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Vorwort
Es ist wie das Abstatten eines geschuldeten Dankes, wenn
ich am Ende meines eigenen Lebens, nach der Erreichung des achten Jahrzehntes
ein Lebensbild des Ah-nen Albert Baur zu Papier zu bringen versuche, des
Großvaters der einen, des Urgroß-vaters der anderen ältesten Glieder unserer
großen, wenn auch durch die Schicksals-schläge zweier Kriege wieder
zusammengeschmolzenen Familie. Eines Dankes nicht nur von mir selbst, sondern
aller Glieder unseres Familienkreises. Zwar blicken nicht alle so dauernd und
unmittelbar in das Antlitz des Ahnen, wie ich, wenn ich in meinem Arbeitszimmer
die Augen vom Schreibtisch erhebe und vor mir das Ölbild von Engel-bach habe,
das mir von Kindheit an vertraut ist, als es noch über dem Sekretär meiner
Mutter hing und dann von dieser mir überkommen ist. Aber fast jeder hat in
seiner nächsten Umgebung ein Stück, das unmittelbar aus der persönlichen Nähe
des Ahnen stammt — ein Möbelstück, einen Notenband, ein Aquarell, eine
Zeichnung von seiner Hand. So trage ich, seit es meine Mutter mir vor
Jahrzehnten in dieser Form anvertraut hat, eine Schlipsnadel, hergestellt aus
einem kleinen römisdsen Mosaik, das der Ahn wohl von seiner Studentenwanderung
nach Italien mitgebracht hat. Ein fein ausgeführtes Aquarell vom Lago Maggiore
hat während meines ganzen Lebens unmittelbar neben meinem Schreibtisch
gehangen, bis ich es jetzt meinem Großneffen Frank Zwingenberger zur weiteren
treuen Bewahrung bei seiner Verheiratung übergeben habe. — Wer ein sol-ches
Erinnerungsstück besitzt, hütet es für sich und seine nächsten Angehörigen,
aber auch für die übrigen Glieder der Familie. Denn das gilt als Grundsatz: Das
Überkommene, was es auch sei, wird als gemeinsamer Besitz betrachtet, der, wenn
auch nicht nach rechtlichen, so doch nach persönlich als verpflichtend
betrachteten Regeln als ein Zeug-nis der Verbundenheit durch die Person des
Ahnen und durch seinen Geist gilt. Sollen wir Albert Baur anders nennen? Oder
läßt sich das Wort Ahn gerade dazu gebrauchen, um eine Verbundenheit deutlich
zu machen, die trotz der Generationsver-schiebung infolge der beiden durch ein
Menschenalter voneinander getrennten Ehen von Albert Baur (183s und 1862) über
die Glieder der Familie besteht und geradezu dokumentarisds sich verdichtet hat
in den beiden erhaltenen »Briefen aus den Steck-betten« von Clara Baur jun.
(geb. 18. so. 1863) und von Luise Flemming (geb. 26. 3. 1863), der ältesten
Tochter von Anna Baur (geb. 26. so. 1834), ebenso aber auch in der gemeinsamen
Konfirmation von Tante und Nidste durch ihren Vater bzw. Großvater in Belzig
Ostern 5878. Wie wir ihn auch nennen: wir verehren ihn in gleicher Weise,
wissen uns durch diese Beziehung auf ihn auch heute noch untereinander
verbunden und hoffen, daß dieses Zusammengehörigkeitsgefühl bleibe, auch über
weitere Gene-rationen hinaus. Möge, was diese Aufzeichnungen sagen und als
Erinnerung sichern wollen, dieser Verbundenheit unter uns dienen, auch wenn
wir, die Ältesten unter den Nachkommen, dem Ahn in die Ewigkeit nachgefolgt
sind. Auch in der Zeit der radikalen Vereinze-lung der Menschen in einer auf
die Spitze getriebenen Zivilisation hat die Pflege solcher
Dokumente
der nicht nur genealogischen, sondern auch geistigen Zusammengehörigkeit ihre
Bedeutung nicht verloren. Gerade der Ahn hatte dafür ein lebhaftes Empfinden,
wenn er im Anblick der Bilder seiner beiden Großmütter Johanna Amalia Baur geb.
Mahler und Suzanne Devrient geb. Barez (B 17, 18), die ihm von Kindheit an
ver-traut waren, Betrachtungen über sich forterbende Züge dieser beiden in den
Gliedern der Familie anstellte. Und sollten diejenigen unter den weiblichen
Nachkommen, die mit der Würde der Urgroßmutter ausgezeichnet wurden, nicht
echte Freude an den Briefen von Wilhelmine Wilmsen geb. Zencker an ihre
Urenkelin Luise Flemming ha-ben, die sie in ihrem 89. Lebensjahre schrieb, um
sich zu entschuldigen, daß sie die Ur-enkelin einige Jahre jünger eingeschätzt
hatte! Trotz vieler ernster Züge strahlt doch aus dem gesammelten Material ein
helles Licht schöner Menschlichkeit, das wir, die Nachkommen, voll auf uns
wirken lassen sollten! In der Hoffnung, darin mit den Verwandten einig zu sein,
habe ich mich gern der Arbeit dieser Zusammenstellung unterzogen und freue
mich, dafür danken zu kön-nen, daß ich dabei von allen Seiten bereitwilligst
unterstützt worden bin!
Freiburg im Breisgau, Mai 5975
Hans
Gerber