelegene Grube für das Abwasser der Schülertoiletten und der
Küche.
Doch die Lehrerwohnung stand ganz unten auf der Prioritätenliste.
Zunächst musste schleunigst ein eigenes Häuschen für die Schülertoiletten her,
mit gewissem Abstand zum alten Schul- und Rathaus und zur Lehrerwohnung, damit
es dort nicht mehr so übel stank. Wie in allen Häusern in Weilheim gab es noch
keine Kanalisation, sie wurde erst 1964 gebaut. Das neue Klohäuschen samt
zugehöriger Grube verbreitete zwar weiterhin Gestank, doch wurde der durch die
größere Entfernung etwas erträglicher.
Was die Landwirtschaft in den 1950er Jahren hergab: Kürbisse, Kohl
und Äpfel
Erntedankfest in der Tübinger Stiftskirche
Eine Menge
Obst und Gemüse hatten die Gemeindemitglieder der Tübinger Stiftskirche
zusammengetragen und Gott für die reiche Ernte gedankt. Äpfel, Kürbisse,
verschiedene Kohlsorten und Trauben haben sie dekorativ zu einem
Obst-Gemüse-Berg aufgehäuft.
Tübingen. 1952 wars wohl, vermutet
TAGBLATT-Leser Klaus Mohr, der das Bild den Zeitzeugnissen zur Verfügung
gestellt hat – passend zum Erntedankfest am morgigen Sonntag. Erntedank wird
heute meist in den Kirchen gefeiert. Vor 63 Jahren aber gab es sogar noch ein
Fest auf dem Einsiedel. Es war das letzte.
1949 waren die beiden
Pfrondorferinnen Gisela Ott und Hedwig Eugner dabei. Sie standen ganz oben auf
dem geschmückten Wagen, der von zwei Rössern zum Hof gezogen wurde. Dort gab es
Saft und Buttermilch für die Kinder, Bier für die Erwachsenen. Und es wurde
auch gesungen: „Nun danket alle Gott“. Am Sonntag laden die Kirchen wieder zum
Erntedankfest ein. Mal wird ein Weißwurstfrühstück geboten, mal eine Matinee.
In jedem Fall aber sind die Altäre geschmückt.
Längst aber liegt dort nicht
nur heimisches Obst und Gemüse. Auch Bananen, Olivenöl und Kaffee tragen
inzwischen zum geschmückten Erntedankaltar bei. Mit dem Fest wollen die
Gläubigen nicht nur ihrem Schöpfer danken, sie erinnern auch an die Arbeit in
der Landwirtschaft, und daran, dass nicht alle in diesen Tagen genug zu essen
haben. Einige Kirchengemeinden geben ihre Gaben an die Tübinger Tafel weiter.
09.07.2012MATTHIAS REICHERT
Charme und Stolz bewahrt
Kilchberg feiert
sanierte Dorfscheuer
Viel Herzblut steckt in der Sanierung der Kilchberger
Dorfscheuer, die am Wochenende eröffnet wurde. Doch jetzt will das Finanzamt
die ehrenamtliche Arbeit besteuern.
Kilchberg. Sechs Jahre hat das
Projekt gedauert. 5200 Stunden ehrenamtliche Arbeit investierten die
ehrenamtlichen Helfer. „Es hat mich viele schlaflose Nächte gekostet. Aber wie
bei der Geburt eines Kindes überstrahlt die Freude alle Anstrengungen“, sagte
Ortsvorsteherin Gundi Reichenmiller vor etwa hundert Eröffnungsgästen. Die
Helfer haben die 1745 erbaute Scheune entrümpelt, die alten Balken mit Bürsten
gereinigt, Löcher in der Tür mit Holz von anderer Stelle aufgefüllt. Handwerker
bauten Stahlträger und eine Fußbodenheizung ein. Zweimal rückte die
Kampfmittelbeseitigung an, weil sich im Heu Munition fand.
Hinter der alten
Leiter, die immer noch bis zum Dach reicht, blickt man jetzt vom Treppenhaus
auf den restaurierten Saal. Das Obergeschoss soll als Vereinsraum dienen,
unterm Dach ist Platz für Exponate eines künftigen Museums; zur Eröffnung waren
dort historische Nachttöpfe ausgestellt. Im Erdgeschoss wurde eine Küche
eingebaut, im ersten Stock sind jetzt Toiletten.
Die Kosten des
Scheunen-Umbaus belaufen sich auf rund 600 000 Euro. 450 000 Euro übernahm der
Tübinger Gemeinderat – gegenfinanziert, indem die Stadt Bauplätze „Hinter den
Gärten“ in Kilchberg verkaufte. Für 120 000 Euro haben Helfer ehrenamtlich
gearbeitet, 40 000 Euro wurden gespendet.
Mühlstraßen-Steine halfen
sparen
Doch nun hat, wie OB Boris Palmer bei der Scheunen-Eröffnung
öffentlich machte, das Tübinger Finanzamt eine Rechnung für den Umbau
geschickt. „Das Finanzamt will die Gemeinnützigkeit nicht anerkennen. Wir
sollen die geleistete ehrenamtliche Arbeit versteuern. Wenns dumm läuft, haben
wir eine nahezu sechsstellige Lücke. Da wüsste ich nicht, weshalb noch jemand
ehrenamtliche Arbeit leisten soll.“ Die Ortsvorsteherin sagte auf Nachfrage:
„Das war schon ein Schlag für uns. Das Finanzamt argumentiert, dass wir einen
Mehrwert für die Stadt schaffen.“
Immerhin half die Scheuer an anderer Stelle
sparen. Laut Palmer verwendete Tiefbau-Chef Albert Füger für den Vorplatz
Pflastersteine aus der Mühlstraße, die dort unter dem Asphalt lagen und bei der
Sanierung zutage kamen. Andernfalls hätte die Stadt diese Steine als Sondermüll
entsorgen müssen. „Hier geht es um Lebensqualität. Dieser Ort ist schöner
geworden“, lobte Palmer. Er überreichte an den harten Kern von zehn Helfern
Erinnerungsbücher von Chronist Klaus Mohr. Der hatte auf Tafeln die Geschichte
der Scheuer dokumentiert: Erster Besitzer war der Hofbauer Adam Schettler, der
von 1743 bis 1747 Schultheiß war.
Das Gebäude habe seinen Charme und seinen
Stolz bewahrt, lobte Monika Fuhl vom Tübinger Architekturbüro Gottfried
Haefele. Die ehrenamtlichen Arbeiten koordinierte Eugen Finkbeiner. „Das
bäuerliche Erbe geht verloren“, sagte dieser. Die Älteren hätten die einstige
Bedeutung der Landwirtschaft miterlebt. „Den Enkeln bleibt nur noch der Gang
ins Freilichtmuseum.“
Finkbeiner erinnerte daran, wie die Helfer mühselig
Staub- und Strohreste entfernten. „Wir haben gedacht, das nimmt kein Ende“. Der
Umbau habe neue Verbindungen zwischen Alt-Kilchbergern und Zugezogenen
geschaffen. „Auf das Ergebnis kann jeder von uns ein bisschen stolz sein.“
Finkbeiner wünscht sich eine neue Gruppe, um die Scheune mit Leben zu füllen.
„Für mich gibt es ein Leben nach der Scheune.“
Nach dem Grußwort des Pfarrers
Martin Keller aus Kilchberg bei Zürich und dem Segen durch die Geistlichkeit
rief Michael Jung parodistisch bei Kretschmann, Beckenbauer und Reich-Ranicki
an, um vermeintlich namhafte Auftritte anzulocken. Der Kilchberger Chor, der
Posaunenchor und eine Tanzgruppe des Schwäbischen Albvereins umrahmten die
Eröffnung. Am Samstag nahmen dann mehrere hundert Besucher/innen das Gebäude
bis in die Abendstunden in Augenschein.
19.05.2012 Schwäbisches Tagblatt UTE KAISER
Dem Abschlussjahrgang des
Uhland-Gymnaisums 1962 die nötige Reife abgesprochen
Beim Abi noch recht
schülerhaft
Erich Haag, der Leiter des Uhland-Gymnasiums, hielt den
Abiturienten 1962 ihre „Schülerhaftigkeit“ vor. Die müssten sie überwinden. Das
nahmen die Schulabgänger offensichtlich ernst, denn sie brachten es später
beruflich weit – als Wissenschaftler, Pädagogen, Ärzte und Juristen.
Tübingen. Hintergrund der Brandrede zu den mit den eingeräumten Rechten
verbundenen Pflichten war der sogenannte Rotbartprozess vor dem Tübinger
Landgericht: Neun Jugendliche, einer hatte sich einen roten Bart zur Tarnung
angeklebt, hatten 1961 in Tübinger Läden Schallplatten, Bücher, Feinkost und
Zigaretten geklaut.
Unter den Tätern waren auch Kepler-
und Uhland-Gymnasiasten. Allerdings keine aus dem Abitur-Jahrgang 1962, der
sich am vergangenen Wochenende im Uhland-Gymnasium (UG) traf. Die Abi-Rede des
Schulleiters und der Prozess sind mehr als eine Fußnote in dem 200 Seiten
starken und reich bebilderten Band, den Klaus Mohr, Eberhard Schwarz und Ulrich
Steckfuß zum 50-Jährigen zusammengestellt haben.
Die beklagte
„Schülerhaftigkeit“ erklärt der Kilchberger Klaus Mohr, der später selbst ein
Gymnasium in Haigerloch leitete, mit der Oberstufenreform. Das UG machte sich
schon 1959/60, lange vor anderen Gymnasien im Ländle, auf den Weg. Der
Abi-Jahrgang 1962 profitierte von der Reform doppelt: mit der Abwahl vieler
Fächer und zwei wunderschönen Schuljahren „im sozialen Sinn“, so Mohr.
Damit
meint er weniger die Schwammschlachten oder das Fuchsen um Pfennige. Auch nicht
das Schreiben für die Schülerzeitung, die nach dem Götterboten „Hermes“ hieß.
Weniger Wochenstunden ließen den Oberstufenschüler(inne)n genügend Zeit für
Stadtbummel, Ausflüge, zum freitäglichen Skatspiel im Gasthaus „Kiess“ und zum
Schwof – wovon heutige Turbo-Gymnasiasten träumen.
Das alles förderte
offensichtlich das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Klasse trifft sich seit 1972
regelmäßig alle zwei Jahre jeweils an einem anderen Ort. Nur auf die Abi-Reise
musste sie verzichten, weil es in der Parallelklasse beim Schriftlichen
Unregelmäßigkeiten gab.
Die entspannte Schulzeit, von Anfang an koedukativ, um
auch Mädchen eine humanistische Bildung zu ermöglichen, hat den Abi-Jahrgang
1962 geprägt. Das legen zumindest die Lebensläufe nahe. Immerhin 14
UG-Absolventen sind Lehrer oder Lehrerin geworden. Dazu kommen sieben Ärzte,
eine Handvoll Juristen und vier Naturwissenschaftler. Unter ihnen ist auch
Prof. Bettina Baronesse von Freytag genannt Löringhoff. Sie leitete bis 2008
das Tübinger Universitätsmuseum und hielt am Samstag für ihre ehemalige Klasse
einen Vortrag über „Spannende Archäologenjahre“.
Beim Abi noch recht
schülerhaft
Kurze Hosen und weite Röcke trugen die Uhland-Gymnasiast(inn)en im
Jahr 1958. Fürs Foto formierten sich vor der Schule (hinten von links)
Karl-Rudolf Winkler, Eberhard Schwarz, Wolfgang Nesch, Viktor Hanuska, Wolfram
Stumpp, (vorletzte Reihe von links) Klassenlehrer Eberhard Krauß, Konrad
Kramer, Dirk van Beuningen, Christian König, Peter Boos, (erste und zweite
Reihe von links) Christine Margenfeld (verheiratete Keitel), Renate Daniel,
Gabi Zanker, Sigrun Isler (Möller), Olga Hellmich (Brixner), Volker Keuler,
Konrad Bezler, Thomas Tolk, Walter Dick, Heinz Großmann, Heinz Messmer,
Ekkehard Horowski, Ernst Maier, Klaus Mohr und Ulrich Streckfuß. Privatbilder
Die einen machten in Deutschland Karriere. Andere zog es ins Ausland wie etwa
Gisela von Brunn. Sie lebt in Bolivien und hat unter anderem sechs
Theaterstücke auf Spanisch geschrieben. Walter Dick trat in die Fußstapfen
seines Vaters und war bis zu seiner Pensionierung Chefarzt der Orthopädischen
Klinik in Basel. Hans-Joachim Heuer, der 2005 starb, war Staatsanwalt in
Tübingen. Klassenkamerad Karl-Rudolf Winkler brachte es zum stellvertretenden
Generalstaatsanwalt in Koblenz – obwohl er Regeln übertrat und, so der Eintrag
im Klassenbuch, „wegen renitenten Schwätzens des Klassenraums verwiesen“
wurde.
Zum Jurastudium entschied sich auch Henning Kroymann, der Bruder des
früheren Tübinger Landrats Albrecht Kroymann. Weil er aus Tübingen rauswollte,
stieg Henning Kroymann ein Jahr aus und ging zur Bundeswehr. Später ging er
nach Düsseldorf und war für die Linke Liste Mitglied im Stadtbezirks-Parlament
Süd. Mit Tübingen, besonders mit der Rechtsanwältin Felicia Langer, verbindet
ihn eine 2004 gegründete Palästina-Friedensstiftung.
Während der Schulzeit kamen etliche Neuerungen auf: Bluejeans,
Comic-Hefte, das Spiel Monopoly und der Jazz. Manche der Lehrer, die lang vor
dem Zweiten Weltkrieg studiert hatten, empfanden das als befremdlich. Nicht an
alle Pädagogen haben die Abiturienten gute Erinnerungen. Eine der Ausnahmen ist
der Historiker Eberhard Krauß. Eberhard Schwarz nennt ihn eine
Lehrerpersönlichkeit, „die immer anständig und fair gewesen ist und dabei einen
höchst qualifizierten Unterricht erteilte“. Krauß, so das Schülerlob, blendete
auch die Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht aus.
Positiv aus dem Kollegium
hervor stach auch der langjährige Mathematik- und Physiklehrer Walter Gölz, der
in der 13. Klasse auch Philosophie gab. Er erwischte einmal Schüler dabei, wie
sie im – wegen eines optischen Versuchs verdunkelten – Physiksaal Karten
droschen: „Also Winkler, das Blatt, das Sie da haben, würde ich aber nicht
spielen.“ Diesen Regelverstoß der Lümmel ließ Lehrer Gölz, der „freundliche
Philanthrop“, so Klaus Mohr, ungestraft durch.
Mal mehr, mal weniger Spuren im
Gedächtnis der ehemaligen Schüler hinterließ Hartmut von Hentig. Der
deutschlandweit bekannte Reformpädagoge war als spätberufener Referendar am UG
und gab der Klasse unter anderem „einen Vorgeschmack auf angewandte
Linguistik“.
Beim Abi noch recht schülerhaft
Zum jüngsten Treffen des
Abiturjahrgangs 1962 kamen teilweise bis zu 45 Gäste, darunter auch Partner und
Partnerinnen der ehemaligen Uhland-Abiturienten. Im Physiksaal ihrer Schule
erzählte der Mathematik-, Physik- und Philosophielehrer Walter Gölz (rechts
stehend), wie ihn ein ehemaliger Schüler, der es später zum Professor für
Orthopädie gebracht hat, in diesem Zimmer einmal ärgerte. Die aktuelle Aufnahme
vom vergangenen Samstag ist aus zwei Bildern zusammengesetzt.
In Erinnerung
blieb Margret Klumb und Burgel Dick, die damals noch Kuhn hieß und später ihren
Klassenkameraden Walter Dick heiratete, auch der Tübinger Professor Andreas
Flitner. Er sprach im Gemeinschaftskunde-Unterricht in der Oberstufe mit der
Klasse über die „Anthropologie des weiblichen Geschlechts“ anhand von Simone de
Beauvoir – damals wohl einmalig und deshalb für die beiden unvergessen.
Ein
Fremdenzimmer für die Fahrschüler
Die Zeit, in der der Abi-Jahrgang 1962
aufs UG kam, war hart. Die Schule hatte strenge Regeln. In der b-Klasse
sammelte sie Katholiken und Fahrschüler. Für sie war ein „Fremdenzimmer“ neben
der Hausmeisterloge eingerichtet. Dort verbrachte der Nehrener Ulrich
Streckfuß, der zur ersten Stunde den Zug um 6.18 Uhr nehmen musste, die Zeit
bis Unterrichtsbeginn – schwatzend, lesend oder Hausaufgaben
(ab-)schreibend.
Etliche der „Kriegskinder“ wuchsen bei alleinerziehenden
Müttern auf. Ihre Väter waren im Krieg gefallen oder vermisst. Doch auch für
Klaus Mohrs Vater, einen Pfarrer, war es keine einfache Sache, das Schulgeld
aufzubringen – als Alleinverdienender mit sieben Kindern.
Weil sich die
Familie den Kauf von Schulbüchern nicht leisten konnte, wurden die Kinder mit
Bänden aus der schuleigenen Bücherei versorgt. Obwohl es sprachlich, sozial und
intellektuell Unterschiede gab, so Eberhard Schwarz, gab es „zu keiner Zeit so
etwas wie eine Mehrklassen-Gesellschaft“.
Auch Gastfreundschaft galt in der
b-Klasse viel. Die Jugendlichen verbrachten nicht nur ihre Freizeit gemeinsam
auf dem Fußballplatz oder im Freibad, sondern auch in den jeweiligen
Elternhäusern – ob im Nehrener Pfarrhaus des als „rot“ eingeschätzten Vaters
von Thomas Tolk oder beim Tübinger Psychiatrieprofessor
Winkler.
Wahrscheinlich ein weiterer Grund für den lang währenden
Zusammenhalt. Nach dem Abitur verließen etliche der Abiturienten zum fröhlichen
Drauflosstudieren Tübingen. Ohne jegliche Studienbeschränkungen oder Probleme
wegen des Numerus clausus.
06.01.2010 Schwäbisches Tagblatt CELIA EISELE
Gemeinschaftsraum mit
Museumscharakter
Kilchberger wollen in einer alten Scheune neuen
Veranstaltungsort schaffen
Eine 250 Jahre alte, denkmalgeschützte Scheune
in Kilchberg soll zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut werden. So will der Verein
„Pro Kilchberg“ einen Versammlungsraum schaffen und gleichzeitig das
historische Erbe des Ortes wahren.
Kilchberg. Von der Rumpelkammer zum
Gemeinschaftsraum mit Museumsatmosphäre: So malt sich Gundi Reichenmiller die
Zukunft der alten Scheune in der Kilchberger Ortsmitte aus. Vom Rathaus aus
kann die Vorsitzende des Vereins „Pro Kilchberg“ und Ortsvorsteherin des
Tübinger Stadtteils direkt auf das Gebäude blicken. Jahrelang hat sich niemand
um dessen Erhalt gekümmert – bis vor etwa zweieinhalb Jahren.
Reichenmiller
versuchte im Jahr 2007, den Besitzer der Scheuer ausfindig zu machen. Ihr war
aufgefallen, dass die Tür dringend repariert werden müsste. Zum selben
Zeitpunkt kam der Historiker Klaus Mohr, ein Mitglied des Heimatvereins Pro
Kilchberg, auf die Idee, dass die Scheune als Gemeinschaftsraum genutzt werden
könnte. Ein Ort für größere Feste, Vorträge und Vereinsversammlungen fehlt den
Kilchbergern bis jetzt.
Es stellte sich heraus, dass der größte Teil der
Scheuer zur Zwangsversteigerung stand, da der Eigentümer nicht aufzufinden war.
„Als ich davon erfuhr, wurde ich hellhörig“, sagt Reichenmiller. Dann ging
alles ganz schnell: Der Ortschaftsrat beschloss einstimmig, die Scheune zu
erwerben. Auch Oberbürgermeister Boris Palmer unterstützte das Vorhaben. Im
Frühjahr 2008 ging das Gebäude, teils aus privater Hand, teils aus der
Versteigerung, in das Eigentum der Stadt Tübingen über.
Bald darauf machten
sich ehrenamtliche Helfer aus dem Ort an die Arbeit. Das Haus war von unten bis
oben mit Gerümpel vollgestopft: Holzkarren, landwirtschaftliches Werkzeug,
altes Heu, Bretter und Bauschutt räumten die Freiwilligen während der
Sommerferien aus dem Gebäude.
Zu landwirtschaftlichen Zwecken war die Scheune
Jahrzehnte nicht mehr genutzt worden. „Wo keine Landwirtschaft mehr ist, da
braucht man auch keine Scheune mehr“, so Kilchbergs Alt-Ortsvorsteher Erich
Krauß. In der Nutzung als Gemeinschaftshaus sieht er die einzige Chance, das
Gebäude vor dem Verfall zu bewahren.
Dass dies geboten ist, meint auch die
Denkmalschutzbehörde im Regierungspräsidium. Das Tor und eine Tür der Scheune
gelten als besonders erhaltenswert. Eine Inschrift über dem Tor lässt auf das
Baujahr 1745 schließen. Die drei Buchstaben I, A und S oder B geben bislang
Rätsel auf. Bekannt ist, dass es sich um eine Lehnsscheune handelte. Der
Schlossherr im ehemaligen reichsritterschaftlichen Dorf Kilchberg vergab die
Scheune demnach an einen Lehnsbauern. Nach dem Ende des Lehnswesens Anfang des
19. Jahrhunderts ging sie in Privatbesitz über.
Decken und Zwischendecken
zeigen anschaulich, wie in früheren Jahrhunderten mit Lehm und Stroh gebaut
wurde. An die landwirtschaftlichen Nutzung erinnern einige Gegenstände, die
nach der Aufräumaktion in der Scheune geblieben sind. In einem Nebenraum stehen
Holzkarren und Milchkannen, alte Getreidesäcke hängen an einem Balken, an der
Wand lehnen Rechen aus Holz, daneben baumeln Schnüre zum Garbenbinden. Auch
nach einem Umbau sollen diese Dinge in der Scheune bleiben und aus dem
Gemeinschaftshaus ein lebendiges Museum machen.
Bis zum Sommer dieses Jahres
will der Verein Pro Kilchberg in Zusammenarbeit mit dem Architekt Gottfried
Haefele und den örtlichen Vereinen ein Nutzungskonzept erarbeiten. Auf
Vorschlag der Denkmalschutzbehörde hat Pro Kilchberg das „Projekt Dorfscheune“
übernommen, um möglichst viele Fördermittel für Sanierung und Umbau zu
erhalten.
„Problematisch ist, dass die Scheune ihre Kapazitäten eher in der
Höhe hat“, sagt Gundi Reichenmiller. Wie der Wunsch der Vereine nach einem
möglichst großen Raum umgesetzt werden kann, ist noch nicht ganz klar.
Wahrscheinlich wird im Erdgeschoss ein 90 Quadratmeter großer Raum entstehen,
der auch als barrierefreies Wahllokal dienen könnte, ein größerer im ersten
Stock.
Dass die Kilchberger Feuer und Flamme für das Vorhaben sind, haben sie
nicht nur beim Aufräumeinsatz gezeigt. Einige haben eine dabei gefundene Bank
gestrichen und vor den Eingang zur Scheune gestellt, eine Nachbarin brachte
weihnachtlichen Schmuck. „Eine Frau aus dem Ort hat bereits angeboten, bei
Veranstaltungen für Kaffee und Kuchen zu sorgen“, sagt Reichenmiller. Sie ist
zuversichtlich, dass aus der ehemaligen Lehnsscheuer ein lebendiger Treffpunkt
wird.
Leserbrief vom 27.10.95 im Schwäbischen Tagblatt
Kleine Beobachtung
Ortschaftsräte im Neckartal, Parteien, Bürgerinitiativen und so weiter, alle überlegen: Wie kann man den Verkehr durchs Neckartal zum Rottenburger Autobahnanschluss bewältigen? Rechts oder links vom Neckar? Neue Trassen? Geänderte Verkehrsschilder? Oder: Umleitung durchs Ammertal?
Dieses Nachdenken sei niemandem verwehrt. Das Grundübel - der unersättliche Moloch Verkehr - wird dadurch nicht beherrscht. Dazu eine kleine Beobachtung aus dem Neckartal: Jahrzehntelang gehörte zum Herbst, dass die Bauern ihre Zuckerrüben zum nächsten Bahnhof brachten. Züge übernahmen dann die Ernte. Heute ist der Rübentransport mit dem Lkw kostengünstiger. Unzählige weitere Güter werden europaweit unnötig auf der Straße befördert. Demnächst wird wohl auch Rottenburger Mineralwasser nach Norddeutschland zum Abfüllen in PET-Flaschen geschafft werden. Die wahren Kosten - fragen Sie die Anlieger der Durchgangsstraßen im Neckar- und Ammertal oder die Klimaforscher - trägt die Allgemeinheit.
Ich meine: Macht nicht nur Druck, Verkehrsschilder abzuändern. Machen wir Druck, dass Güter und Personen schneller und preisgünstiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigt werden können. Schaffen wir Bedingungen, dass es billiger ist, Zuckerrüben mit der Bahn zu transportieren, und dass es billiger, bequemer und schneller ist, mit Bahnen und Bussen nach Tübingen zu fahren.
Die Anwohner der Durchgangsstraßen und die Handwerker, deren Fahrzeiten sich wieder verkürzen, sind für jede Entlastung dankbar.
Dr. Joachim Mohr, Rottenburg, .Legionsweg 5
17.11.2009 Schwäbisches Tagblatt
Noch mehr Straßen?
Im
Parkverbot
Antwort für einen Parksünder, der sich ungerecht behandelt
fühlt, wie er am 13. November im „Sprachrohr“ kund tat.
Sehr geehrter
Herr Schneider, Sie können alle halbe Stunde von Lustnau ins Französische
Viertel fahren. Gut: Sie fahren 25 Minuten und müssen noch einen Fußweg von
drei beziehungsweise fünf Minuten zurücklegen. Mit dem Auto geht es – falls Sie
nicht im Stau stecken bleiben – schneller. Aber mit der Parkplatzsuche haben
sie nur einen Zeitvorteil, wenn Sie Ihr Auto im Parkverbot abstellen. Was
fordern Sie von den Stadtvätern? Noch mehr und breitere Straßen? Noch mehr
öffentliche Parkplätze? Wer ist jetzt unverschämt? Das schreibt Ihnen ein
begeistertes Mitglied von teilAuto.
Joachim Mohr, Tübingen