Joachim Mohr Mathematik Musik Delphi
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Flächenberechnungen
Das (Riemann-)Integral
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Bei dieser Betrachtung liegt der Schwerpunkt nicht bei der
Herleitung einer Formel, sondern es soll hier exemplarisch
gezeigt werden,
wie genial Mathematiker Probleme
lösen.
Durch Verallgemeinerung des Problems Strukturen des
Lösungsumfeldes aufdecken.
Das eigentliche Problem ist dann nur noch eine einfache
Anwendung der entwickelten Theorie.
Und ist es im Alltagsleben - beruflich oder
privat - nicht oft genauso? Und deshalb ist eine mathematische
Bildung - neben dem Erlernen des logischen Denkens und der
Ausbildung eines räumlichen Vorstellungsvermögens -
so wertvoll.
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Problem:
Wie kann ich für möglichst viele
Funktion f den Flächeninhalt A des
"krummlinigen" Trapezes unter dem Schaubild von f
über dem Intervall [a,b] berechnen?
Gesucht ist also der Flächeninhalt zwischen dem
Schaubild von f, der x-Achse und den Geraden
mit den Gleichungen x=a und x=b (a < b).
Mit der Berechnung des Flächeninhaltes löst man
viele weitere Probleme. Zum Beispiel:
- Bestimmung des zurückgelegten Weges, wenn die
Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Zeit
gegeben ist.
- Bestimmung der aufgewendeten Arbeit, wenn die Kraft
entlang des Weges in Abhängigkeit des Weges
gegeben ist.
- Bestimmung der aufgewendeten Arbeit, wenn die
Leistung in Abhängigkeit von der Zeit gegeben ist.
- Bestimmung des transportierten Öls, wenn die
Durchflussgeschwindigkeit in einer Pipeline in
Abhängigkeit von der Zeit gegeben ist.
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Beim ersten Lesen kannst Du von der Annahme
ausgehen, dass f(x) ≥0 für alle xε[a,b] und
a < b ist. Alle Überlegungen sind jedoch
auch gültig, wenn f negative Werte annimmt oder b < a
ist. In diesem Fall wird die "orientierte" Fläche
betrachtet. Zum Beispiel werden Flächen unterhalb der
x-Achse negativ gewertet. Physikalisch gesprochen: Ein Pendel,
das nach oben schwingt, erhöht seine Lageenergie, die
zugeführte Arbeit (siehe oben) wird positiv gewertet.
Schwingt das Pendel nach unten, wird die abgegebene Energie
negativ gewertet.
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Für viele Jahrhunderte die einzige
Lösungsmöglichkeit:
Unterteile die Fläche in n "krummlinige" Trapeze und
berechne den Flächeninhalt der darunterliegenden
Rechtecke:
Hier (bei einer monoton steigenden Funktion) berechnet
sich die "Untersumme" zu
AU = [f(a) + f(a+h) + f(a+2h) + ... +
f(a+(n-1)h]·h
Entsprechend berechnet sich die "Obersumme" zu
AO = [f(a+h) + f(a+h) + f(a+2h) + ... +
f(a+h)]·h.
Es gilt: AU < A < AO. Als
Näherungswert kann man etwa den Mittelwert der
Untersumme und Obersumme für "großes" n
wählen. Nur bei ganz wenigen Kurven konnte man durch
Übergang zum Grenzwert für n -> ∞ den
exakten Wert bestimmen. (Archimedes mit seiner
ähnlich durchgeführten "Exhaustionsmethode"
gerade noch bei den Parabeln).
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Für theoretische Untersuchungen sind die
Untersummen und Obersummen noch von entscheidender Wichtigkeit.
Der Mathematiker sagt: Die Fläche "existiert", wenn der
Grenzwert der Untersummen gleich dem Grenzwert der Obersummen
ist (siehe unten Riemannsches Integral). Man kann beweisen,
dass dies zum Beispiel für alle "stückweise stetige"
oder auch für alle monotonen Funktionen erfüllt ist.
Funktionen, die hier Schwierigkeiten machen, lernt man an der
Schule nicht kennen.
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Das abstraktere und schwieriger aussehende
Problem:
Wie kann ich für alle xεDf
den Flächeninhalt A(x) des "krummlinigen" Trapezes
unter dem Schaubild von f über dem Intervall [a,x]
berechnen?
Wenn es schon für ein spezielles x=b schwierig genug
ist, wie soll ich es dann gleich für alle x
berechnen können?
Der Mathematiker denkt anders. Er fragt sich:
Was kann ich über die Funktion x->A(x)
aussagen?
Jetzt kommt die Überraschung:
x->A(x) ist eine Stammfunktion von x->f(x).
Nach Definition ist A Stammfunktion
von f, wenn A'=f ist.
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Da sich Stammfunktionen von f nur durch eine Konstante
unterscheiden, gilt für eine beliebige Stammfunktion F die
Beziehung
A(x) = F(x) + C. Mit A(a)=0 und
0
= F(a) + C ergibt sich
A(x) = F(x) - F(a).
Somit:
A = A(b) = F(b) - F(a)
Und unser Problem, den Flächeninhalt eines
krummlinigen Trapezes zu bestimmen (oder den
zurückgelegten Weg oder die durch eine Pipeline geflossen
Ölmenge und so weiter) ist für alle Funktionen, bei
denen wir eine Stammfunktion angeben können, gelöst.
Einfach genial!
Dass A Stammfunktion von f ist, ist leicht plausibel zu
machen:
Du musst dich nur an die Definition der Ableitung erinnern:
f(x+h)-f(x)
Def.: f'(x) = lim ——————————— (Unten wird dies auf A angewendet!)
h->0 h
Behauptung:
A ist Stammfunktion von f, d.h. A'(x)
=f(x)
Beweisidee:
Für das schraffierte "Rechteck" gilt:
A(x+h) - A(x) = f(x)·h.
Das Gleichheitszeichen gilt eigentlich
erst, wenn wir den Übergang h -> 0 machen. Die
Mathematiker arbeiten hier deshalb mit Ungleichungen. Um
die Idee plausibel zu machen, genügt zu wissen: Je
kleiner h ist, um so kleiner ist der Fehler.
A(x+h)-A(x) f(x)·h
Somit folgt: A'(x) = lim ——————————— = lim —————— = f(x)
h->0 h h->0 h
q.e.d.
Für Mathematiker den exakten Beweis:
Es gilt:
A(x+h) - A(x)
inf{f(t)|x<t<x+h} ≤ ————————————— ≤ sup{f(t)|x<t<x+h}.
h
Unter der Vorraussetzung, dass lim inf{f(t)|x<t<x+h} = f(x) und lim sup{f(t)|x<t<x+h} = f(x),
h->0 h->0
ist also A'(x) = f(x) (Dies ist zum Beispiel für stetige Funktionen erfüllt).
Nun will ich noch die exakte Definition des Integrals
nachholen:
Hier macht man laufend vom
Vollständigkeitsaxiom
für die reellen Zahlen
R Gebrauch.
Man kann es folgendermaßen formulieren.
Jede nach oben beschränkte nicht leere Menge M von
reellen Zahlen besitzt eine kleinste obere Schranke
k=sup(M).
Dabei heißt M nach oben beschränkt, wenn es ein
KεR so gibt, dass für alle mεM gilt:
m≤K.
Oft verwendet man auch folgende (zusätzlich mit dem
Archimedischen
Axiom äquivalente) Formulierung:
Eine monton steigende nach oben beschränkte Folge (a ) besitzt einen Grenzwert: a = lim a .
n n
n->∞
oder:
Jede Intervallschachtelung (a ,b ) besitzt ein Zentrum Z: Zε[a ,b ] für alle nεN.
n n n n
Zum Beispiel existiert in R:
- 2 m m n
\/2 = sup{xεQ|x < 2} und lg7 = sup{- |m,nεN und 10 <7 }
n
Gleichwertig mit der angegeben Definition der
Vollständigkeit ist folgende Aussage:
Jede nach unten beschränkte nicht leere Menge M von
reellen Zahlen besitzt eine größte untere Schranke
k=inf(M).
Für jede "Zerlegung" a=x < x < x ... < x = b des Intervalls berechnet man die Untersumme von f zu
0 1 2 n
U = y·(x - x ) + y ·(x - x ) + ... y ·(x - x ), wobei y = inf{f(x)|x < x < x }
1 1 0 1 2 1 n n n-1 i i-1 i
und die Obersumme von f zu
O = Y·(x - x ) + Y ·(x - x ) + ... Y ·(x - x ), wobei Y = sup{f(x)|x < x < x }.
1 1 0 1 2 1 n n n-1 i i-1 i
Zur Verdeutlichung: Für stetige Funktionen ist y
i das Minimum und Y
i das Maximum der
Funktionswerte in dem Teilintervall.
Dies ist für alle auf dem Intervall [a,b]
"beschränkten" Funktionen möglich.
Je "feiner" die Zerlegungen gewählt werden, umso
größer werden die Untersummen und umso kleiner werden
die Obersummen. Die Untersummen sind nach oben beschränkt
und die Obersummen nach unten. Die Untersummen besitzen als
"Grenzwert" ein Supremum (=kleinste obere Schranke) und die
Obersummen als "Grenzwert" ein Infimum (=größte
untere Schranke).
Man definiert nun:
Das (Riemannsche)
Intgral existiert, wenn das Supremum
der Untersummen gleich dem Infimum der Obersummen ist. Der Wert
des Integrals ist dann dieser "Grenzwert".
In diesem Sinne wird "orientierter Flächeninhalt des
krummlinigen Trapezes" als dieses Integral definiert.
- Dieses Integral existiert zum
Beispiel, wenn
- f auf [a,b] stetig ist,
- f auf [a,b] nur endlich viele Unstetigkeitsstellen hat
und beschränkt ist und
- f auf [a,b] monoton ist.
Für folgende Funktion f existiert es über [0;1]
nicht: f(x) = 1, falls x rational, f(x) = 0, sonst.
Bei Funktionsreihen kommt hier der Begriff
"gleichmäßige Konvergenz" ins Spiel. Man kann dann
"gliedweise" integrieren.
Man kann nun mit Hilfe des Integralbegriffes beweisen, dass
jede
stetige Funktion f "integrierbar" ist, also eine
Stammfunktion x->A(x) besitzt.
Ob diese Funktion mit Hilfe von "elementaren" Funktionen
darstellbar ist, ist eine andere Frage und muss
- leider!
- verneint werden.
Für alle weiteren Stammfunktionen F ist das Integral von f
über [a,b] dann
F(b) - F(a).