Übergabeseite
haas_am_peilgeraet
Liebe Mitschölerinnen,
liebe Mitschöler,
Im Mai 2014

ich wäre gern bei dem diesjährigen Klassentreffen dabei gewesen und hätte Euch Landratten ein bisschen aus meiner Marinezeit erzählt, kein Seemannsgarn oder Dööntjes, einfach nur, um zu zeigen, dass der "Kalte Krieg" auch zwischenmenschliche Beziehungen zuließ. Die Marine ist nun mal die einzige Teilstreitkraft der Bundeswehr, bei der Kontakte zu Soldaten der WP[Warschauer Pakt]-Staaten möglich waren. Heer und Luftwaffe hatten einige Kilometer Abstand von den östlichen Grenzen einzuhalten, so dass es keine persönlichen Begegnungen zwischen Nato- und WP-Soldaten gab. Schiffe und Boote der Marine tummelten sich jedoch in internationalen Gewässern und so kamen immer wieder Fahrzeuge in Sicht, deren Nationalitäten von besonderem Interesse waren.
Ich möchte von meinen vielen Erlebnissen während meiner Marinezeit ein paar Episoden herausgreifen, die die damaligen Gegner und ihr Umfeld in einem so nicht unbedingt bekannten Licht erscheinen lassen.
haas_dorsch
haas_eiszeit Mitte bis Ende der 60er Jahre gehörte ich zur Besatzung eines Bootes des 7. Schnellbootgeschwaders an. Diese Boote mit Namen wie z.B. Hyäne, Ozelot, Dachs, Frettchen wurden in der Nord- und Ostsee eingesetzt (später auch im Mittelmeer), um die eigenen maritimen Wirtschaftszonen zu sichern. Die DDR-Volksmarine hatte auf ganz bestimmten Positionen in der Westlichen Ostsee sogenannte "Bewacher" (Minenräumboote der eigenen VEB-Werften) vor Anker liegen. Sie sollten den internationalen Schiffsverkehr beobachten und Besonderheiten, vornehmlich Nato-Einheiten, an ihr Hauptquartier melden. Wenn unser Geschwader, bestehend aus 10 Booten, meistens waren aber nur 7 -8 im Einsatz, Manöver oder sonstige Ausbildungsfahrten durchführten, so machten wir uns einen Spaß daraus, mit 2 oder 3 Booten und hoher Geschwindigkeit ( 30 Knoten = 55 km/h) um diese "Kähne" im Kreis zu fahren. Dabei entstanden ganz passable hohe Wellen, die die DDR-Boote heftig zum Schaukeln brachten. Vorzugsweise führten wir das in der Mittagszeit aus, wenn die Volksgenossen möglicherweise beim "Backen und Banken" (Essen) waren. Das brachte uns eine Menge Vergnügen ein - aber auch ein paar Beschimpfungen und Drohgebärden . Aber, wie Ihr alle wisst, hat es nicht zu einem 3.Weltkrieg geführt.
haas_schnellboot_ozelot_in_norwegischen_gewaessern
haas_schnellboote_in_dwarslinie
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haas_fkzabschuss_von_einem_deutschen_schnellboot
haas_freiwache
haas_messboot_neu
haas_trave3_1967
Nun besteht ein Marineleben nicht nur aus einem Kommando. So kam ich durch eine besondere Ausbildung im Anschluss an die Schnellbootverwendung zur "Elektronischen Kampfführung", eine Tätigkeit, die in der Bevölkerung wohl weitgehend unbekannt sein dürfte. Vielleicht kann sich jemand an die "Pueblo-Affäre" im Jahre 1968 erinnern. Damals brachten die Nordkoreaner ein US-amerikanisches Aufklärungsschiff auf und schleppten es in einen nordkoreanischen Hafen. Diese Art Schiffe wurden und werden immer noch fälschlicherweise als Spionageschiffe bezeichnet. Das ist deshalb Unsinn, weil diese Schiffe in internationalen Gewässern operieren und mit Hilfe einer hochtechnisierten elektronischen Ausrüstung die elektromagnetischen und elektroakustischen Ausstrahlungen (Radar, Flugkörperlenkung aus der Luft, Über- und Unterwasser, Tastfunk, Sprechfunk, Sonar, UT = Unterwassertelefon, Störsender) von Schiffen und Booten erfassen und analysieren. Jede Ausstrahlung hat besondere Charakteristika (Parameter), die auch bei bauidentischen Geräten voneinander abweichen. So kann man, auf Grund von Datenbänken, Schiffe elektronisch von einander unterscheiden. Die deutsche Marine besaß 3 solcher Boote, mit Heimathafen Flensburg, die abwechselnd in der Ostsee im Einsatz waren, um Manöver der NVA-VM, der Polnischen Seekriegsflotte und der Sowjetischen Baltischen Flotte zu beobachten und die Ausstrahlungen der Kriegsschiffe zu erfassen. Heute operieren sie im Mittelmeer, vielleicht bald wieder in der Ostsee, falls ein neuer "Kalter Krieg" mit Russland drohen sollte.
Bei einem dieser Einsätze geriet unser "Messboot" - so wurden die Schiffe intern benannt - vor der Insel Rügen in dichten Nebel. Auf unserem Radar sahen wir kleine "Blips", die sich später als Fischkutter eines DDR-Kombinats entpuppten. Es kam zwischen den Besatzungen zu Begrüßungen und Meinungsaustausch, alles ohne die Gefahr, vom DDR-Staatsgebiet aus gesichtet werden zu können. In Spendierlaune wollten wir den Fischern etwas Besonderes zu kommen lassen, z.B. Whisky, Portwein, Gin, Zigaretten und einiges mehr, alles aus der Zolllast. Wie groß war allerdings unser Erstaunen über die Wünsche, die an uns herangetragen wurden: bedrucktes Papier!! Damit hatten wir nicht gerechnet. Flugs ging eine Durchsage des Kommandanten in alle Decks, sämtlichen entbehrbaren Lesestoff an Oberdeck zu bringen. Zeitungen, Illustrierte, Magazine vom Stern und Spiegel bis zur gelben, grünen und lila Boulevard Presse. Die Fischer bedankten sich mit ein paar Kisten frisch gefangenen Dorsch, den wir die nächsten 3 Tage, von unserem Smut liebevoll zubereitet, genießen durften (mussten). Ein Ereignis, das noch lange für Gesprächsstoff sorgte und nachdenklich stimmte.

Bordhunde waren in der deutschen Marine bis ca. in die 80er Jahre als Maskottchen durchaus geduldet. Es gab um die 60 Tiere auf verschiedenen Kriegs- und Versorgungseinheiten.
haas_schlafplatz
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haas_sonnenbaden
haas_tschitschi_in_der_koje

Sogar mit den Russen konnte man in Kontakt kommen. Bei einer dieser Aufklärungsfahrten hatten wir in der Danziger Bucht ein Manöver der WP-Staaten beobachtet. Das Wochenende kam und die gegnerischen Schiffe und Boote zogen sich in ihre Häfen nach Königsberg und Pillau zurück. Nur ein einziges Minensuchboot ließ uns nicht aus den Augen. Nun, das war nicht unser erstes Wochenende auf See und so gestalteten wir es so angenehm wie möglich: Baden mit 80m Wasser unterm Bauch, Kutter segeln, Wasserski laufen hinter unserem PS-starken Schlauchboot, Skat spielen, Schießen auf Blechdosen (aus der Kombüse), befestigt auf einem kleinen Holzfloss. Das russische Boot näherte sich mit langsamer Fahrt, um dem Treiben zuzuschauen, und wir stellten das Schießen ein. Die Seemännische Nr. 1, auch Decksmeister genannt und verantwortlich für alles, was z. b. mit Tauwerk, Anker, Rettungsgeräte zu tun hat, ließ das Floss einholen, rüstete es mit ein paar Flaschen Hochprozentigem und einigen Schachteln Zigaretten aus und ließ es wieder zu Wasser. Mit dem Signal aus dem Internationalen Signalbuch "Fischen Sie diesen Gegenstand" warteten wir gespannt ab, was nun folgen werde. Zunächst passierte gar nichts. Die Russen beäugten das seltsame Gefährt und nahmen es tatsächlich nach ca. 1/2 Stunde an Bord. Die Zeit verging. Wer keinen Dienst hatte, stand an Oberdeck und harrte der Dinge, die da kommen sollten - oder auch nicht. Natürlich erwarteten wir eine Reaktion des Bootes der "Ruhmreichen Baltischen Rotbanner Flotte". Und wirklich, nach geraumer Zeit, machten wir unser Floß aus, wie es gemächlich achteraus des Minensuchers trieb. Der Kommandant befahl "Langsame Fahrt voraus" und wir näherten uns dem auf der leichten Dünung schaukelnden Floß.
Überraschung: 1 Dose Pfirsiche, 1 Dose Kaviar und Machorka, der ungenießbare russische Tabak, eingepresst in schmale Hülsen aus Zeitungspapier, russische Zigaretten wie man sie aus dem Kino kennt.


solche Flugkörperzerstörer wurden aufgeklärt, mit Namen wie z.B. Отважный – Der Kühne
Славный – Der Ruhmreiche
Красный Кавказ – Roter Kaukasus
Безбоязненный – Der Unerschrockene
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haas_russ__fkzschnellboot
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Ähnliche Geschichten haben auch andere Besatzungen erlebt, mal freundlicher mal weniger freundlicher Natur, vor allem, wenn es darum ging, Manöver beobachtende Nato-Schiffe abzudrängen. Immerhin war es möglich, den "Kalten Kriegsjahren " ein paar warme Tage abzugewinnen. Es zeigte sich, dass auf beiden Seiten der Verständigungswille auf unterer Ebene durchaus vorhanden war. Die Bereitschaft einer kleinen menschlichen Geste berührte uns alle irgendwie, während die Machteliten aus politischen und auch aus wirtschaftlichen Gründen andere Vorstellungen hatten.


Liebe Grüße von Wolfgang Haas
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