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Die Abi-Klausur daheim nochmal abgetippt

Angelika Brieschke bedankt sich 2021 bei ihren Lehrern
Ah, sieh an, Sie können noch Steno“, wird mein sehr geschätzter Kollege Matthias Reichert immer mal wieder bei Presseterminen gefragt, wenn die von ihm Interviewten auf seinen Aufschrieb schielen und unlesbare Schriftzeichen sehen. „Nein, aber ich kann es lesen“, antwortet er dann regelmäßig, offenbarte er einmal in einer Glosse im TAGBLATT.

Ähnliche Situationen könnten mir genau so auch passieren. Allerdings muss ich hinzufügen, dass ich nur in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mein Selbstgeschriebenes noch entziffern kann. Da hilft mein Gedächtnis mit, später kann ich leider oft mit meinen Notizen nichts mehr anfangen. Doch bevor hier Kokettierverdacht aufkommt, sei gleich gesagt: Ich leide unter meiner Schrift.

Am Anfang war alles noch gut: In der Grundschule heimste ich immer alle Lehrerinnen-Sternchen für schöne Handschrift ein, die dann regelmäßig zu kleinen Notizblöckchen als Belohnung führten (bei 50 Sternchen!). In meinem Germanistikstudium Jahre später sah das dann ganz anders aus. Gleich im Grundstudium schrieb ein Literatur-Professor schlechtgelaunt nur zwei kurze Bemerkungen unter meine Klausur: Er attestierte meiner Handschrift eine „hohe Unkommunikativität“ und gab mir die Note 4 – eine Note, die ich während meiner Schulzeit nie unter einer Deutscharbeit stehen hatte.

Dass ich überhaupt ein Deutschstudium antreten konnte, dazu hatten mehrere meiner Lehrer tätig mitgeholfen – mit ungewöhnlichen, vielleicht auch nicht ganz erlaubten Maßnahmen bei meiner Abiturprüfung. So tippte mein Deutschlehrer im Leistungskurs, der sich meine Handschrift in jahrelangen Mühen lesbar gemacht hatte, meine zweistellige Seitenzahlen umfassende Abi-Klausur auf der Schreibmaschine ab – für den Zweitkorrektor. Ich war peinlich berührt, so viel Zusatzarbeit verursacht zu haben, aber natürlich auch heilfroh.

Nachdem ich die Abi-Prüfung in meinem zweiten Leistungskursfach Chemie geschrieben hatte, wurde mir klar, dass da ein konzertiert-konspiratives Treffen der Lehrer stattgefunden haben musste, in deren Fach ich eine schriftliche Prüfung abliefern sollte. Dabei hatte jeder eine andere Möglichkeit gefunden, mein Handschriftliches in Maschinenschriftliches zu transferieren. Am meisten litt ich bei der Lesbarmachung meiner Chemie-Klausur. Mein Chemielehrer war außer Chemielehrer auch der Rektor des Gymnasiums, und so saß ich mit der Kopie meiner Arbeit im Rektorenzimmer zusammen mit der Schulsekretärin, der ich meine Arbeit in die Schreibmaschine diktieren sollte. Ein schwieriges Unterfangen. Versuchen Sie mal, Atommodelle, Molekül-Verbindungen und stöchiometrische Gleichungen so vorzulesen, dass sie jemand linear tippen kann. Am unproblematischsten war mein drittes Prüfungsfach Religion: Mein Religionslehrer gab mir eine Kopie meiner Abiturarbeit mit nach Hause, wo ich sie dann an einem Nachmittag selbst mit der Schreibmaschine abtippen durfte.

Wie es danach weiterging? Mein Deutschstudium habe ich nach ein paar Semestern abgebrochen, aber dennoch einen Hochschulabschluss erworben. Mich quält nun nur seit Jahren die vage Erinnerung, dass ich mich bei meinen damaligen Lehrern am Rottenburger Eugen-Bolz-Gymnasium für ihren unkonventionellen Einsatz gar nicht so richtig bedankt habe. Das möchte ich nun nach genau 40 Jahren nachholen:

Herr Friedrich, Herr Berger, Herr Köper

– Dankeschön!