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Die "Tagebücher" der Marie Kurz geb.von Brunnow

Heft I    Heft II    Heft III    Heft IV    Heft V    Heft VI    Heft VII    Bilder


Benutzer dieser transkribierten Tagebuchaufzeichnungen
verpflichten sich, das Deutsche Literaturarchiv Marbach,
das die Originale besitzt, davon in Kenntnis zu setzen.


7 Hefte (DLA Marbach 53. 1581)

(Transcription von Hella Mohr, Tübingen im Jahr 1998.)


Heft I: 1. Das Brunnowsche Haus, Maries Vater
    2. Maries Mutter geb. von Oettinger
    3. Maries Jugend
    4. Freunde der Familie
    5. "Unsere Josephine"

Heft II: Kirchheimer Zeit

Heft III: 1898, rückblickende Aufz. der 72jährigen Marie

Heft IV: Erinnerungen an ihren Mann, den Dichter Hermann Kurz.

Heft V: Geschichten aus Tübingen (Tagebuchaufz.a.ds.Zeit)

    [1870] Heft VI: Forts. von Tübingen ab 1868 - Mai

Heft VII: 1. Tagebuch der greisen Marie Kurz von 1904/05

    2. Gedichte

    3. Notizen (u.a. von der Urnenbeschriftung v.Alfreds U.)

Anmerkung:
Lese- und Abschreibfehler sind sicher viele vorhanden,
obgleich ich versuchte, möglichst wörtlich alles abzuschreiben.
Die "Tagebücher" (Hefte) sind vielfach rückwirkend geschrieben,
dadurch wiederholen sich viele Begebenheiten und Schilderungen,
die dann auch von Tochter Isolde in deren Büchern nach ihrer
Beobachtung nochmals anders geschildert wurden. Trotz mancher
Fehler, in Zahlen und Namensschreibung nahm Marie es nicht
sehr genau, bekommt man doch durch die Aufzeichnungen
ein gutes Bild von Maries schwerem Leben in Hungerjahren an
der Seite des schwermütigen Mannes und der vielen Kinder.
Wie sehr muß sie ihren Dichter geliebt haben, wie stark
klammerte sie sich an die Kinder und ließ sie nie los.
Ihr aristokratisches Wesen, ihr überdurchschnittliches Wissen,
das sie sich erworben hat und bei allem Temperament ihre tiefen
Gemüthsbewegungen, ihre Glaubenskämpfe und ihr Edelkommunismus,
ihr Eintreten für die Revolution von 1848, (für damalige
Zeit nicht üblich, wurde sie antiautoritär und ohne Religion
erzogen) das alles schildert sie hier in den sog. "Tagebüchern"
und in ihrem ausgiebigen Briefwechsel mit der viel
jüngeren Freundin Marie Caspart, welcher ebenfalls im
Dt. Literaturarchiv lagert.

Tübingen, im Dezember 1999 Hella Mohr
Die Transkription wurde von Hella Mohr damals noch im Schreibmaschinenstil in Ihren Laptop getippt.

Im Jahre 1999 wurden etliche Exemplare - mit vielen Bildern angereichert - ausgedruckt. Joachim Mohr wandelte die Dateien 2012 in HTM um.

Die Seitenzeilen dieses Buches stehen verstreut im Text in eckiger Klammer: [1], [2], [3] etc. (nicht alle sind vermerkt.)
Heft I (gelbes Heft)
Anmerkungen zu Heft I

"Mamas Jugenderinnerungen"


Elterliches Haus


1. Das Brunnowsche Haus
    Maries Vater: August von Brunnow, 1781 -185
2. "Die Großmutter Brunnow" (Maries Mutter)
    Wilhelmine geb. von Oettinger, 1794 - 1842
3. Maries Jugend
4. Die Freunde der Familie
    Amalie von Rieger
    Luise von Bär
    Tante Bertha (Pfaff)
5. "Unsere Josephine" (Peterler)



(A I.Kurz, Familie Marie Kurz, 7 Hefte mit Aufzeichnungen aus
aus ihrem Leben.

DLA Marbach 53. 1581 )
Das Brunnowsche Haus.

Meinen Vater könnte man, eingedenk des Standes, dem er angehörte,
den Verhältnissen, in denen er seine Jugend verbracht, auch ein
Original heißen, und es ist räthselhaft, wie er zu seinen liebenden
Ansichten kam, wie er ein langes Soldatenleben führend, einen
gewaltigen Abscheu vor dem ganzen Militarismus hatte und keine
äußeren Verhältnisse auf sich einwirken ließ. "Nie soll einer meiner
Söhne des Königs Rock tragen," hatte er immer gesagt, als ihm
immer wieder ein Söhnchen geboren wurde, nachdem das vorhergehende
gestorben war. - Er stammte aus den Ostseeprovinzen, von wo sich
seine Familie ins Innere von Rußland verbreitete. Drei Brüder waren
es, wovon einer, der Vater meines Vaters nach Deutschland auswanderte
und sich in Sachsen-Meiningen niederließ. (1) Ein anderer wandte
sich nach Franken und änderte seinen Namen, das heißt, französisierte
ihn in "Bruneau", der dritte lebte in hoher diplomatischer
Stellung in Petersburg. Mein Vater, der noch ein oder zwei Brüder
hatte, von denen ich nichts weiß, wurde in der Kadettenanstalt in
Berlin erzogen, kam als junger Leutnant, da es ihm in Preußen nicht
behagte, nach Württemberg. Er wurde seines alten Adels halber von
König Friedrich (2) in die Garde eingereiht, wurde Kammerherr und
heiratete meine Mutter, die Tochter des Obristleutnants von Öttinger
und Nichte des allgewaltigen Staatsministers Graf von Dillen. (3)
Mein Vater war ein großer Bewunderer von Napoleon und machte daher
mit Freuden den Feldzug gegen Rußland, das er hasste, mit. Er kam
einmal in persönliche Berührung mit Napoleon, als ihm der Kaiser befahl
ein russisches Dörflein einzunehmen. Lebenslang war es ihm eine
heilige Erinnerung, daß er einmal Auge in Auge vor dem großen Kaiser
gestanden hatte und dieser ihm persönlich den Befehl gab ein russisches
Dörflein einzunehmen. Nachdem die Besetzung erfolgt war, trat
er in das Haus des Popen und kam gerade dazu, als seine eigenen
Leute den Popen, der nicht mit seinem Geld, das er vielleicht gar
nicht hatte, herausrücken wollte, auf eine Bank gebunden haben und
Stroh darunter anzünden wollten. Mit gezogenem Degen haute er auf
die schnapstrunkenen Soldaten ein und erlöste das arme Opfer von
brutaler Gewalt. Als Napoleons Stern zu sinken anging, gerieth auch
er in russische Gefangenschaft und wurde nach Sibirien transportiert,
samt seinem Diener. Beim Auswechseln der Gefangenen wurden
[2] die Beiden vergessen und mußten ziemlich lange dort verharren. Da
aber die Gouverneurstochter eim Auge auf den jungen Franzosen, denn
als Franzose wurde er dort hehandelt, geworfen hatte, fiel die Gefangenschaft
nicht sehr hart aus. Er verkehrte frei in des Gouverneurs
Hause. Was sie miteiander trieben hat er mir nie erzählt, doch
lernte er ziemlich viel russisch von ihr. Sie sei schön gewesen und
hatte Diamanten in den Haaren getragen, dazwischen aber seien die
Läuschen herumgekrochen, und von der europäischen Kultur sei sie
auch nicht beleckt gewesen. Sie hielt ihn für einen großen Künstler,
weil er sie mit dem Storchschnabel (4) abkonterfeit hatte, und
wollte nun auch gemalt sein. Er versprach sie auf Goldgrund in den
schönsten Farben zu malen, nur müsse er diese Farben in der nächsten
russischen Stadt, die ziemlich entfernt war, holen, sie möge
ihm daher von ihrem Vater einen Paß verschaffen. Mit diesem Pelladium
(5) versehen, reisten er und sein Diener ab. Wer aber nicht
zurückkam, das war dieser ungetreue Ananias. Er hat es nie erfahren,
ob sich seine Dido den Tod gab, fürchtete es aber durchaus
nicht. Nun legten sie die kollosale Strecke bis zur preußischen
Grenze, theils in irgend einer elenden Karre wo sie aufsaßen zurück,
oder auf einem entlehnten Wagen meist aber zu Fuß in Bauernkleidern,
die sie sich statt der Farbe in jener Stadt gekauft
hatten. Auch eine Ziege zogen sie nach, die getreue Ainalthea, die
meinem Vater bessere Kost bot als jene, die er mit seinen Soldaten
im Hinmarsch theilen mußte. Das waren Wasserriebele mit ganz
schwarzem Mehl gemacht, mit Pulver gesalzen und horribel dick, mit
Unschlitt (6) geschmelzt. Da war doch die spartanische Suppe eures
Vaters in jenen Zeiten der Geldebbe ein Götteressen, eine wahre
Ambrosia. Sie bestand aus durchgetriebenem Schwarzbrod mit Butter
geschmelzt, die er sehr gerne aß; ihrer dunklen Farbe willen nannte
er sie seine spartanische Suppe. - Endlich kamen die beiden Wanderer
in Württemberg an. Mein Vater wurde gleich Hauptmann und bekam
einen sehr hohen geldtragenden Orden. Er war übrigens da noch nicht
verheirathet, erst jetzt heirathete er. - Nun läuft aber der Faden
dünn, denn ich weiß aus dieser Zeit so viel wie nichts. König
Friedrich war gestorben und König Wilhelm (7) hob die Garde, als
ein zu aristokratisches Corps auf, denn er war anfangs, wie die
meisten Kronprinzen liberal. Mein Vater kam zur Infanterie. (8)
Er hatte häufigen Garnisonswechsel und häusliche Miseren, da ihm
immer seine männlichen Kinder alle wegstarben.- Er sei sehr beliebt
gewesen bei seinen Untergebenen, nur theilweise von den Kameraden,
[3] gar nicht aber von den Vorgesetztzen, wegen seiner Freimüthigkeit
und Ungeniertheit. Ein Universitäspedell, der früher sein Unteroffizier
war, konnte ihn nicht genug rühmen und sagte mir in
Tübingen einmal: "Ja, unser Herr Oberst, der war noch kein so
preußischer Gamaschenknopf, wie sie heutigentags geworden, der
drückte ein Auge zu und schonte den gemeinen Mann. Das freute mich
mehr als alle seine Ordensbänder.- Meines Vaters Begleiter von
seiner russischen Odysée habe ich mit Mann und Kindern von
Kirchheim aus im benachbarten Weilheim besucht. Er lebte dort als
wohlhabender Bauer. Zu meines Vaters Lebzeiten hatte er uns hie und
da in Obereßlingen aufgesucht.
Nun seh ich meinen Vater erst wieder klar vor Augen, als er in
Obereßlingen nach Herzenslust bauern und Gärtnerei treiben konnte.
Er steckte allerdings die Blumenzwiebeln verkehrt in die Erde, zu
Finas großem Gaudium, und das riesig hohe Kamin, das er als Mittel
gegen den Rauch auf sein Haus bauen ließ, stürzte beim ersten Sturm
zusammen, aber die vielseitigen Beschäftigungen gingen deßhalb doch
nicht aus, denn er war, wie der jeztige Kaiser zu Deutshland, in
allen Sätteln gerecht, nur nicht im Christenthum, denn damit stand
er nicht auf gutem Fuße. Seine Bibel allerdings und Strauß "Leben
Jesu" hatte er neben seinem Bett liegen. Übrigens war er ein geschickter
Dreher und nahm es mit dem Grafen Alexander (9) darin
auf, Sie zeigten sich immer ihre Arbeiten. Aber auch Schreiner und
Buchbinder war er. Auf Weihnachten verfertigte er mit seiner Maschine
für alle Schulkinder kunstgerecht broschierte Hefte.
Mit Hahneschrei stand er auf und war beschäftigt bis zum Nachtessen.
Wein und Bier trank er sehr wenig, nur wenn er Gäste hatte
floß Champagner, er selbst trank sein selbstgebrautes scheußliches
Bier. Seine Hauptliebhaberei aber war die Medizin. Wie einem Arzte
liefen die Leute, d.h. die Bauern des Orts ihm zu. Dem einen strich
er Pflaster, dem andern legte er einen Arnicaverband auf seine verwundete
Hand. Magenbitter und derartige unschädliche Mittelchen
theilte er aus, natürlich hütete er sich wohl ein Rezept zu schreiben,
denn die Ärzte waren ihm etwas aufsäßig. Den Kranken, an die
er sich nicht wagen konnte, wurden Fleischbrühe und Wein geschickt.
Er hatte einen überaus heiteren Humor. Er kleidete sich schlecht,
hielt auch bei andern nichts darauf und sah nie was eines anhatte.
Seine Gastfreiheit war allbekannt, nur wenn sie gar zu sehr mißbraucht
wurde, dann kannte er auch keine Rücksicht und ließ ausrichten,
daß er gern allein wäre. Stieß er auf geizige Menschen, so
[4] konnte er nicht schweigen, so wenig wie eine Ungerechtigkeit ungerügt
lassen. In Obereßlingen wohnte eine Nobelsfamilie, namens
Keller ein gewesener Kaufmann. Als meine Eltern einst dorthin zum
Mittagessen eingeladen wurden, war die Tafel schäbig bestellt. Mein
Vater sagte nichts und ließ sich auch nichts anmerken. Er lud sie
wieder ein, und da gabs nun ein wahrhaft fürstliches Gastessen. Die
Leute wurden verlegen und die Frau sagte: "Ach, sie hätten das
nicht thun sollen, wir haben ja gar keine Umstände gemacht."
"Ja, das habe ich leider allerdings bemerkt," war meines Vaters
lakonische Antwort. Darin gleicht ihm sein Enkel Erwin ungemein.
Mit Frau von Rieger und Rantzaus stand er in fortwährendem herzlichem
Verkehr bis zu seinem Tod. Ein schmerzliches Gefühl blieb es
mir immer, daß er sein jüngstes Kind, auf Rücksicht für mich, nicht
zu sich nahm und ich das Herz nicht hatte, mit ihm davon zu reden
und ihn dazu aufzufordern. Was half es ihm, daß ich es zu mir nahm
als er nicht mehr war. Er starb an Entkräftung den 28. Jan. 1849,
noch nicht 70 Jahre alt.
Als einmal Charlotte Rantzau, drei Jahre jünger als ich, längere
Zeit bei uns zu Besuch war, wollte ich meinem Vater ein kleines
Fest bereiten am 22. Juni. Ich errichtete einen kleinen Altar in
einem mit Blumenkränzen und Laubwerk ausgeschmückten Zimmerchen,
verkleidete mich mit einigen weißen Fetzen und einem vorhandenen
Harnisch als Victoria, meine junge Freundin, in rosa Tüll gesteckt,
mit einem Rosenkranz in den Locken, als Flora und machte zwei
Sonette, eines das den alten Krieger mit dem Lorbeerkranz beschreibt,
das andere das ihm sein jetziges friedliches Leben mit
einem Blumenkranz zeigen sollte. Da unser Garten aber keinen Lorbeer
hatte, so mußten Oleanderblätter, die ich auch mir in die
Haare wand, den Lorbeer ersetzen. Jede von uns sagte dann, von
Fina geführt, das Gedicht her und überreichte es darauf geschrieben,
samt dem dazugehörigen Kranz. Nie werde ich die Freude des
alten Mannes vergessen. Und jetzt, da ich schon um mehrere Jahre
älter bin, als er damals war, erfreue ich mich noch immer in
Gedanken daran. Freudenthränen liefen ihm die Wangen herab und
schluchzend schloß er uns in seine Arme. Die Sonette steckte er zu
sich, er hielt sie für das Vollkommenste, was die Poesie leisten
konnte und zeigte sie, im glücklichen Vaterstolz seinen Freunden
allen. Es wurde mir sogar erzählt, daß er einmal eine Chaise, in
der eine ihm befreundete Familie saß, anhielt, aufs Kutschbrett
stieg und die Sonette aus der Brusttasche zog.

Die Großmutter Brunnow

[5] Meine Mutter war die einzige Tochter des Oberstleutnant von
Oettinger, (10) ihr Bruder ließ als Leutnant sein junges Leben auf
der Beresinabrücke. (1813) Als meine Großeltern sich verheiratheten,
war meine Großmutter noch nicht 15 und mein Großvater 19 Jahre
alt. Es soll ein tolles Leben gewesen sein, das die beiden halben
Kinder zusammmen geführt. Sie hielten sich für sehr reich, da er im
Besitz zweier Rittergüter Archshofen und Hollach war. Seine Mutter
hatte die Verwaltung derselben und nebenher ein großes Vermögen. Da
sie sich dem Sohn gegenüber sehr geizig zeigte und für sich sehr
glänzend und verschwenderisch lebte, nahm es der junge Offizier
nicht schwer, Gelder aufzunehmen, die er später von seinem reichen
Erbe ja doppelt und dreifach bezahlen konnte. Meine Großmutter, die
eine sehr pikante und feurige Erscheinung gewesen sein soll, war
die Schwester des Grafen Dillen, (3) des Lieblings König Friedrichs.
Er entstammte einer belgischen adeligen Hugenottenfamilie, die zur
Zeit der deutschen Humanisten nach Württemberg ausgewandert war,
den Adel abgelegt, ihrem Namen die lateinische Endung ius angehängt
hatte, da alle Mitglieder dem Gelehrten- oder Theologenstand angehörten.
Dieser Bruder meiner Großmutter war Student der Medizin in
Tübingen, ich habe seinen Namen noch in einem alten Studentenverzeichniß
in Tübingen gelesen, das Euer Vater in Tübingen auf der
Bibliothek (11) vorgefunden hatte. Bei einem Besuch des Königs in
Tübingen erklärte er dem bildschönen hochgewachsenen Studenten, er
gefiele seiner Sultanslaune, ließ ihn ergreifen und schleppte den
sich wehrenden nach Stuttgart. Er steckte ihn zuerst in seinen Marstall,
wo er mit Pferden umgehen lernen mußte. Im Verlauf eines
Jahres machte er ihn zum ersten Stallmeister. Dann mußte er ins
Militär und durchflog hier die Stellen aller bis zum General, und
dann wurde er allgewaltiger Staatsminister, der Erste im Land nach
dem König. Er soll ein gescheiter und thatkräftiger Mann gewesen
sein wie sein König, von dem Napoeon zu sagen pflegte: "Er ist mein
geistreichster Fürst". Die Liebe des Landes hat sich keiner erworben
und die Geschichte kennt kein: "De mortuis nil nisi bene."(12)
Der König hatte seinen belgischen Namen wieder vorgesucht, ihn zum
Baronen und gleich darauf zum Grafen gemacht und ihm die Dörfer und
Schlösser Dätzingen (13) und Rübgarten (14) zum Geschenk gemacht.
Auch zum Johanniter-Ritter wurde er ernannt, von seinem Purpursammetmantel,
den er später meiner Mutter geschenkt hatte, habe ich
[6] mir für jenen so denkwürdigen Maskenball am 24.Februar 1848 (15)
ein Laurajäckchen gemacht. (16) - Als mein Großvater sich nach
seiner pflichtvergessenen Mutter Tod, die nur Schulden hinterließ,
am Abgrund sah, nahm sich der Schwager seiner nicht an und ließ ihn
den Tod suchen, er erschoß sich in Ellwangen. (17) Das strenge
Verbot des Königs gegen Schuldenmachen, das ja auch der Minister zu
unterzeichnen hatte, konnte ihm also nicht unbekannt sein. Vielleicht
standen sie schlecht miteinander, denn die verwithwete
Schwester zog nicht zu dem reichen mächtigen Bruder, sondern lebte
von ihrer kleinen Pension in engen Verhältnissen und stickte für
Napoleons Heere die Fahnen.
Von meiner Mutter Kindheit und Mädchenjahre weiß ich soviel wie
nichts. Sie erzählte mir nur, daß ihr Religionslehrer, auch ein
Kantjaner, den ihm zugetheilten jungen Mädchen, die er auf die
Confirmation vorzubereiten hatte, statt dem Religionsunterricht
Astronomievorlesungen hielt. Die ...thätige Folge war, daß meine
Mutter kein Atom von Christenthum an sich hatte. Sie erklärte auch
mir dies Christenthum rationalistisch und meinte, die vielen
Frauen, die Christi Gefolge gebildet, seien eben verliebt in ihn
gewesen. Doch war sie Christin und glaubte früher so halb und halb
und später viel fester an eine Unsterblichkeit.
Der Onkel nahm sie zu sich in seine glänzenden Cirkel als sie ein
sehr hübsches blühendes Mädchen geworden war. Sie mußte ihre Liebe
und ihr Verlöbnis mit einem jungen schönen Offizier, einem Baron
Moltke(18) entsagen, weil er gar kein Vermögen hatte und etwas
verschwenderisch war. Der Onkel wies sie auf ihren Vater hin und
duldete als ächter Demokrat keinen Widerspruch. Später sah sie mein
Vater, verliebte sich in sie, und da er in sehr geordneten Verhältnissen
war, auch einiges Vermögen besaß, erhielt er sie auch.
Obgleich sie ihn nicht aus Liebe nahm, lebte sie doch sehr gut mit
ihm. Ihre Mutter starb jung, noch nicht ein mal vierzig Jahre alt
an Nervenfieber, wie damals der Typhus hieß. Ihr Bruder ließ ihr
ein sehr schönes Denkmal auf dem Ludwigsburger Kirchhof setzen, (19)
das ich in meiner Kindheit sah, dessen ich mich aber heute nicht
mehr erinnere.
Die Freundinnen meiner Mutter waren: Frau von Rieger, Frau von
Rantzau, die Kriegsmisterin von Miller, ein Fräulein Hopfenstock
und eine Frau Landauer, eine viel ältere, sehr gelehrte alte Dame,
[7] deren ich mich ebenfalls noch gut erinnere und vor der ich großen
Respekt hatte. Sie konnte gut lateinisch und machte mich später,
sehr jung, mit George Sand bakannt. (20) Meine Mutter interessierte
sich sehr für Literatur, besonders für italienische und
hielt immer ihre Vorleseabende. In meinem 12.Jahr schenkte sie mir
an meinem Geburtstag: "Das befreite Jerusalem" und Dantes "Divina
Comedia", während mir mein Vater den Schiller und van der Felden
gab. Vom Letzteren blieb mir keine blasse Ahnung mehr im Gedächtniß.
Von da an war Lesen mein Lebenselement.
In welchen Städten meine arme Mutter ihre vielen Kinder geboren
und immer wieder begraben mußte, weiß ich nicht, wahrscheinlich
war es ein steter Wechsel von Stuttgart, Ulm, Ludwigsburg, zur
Erholung Neu-Ulm und Göppingen. Soviel ich mich erinnern kann,
brachten wir einige Sommermonate, d.h. meine Mutter, meine kleine
Schwester, Fina und ich in Dätzingen zu. Natürlich hatte ich keine
Ahnung von diesem Onkel, der im Verkehr ein so liebenswürdiger,
heiterer und origineller Mensch und auch als alter Mann sehr schön
war, daß er eine persona ingrata fürs ganze Land gewesen war.
Wahrscheinlich wußte es meine Mutter auch nicht, und in den Kreisen
in denen sie gelebt hatte, kam so etwas auch nicht zur Sprache.
Nach dem Tode des Königs Friedrich, hatte er (Dillen) sogleich
seinen Abschied eingegeben, d.h. seinen Rücktritt als Staatsminister,
das Spaevende (?) gespielt. Der König Wilhelm, obgleich dem
Diener seines Vaters, den er ingrimmig hasste und auch ihm nicht
sonderlich hold, gab dennoch die ihm zukommende Pension, und so
lebte er nun in Dätzingen, von der bäuerlichen Bevölkerung sehr
geliebt, da er sehr freigebig und leutselig war. Er erinnerte sich
jetzt seines alten Berufes, daß er einst Medizin mit Leib und Seele
getrieben, studierte für sich nun wieder weiter und kurierte seine
Bauern drauf los. Das Verhältniß zu meiner Mutter war ein sehr
herzliches und der Aufenthalt that uns allen immer sehr wohl. Erst
später, schon an der Schwelle der Jungfrau, erfuhr ich von meinem
Lehrer Barth, daß er ein Fluch des Landes gewesen sei, was mir
einen sehr tiefen Schmerz bereitete und mich in den folgenden
Jahren desto gewaltsamer auf die Seite der Demokratie drängte.-
Meine arme Mutter habe ich eigentlich nie gesund gekannt. Sie hielt
mich ferne, um mir den unbefangenen Jugendsinn nicht zu trüben, doch
[8] fühlte ich wohl immer einen gewissen Druck. Sie beklagte sich nie
bei mir, aber ich sah ihr an, daß sie fortwährend an Asthma litt.
Um ihr das Fahren zu erleichtern, ließ mein Vater in Obereßlingen
einen ganz niederen Wagen mit kleinen Rädern und einem enormen Oberdeck
konstruieren. Sie war nur einige Male drin gefahren, als mein
Vater und ich bei einer Fahrt herausgeworfen wurden, da das mißgestaltete
Gefährt umfiel. Er war immer unglaublich mit seinen Erfindungen.
- Um sich zu zerstreuen arbeitete meine Mutter das ganze
Jahr hindurch für die Kinder von Obereßlingen: Hauben, Schürzen,
Röcke und Strümpfe wurden fabriziert. Die Puppenfabrikation theilte
sie mit mir, und mein Vater machte Hefte und drechselte Federröhrchen.
So wurde Jahr um Jahr, solange die gute edle Frau lebte der Schule
ein heiteres Weihnachtsfest bereitet, wozu Fina ganze Waschkörbe
voll Lebkuchen backte. Ich habe später im Andenken an meine Mutter
noch lange Kinderkleidchen fabriziert. - Die letzten Jahre ihres
Lebens, als ich ihre unheilbare Krankheit erfahren hatte, habe ich
sie auch noch gequält, indem ich auf strikte Erfüllung der ärztlichen
Vorschrift sie nie trinken zu lassen, leidenschaftlich hinwirkte.
Zuletzt sprach sie öfter von ihrem Tod mit mir, was mich
aber immer so in Verzweiflung brachte, daß sie es aufgab. Nur einmal
sagte sie mir noch: "Wenn es ein Weiterleben gibt und eine Mittheilung
möglich ist, so gebe ich Dir ein Zeichen." Das Zeichen kam,
wie begreiflich, nicht. Sie wußte, daß ich vor den Todten ein furchtbares
Grauen hatte und sagte mir öfters: "Es ist mir bitter zu denken,
daß Du, wenn ich todt bin, bei meinem Anblick fliehen wirst." Deßhalb
wich ich nicht von ihrer Seite, wusch und kleidete sie selbst auf ihrem
Todtenbette, bis sie sie forttrugen und auf Dätzingens ländlichen
Friedhof, neben ihrem Onkel betteten. (21)
Große Sanftmuth, Duldsamkeit und Selbstverleugnung waren ihre Charakterzüge.
Sie war auch eine sehr tüchtige Blumenmalerin, stickte sehr
schön, war äußerst fleißig und geschickt in allen Arbeiten, was ich
nicht von ihr erbte. - Da ihr ganzes Leben aber auch Leid und Klage
um ihre stets dahingegangenen Kinder war und Siechthum sie überfiel,
so war stille Resignation der Grundton ihres Wesens. Alle, die sie
kannten, nicht nur ihre Jugendfreundinnen, schätzten und liebten sie
auch der einstige Bräutigam, der immer in treuer Freundschaft an
ihr hing, kam öfter sie zu besuchen und wurde von meinem Vater
immer aufs freundschaftlichste und kameradschaftlichste empfangen.
Die beiden Söhne lernte ich später in Boihingen kennen, was mich
ungemein interessierte. Der eine war sehr ernst und deklamierte
[9] mir immer Lenaus Gedichte. Ich weiß sogar noch sein Lieblingsgedicht:
"Schlaflose Nacht, du bist allein die Zeit der ungestörten
Einsamkeit."(22) Er starb bald.-
Solange ich mir denken kann, sah ich meine Mutter nur leidend vor
mir. Ich wußte es nicht anders und fürchtete deshalb kein schnelles
Ende. Hatte sie manchmal erträgliche Intervalle, so war sie gleich
bedacht den Ihrigen Freude und Unterhaltung zu bereiten. Es lebte
noch eine Schwester ihres Vaters, eine Frau von Leybothen, (?)
die uns einige male in Obereßlingen besuchte und die auch nach
meiner Mutter Tod mir noch schrieb. Eine andere weitläufige Verwandte
meiner Mutter kam auch zuweilen zu uns. Es war die Frau des
Ephorus in Maulbronn. Die konnte so gut griechisch und lateinisch,
daß sie bei Krankheitsausfällen den Unterricht bei den
jugendlichen Studenten übernahm. In Erinnerung sind mir noch ihre
überaus großen Hände, ihre Brille und ihre männliche Stimme. Den
letzten Geburtstag meiner Mutter, an dem sie sich gerade recht
ordentlich fühlte, feierten wir im Garten. Der 14.März war so
warm und der große Garten voll Schneeglöckchen und Veilchen. Josephine (41)
hatte ihr Lieblingsgebäck gebacken, Bauernküchlein und darum
einen Kranz mit Schneeglöckchen gelegt. Marie Rommel brachte ihr
eine Platte ...gebäck, das delikateste Backwerk das ich je aß.
Beide Speisen waren durchaus beste Ware und meine Mutter erklärte,
einmal, nur einen einzigen Tag, wolle sie so thun als ob sie gesund
wäre und davon essen. Es ging ihr auch nicht schlechter davon. Und
so feierten wir noch einmal ein halbwegs fröhliches Fest, unter dem
Strohdach des kleinen griechischen Tempels, an dem auch die Rommelsche
Familie (22) theilnahm. - Bald darauf begann das lange Leiden
meines Schwesterchens (Lungenbrand), das die Kräfte meiner Mutter
vollends erschöpfte. Am 17.Juli 1842 starb Ottilie und am
3.September desselben Jahres meine Mutter.
Maries Jugend
[10] Du möchtest Dir so gern ein Bild von meiner Jugenderscheinung
machen können. Wo ist der Mensch, der sich selbst kennt, der
Erkennendes und Erkanntes zugleich sein kann? Es war wohl die
schwerste Zumuthung, den der phythische Gott an seinen Tempel
schreiben ließ das ....(?) Wohl kann man Gefühle, Leidenschaften,
Anschauungen, Schwachheiten an sich selber erkennen und bloßlegen,
aber die Gesamterscheinung bleibt unserem eigenen Auge verborgen.
Weiß ich doch kaum über mein Äußeres mir ein Bild zu machen. Ich
begriffs nie, daß sie mich hübsch fanden, aber die Deutschen verstehen
sich überhaupt nicht auf körperliche Schönheit, wenn nur die
Formen rund und die Farben rosig und weiß sind. So wird man leicht
zum Atribut schön gelangen, wenn auch die Beine zu kurz und der
Oberkörper zu lang ist. Als 15 und 16jähriges Mädchen soll ich sehr
reizend gewesen sein, da hatte ich noch meine langen weichen blonden
Haare, die mir fast bis an die Knie reichten. Als aber die liebende
Hand meiner Mutter, die so zart und vorsichtig mit ihnen
verfuhr, sie nicht mehr pflegen konnte, und ich nicht damit zurecht
kommen konnte, da wurden sie dünner von Jahr zu Jahr. Bis dahin war
ich auch in meiner Kindheit immer in Sammet und Seide gekleidet gewesen,
denn meine Mutter setzte ihren Stolz darein mich so hübsch
als möglich herauszuputzen. Ich ließ es geschehen, ohne es zu beachten.
Als sie aber todt war, gab niemand mehr den Impuls dazu.
Mein Vater sah nie, wie man sich kleidete, und ich dachte, in mein
Traumleben eingesponnen, ebenso wenig daran. Doch hielt meine
schöne Garderobe schon noch eine Zeitlang. Doch dann kam Josephine
hie und da mit der Meldung zu meinem Vater: "Die Marie braucht ein
neues Kleid." Er ging dann selber fort und ließ sich auf gut Glück
irgend einen Stoff anhängen Erst als ich in das enge Freundschaftsverhältnis
mit Frau von Neubronn kam, (Anm.Mo.: meint Marie Thum
von Neuburg) sorgte diese für eine bessere Toilette, denn die
Cavaliere, mit denen wir verkehrten, hatten ihr ins Ohr geflüstert,
sie solle für mich sorgen, ich sei nicht standesgemäß "gekleidet".
Es war ein leidenschaftliches Verhältniß, in das ich mit der jungen
Frau gerieth. Sie war eine Schwärmerin wie ich. Unglücklich verheirathet,
hatte sie hauptsächlich in den Büchern ihren Trost gesucht.
Gleiche Ideale vereinigten uns. Sie wohnte, wenn sie nicht auf ihrem
väterlichen Schlößchen in Boihingen (23) war, in Eßlingen, da
sahen wir uns alle Tage und lasen zusammen unsere Liebingsdichter.
Kam eine kleine Unterbrechung in den persönlichen Verkehr, so
sangen wir uns in liebeglühenden Versen an. Sie hatte ihr poetisches
[11]Talent von ihrem Vater geerbt, der zu seiner Zeit ein nicht
unbekannter Dichter und dramatischer Schriftsteller war. Und welchen
Reiz hatte es für mich die Vertraute ihrer geheimen Liebe zu
sein und ihr manchen Liebesbrief befördern zu können. Fina wurde
natürlich auch in unser Vertrauen gezogen, und Letztere nannte mich
immer: "Die Frau Minnetrost"; da ich früher schon viel bei Charlotte
Rantzau diesen Beruf ausgeübt. Die Frau Minnetrost ist eine
der Gestalten des Zauberrings in La Mottes Fouquét, den ich in
frühen Jahren mit hohem Entzücken Fina vorgelesen hatte. Dazumal
war ich noch ganz in der Romantik befangen. Jetzt aber war mit
Marie Neubronn schon ein Schritt zur griechischen Klassizität gemacht.
Der Übergang geschah durch Hölderlin. Im Hyperion spiegelte
sich auch unser eigenes Freundschaftsverhältniß. Charlotte
Pfaff, die von Graf Alexanders Lesungen, war bald die dritte in
unserem Bunde. Sie war die Tochter eines tüchtigen Gelehrten und
Freundes vom Grafen Alexander. In Eßlingen führte sie nur dem Namen
Asposia, und mit ihr wandten wir uns nach Ilion und steuerten mit
Odysseus durch die unwirthlichen Meere. Den Geliebten meiner
Freundin Marie N. hatte ich sehr gerne. Er war ein schöner wildleidenschaftlicher
Mann, von academischer Bildung, früh mit
Hecker (24) schon befrendet, war er von äußerst radikaler Gesinnung,
das zog auch meine Freundin nach dieser Richtung. Weßhalb
er zum Militär gerathen war, weiß ich nicht mehr so ganz, er ging
aber immer damit um auszutreten, was er später auch that, nie aber,
versicherte er uns, würde er, solange er auch noch des Königs Rock
trage, gegen das Volk kämpfen. Das war alles noch vormärzlich.
Einmal hatte mir Frau von N. sein Bildniß gegeben es ihr aufzuheben,
da sie verreise. Mein Vater fand es zufällig in meine
Zimmer. Er sagte nichts, lief aber mit einer so trübseligen Miene
herum, daß ihn Josephine frug, was er denn habe. Da entdeckte er
ihr seinen Kummer. Er hatte das Bildniß des hübschen Offiziers für
meinen Geliebten gehalten und war in tausend Ängste gerathen.
Lachend beruhigte ihn Fina. Als ich später in Adolf Bacmeister (25)
einen mir sehr lieben Freund gewonnen hatte, der fast täglich,
solang er in Eßlingen bei seinen Eltern verweilte, am Abend zu mir
herauskam, und mich oft bis Mitterrnacht in einer gemietheten Barke
bei Sternen und Mondschein auf dem Neckar herumfuhr, nahm mein
Vater nicht das geringste Ärgerniß daran, er sagte mir im Gegentheil:"
Mit Deinem jungen Dichter kannst Du anfangen was Du willst,
hier bin ich ruhig, sei aber vorsichtig mit den Offizieren, du
[12] kennst diese Sorte Menschen nicht, ich aber kenne sie, denn ich bin
selbst ein solcher gewesen. Wir haben in Beziehung auf das weibliche
Geschlecht kein Gewissen." Adolf Bacmeister und ich waren wie
zwei traute Geschwister. Er machte kein Gedicht, das er mir nicht
vorlas. Sein Trauerspiel "Conradin" hatte er mir ganz gewithmet.
Wenn er mir von seinem Freischärlervorhaben erzählte, wie er deßhalb
von seinen Eltern und Verwandten als ein reuiges Schaf betrachtet
wurde, und dann von Hecker sprach, wo meine Augen in Begeisterung
aufleuchteten, dann sagte er mir oft, so glücklich wie in
meiner Gesellschaft sei er noch nie gewesen, aber nie verrieth ein
Wort, daß er wärmere Gesinnungen hegte. Erst viele viele Jahre später,
als du (Isolde) schon ein Backfischchen warst, und er dir
einmal in Tübingen seinen übersetzten Tacitus und Sallustius
brachte, gab er mir einen Pack Papiere und umarmte mich. Es war
sein erster und einziger Kuß. Als er fort war entfaltete ich die
Schrift. Was wars? Die ganze Liebesgeschichte unserer gemeinsam
verlebten Jugendtage, voll Feuer aber zarter Zurückhaltung. Nicht
ohne Thränen der Rührung hab ich es gelesen und war stolz darauf,
daß die beiden Freunde, mein Mann und er sich so innig liebten und
hochschätzten. In Boihingen war es mehr ein äußerliches Leben das
ich lebte, es war die wilde Jugendlust, die da obsiegte. Neubronn
kam selten hin, da er nicht gut mit seinem Schwager stand, aber
dessen Freunde stellten sich ein, vor allem Maries Geliebter, der
mit der kühnen Reiterin oft viele Stunden lang in der Umgebung
herum schweifte. Auch ich wagte mich auf Alfreds wilde Pferde, ritt
aber nur im Hofe umher und wäre ein paarmal schier gestürzt, hätte
Alfred mich nicht aufgefangen. Auch am Scheibenschießen betheiligte
ich mich eifrig. Abends wurde dann auf dem Rasen zu Nacht gespeist
und das Windmühlenglas machte die Runde. Ach, das war wie ein
Glück von Edenhall, ein uraltes Familienstück und mußte, so lange
die zwei Räder sich drehten, ausgetrunken werden. Über Tisch wurde
Heine deklamiert, es war dies die Zeit der unbegrenzten Heinevergötterung,
vor und nach dem Ausbruch der französischen Revolution,
die von Frankreich ihren Umzug durch Europa hielt. Zu dieser Zeit
waren auch alle jungen Cavaliere revolutionär, ja sogar republikanisch.
Alfred pflegte zu sagen, die Zeit hat uns unsere Privilegien
genommen, es ist nur gerecht, daß es auch an die Fürsten
geht. Und so dachten alle.Frau
von Thumb
hab ich in sehr liebender Erinnerung behalten. Es
war eine jener Wesen die nur Liebe sind. Für jeden Armen hatte sie
[13] Hilfe oder Linderung seiner Noth, für ihre Kinder war sie ganz Aufopferung,
von allen Gästen war sie geliebt und verehrt. Mich hatte
sie sehr lieb und hätte mich gerne zur Schwiegertochter gehabt. Es
gelang mir aber nicht mich in Alfred zu verlieben, doch kamen wir
in ein sehr herzliches Verhältniß, dutzten uns und der leichtlebige
Alfred legte sich auch nicht in den Tod. Ich war zu jener Zeit aber
ein ganz anderer Kerl als ich später geworden bin. Ich kannte keine
Furcht, ausgenommen vor den Kühen. Um nach Boihingen zu gelangen,
mußte ich drei Stunden zu Fuß durch dichte Wälder zurücklegen,
meist durch den freilich nicht tiefen Neckar waten, und oft kehrte
ich erst bei sinkender Nacht heim. Es waren allerdings noch andere
Zeiten. Diebesangriffen war man kaum ausgesetzt, dagegen ist ein
junges Mädchen doch nicht immer ganz unangefochten. Für solchen
Fall nahm ich eine Schnupftabaksdose doch mit, kam aber nie in die
Verlegenheit sie anzuwenden. Ein Garnisonswechsel brachte meine
Freundin nach Stuttgart, von da an sahen wir uns nur selten, doch
der Sommer vereinigte uns auf einige Wochen in Unterboihingen.
Von meiner frühesten Kindheit an war ich anders als andere Kinder.
Ich nahm nie von anderen Menschen als meinen Eltern etwas an. Mit
Geld konnte mich sogar Fina in die Flucht schlagen, was sie hin und
da that, wenn ich sie in der Küche gar zu sehr genierte. Das Geld
kam mir als etwas Gemeines vor. Andere Kinder mochte ich nicht
leiden, spielte nie mit ihnen, wollte keine Gesellschaft, kamen
aber hin und da die Kinder von Freunden meiner Eltern, so gab ich
ihnen schnell alle meine Spielsachen und versteckte mich dann ins
entfernteste Zimmer.
Das Mitleid mit den Thieren entwickelte sich bald in mir. Sah ich
ein Kalb zur Schlachtbank führen, so konnte ich den ganzen Tag
nicht mehr froh werden. Als ich heranwuchs war mein Temperament
ein heiteres. Doch war der Jugendlust immer ein gewisser Weltschmerz
beigemischt. Ich genoß unendliche Wonne, indem ich die Dichter las.
Tagelang konnte ich mit einem Buch im Gras liegen, alles andere darüber
vergessen. Dann kamen aber auch wieder quälende Gedanken. Den
Glauben, der überhaupt nie ein ganzer war, hatte ich längst ganz abgeworfen,
aber die Wahrheit glaubte ich noch erforschen zu können,
das Ding an sich. Nun las ich oft mit brennender Gier die Philosophen,
an Freunden fehlte es mir auch nicht, die sie mir verdolmetschten.
Als ich aber auch nicht klüger dadurch wurde und den Schleier
des Bildes.... nicht heben konnte, verließ mich doch der glühende
[14] Durst danach nie. Nun, da der Sturm der Revolution ausbrach
wurden sie zurückgedrängt,und auch jenes Weltweh löste sich auf in
jubelnde Hoffnung, daß für die Menschheit die Aura der Glückseligkeit
angebrochen sei: Zuckererbsen für Jedermann. Es war ein Traum,
aber ein wonnevoller Traum, und ich möchte dieses Aufjauchzen der
Seele, diesen Wunsch sich im Opfertod für die ringende Menschheit
herzugeben, nicht in meinen Erinnerungen missen. Wer jene Zeit
nicht erlebt, der kann es auch nicht fassen. Und daß gerade die
bedeutensten, die genialsten Männer der Nation sich in den Sturm
der Zeit stürzten, steigerte noch das Erhabene der Bewegung. Natürlich
durchdrang der freie Geist nicht nur die politische und
religiöse Seite, er wohnte in allen: Zöpfe fielen ab, oder wurden
von der Schere der Zeit abgeschnitten. Schranken des Verkehrs
zwischen beiden Geschlechtern stürzten ein, und die eingefleischtesten
Büreaukraten (?) sagten: Jetzt ist keine Reaktion mehr
möglich. Auch der gute Onkel, der nachher wieder in ein so zahmes
Fahrwasser gerieth, trug die schwarzrotgoldene Fahne in den Strassen
umher. (26) Als mir der Liederkranz des Eßlinger Volksvereins
mit wehenden Fahnen an der Spitze seines Rektors Pfaff, (27) dem
Vater meiner Freundin einstmals ein Ständchen brachte, und ich die
einzige Rede in meinem Leben hielt, empfand ich nicht einen Augenblick
geschmeichelte Eitelkeit, sondern ein Pflichtgefühl mich zu
opfern für die Sache. Mein guter Vater hatte sich hinter einem Baum
versteckt und weinte helle Thränen der Rührung, so groß ist elterliche
Liebe und Eitelkeit, denn obgleich er kein Republikaner war
und oft sagte es sei ihm ganz gleichgültig, ob Republik oder Monarchie,
so fühlte er sich doch immer als Edelmann.
Wie es kam, daß ich so viele Eroberungen machte, das weiß ich auch
nicht. Kokett war ich nicht, gesucht hab ich es nie, da ichs aber doch
fand, so freute es mich, es steckte immer Einer den Andern an, nicht
weil ich schön oder imposant oder interessant, nur weil ich anders
war, als die andern Mädchen. Es wäre mir unmöglich gewesen abstoßend
zu sein gegen einen Liebhaber. Solang mir einer nicht lästig fiel war
ich herzlich mit ihm, sagte ihm auch seine Liebe freue mich, aber
er müsse zufrieden sein wenn ich sagte:" Rittertreue, Schwesterliebe"
und dürfe sich nie einfallen lassen eifersüchtig zu werden, wenn
mir ein anderer besser gefalle. Ich habs ganz gut durchgeführt und
mir die meisten das ganze Leben hindurch als treue Freunde erhalten.
Nur der arme Schelm von Rommel hatte einmal seine Paraxismus und
wollte sich todtschießen, aber auch das ging vorüber und der 81jährige
[15] Greis sagte noch auf seinem Sterbebette, daß ich ihm sein ganzes
Leben hindurch der liebste und höchste Gedanke geblieben sei.
Er hatte meine Kinder, er hatte meinen Mann geliebt, alles was mein
war. - Je weniger man einen Mann liebt, desto mehr liebt er einen,
aber nicht das Geliebtwerden ist das wahre Glück, sondern das Selberlieben,
das Selbererobern. -

Über verschiedene Personen, die in unser Leben hereinragten.

Frau Amalie von Rieger geb.Freiin v. Stockborn.

Sie war eine der drei intimen Freundinnen meiner Mutter und ihr
ganzes langes Leben hindurch für mich eine wahrhaft mütterlich
besorgte Freundin. Als Waise und armes Fräulein nahm sie die Stelle
einer Gesellschafterin bei einer sehr reichen Engländerin an, die
in Stuttgart an einen Baron Rieger verheirathet war. Der Sohn des
Hauses war Gesandtschaftsattaché und kürzlich erst von weiten
Reisen zurückgekehrt. Er heirathete nun das junge pikante und
geistig bedeutende Mädchen. Die Ehe war nicht glücklich. Seine
Liebe ging bald unter im englischen "Spleen" und die ihrige mochte
gar nicht vorhanden gewesen sein. Er war zwar sehr gelehrt, konnte
sowohl den Hafis (28) als auch die 1001 Nacht in der Urschrift lesen,
aber die Grazien hatten ihn nicht geküßt, und so ging bald jedes
seiner Wege. Ihn führte es hauptsächlich in sein Papageienzimmer,
wo seine Lieblinge ihm in den verschiedensten Sprachen entgegen
schrien. Der Duft, der aus dem nie gelüfteten Zimmer drang, war
der Zuneigung einer so fein angelegten Dame nicht förderlich.
Vielleicht hatte sie sich deshalb in etwas späteren Jahren das
Schnupfen angewöhnt. Doch that sie auch das mit der großen Zierlichkeit.
Sie bediente sich eines goldenen Löffelchens, das sie an
die Nase führte. Ich werde etwa acht Jahre alt gewesen sein, als
ich sie gesehen zu haben mich erinnere. Ich sehe das Zimmer noch
mit dem schöngeschmückten süßbeladenen Theetisch. Es war ein oft
literarischer Thee, der da abgehalten wurde und der die Runde bei
den drei Freundinnen machte. Der Gefeierte dieses Zirkels war ein
Professor Dr. Vollmer, Schriftsteller und Mythologe, der seit
einiger Zeit in Stuttgart weilte und viel von sich reden machte,
denn er war nicht nur ein Jünger Apolls, er war auch ein schön
gewachsener Mann, der sich besonders auf die ars amandi (29) gut
[16] verstanden haben soll.
Eines Abends sollte er sein neuestes Epos vorlesen. Frau von Rieger
brachte ihm ein leidenschaftliches Interesse entgegen, das er
gebührendermaßen erwiderte. Doch blieb er auch nicht ganz ungerührt
von der sanfthingebenden Freundschaft einer anderen Freundin meiner
Mutter, eines nicht mehr ganz jungen, aber herzensguten und strebsamen
Fräuleins, einer Mimi Hopfenstock. Nachdem
wir unsere Patschhändchen den Damen und dem schönen Herrn
gegeben, wurden wir von Josephine ins Kinderzimmer gebracht und mit
Süßigkeiten gefüttert. Aber ein Wort hatte ich aufgeschnappt am
Tisch, und das sagte ich öfters ganz leise vor mich hin und brachte
es auch nicht mehr aus meinem Sinn: Spartakus. Das mußte wohl ein
Zauberer sein und tausend Dinge dachte ich mir über ihn aus.
Später, als ich erwachsen war, gab mir einmal Frau von Rieger den
wirklichen Spartakus in die Hand, und ich erfreute mich an dem
ideal und kräftig gehaltenen Epos. Sie erzählte mir alsdann auch,
wie sehr sie diesen Vollmer geliebt, sich aber, als er ein dummes
Gänschen heirathete oder heirathen mußte, von ihm getrennt habe,
weil sie die Frau, die man nur des Professors "Sacktüchlein"
nannte, nicht ertragen konnte. Die winzig kleine Frau war seine
Sekretärin gewesen, und da hatte er eben einmal eine schwache
Stunde, übersah den hinkenden Fuß und machte sie zur Mutter eines
Mädchens, das nach seiner letzten Dichtung Asla hieß. Damals nahm
mans noch genauer mit solchen Dingen und der stattliche geistig
... Mann mußte das kleine dumme Ding heirathen. Jene Asla wurde
aber ein schönes Mädchen und wäre fast einmal in Eure Verwandtschaft
hereingekommen. (30)
Meine Mutter, die dazumal schon immer viel an Asthma litt, obgleich
sie auch eine blühende üppige Frau war, brachte einmal einige Wochen
zu ihrer Erholung (wie man glaubte) bei diesem Professor
Vollmer und seiner Frau, die in einem großen Garten in der Militärstrasse
wohnten, zu. Ich sehe mich noch an der Hand von Josephine
täglich hinauswandern.- Später als diese Vollmersche Familie vom
Schauplatz verschwunden war, kam ich noch oft in dieses Haus, denn
Frau von Rieger hatte sich dort eingemiethet. Es ist dasselbe Haus,
indem ich so viele Jahre später, mit Mann und Kindern 6 Wochen lang
gewohnt. Frau von Rieger war da schon ... in mein elterliches Haus,
das jetzt dem Fräulein Weinland gehörte, gezogen. Wir hatten
gehofft dort in der einsamen Militärstraße Ruhe für eures Vaters
Nerven zu finden. Ein Umbau mit gräßlichem Getöse hat uns aber
[17] schleunigst wieder vertrieben.
Nach dem Tod meiner Mutter war Frau von Rieger sehr häufig der Gast
meines Vaters. Sie war oft viele Wochen lang bei uns; ich schloß
mich immer mehr an sie an, denn sie konnte ebenso liebevoll auf die
Jugend eingehen, als durch die Lebhaftigkeit ihres Geistes mich anziehen.
Sie war der Typus einer französischen Marquise aus der Zeit
Voltaires und Aristoteles vom Wirbel bis zur Zehe, zierlich in all
ihren Bewegungen und ebenso in ihrer Kleidung, aber auch jedem Fortschritt
freundlich gesinnt. Als das Jahr 48 kam, umfaßte sie mit
Enthusiasmus die neuen Ideen. Kein Wunder, daß wir so immer mehr
und mehr zusammenfanden. Eine ihrer Eigenheiten war immer französisch
zu sprechen, erst vom Jahr 48 an drückte sie sich deutsch
aus, da sie von dem deutschen Geiste und den hervorragenden Männern
jener Zeit Respekt zu bekommen anfing. Ihre Vermögensverhältnisse
wurden nun von Jahr zu Jahr schlechter und ihr Mann immer
verrückter. Er ließ schließlich die Kapitalscheine, die Coupons
etc. auf dem Boden herumliegen, wo sie theils von den Papageien
zerbissen, theils vom Kot und Badewasser der Vögel aufgeweicht
wurden. Es durfte niemand in sein Zimmer aus Angst der Eintretende
trage die Banknoten an seinen Füßen davon. Da er ständig ein
und ausging, blieb er alle Augenblicke stehen, seine Sohlen befühlend,
ob nicht ein Geldpapier dran hängen geblieben sei. Seiner
schlechten Kleidung und dieser Gewohnheit halber nannte man ihn
schon in Stuttgart den "Absatzbaron" und die Gassenbuben liefen
hinter ihm her und riefen ihm das Wort nach. Er nahm keine Notiz
davon, hörte es vielleicht nicht einmal, denn er machte arabische
Verse. - Als wir in der Paulinenstrasse wohnten, besuchte uns Frau
von Rieger sehr häufig. Sie schien dazumal noch nicht unter der
Verarmung zu leiden, denn auch sie war immer geistig beschäftigt, unaufhörlich
lesend und schreibend, auch große einsame Spaziergänge
machend, wo sie alter Zeiten gedachte. Für meinen Mann hatte sie
eine große Schwärmerei.
Sie lebte sehr einfach, nie trank sie Wein, aber alle Morgen ging
sie in aller Frühe, ehe noch die Sonne sich erhoben hatte, ans
Bopserbrünnlein (31) und trank einen Schoppen Wasser. Als wir
dann einige Jahre später wieder nach Obereßlingen zogen, waren
Riegers schon in meinem alten Hause eingebürgert und lebten dort
in großer Armut. Ich glaube, daß Verwandte von ihnen einen kleinen
Notpfennig aufkommen ließen. Äußerlich merkte man es der guten
alten Freundin nicht an. Immer noch zierlich, ihre brauen Haare
[18] hübsch gelockt, empfing sie mich. Etwas abgemagert war sie, denn
das frische Quellwasser das sie jetzt ihrer Gewohnheit treu, statt
vom Popserbrünnele am Zeller Brünnele (32) trank, konnte sie
nicht eben bei Fleisch erhalten.
Ihr silbernes Theeservice hatte sie aber nicht veräußert, wie ich
meine Silbergeschirre als der Hunger Küchenmeister geworden war.
Jeden Abend deckte sie selbst den Theetisch, denn sie hatte nur
noch ein Laufmädchen für die grobe Arbeit. Da stand alles aufs
Pünktlichste hergerichtet auf dem Tischchen, Zucker war noch in
der silbernen Zuckerdose, aber Thee und Milch fehlten, ebenso das
Confekt, doch die stillen Gäste, die sich einfanden, waren gar
bescheidener Natur: Bei jeder Tasse lag die Visitenkarte eines
todten Freundes oder Freundin. Mir schauderte, aber meine Freundin
war durchaus nicht verrückt, sie lebte nur ihr Phantasieleben, um
die rauhe Wirklichkeit zu vergessen. Sie lächelte wehmüthig und
verabschiedete mich, wie wenn sie jetzt jeden Augenblick die Gäste
zu empfangen hätte. Dabei war kein Zug Nostalgismus, sie dachte
höchst rationalistisch.
Der "Absatzbaron" trug nur noch einen abgeschabten Filzschlafrock
mit einem fingerbreiten Band zusammen gehalten. Oft kam er zu Tante
Bertha, die einen kleinen Kramladen hatte und kaufte für seine zwei
Kreuzer Bänder, dann waren sie zu kurz, und er mußte sie mit Bindfaden
verlängern. - Wir waren dazumal in fast ebenso bedrängter Lage
und konnten nichts thun, oder doch wenigstens so viel wie nichts.
Hin und da kochte Fina eine gute Speise für sie, dagegen zeigten
sich Hopfs (33) aufs Freundlichste: Wein, Kartoffeln, Eier und
Mehl wanderten dorthin, auch Frl.von Bär war hilfsbereit.
Überhaupt lebten die paar Familien in Obereßlingen in enger
Freundschaft zusammen, Familie Miller miteingerechnet, denn
Standesunterschiede gab es nicht bei uns. Jeder war froh den
andern zu haben, und so wars ein gegenseitiges Wetteifern in
Freundschaftsbezeugungen.
Das Schicksal führte uns für nicht zu lange Zeit nach Kirchheim,
und so verlor ich die liebe Freundin eine Zeitlang aus dem Gesicht,
nachdem ich kurz vor unserer Abreise noch die freudige Kunde erhielt,
daß ein reicher Lord des Absatzbarons gestorben, und er ein
Vermögen von einer halben Million Gulden geerbt hatte.- Sie brachen
wohl gleichzeitig mit uns auf. Vorher wollte er mir noch eine Menge
kunstvoll gezimmerter kleiner Schiffchen für meine Kinder schenken,
sie konnten sie aber nicht mitnehmen.-
[19] Riegers zogen nun nach Cannstatt, und der mürrische Kauz konnte sich
noch ein paar Jährlein an einer neuen Vogelmenagerie ergötzen. Seine
früheren Papageien trugen alle Namen von Baronen. Sein Lieblingspapagei
war Achiles. Man hörte ihn oft stundenlang "Achille" rufen. Mit
den Vögeln sprach er französisch und arabisch.
In Tübingen besuchte mich Frau von Rieger einmal, dann suchte ich
sie einige Jahre später in Canstatt auf, da war sie schon Witwe, und
nun suchte sie ihr Hauptvergnügen im Schenken. Sie gab nach allen
Seiten mit vollen Händen und sie sagte mir, sie werde für meine
Kinder für einem jeden ein Sümmchen zusammen legen, denn vom Capital
dürfe sie nichts nehmen, es seien ihr nur die Zinsen von fünfhunderttausend
fl zugewiesen. Zuerst schenkte sie Isolde für dreihundert
fl.Eisenbahnlose, in der Hoffnung, sie werde damit gewinnen,
was aber nicht der Fall war. Das Jahr darauf folgten fünfhundert
Gulden und der gleiche Betrag an Weihnachten. Mit dieser Summe
konnte ich fast für die Kinder und mich die Kleidung bestreiten.Sie
nahm den innigsten Antheil in allem was uns betraf und las alles
von Papa. - Die Kriegsministerin Miller, die andere Jugendfreundin
meiner Mutter, folgte ihr nach Cannstatt, als ihr Sohn Prof.
Roemer sich wieder verheirathet hatte. Ich besuchte sie noch einmal
dort, bald darauf starb sie. So oft ich nach Stuttgart kam, versäumte
ich es nicht, Frau von Rieger aufzusuchen. Sie alterte
nicht. Kein weißes Häärchen kam in ihre braunen Löckchen, immer
noch war sie marquisenhaft. Es wurde ihr nur ihres Geldes wegen
furchtbar gehuldigt. Aber sie lachte darüber und hielt sich die
Schmarotzer fern. Nach dem Tod meines Mannes, (34) der auch sie
schmerzlich traf, that sie noch mehr für meine Kinder und erleichterte
mir manches. Es waren nur kleine Geschenke, aber sie waren so
mütterlich gegeben, daß sie wohlthaten. Als wir nach Italien
abgezogen waren, besuchte sie der gute Onkel aus Pietät. Sie schloß
sich sehr an den braven Mann an, und sie, gar einsam, wollte uns
hier besuchen. Ach, die letzte Reise, die der Mann machte, war bis
Wangen zu seiner Todesweide. (35) Ich blieb in eifriger Korrespondenz
mit der alten Freundin, die auch aus der Entfernung in treuer
Anhänglichkeit alle Schrecken der schweren Krankheit und des Todes
meines Balde mit mir durchmachte. In ihren letzten Jahren schrieb
mir die uralte Frau sehr oft in Versen ihre Briefe und zwar in
Hexametern. In ihrem 9O. Jahr stellte sich noch ein Freier, ein
7Ojähriger Pfarrer bei ihr ein, was sie mir höchst humoristisch
mittheilte. Mit 91 Jahren starb sie am 22. März 1885, zwei Tage
vor ihrem Geburtstag. Da aber auch ihr Tod mir noch Gewinn bringen
sollte, hatte sie meinen Kindern 10 000 francs vermacht.

[20] Luise von Bär

Zu den originellen Gestalten, die das kleine Obereßlinger auszeichneten,
gehörte ohne Zweifel auch Frl.von Bär. Sie stammte aus
einer verarmten adeligen Familie und mußte deßhalb in ihrer Jugend
als Gouvernante in ein vornehmes Haus nach Italien. Nach Deutschland
zurückgekehrt, wurde sie ihrer seltenen Bildung wegen zur
Vorsteherin des Katharinenstifts ernannt. Obgleich nicht groß, war
ihre Erscheinung imposant. Sie war brünett, etwas beleibt, trug
sich nie nach der Mode, hatte immer einen großen Gardeniaire (?)
auf, und war das Gegentheil zu einer Gouvernante. Man merkte ihr
wohl an, daß italienische Sonne sie nicht nur gebräunt hatte, sondern
ihr tief ins Herz gedrungen war. Im Katharinenstift war sie
sehr beliebt, da sie durchaus pedantisch war. Nur als ihr mystischer
Sinn sie nach und nach gar zu eng mit dem Reiseprediger Werner
verband, dem sie schließlich Vorträge im Katharinenstift gewährte,
wurde sie nach oben hin unhaltbar.
Sie war von lange her schon in Stuttgart mit meinen Eltern befreundet
gewesen, und so besuchte sie dieselben auch jetzt öfter und
sprach bei meinem Vater den Wunsch aus, daß, sobald sie ihre Pensionierung
erlangt habe, sie sich auch in Obereßlingen niederlassen
möchte. Mein Vater machte ihr die Zeichnung eines kleinen Schweizerhauses
das ihr gefiel, und nun beauftragte sie ihn, ihr das Haus zu
bauen. Meines Vaters reges Naturell fand eine angenehme Abwechslung
darin das Bauwesen zu leiten. Als das Häuslein stand und Tannen
rings angepflanzt waren, zogen die drei alten Schwestern ein, denn
es waren noch zwei sonderliche Exemplare vorhanden, tief in der
Bildung unter der Luise stehend. Die eine, Franziska, war eine
gute, aber bornierte Pietistin, Sophie, die zum Spott diesen Namen
trug, eine Idiotin, die nur einen halben Schädel hatte und kaum
lallen konnte. Nur die Sinnlichkeit war bei ihr stark entwickelt,
und diese warf sie auch auf ihren Nachbar Rommel. Die Schwestern
konnten oft nicht mit ihr fertig werden, dann mußte dieser kommen
um sie zur Ruhe zu bringen und zu bändigen. Als Frau von Bär nach
Obereßlingen kam, war ich noch ein Kind. Ich traf oft zu meiner
Verwunderung verzückte Weiber bei ihr...., die ihr das tollste
[21] Zeug vormachten. Kerners Abhandlung über die Seherin von Prevost
hatte sie mehr und mehr in diese Reihen hineingezogen. Alle Mühe,
die sich mein sehr materialistischer Vater gegeben, sie aufzuklären,
scheiterten. Auch den Werner ließ sie Vorträge in ihrem Gartensalon
halten, das hinderte sie aber durchaus nicht, sehr feine
Weltdame mit politisch radikaler Gesinnung zu sein. Als ich herangewachsen
war, erzählte sie mir viel von Italien, auch sah ich bei
ihr zum ersten mal ein fast lebensgroßes Bild von Garibaldi, (36)
für den sie schon vor 1848 eine große Bewunderung hatte. Nun erfuhr
ich auch, daß sie in Italien eine heiße Liebe gehabt; Antonio, hieß
der Geliebte, den sie aber frühzeitig verlor. Doch kam ihr als
Trost ein heißer Wahn zustatten. Ich konnte kaum meinen Ohren
trauen, als sie mir erzählte, daß der Geliebte sie nie verlassen
habe, daß er jeden Tag zu ihr käme, sie dürfe ihn nur rufen so sei
er da und ertheile ihr auf alle Fragen Antwort.- Ein vollständiger
weiblicher Swedenborg. (37) Ich belauschte sie öfter von meinem
Garten aus, der an den ihrigen stieß, wie sie unter ihren Tannen
gestikulierend einherging und italienisch sprach. Die Antworten des
Unsichtbaren vernahm mein großes Ohr nicht. Sie war die Heiligkeit
selbst. Sie ging mit mir in alle astrologischen Vorlesungen, deren
es in Obereßlingen immer sehr viele gab. Doch auch in den Volksverein
begleitete sie mich, was ihrem Bruder, der eine sehr hohe
Stellung begleitete, sehr unangenehm war. Mit den Töchtern dieses
Bruders wurde ich innig befreundet und besuchte sie häufig auf
einige Zeit in Stuttgart. Die jüngste und hübscheste kam auch
öfters zu mir und zog es vor bei mir zu wohnen, statt bei der Tante
und ihren Geistern. Bei ihr war ich im Sommer 1849 in Colmar, als
diese einen liebenswürdigen Franzosen, den Dr.Deubel geheirathet
hatte. (38)
Bei unserer Übersiedlung nach Obereßlingen im Jahr 1859, fand ich
die alte Dame noch gerade so jugendlich und einsam. Die Schwester
Franziska war längst gestorben, sie lebte mit der Idiotin Olga,
die immer der Gegenstand meiner Kinder Neugier war, einsam weiter,
und doch nicht einsam, denn ihre Phantasie schuf ihr ja immer aufs
Neue den Nieverlorenen. Ihr Häuslein hatte früher schon den Namen
"Bärenburg" erhalten. Ich besuchte sie häufig, und sie war immer
ganz glücklich wenn mein Mann mitkam, den sie sehr lieb gewonnen
und vom ersten Anblick an bewundert hatte. Er hat ja von jeher alle
Weiber verzaubert, die alten aber auch die jungen. Ich sah sie
zuletzt, als ich bei unserer Abreise Abschied nahm. Doch folgte mir
[22] noch ihr werkthätiger Gruß nach Kirchheim: ein Pack rother wollener
Strümfe, die sie selbst gestrickt, für alle fünf Kinder; dann traf
mich die Todeskunde, und die Bärenburg, die so viel Enthusiasmus,
Idealismus und Mystizismus beherbergt hatte, wurde von den Erben an
einen Schneider verkauft.
[22] Tante Bertha Die Allerweltstante, (nicht wie ich, de Studentenmama und jetzt die
Allerweltsnonna geworden) war die Hilfe aller Notleidenden, der Trost
aller Klagenden, ein Feuerbrand gegen alle Tyrannen, eine flatternde
Fahne der Revolution. Sie machte sich zur Agentin von allen Häuptern
der Bewegung in Württemberg, sie verstand es geschickt die demokratischen
Wahlzettel in den Bezirken anzubringen. In ihrem Kopf baute sie
die erhabensten Verfassungen von Freiheit und Wählerglück auf.

Daneben vernachlässigte sie aber ihren kleinen Kramladen nicht.
Jedem Bauern, der sich eine Zigarre holte, legte sie seine Bürgerpflicht
freisinnig zu wählen und den "Beobachter" (39) zu lesen, ans
Herz. Jedem Nothleidenden theilte sie etwas mit. Sie selbst lebte
aufs Sparsamste und gönnte sich absolut nichts. Sie hatte die
Gewohnheit jede Steck-, Näh-, und Haarnadel aufzuheben, und wenn
ein Häuflein beisammen war, zu sortieren und zu polieren und wieder
zu verkaufen. Desgleichen machte sie es mit jedem Fadenstümpchen,
das anderen am Kleid hängen blieb, oder auf dem Boden lag. Damit
nähte sie ihren Bedarf. Wenn man sie so aufklauben sah, hätte man
sie für die geizigste Person halten können, und doch war sie das
Gegentheil. Lud man sie zu Gaste, so aß sie fast nichts und mußte
immer wieder etwas zur Seite zu legen, nahm nie Zucker und wählte
immer das Schlechteste und Kleinste von dem was ihr angeboten
wurde. Ihre sonderbarste Eigenschaft aber war, daß sie bei jeder
Beerdigung, bei ganz Unbekannten in tiefe Trauer gehüllt, hintendrein
ging und Blumen ins Grab warf. Auch die politischen Feinde
betrauerte sie so. Bei ihr hieß es: "Sei er heilig oder böse, bejammert
wird der Unglücksmann." Sie war nicht ganz ohne Mittel und
ihren Kramladen hielt sie nur, um eine Gelegenheit zu haben zu
"wühlen", als des Gaudiums halber. Hatte sie wichtige politische
Geschäfte in Stuttgart, so übergab sie ihn einer ihrer Nichten. War
in irgend einer befreundeten Familie eine Krankheit, so erschien sie
als Krankenwärterin, gabs einen Umzug, so mußte sie helfen, wie sie
denn auch mit uns nach Kirchheim zog und bei der Übersiedlung nach
Tübingen wieder erschien.
Dabei fand sie immer noch Zeit zum Lesen; sie beschäftigte sich
auch viel mit Geschichte. Einst traf ich sie die hellen Thränen
über ihren Strickstrumpf vergießend: "Was gibts denn, arme Tante
Bertha, was hast Du?" frug ich sie.- Nein, es ist zu scheußlich,
könnt ich doch diesem elenden Pack an den Kragen. - "Wem denn,
Tante Bertha?"- "Ach, diesem miserablen Nachbarn, der einen so edlen
Menschen wie Sokrates unschuldig zum Thode verurtheilte, ich
kanns nicht hinunter bringen."- Alle Trostgründe sollten nicht anschlagen,
bis ich ihr die Märthyrer unserer Revolution, die Gemordeten
von Rastatt durch preußische Soldaten vorhielt, dann warf
sie ihre Wuth auf diese, und da that ich mit. Ceterum censeo
brussiam esse delendam. (40) Ach, wenn dieses Pfauische Diktum wahr geworden
wäre. Es wurde das Gegentheil.
Sie wurde alt, sehr alt, die gute Bertha und ruht jetzt längst auf
dem kleinen Friedhof von Obereßlingen, der auch meines Vaters und
meiner Schwester Gebeine beherbergt."

Unsere Josephine
Marie_kurz02
[24] Sie war kein Original wie die Vorhergenden, aber ein Edelstein von
so warmem und reinem Feuer, von so edlem Schliff, daß er in seiner
unscheinbaren Fassung nur desto mehr hervorleuchtet. Eines Gärtners
Tochter von den Gütern des Grafen Fugger, war sie zwanzigjährig,
als bildschönes Mädchen in die Dienste meiner Eltern gekommen, als
ich eben geboren war. Sie wäre für ihr Leben gern aufs Theater (42)
gegangen. Die paar Stücke, die sie zu sehen Gelegenheit gehabt
hatte, waren ihr wie ein brausender Wein zu Kopf gestiegen, da aber
keine Möglichkeit, keine Mittel dazu vorhanden, mußte sie sich mit
der Lektüre einiger aufgefundener Dramen begnügen. Sie erfreute
sich in sehr kurzer Zeit der vollkommensten Zufriedenheit meiner
Eltern. Ihr taktvolles Benehmen, ihr reger aufgeweckter Geist und
ihre ungeheure Brauchbarkeit wandelte ihre Stellung bald in die
einer Vertrauten. Zu meiner Mutter fühlte sie sich am meisten
hingezogen. Sie sei eine regelmäßige Schönheit gewesen mit herrlich
leuchtenden Augen, die auch in ihrer letzten Krankheit ihren Glanz
nicht verloren. Sie war bald von Freiern umringt: Feldwebel, Unteroffiziere
und dergl., die ihr in unserem Hause nahe kommen konnten.
Sie schlug alle aus. "Die, die meines Standes sind," sagte sie zu
meiner Mutter, "fühle ich geistig unter mir, und jene Gebildeten,
die mir gefielen, nehmen mich doch nicht, wenn sie mir auch nachlaufen,
also will ich lieber nicht heirathen." Und so verging Jahr
um Jahr. - Sie liebte mich und ich sie, sie führte mich spatzieren,
und wenn sie kochte war ich nicht von ihrer Seite zu bringen. Wenn
sie mir etwas untersagte, so konnte ich im Ärger rufen: "Du Böse,
geh ins Bäbloch" (sollte Grabloch heißen), dann versteckte sie sich
und in Todesangst rief ach dann: "O liebe Fina, wo bist du, komm,
ich will lieb sein." Dann kam sie hervor und die Versöhnung erfolgte.
Als ich aber dann ein kleines Brüderchen bekam, ging sie ganz
auf in der Liebe zu diesem Kind. Der kleine Otto lebte nur zwei
Jahre. Ich kann mich seiner nur erinnern, wie er auf dem Boden
sitzend lachend ihr zurief: "Da guck". Das Kind starb am Scharlachfieber
und die arme Fina war ganz fassungslos. Dieser Schmerz
machte sie meiner armen Mutter noch theurer, so daß sie ihr wie
eine Schwester zugethan war. Nun war ich wieder der alleinige
Gegenstand der Liebe, leider, bis wieder ein Kleines kam, ein
reizendes Mädchen, dem man, um den todten Otto in ihr aufleben zu
lassen, den Namen Ottilie gab. Aber nachdem meine Mutter die Kleine
[25] ein Jahr gestillt, waren ihre Kräfte erschöpft, und sie fing zu
kränkeln an, sodaß mein Schwesterchen fast ganz der Pflege Josephines
anheimgegeben war. Da wuchs dann die Liebe und Sorgfalt von
Tag zu Tag und sie vergötterte beide Kinder in dem neuen, das todte
Büblein und das holdselige Mädchen. - Ich sehe sie in Neu-Ulm in
einem schönen Garten, das Kleine auf dem Arm, mich zu ihren Füßen
spielend, in Göppingen, wo meine Eltern wegen mir einmal ein paar
Wochen lebten, dann in Stuttgart, als treue Krankenwärterin bei
meiner leidenden Mutter, in Ludwigsburg, als Factotum des Hauses,
dann in Obereßlingen, wo sie außer meiner kranken Mutter, der
Küche, dem Garten, auch noch ein paar Geißen und den Hühnerstall
verwaltete, für alle sorgend, immer zufrieden, mit Freuden auch
noch für die Kranken des Dorfes kochend. Aber das alles fiel mir
nicht als etwas besonderes auf, ich meinte das müsse so sein.Sie
hatte dazumals eine riesige Gesundheit, denn trotz der vielen
Arbeit, deren sie nur einen kleinen Theil auf ein Stubenmädchen
übertragen konnte, kam sie manche Nacht gar nicht ins Bett, da sie
meine, nach Athem ringende Mutter frottierte. Mir verschwiegen sie
so viel wie möglich alles Traurige, und immmer gewohnt, meine
Mutter unwohl zu sehen, machte es auf mich auch keinen beängstigenden
Eindruck mehr.- Mein Hauslehrer und eine Gouvernante füllten
meine Tage ja auch sehr aus. Was Josephine für meine Mutter geworden
war, das läßt sich denken, sie war ihr Trost, ihre Stütze, ihr
Vertrauen für die Zukunft ihrer Kinder, wenn sie nicht mehr sein
würde, aber sie war auch von allen, die uns kannten, hoch geschätzt
und zur Familie gerechnet. Nun kam vollends das Herzzerbrechenste
für sie, die schreckliche Krankheit (Lungenbrand) und der Tod
meines geliebten Schwesterchens. Nun wich sie nicht von diesem
Lager und sah die todtkranke Mutter und das sterbende Kind vor
sich. Jetzt waren auch mir die Augen aufgegangen, und ich war im
Verzweiflungsschmerz fassungslos, und weil ich bis dahin keinen
Begriff von Kummer und Tod hatte, sie aber, die schmerzerfüllte
trug still und groß das Entsetzliche, immer auch noch die arme
Mutter tröstend. - Als mein Schwesterchen elfjährig gestorben war,
ließ sich es meine Mutter nicht nehmen, sie folgte dem Sarg und
während man ihn hinabsenkte, saß sie, zu schwach zum Stehen, auf
einem Stuhl an der offenen Grube. Als sie heimkam sagte sie zu
Josephine: "Binnen kurzem werde ich meinem Kinde nachfolgen." -
Um meine Mutter von dem Orte, wo sie so Schmerzliches erlebt,
wegzubringen und in der Hoffnung sie etwas aufzufrischen, brachte
[26] uns mein Vater nach Dätzingen, wo zwar meiner Mutter Onkel schon
gestorben war, aber die Tante und der Vetter, die ihr sehr wohl
wollten, lebten noch dort. Josephine blieb allein zu Haus, es zu
hüten. Sie brachte die meiste Zeit auf meiner Schwester Grab zu,
doch hochgeschätzt wie sie war, suchten alle uns befreundeten
Familien ihr Freundliches zu erweisen. Sie sollte meine Mutter
nicht mehr sehen, sie hatte wahr prophezeit. Ein Nervenschlag
machte ihrem schweren Leiden (Zuckerharnruhr) ein schnelles Ende.
Das war ein trübes Wiedersehen, als mein Vater und ich, einsam
zurückkehrten. So tief betrübt mein Vater war, so half ihm doch
seine thätige Natur. Er suchte in ruheloser Beschäftigung Trost,
und meine gute Fina darin, daß sie in verdoppelter Liebe nun ganz
und gar für mich lebte, nicht körperlich nur für mich sorgte,
sondern sich in mein ganzes Wesen hineinlebte. Sie las mit mir,
oder las sie es nach, und als ich anfing lateinisch und italienisch
zu lernen, da lernte sie alle Vokabeln und Deklinationen und ...
mit. Sie war für mich wie eine liebende und eine anbetende Mutter.
So ging Jahr um Jahr herum; es war ein Trost für sie, daß die
intimen Freundinnen meiner Mutter, Frau von Rieger und Frau von
Rantzau sehr häufig zu uns kamen und sie mit großer Liebe und Anerkennung
behandelten. Als das Jahr 1848 kam, lebte sie sich in meine
Ideen hinein,- jubelte mit mir, jammerte mit mir, je nachdem der
Wind wehte. Im Reichthum meines Vaters war sie seine treue Pflegerin
und abends, wenn ich ihm zu seiner Auffrischung den Don Quichotte
vorlas, so hörte sie mit zu. Mein Vater war nicht der letzte
der Meinigen, den sie sterben sehen mußte. Noch zwei schwere Fälle
wurden ihr aufbewahrt. (43) - Aus Pietät für meinen Vater nahm sie
sich mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt seines Kindes an, das ich
gleich nach seinem Tod zu mir genommen hatte, und obgleich ich die
Mutter bei mir behielt, überliess diese stupide und herzlose Person
Josephine die ganze Pflege, die ihr in der Zeit meiner Reisen ganz
allein oblag. Daß der Knabe wieder Otto hieß, trug viel zu dem bald
so herzlich gewordenen Verhältniß bei. Es war für sie kein Leichtes
das Haus in Obereßlingen zu verlassen, in dem sie nun so viele
Jahre ganz mit meiner Familie und den dortigen Freunden verwachsen
war. Einen Antrag von Dätzingen (13) zur Verwalterin des dortigen
Schlosses mit großem Gehalt zu werden, hatte sie gleich nach meines
Vaters Tod abgelehnt, sie zog es vor in Armuth mit mir zu leben. Für
jedes Kind das kam hatte sie wieder einen ganz besonderen Platz
in ihrem Herzen, da sie aber am meisten mit dem kranken Edgar zu
[27] thun hatte, so blieb dieser ihr Liebling. Welche Last der Arbeit
lag nun wieder auf ihr. Aber dieses Herz war so überreich an Liebe
und Ausdauer, daß sie immer wieder mit erneuten Kräften, mit
heiterer Ruhe, die immer größer werdenden Anforderungen übernahm.
Jeden neuen Ankömmling schloß sie in ihr Herz. Sie opferte ihre
Nachtruhe, sang sich heißer um die kleinen Schreier einzuschläfern
und am Tag war sie wieder frisch an der Arbeit.- Mit großer
Verehrung, ja Schwärmerei hing sie an meinem Mann und er war
freilich auch danach.
Die Rückkehr nach Obereßlingen begrüßte sie mit Freuden, da es für
sie eine Heimath war, und sie auch die treuen Freunde wieder dort
fand, das Rommelsche und Millersche Haus, Fräulein von Bär und Frau
von Rieger, auch bei Hopfs galt sie viel. Die Übersiedlung nach
Kirchheim nochte ihr nicht so angenehm gewesen sein, doch dauerte
der dortige Aufenthalt ja nicht lang, und in Tübingen fühlte sie
sich bald sehr heimisch, besonders als wir zu Genschowskys (er Pole
sie Schwäbin) zogen, an denen sie gleich so herzlich gesinnte
Freunde bekam.- Sie sprach ein schwäbisch, doch immer in gewählten
Ausdrücken, die ihr von ihrem vielen Lesen geblieben waren. Eine
Wäscherin, die sie wegen dem Aufhängen der Wäsche frug, ob wohl das
Wetter sich günstig gestalten werde, gab sie zur Antwort: "Das
wissen die Götter."
Ich gab ihr immer das Haushaltsgeld auf eine Woche, sparsam genug,
und doch wußte sie es einzutheilen, daß ihr immer noch übrig blieb,
um die abgängigen Leintücher zu ersetzen. Oft klagte sie: "Wenn ich
nicht mehr bin, wer wird dann für die Wäsche sorgen?"Nie
kann ich ihrer gedenken, ohne den Stachel der Reue zu empfinden.
Ich nahm das alles so hin, alle ihre Opfer, ihre schlaflosen
Nächte, ihr unausgesetztes Arbeiten, ihr Sparen, alles so selbstverständlich,
da ich es eben nie anders gekannt und groß im Verlust,
die Größe des Besitzes nicht zu schätzen wußte. So ist eben
der Mensch! - Nach einem Tag der strengen Arbeit, trank sie abends
ihren Zichorienkaffee, es versteht sich, daß ich nicht besser lebte
und deßhalb nichts weiter dabei fand, aber ich hatte keine groben
Arbeiten zu thun, es waren meine Kinder für die ich sparte. Was
eine Mutter thut ist forza maggiore, verdient keinen Dank. Aber
sie, die nichts dafür ihr Eigenthum nannte, die nichts hatte, als
das Bewußtsein ihres noblen Herzens und das vielleicht nicht einmal,
weil sie in ihrer Liebesfülle gar nicht daran dachte und bei
ihr war es erhabener Martyrierismus. Oft brachte ihr Alfred die
[28] Hälfte seiner Wurst und zwang sie diesselbe zu essen, das rührte
sie tief und sie schloß deßhalb auch ihr "Alfle", wie sie ihn
nannte, so tief in ihr Herz. Hätte er sie doch auch geschont in der
Kindheit, wenn sie ihn ganze Nächte lang umhertrug bis sie nicht
mehr weiterkonnte. - Wie mein Mann in ihren Armen starb, wie sie
mit uns gelitten, das übergehe ich, weil ich mir das Traurige
fernhalten will. Wie liebend und hingebend sie nun am Krankenbett
Baldes war! In meiner Trauer um den Verlorenen, ich war nur in
Sorge um das schwerkranke Kind, stand sie mir zur Seite wie eine
liebende mittrauernde Mutter. Nun kam ihr letztes Opfer, das sie
uns bringen sollte. Das Losreißen aus dem Heimathboden, das für
immer Abschiednehmen von ihrer Schwester und ihrer Familie, und die
Auswanderung in ein fernes fremdes Land, dessen Sprache sie nicht
verstand. Mit heiterem Antlitz, um mir Muth zu machen und den
Abschied von den beiden zurückgebliebenen Söhnen nicht noch
schwerer zu machen, bestieg sie mit uns den Zug, der uns nach
Italien brachte. Sie zählte damals schon 7O oder 71 Jahre. Noch war
sie ganz rüstig, machte mit Balde lange Spaziergänge nach Settigiore
(?) und auf die Anhöhen von Florenz. Mit offenem Sinn erfreute
sie sich an der südlichen Schönheit. Die schöne sonnige
Küche, die wir in der Viale Margherita hatten, erleichterte ihr die
Angewöhnung. Mit dem Spazza - camino versuchte sie immer französich
zu reden, um ihre paar Brocken, die ihr noch geblieben waren, in
Anwendung zu bringen, auch war sie überzeugt, daß er sie verstanden
habe. Alfreds Besuche waren immer ein großes Fest für sie und als
Erwin zu uns gezogen war und viel in der Küche malte, fing es an
ihr behaglich zu werden. Wohlthuend ist mir, daß ihr noch vor ihrem
Lebensende der Anblick des Meeres wurde. Als sie mit Isolde nach
Andezza kam, Balde und mich zu besuchen, da konnte sie den gewaltigen
Anblick des Meeres zuerst nicht ertragen. Sie setzte sich mit
dem Rücken gegen das Meer und blickte nur hin und da über die
Schulter, bis sich ihre Augen daran gewöhnten. Das war noch ein
heiteres Beisammensein, da sich Balde so ordentlich befand. Sie
half ihm Meertierchen suchen. Noch einmal sollte sie, ein Jahr
später, das Meer sehen, in San Firenze, wohin sie diesmal Helene
Wilkinson (44) führte. Schwerkrank brachten wir sie zurück. Sie
erholte sich wieder einigermaßen. Da ihr völlige Erblindung drohte,
mußte Vanzetti (45) die Nerven des kranken Auges durchschneiden.
Bald wurde sie schwächer und schwächer und mußte das Bett hüthen.
Hie und da stand sie noch auf, um sich an Baldes Krankenlager zu
[29] setzen. So ging der Winter herum und der 7.Februar kam heran. Man
verschwieg ihr den Tod, aber sie ahnte ihn. Als sie sich unbeobachtet
glaubte, schlich sie sich aus dem Bett und warf sich über
unseres Kindes Leiche. So traf ich sie.- Als sie mir den geliebten
Sohn fortgetragen, hieß mich eine heilige Pflicht mich aufzuraffen,
um die letzten Zeiten dieser Märtyrerin zu erheitern und sie zu
pflegen. In Baldes Sterbezimmer hatten wir uns einquartiert, ich in
seinem Bett, Fina in meinem.- Wieder vergingen Monate; sie hoffte
sich noch einmal so gut zu erholen, um wenigstens noch einmal
Baldes Ruhestätte sehen zu können. Plötzlich traf sie der Schlag,
die Sprache war gewichen, das Bewußtsein aber nur geschwächt, nicht
gänzlich umnebelt. Nach und nach konnte sie wieder einige Worte
sagen und sich verständlich machen. Sie verlangte eines Tages den
"Sonnenwirth", setzte sich die Brille auf, küßte das Buch mit
Inbrunst, hielt es aber verkehrt in der Hand und bildete sich ein
zu lesen. Mit dem kleinen Gugliemo (?) spielte sie öfters Karten,
und nannte ihn aber immer Balde. Einmal noch saß Erwins kleiner
Knabe (Otto Orlando) auf ihrem Bett. Sie betrachtete ihn aber sehr
und wußte nicht wer er war und begriff die Erklärung nicht. Die
Gehirnerweichung war eingetreten. Sie vegetierte noch so dahin mit
lichten Augenblicken. Daß das früher Gelesene noch in ihr thätig
war, wenigstens im Traum, merkte ich eines Morgens als sie aufwachte
und mir mittheilte, Ibikas sei versteckt unter ihrem Bett, denn
die Mörder hätten ihn gesucht: "Wie sehen sie denn aus diese
Mörder," frug ich sie. Wie die Nachtwächter mit Hellebarden und
Laternen.- Sie lallte die Worte, aber sie waren mir verständlich,
weil ich immer um sie war. Als wir in die neue Villa in die Porte
Nuove einzogen, ging es rasch abwärts. Nach zwanzig Tagen verblich
sie und löschte am 20. November 1882 vollends ganz aus, ohne
Kampf, bewußtlos. In mir aber ist sie nicht ausgelöscht, möge sie
in meinen Kindern noch lange weiterleben, sie hats verdient.-
(auch Kopie,Ende von Heft I)
Anmerkungen zu Heft I

  (1)August, Anton von Brunnow, ist nach seiner Akte im Militärarchiv,
        HSA Stgt. geboren in Königsberg in Franken (damals ev.
        Enklave von Sachsen-Meiningen im Bistum Mainz. (liegt am Fuß
        der Hassberge)
 (2) König Friedrich von Württemberg, 1754 - 1816, ab 1805 König.
        (siehe Buch Paul Sauer: "Der schwäbische Zar" Friedrich Württembergs
        1. König. (Stgt.1984) In diesem Buch wird
        auch (3) erwähnt.
 (3) Graf Dillen: Karl, Ludwig, Immanuel Dillenius, 1777 - 1841
        verh. mit Luise Freiin Schott von Schottenstein
        Bei König Friedrich Staatsmin. als Nachfolger von Graf Zeppelin.
 (4) Storchschnabel = Zeichengerät zum Verändern des Maßstabs einer
        mit einem Fahrstift nachgefahrenen Figur. (Brockhaus)
 (5) Pelladium: vielleicht hängt hängt der Ausdruck damit zusammen, dass frühe
        Römische Christen nach Pella flohen
 (6) Unschlitt = Rinder- oder Hammeltalg
 (7) König Wilhelm I vom Württemberg, 1781 - 1864.
        Nach seiner Thronbesteigung 1816 änderte er die Regimenter,
        schaffte um Geld zu sparen das Reitercorps ab;
        aus dem 7. Regiment wurde das Inf.Regiment Nr. 125,
        das 1833 in die Neue Kaserne nach Stuttgart verlegt wurde.
        Im gleichen Regiment war Oberstleutn. Johann von Rantzau,
        und zwei Herren von Rieger, dazu Generalleutnant
        Moriz von Miller.(HSA Stgt.,Personal-Unterlagen Band 6 E 297)
 (8) Nach dem Ulmer Adressbuch von 1830 (Seite 152) war
        Oberstleutnant August von Brunnow, Bataillons - Commandant
        beim 7. Infanterie Regiment in der Wengenkaserne, (ehemaliges
        Wengenkloster) unterhalb des Münsters, wo Marie 1826 geboren
        sein dürfte. (Ulmer Stadtarchiv)
 (9) Graf Alexander von Württemberg, 1801 - 1844. Er hieß:
        "Der ritterliche Graf Alexander" oder "Der ritterliche Sänger"
        Sohn des Herzogs Wilhelm (Bruder von König Friedrich) und
        der Burggräfin Fried. Wilhelmine von Tunderfeld-Rhodis, der
        älteste von 6 Kindern. Das Garnisonleben widerte ihn
        an, so daß er seinen Abschied nahm. Er wohnte in Schloß
        Serach bei Eßlingen und Stuttgart und scharte um sich die
        bedeutensten Dichter seiner Zeit. (Lenau, Kerner, u.a.)
        Er gab mehrere Gedichtbände heraus. Sein bekanntestes:
        "Gegen den Strom" (1843) ersch. bei Cotta. (s.auch DLA:
        Nodnagel, Dissertation 1925: "Alex.v.Wü.,sein Leben u.s.Werk")
(10) Oetinger, Friedrich, Heinrich, Erdmann, Alexander aus
        Archshofen in Franken, geb. 21.9. 1768, Major mit Ritterorden,
        1811 zum Obristleutnant, gest. 10. Febr. 1810 in
        Ellwangen. (Auszug aus der Militärakte STA Stgt.
        verheir. mit Christiane Henriette Dillenius geb. 16.10. 1733
        Schwester des Grafen Dillen in Dätzingen.
(11) Die Univ.Bibliothek war damals im
        Rittersaal d. Schlosses. Mitarbeiter waren 1870:
        Prof. Dr. Rudolf Roth Oberbibliothekar,
        Dr. Karl Klüpfel, Dr. Hermann Kurz, und
        Dr.Euting Bibliothekare, Öffng.tgl.13-16 Uhr
        Jäger und Weiß Assistenten, Aufwärter Raiser
(12) lat. dt.= von Toten (soll man) nur auf gute Weise (reden)
(13) Im Malteserschloß in Dätzingen bei Weil der Stadt
(14) Rübgarten, Hofgut bei Tübingen
(15) Ihre erste Begegnung mit Hermann Kurz (s.a. Buch: "Meine Mutter")
(16) Hermann Kurz hat in seinem Roman: "Schillers Heimatjahre"
        seiner Heldin den Namen Laura gegeben.
(17) Siehe beigelegte Akte vom Militärarchiv (STA Stgt.)
(18) Welcher Baron Moltke es war geht nirgens hervor. Das Stammschloß
        der von Moltkes ist in Kreisau in Niederschlesien.
(19) Auf dem Ludwigsburger alten Friedhof ist das Grab nicht mehr
        auffindbar, da viele alte Grabsteine nicht mehr lesbar.
(20 George Sand, Deckname der franz. Schriftstellerin Baronne de
        Dudevant 1804-1876.
(21) Marie war beim Tod der Mutter 16 Jahre alt.
(22) Die Familie Carl und Marie Rommel aus Obereßlingen. Auf dem
        Friedhof dort ist noch das Grab zu sehen. (Foto)
(23) Unterboihingen das heutige Wendlingen, das Schloß der Familie
        Thum(b) von Neuburg. (M.K. schreibt Neuburg statt Neubronn.)
(24) Friedrich Hecker, 1811 - 1881, Anführer der bad. Revolutionäre.
(25) Adolf Bacmeister, 1827 -1873, Journalist, als Freischärler
        mit Georg Herwegh aktiv, Haft auf dem Asperg, Verfasser des
        "Roten Albums" im Stadtmuseum Reutlingen.
(26) Ernst Kurz, Bruder von Hermann Kurz.
(27) Rektor Pfaff aus Eßlingen,
(28) den Hafis: Hafis, persischer Dichter und Koranrezitator um
        1327-1390, regte Goethe zur Dichtung des "Westöstlichen Diwan" an.
(29) ars amandi: "Die Kunst zu lieben" von Ovid.
(30) Asla war mit Ernst Kurz befreundet, ging bald wieder auseinander.
(31) Bopserbrünnele. Im Jahr 1822 wurde als erste städt. Anlage
        der Brunnen zum Trinken neu gefaßt. Die Trinkhalle erbaute
        1840 von Schnorr. Er war auch eine beliebte Stgt.Flaniermeile.
        Bekannt ist das Gemälde der Kinder Feuerbachs von 1816 dort.
(32) "Zeller Brünnele". Auch in Zell gabs viele Brunnen. Ihre Heilkraft
        wird heute noch von den Alten gerühmt. Eine alte Frau
        sagte mir, der Arzt habe ihrem Vater empfohlen für seinen
        kranken Magen jeden Morgen ein Glas Wasser vom Holbrunnen
        (am Dorfausgang Ri. Oberesslingen) zu trinken. An einem noch
        vorhandenen Brunnen in der Bachgasse holen viele Leute heute
        noch ihr Wasser, obgleich dieser Brunnen ein Hinweisschild hat:
        "Kein Trinkwasser". Frau von Rieger hat vermutlich damals
        von dem gen."Holbrunnen", der heute nicht mehr existiert, ihr
        Wasser getrunken. - Das heute sog. "Zeller Brünnele" liegt
        weit oberhalb des Dorfes.
(33) Franz Hopf, 1807 - 1887, soz. freisinniger Pfarrer u. Politiker,
        gründet das Wochenblatt "Gradaus" 1862 - 1867. Preußenhasser
        wie Marie und ihr ständiger väterlicher Ratgeber und Helfer
        nach dem Tode des Mannes.
(34) Hermann Kurz starb 1873
(35) Ernst Kurz starb (lt.Stammbaum) am 30.12.1879 in Untertürkheim
(36) Guiseppe Garibaldi, 1807 - 1882, der bekannteste ital. Freiheitskämpfer
        und Volksfreund. Aus Bewunderung für ihn nannte M.K.
        ihren Jüngsten gen. Balde nach ihm.
(37) Emanuel von Swedenborg, 1688 - 1772 Naturforscher und Theosoph.
        bildete eine Sekte, die Swedenborgianer.
(38) nach dem Tod des Vaters 1850 reiste M.K. nach Colmar zu Fam. Deubel
        (siehe auch Briefe an Jungfer Josephine im DLA von dort.) Anschl.
        fuhr M. K. weiter nach Zürich zu den entflohenen Revolutionären.
(39) "Der Beobachter," die bedeut. opp. Zeitschrift Württ. Red. waren
        auch Adolph Weisser und Hermann Kurz, der seine Beiträge sogar
        noch von der Haft auf dem Asperg bringen konnte.
(40) latein dt.=Übrigens bin ich der Meinung, daß Preussen vernichtet werden muß.
(41) Josephine Peterler 1805 bis 1883, war die Tochter des
        Laurentius und der Maria Anna geb. Zopin aus Oberkirchberg bei
        Ulm, wo der Vater Bothe und Gärtner beim Grafen Fugger war.
        Von ihrer einzigen Schwester Franziska, geb. 1808, schreibt
        Marie Kurz in einem Brief 1852 an Jungfer Josephine, daß
        Franziska sehr stark geworden ist und zum zweiten mal Mutter
        wurde. Wie arm und bescheiden diese lebte, zeigt ein Brief von
        1877 von Marie Kurz, daß Fina vor der Abreise nach Florenz
        alle übrigen alten Kleidungsstücke der Familie auf den
        Kirchberg brachte. Begraben ist Josephine, obgleich von Geburt
        Katholikin, auf dem prot. Friedhof in Florenz. Isolde Kurz
        ließ ihr später einen marmornen Grabstein machen darauf steht:
        "Unsere Josephine." (s.a. 2 Gedichte in Heft VII)
(42) Das Theater in Ulm hat eine alte Tradition. Man spielte im
        Wengenkloster, in der Meistersingerzunft, im Waisenhaus,
        v.a. aber in der Lateinschule schon 1528 in griech., lat.,
        hebr. und dt.Sprache. Im 19. Jh. waren u.a. bedeut. Auff.
        von Mozart-Opern, Tell, Wallenstein und Kleists: Prinz von
        Homburg. (Theaterchronik Ulm, Stadtarchiv)
(43) gemeint sind die Söhne von M. K.: Dr. Edgar Kurz starb 1904
        Dr. Alfred Kurz starb 1905
(44) Helene Wilkontie
(45) Dr. Vanzetti, ital. Chirurg. Hatte mit Edgar Kurz in Florenz
        zusammen die Praxis und wurde so zum Freund der Familie, der
        auch das Haus in Forte während dem ersten Weltkrieg bewachte.
        (siehe Briefe: Kurz, Isolde an Caspart, Marie) Er starb.....
        auch Foto
Heft II
Anmerkungen zu Heft II
Kirchheimer Zeit bei Mama

[1] Dieses Dätzingen war immer das El Dorado meiner Kindheit gewesen,
das Schloß im Versaillestil erbaut und eingerichtet, mit Gold
verziert, die vielen, vielen Zimmer, die großen Stallungen mit
einer Masse Pferde, auf denen ich reiten durfte. Dann der schöne
Schloßgarten mit dem großen Springbrunnen, und vor allem der Park,
in dem ein See mit Nachen und vielen Schwänen war. Das alles kam
mir gar herrlich vor. Auch mit meinem Vetter stand ich gut. Er
hatte mich einmal gemalt. Er spielte sehr schön Violine und war
galant und liebenswürdig im Wesen, sein Inneres, das nichts wenniger
als groß und edel war, erkannte ich dazumals nicht. Seine
Kinder waren mehrere Jahre jünger als ich, seine Frau war eine
gute, dicke Bayerin. -
Der Aufenthalt bei ihren Verwandten schien meiner Mutter gut zu
bekommen, sie aß wieder mit Apetitt, ich ruderte sie fast täglich
auf dem See herum; besonders eines Tages fühlte sie sich recht
wohl und äußerte sich auch sehr zufrieden darüber. Sie ging aber
immer bald ins Bett. Ich schlief mit ihr im selben Zimmer, erwachte
etwa um Mitternacht an einen durchdringenden Schrei und sprang zum
Bett heraus. Mein Vater sprang herzu, und wir brachten sie wieder
zu Bett. Sie konnte nur noch sagen: "Das ist mein Tod", dann verließ
sie das Bewußtsein. Es wurde noch in der Nacht ein weiterer
Bote nach Calw geschickt. Der bald herbeicitierte Arzt, ein Doktor
Läpple, erklärte es für einen Nervenschlag. Der Athem, der erst sehr
röchelnd und beschwerlich gewesen, wurde ruhig, die Wangen färbten
sich schön rosa. Die Sterbende sah zwanzig Jahre verjüngt aus. So
ging es fort bis zum Mittag, wo sie ruhig entschlief. Ich hatte
früher eine unüberwindliche Scheu vor den Todten gehabt, und oft
sagte mir meine Mutter, wie sehr es sie schmerze, daß es mir so vor
den Todten graue, weil sie sich denken müsse, daß auch sie mir bald
diesen Eindruck machen werde. Diese Worte kamen mir gleich wieder
ins Gedächtniß. Ich versuchte den entsetzlichen Schmerz dadurch zu
bethören, daß ich nun nicht mehr von ihr ging. Ich wusch sie, zog
sie an und hielt beständig ihre Hand. Kaum konnte ich auf kurze
Zeit entfernt werden, damit man die Leiche in die Orangerie bringen
konnte, wo sie aufgebahrt wurde. Meine Natur, aus Liebe zu der
todten Mutter überwunden zu haben, gewährte mir einigen Trost und
Frieden. Ich glaubte nämlich dazumals noch an ein Fortleben nach
[2] dem Tode, an ein unsichtbares Vereintbleiben mit seinen geliebten
Todten, und da mir die Mutter zu öfteren Malen gesagt, daß man
wirklich nach dem Tode noch etwas wäre, noch ein Erinnern in dem
unzerstörbaren Weltf... zurück bleibe, so werde sie mir ein Zeichen
geben. Dieses Zeichen erhoffend, sah ich nun als die Aufgabe meines
Lebens an. Meine Mutter wurde neben ihrem Onkel auf dem dörflichen
Kirchhof begraben. Friederike war aus Ludwigsburg zum Begräbniß
herbeigeeilt. Sie stand mir mich tröstend liebevoll zur Seite.
Meine arme Josephine hatte in Obereßlingen das Haus hüten müssen,
und der Schlag traf sie ganz betäubend, denn sie hing mit hingebender
Liebe und Treue an ihr. Die Rommelsche Familie (1) stand ihr
in diesen Schmerzenstagen treu bei und ließ sie nie allein. Auch
meinen Vater hat der Tod meiner Mutter sehr erschüttert. Er reiste
gleich in den nächsten Tagen mit mir und Friederike ab. Da es noch
keine Eisenbahn gab, so mußte der lange Weg in einer Mietkutsche
zurückgelegt werden. Nie vergesse ich den schmerzlichen Eindruck,
den mir der Hut meiner Mutter machte, den sie oben am Dach der
Kutsche angebunden hatten, und der mir immer wie eine Totenfahne
vor dem Gesicht hin- und herflatterte.
Das Ankommen in dem mir so verwaisten Hause, war herzzerreißend.
Aber der Mensch gewöhnt sich an alles, auch an seinen Schmerz
und an seinen Verlust und überwindet. Ich mußte mich nun auch von
meiner Friederike trennen, die sich andere Lebenspläne inzwischen
geformt hatte. Sie besuchte mich noch öfters mit ihrer verheiratheten
Schwester, mit der ich später, als ich selbst verheirathet war,
in Stuttgart in demselben Hause zusammen wohnte. Mein Leben war
nun ziemlich einsam, doch hatte ich ja meine treue Josephine, die
nun alle ihre Liebe, die früher zwischen meiner Schwester und Mutter
vertheilt war, allein auf mich übertrug. Sie nahm Theil an allem
was ich that, entweder las ich ihr vor oder las sie hintennach was
ich gelesen hatte. Mir gingen viel aufs Grab meiner Schwester.
(Ottilie war kurz vorher 12jährig gestorben) Auf meinen einsamen
Morgengängen am Neckar machte ich Verse an meine Mutter mit
den süßen Worten die sie gesprochen, wo sie auch sein möge und was
aus ihr geworden sei. An Enttäuschungen fehlte es natürlich nicht.
Erstmals sah ich in meiner langen Herbstnacht im Zimmer einen
feurigen Funken einherschweben. Natürlich hielt ich es für ein
Zeichen aus dem unbekannten Lande. Und auch, nachdem die niemals
ganz gebannte Skepsis wieder ihre Stimme laut werden ließ, wurde
ich gewahr, daß es eines in Deutschland selten vorkommendes
[3] Leuchtkäferchen war. (In Italien hatten wir ja viele.)
Besuche aller Art kamen bald wieder ins Haus: Frau von Rieger,
die Familie Rantzau, die Fürstin Hohenlohe, eine Tochter des
Herzogs Heinrich von Württemberg, mit dem mein Vater auf sehr
befreundetem Fuße gestanden, sah ich oft bei uns verweilen. In
Eßlingen hatte ich damals noch keine Bekannten. Von dem nahegelegenen
Serach aber kam Graf Alexander zu Württemberg (1) öfters zu
meinem Vater und lud ihn auch zu sich ein. Er nahm mich mit sich,
nun erschienen in meinen Kindheitsträumereien erstmals Prinzen und
Dichter, die ich liebte und die harmonisch ineinander verschmolzen.
Graf Alex war aber nicht bloß Fürst und Dichter, er war auch einer
der schönsten Männer seiner Zeit, dabei Ritter vom Wirbel bis zur
Zeh. Wenn er mich nun in seinem zauberhaften Serach, (ein wahrer
Musensitz) umherführte, so war ich wohl ganz aufgelöst in Wonne,
und es waren doch nur Spiele des Faulefix und war ein kindisches
Träumen und sich versenken in alle möglichen Situationen, wobei
aber niemals die einer Vereinigung, eine Rolle spielte. Erst als
mein schöner Traum mit der leiblichen Wirklichkeit, den Besuchen
am Gartenthor auf seinem stolzen Pferd ein Ende nahmen, als im
schwarzausgeschlagenen Eßlinger Kirchlein die Todtenfeier gehalten
wurde, und der fürstliche Sänger in seiner Ahnen Gruft in Stuttgart
beigesetzt war, wohin er von Wildbad aus, wo er gestorben war,
überführt wurde, erst da brach im Schmerz die Blume der Liebe
in meinem Herzen auf. Wenigstens bildete ich mir ein, daß nun die
Todtenfeier, die ich in meinem stillen einsamen nächtlichen Garten
hielt, drei Personen umfaßte. Mein Vater hatte mir seine Gedichte
und sein Bild gekauft und noch lange hing ich dem Schmerze nach.
Aber die Jugend überwindet schneller, das Leben ist noch so unbekannt
und so lockend: "Da wo du´s packst, da ist es interessant."(2)
(Zitat aus Faust) Auch gab ich ja nie meine Todten auf, sie lebten
in mir fort und machten einen Theil meines Ichs aus. - Meine
Freundschaft für Marie Rommel,(3) die früher auch öfters zu Graf
Alex gekommen war und auch für ihn schwärmte, wurde inniger. Wir
verkehrten sehr viel zusammen, zogen miteinander in Wälder und
Bergen umher, ihr Bruder Carl begleitete uns. Er hatte dazumals,
schon, ohne daß ich es wußte, eine tiefe Leidenschaft für mich
gefaßt! Wir machten verschiedenene Reitpartien. Mein Vater hatte
ein Pferd zugeritten und die beiden andern verkauft. Es war ein
kleiner Kosake, der mich oft abwarf. -
Da ich immer das Bedürfniß in mir gespürt, andern Menschen förderlic
[4] zu sein, da ich es als eine Pflicht ansah nicht nur leibliche
Speise den Hungrigen zu reichen, sondern auch von meinen Gedanken
etwas hinüberzubringen, so machte ich mich daran kleine Mädchen,
die Tochter der Frau Miller und die Nichte unserer alten vortrefflichen
sog. Tante Bertha (Bertha Pfäfflin) zu unterrrichten: Geschichte,
Geographie, Mythologie und auch ein wenig Französich,
waren die Fächer die ich ihnen beibrachte. Ich habe es fortgetrieben
bis zu meiner Verheirathung, und hatte die Befriedigung, daß
die vielen Mädchen, deren Herzeleid nur das war, daß sie hierzulande
viele Jungenfreuden meiden mußten, nun einen Ersatz in dem
bei mir Gelernten hatten und so angeregt waren, daß sie ihre kurze
Lebenszeit heiterer verbrachten, viel lasen, Verse und Commödien
schrieben, die ihnen in ihren engen Kreisen Bewunderung und Hochschätzung
eintrugen. Mich aber beschenkten sie mit rührender Liebe
und Dankbarkeit. - In mir selbst war aber der Wunsch weiter zu
lernen mit jedem Tag lebhafter geworden. Bei meinem vielen Lesen
stieß ich immer auf entsetzliche Lücken in meiner Bildung, die ich
durch Nachschlagen in Conversationslexikas auszufüllen strebte. Am
meisten fehlte mir, daß ich die lateinische Literatur nicht verstehen
konnte. Da hörte ich von einem alten italienischen Professor in
Eßlingen, der aus Liebhaberei jungen Damen Unterricht erteilte. Ich
ging zu ihm und sagte ihm, ich möchte lateinisch lernen. Er ging
mit Freuden darauf ein und bot mir gleich auch italienischen Unterricht
an. Ich sei, sagte er mir, in meinem Wesen, so gar nicht
deutsch, er hätte mich für eine feurige Südländerin gehalten, ich
müsse deßhalb wenigstens seine "dolice forella" kennen lernen. Nun
ging ein tüchtiges Lernen an, an einem Tag zwei lateinische Stunden,
am andern italienisch. Kein Wetter war mir zu schlecht, die
Kleider im Koth nachziehend, watschelte ich in die Stadt, den
Regenschirm über die Bücher haltend. Bis tief in die Nacht mußte
die gute Josephine mit mir lateinisch deklinieren, auswendig lernen
und morgens um 4 Uhr mir schon wieder meine Wörter abhören. Mein
gutes Professorchen, das sehr zärtlich in seinen Stunden wurde,
(sein altes Weibchen saß übrigens auch im Salon,) streichelte mich
auf der andern Seite, nahm seinen Unterricht leider nicht übermäßig
gründlich: Nach wenigen Wochen mußte ich i proniessi spossi in
der Stunde lesen und im Lateinischen noch kaum geübt im Conjugieren,
Lebensbeschreibungen von Cornelius Nepos.(4) Er ließ mich
nie eine lateinische Übersetzung machen.
Auch das Zeichnen hatte ich zu dieser Zeit angefangen. Ich nahm
[5] die Zeichenstunde gemeinschaftlich mit einigen jungen Mädchen in
Eßlingen. Mein Zeichenlehrer, ein Herr Hofmeister, der bei mir ein
Talent zu entdecken meinte, sagte, ich müsse später nach München um
es ausbilden zu lassen. Die Wahrheit aber ist, daß ich leicht die
Ähnlichkeit traf, im übrigen aber durchaus nicht besonders talentvoll
in dieser Kunst war. - Der gute Hofmeister sah mich durch eine
nichts weniger als rosa Brille in seiner Leidenschaft. Ich hatte
immer dasselbe Schicksal mit all meinen Lehrern, sie mochten alt
oder jung sein, daß sie sich in mich verliebten. Doch verdanke ich
dieser Liebe manche Anregung im Laufe der Jahre. Um mich ungestört
besuchen zu können, nahm Hofmeister zum Vorwand die Philosophie, die
er mir zugänglich machen wollte. Er las mir Hegel (5) vor.
Der Kreis meiner Bekannten in Eßlingen vergrößerte sich nun von Tag
zu Tag. Mit Charlotte Pfaff, der Tochter des Geschichtschreibers
(6) und Conrektors Pfaff, der mit Graf Alexander innigst befreundet
gewesen war, und auch zu seiner Leserunde gehört hatte, schloß ich
einen begeisterten Freundschaftsbund. Die Tochter und auch der Vater
waren mir sehr warm zugethan. Ich habe in diesem Hause manche
schöne Stunde erlebt.
Die glühenden Freiheitsideen zündeten auch in meinem Herzen. Meine
Begeisterung glich einem krankhaften Ideal und bekam durch das
Bekanntwerden mit den geliebten Dichtern wie Herwegh,(7) Lenau,
(8)Freiligrath(9) eine Nahrung. Gehörte doch auch Alex von Württemberg,
der ritterliche Fürst, jener Richtung an. Der Tag war mir
immer zu kurz für all meine empfangenen Studien und die persönlichen
Beziehungen, so mußte eben auch die Nacht herhalten. Was sonst
das Leben eines Mädchens ausfüllt wie seine Toilette, der Sinn für
Putz und Vergnügen, das fiel ganz weg bei mir. Solang meine Mutter
lebte, war ich sehr elegant, oft kostbar gekleidet. Man legte mir
immer die Kleider hin, und ich zog sie an, ohne sie zu sehen. Was
ich anhatte war mir gleichgültig. Ebenso war es beim Essen. Ich
aß, was man mir vorlegte, ohne acht darauf zu haben, ob es den
Anforderungen einer verfeinerten Gastronomie entsprach. Als meine
Mutter todt war, sorgte niemand mehr für solchen Luxus, am wenigsten
ich selbst. Mein Vater legte gar keinen Wert auf Kleider,
ebensowenig bei sich, daß er sich gar nicht darum kümmerte und in
Lumpen gegangen wäre. Er kaufte mir nun einfache Zeugkleider und
erst, nachdem meine neue Freundin, die junge Frau von Neubronn
sich meiner Toilette etwas angenommen hatte, ging ich wie ein
anderer Mensch gekleidet, wenigstens eine Zeit lang. Dieses neue
[6] Freundschaftsverhältniß erfüllte mein ganzes Herz. Sie wohnte in
Eßlingen, wo ihr Mann, mit dem sie nicht glücklich lebte, in Garnison
lag, und obleich wir uns täglich sahen, uns viele Stunden lang
nur unsere Lieblingsdichter vorlasen, flogen dennoch die Liebesbriefe,
in denen wir uns meist ansangen, hin und her. Sie lud mich
zu sich auf ihren Stammsitz ein, und ich verbrachte nun bei ihr und
ihrer Mutter, einer ebenso guten Frau, im Sommer und im Herbst
einige Wochen in dem hübschen Boihinger Schlößchen. Auch Charlotte
Pfaff fand sich oft dort ein, denn sie war auch mit Marie
Neubronn befreundet. Hier lernte ich nun viele junge Leute, alles
Freunde von Maries Bruder Alfred, kennen. Zu jener Zeit waren die
jungen Edelleute und Offiziere fast alle liberal und von Heine (11)
begeistert. Ich kam also mit der Richtung, die ich angenommen hatte,
hier nicht in Collision. Nur herrschte ein leichterer Sinn, ein
lustigeres Wesen, mit dem ich mich mit der Beweglichkeit der Jugend
auch bald zurecht fand. Meine Freundin war eine kühne Reiterin, ich
ritt auch und fiel auch, trotz früher schon geübten Reitkünsten,
glücklich von den wilden Pferden herunter.
Februar 1898
Viele Jahre sind vergangen, in denen ich nicht mehr daran gedacht,
Aufzeichnungen aus meinem Leben zu machen. Warum, ich weiß es nicht.
Es war wohl das Viele, das sich dazwischen schob und mich gar seltsam
festhielt, mancher Kampf, der mir in die Seele schnitt, mich
gleichsam auf einem Wachtposten haltend. - Ob ich heute noch zurückgreifen
kann, in die so weit hinter mir liegende Vergangenheit und
die zerronnenen Gebilde wieder in Gestaltung bringen? Ich weiß es
nicht, doch will ich es versuchen. -
Das Jahr 1848 kam heran. Das frische Wehen einer neuen Zeit, eines
erharrten Völkerfrühlings konnte man fühlen. Es erfasste Tausende
und Abertausende, warum nicht auch mich? In Italien war die neue
Zeit mit ihren Stürmen hereingebrochen, dann hatte es in Frankreich
gezündet, wo der vernichtende Strahl in die französische Krone fuhr.
Am selben Tag dieses großen Ereignisses, am 24.Februar hab ich Euren
Vater zum ersten mal erblickt. Es war auf einem Eßlinger Maskenball.
Kein zufälliges Begegnen war es, ich wußte, daß ich den von mir
Erhabenen treffen würde, ihn einmal von Angesicht zu Angesicht zu
schauen bekäme, der, dessen "Heimathjahre" und "Tristan und Isolde"
längst meine Phantasie erregt hatten. In der Maske der Laura und mit
einem Sonette in der Hand, das mich ihm vorstellte, betrat ich den
Saal. Mein Begleiter Toni zeigte mir den Gesuchten in der Mitte des
[7] Saales, wo er staunend stand und die Masken vorbeidefilieren ließ.
Ich schlich mich zu ihm und drückte ihm das Papier in die Hand,
dann huschte ich davon. Nachdem er es gelesen, suchte er mich, nahm
mich an der Hand und ließ mich den ganzen Abend nicht mehr los. Er
brachte mich zu seinen Freunden, auch dem späteren Abgeordneten Dr.
Liebknecht,(12) und es wurde der zu erwarteten Revolution ein Hoch
zugerufen. Dann zog er mich in eine einsame Nische, dort plauderten
wir, nachdem es uns nicht gelungen war zu tanzen, sondern stecken
blieben. Ich weiß nicht wie mir diese Stunden hinflogen, jedenfalls
aber in einem seligen Rausche, an dem nicht Dionysos, wohl aber der
kleine Schelm, Schuld hatte. Auf den andern Tag war eine Zusammenkunft
in einem befreundeten Hause ausgemacht. Aber schon war da die
Nachricht von der in Paris ausgebrochenen Revolution eingetroffen.
Das Wiedersehen war nur kurz, denn es zog ihn fort nach Stuttgart,
um sich seinem Freunde Adolph Weisser (13) als Mitredakteur beim
"Beobachter" zur Verfügung zu stellen, Es fühlte jedermann, daß
auch in Deutschland die Stunde gekommen war, wo ein verrottetes
System, das Metternichsche, das ganz Deutschland verflucht hatte,
fallen mußte. Und so geschah es auch. Zuerst erhoben sich die
Badener, dann ging es gleichzeitig an allen Enden und Ecken los.
In Berlin floß Blut, aber der König ward gezwungen mit der schwarzrotgoldenen
Fahne in der Hand auf dem Balkon seines Schlosses zu
erscheinen und die Constitutiun zu versprechen. "Daß ich das halten
werde, gelobe und schwöre ich", woraus die Berliner den Witz machten:
"Daß ich das halten werde, gelobe ich schwerlich". Die politische
Aufregung, die mich nun umtrieb und meine ganze Phantasie
gefangen nahm, drängte jedes subjective Gefühl in den Hintergrund.
Wohl ging ich noch einige male nach Stuttgart in der Hoffnung
Hermann Kurz auf der Straße aus dem Standeshaus kommend aufzufinden,
was mir auch gelang, aber unsere Unterhaltung drehte sich
jetzt nur um die grossen Fragen und Ereignisse des Tages. Die
Regierungen, die zuerst alle Anforderungen bereitwillig entgegen
genommen hatten, hielten ihre Versprechungen nicht und nun brachen
die Kämpfe los. In Sachsen gab es Strassenkämpfe. Unter den feurigsten
und radikalsten Kämpfern war dort Richard Wagner.(14) In
Baden brach der Freischärlerkrieg unter Hecker (15)los, in Ungarn
war Lajos Kossuth(16) Diktator und in Italien scharte sich
das junge aufstrebende Volk unter Garibaldi.(17) Es war eine Zeit,
in der man das eigene Ich nicht mehr fühlte. - Bald kam nun die
schreckliche Zeit der Niederschlagung des Aufstandes durch preußische
[8] Truppen, unter Anführung des Kartätschenprinzen, (18) nachmaligen
old wi..(?) und Erschießungen der edelsten hochbedeutensten
Männer, barbarische Einkerkerungen als Begnadigung: (Mögling, (19)
Corvin, (20) Hecker etc.) Es war eine Zeit, wo mich der Schmerz und
die Wuth fast toll machten. Tag und Nacht sann ich darüber nach,
wie ich den Prinzen von Preußen ermorden könnte. Mein früherer
Lehrer Barth, (21) von England kommend, besuchte mich und hielt
sich einige Wochen bei uns auf. Er that sein möglichstes mich zu
beruhigen und mir den Plan als undurchführbar auszureden. Es zog
mich nur das beginnende Siechthum meines Vaters davon ab. Nichts
ist wahrer, als daß ein neuer Schmerz einen andern vertreibt, das
heißt, ihn in den Hintergrund drängt. Mein guter Vater war selbst
für seinen Stand als Offizier ziemlich freisinnig, hinderte mich
nie in meinem Treiben. Ja, er war sogar einmal zu Thänen gerührt,
als mir der Eßlinger Volksverein mit schwarzrothgoldener Fahne ein
Ständchen brachte. Es war keine eigentliche Krankheit, die nun an
ihm zehrte, sondern eine allseitige Abnahme der Kräfte. Ich widmete
mich nun sehr seiner Pflege. Alle Abende las ich ihm stundenlang im
Don Quichote (22) vor, das unterhielt ihn. Unser Arzt war der geniale
und höchst humoristische Dr. Späth, (23) der auch sein Möglichstes
that, den alten kranken Mann zu erheitern. Ich hatte ein großes
Vertrauen und eine große Freundschaft für diesen Doktor. Wir hatten
einige Jahre zuvor miteinander öffentlich in Eßlingen Theater gespielt:
"Die dt. Kleinstädter" und noch einige Stücke von Roderich,
(24) und so war mir sein tägliches Kommen ein großer Trost. Helfen
konnte er aber meinem armen Vater nicht mehr. Er wurde schwächer
und schwächer und starb abends um 9 Uhr am 28.Januar 1849.
Die treue Josephine, Carl Rommel, unser Stubenmädchen und die
Mutter meines kleinen Brüderchens, umstanden sein Sterbelager. Wir
blieben noch die ganze Nacht vereint bei ihm.
Nach dem Tode meines Vaters war es mein Erstes, sein außereheliches
Kind, das bei der Mutter Eltern auf dem Lande aufwuchs, zu mir zu
nehmen. Meine treffliche Fina schloß diesen Knaben gleich ganz in
ihr Herz. Sie hatte nun wieder etwas zu versorgen. Sie that viel
mehr an ihm als ich. Die eigene Mutter, die ich vorderhand auch bei
mir behielt, bekümmerte sich gar nicht um das Kind. Sie schämte
sich mit dem Knaben auszugehen.
Ich nahm so nach und nach meine alten Beschäftigungen wieder auf,
meine Zeichen- und Lernstunden, alte Freunde besuchte ich wieder.
Besonders herzlich stand ich mit einem gewesenen Freischärler,
[9] Adolph Bacmeister, (25) den ihr ja alle auch kennt, und der später
ein sehr intimer Freund Eures Vaters geworden ist. Alle möglichen
Erlebnisse kamen nun, Freier, die mich umringten, worunter
auch ein Proletarier war, der meinte, er müsse meiner Gesinnungen
halber nun auch ins Volk hinein heirathen. Das meinte er aber
falsch, denn ich war und blieb immer eine ganz entschiedene Geistesaristokratin
und hätte nie einen Mann genommen, dem ich mich
10fach überlegen fühlte. Mehr als diese Belästigungen machte mir
aber die nun stets wachsende Leidenschaft, von Carl Rommel zu
schaffen. Er war mir lieb und werth, als Freund, auch hatte er ein
sehr ritterliches Wesen an sich und war bildhübsch, aber schon
seine banausische Beschäftigung, er war Kaufmann, freilich "a son
corps déferdant", (26) wie der Franzose sagt, aber er wars doch und
ich hätte ihn nie heirathen mögen. Seine Schwester war mir wie eine
liebe Freundin, an der ich heute noch mit innigster Liebe hänge.
Die gute Seele, so sehr sie ihren Bruder vergötterte, sie sprach
mir nie zu und begriffs, daß ich nicht konnte!
Zu all dem kam nun die lang zurückgedrängte Reiselust, die ich
wegen meinem alten Vater bezwungen hatte, um ihm keine Schmerzen zu
machen. Aber jetzt, dachte ich, es ist das Allerbeste, den Ranzen
zu schnüren und die Welt zu sehen. Noch einmal hatte ich im Laufe
des Jahres in meinem Volksverein in Eßlingen Euren Vater wiedergesehen,
und ich sah ihn jetzt, nachdem die brodelnden Wellen der
Politik sich etwas gelegt hatten, nicht ganz ruhig und fühlte ein
Weh im Herzen, wußte ohnedies, daß er seit sieben Jahren mit seiner
Schwägerin verlobt war.
[10] Das trieb mich auch fort, auswärts ein wenig Lethe (27) zu nippen.
Ich war längst eingeladen von einer Freundin Lolo von Bär, die mit
einem liebenswürdigen Franzosen Dr. Deubel (28) in Colmar verheirathet
war. Dahin steuerte ich also mein Reiseschiff. Ich hätte die
Reise nicht machen können, da meine Mittel nach dem Tode des Vaters
sehr gering waren, wenn ich nicht in einem verborgenen Fach 50 Dukaten
gefunden hätte, eine Überraschung, die mir mein guter Vater
nach seinem Tode bereiten wollte. Mit sehr schlechter Toilette versehen,
reiste ich ab mit einem kleinen Reisesack. In Stuttgart
konnt ich mirs nicht versagen, noch einmal Abschied zu nehmen und
in die schönsten blauen Augen der Welt zu blicken. Er begleitete
mich an die Post mit der ich bis Carlsruhe fuhr, von dort konnte
ich per Eisenbahn bis Colmar fahren und sogar in der 4.Klasse, hoch
obendroben auf dem Deck des Wagens, von wo aus ich die schönen
Elsäßer Berge und Burgen genau betrachten konnte. -
Aber ich habe vergessen zu erzählen, daß ich, im Laufe des Jahres
1849, als die Reaktion in ihrem Wühlen war, um jedes Würzelchen
der Freiheit wieder auszuziehen und die Redaktion eines radikalen
Blattes sehr erschwert war, ich der Gerichtsverhandlung über einen
Preßprozess im Eßlinger Gerichtshof beiwohnte, den der nun alleinige
Redakteur des Beobachters auszufechten hatte, denn Adolph
Weißer war als Flüchtling in der Schweiz. Das corpus delicti war
die Abschrift eines geharnischten Artikels, wo den Fürsten ihr
Meineid vorgeworfen war und der Spruch: "Ein Mann, ein Wort, oder
ein Fürst und Hundsfott," heißts im Sprichwort, also Majestätsbeleidigung.
Wie hing mein Blick mit Bewunderung an dem schönen Mann,
der so trotzig in die Menge blickte. Was er und sein Verteidiger
Tafel sprach, das weiß ich nicht mehr. Er wurde verurtheilt zu vier
oder sechs Wochen Asperg mit voller Festungsfreiheit. Als die
Verhandlung zu Ende war, überreichte ich dem Verurtheilten einen
Blumenstrauß, und während ihn seine Freunde umringten, stürzte ich
auf den Staatsanwalt los, der ein Bruder meiner Freundin Charlotte
Pfaff und im Jahr 1848 ein Rother war, und mir sehr den Hof gemacht
hatte und überhäufte ihn mit Vorwürfen, nannte ihn einen Abtrünnigen,
und ob er sich nicht schäme und den reinen Namen seines
Bruders tragen könne. Obgleich ich das vor seinen jetzigen Partheigenossen
that blieb alles ganz gemüthlich, während die andern
"Bravo" riefen, lächelte er verlegen und sagte, das sei eben sein
Amt. Die Festungshaft war sehr leicht, auch konnte die Redaktion
des "Beobachters" vom Asperg besorgt werden. Dem Gefangenen wurde
[11] ein Dienersmann zur Bedienung beigegeben, der seine Briefe auf die
Post zu besorgen und abzuholen hatte. Wie oft er da droben an einen
seiner Vorgänger, dem er in "Schillers Heimathjahre" ein so schönes
Denkmal gesetzt hatte gedacht hat, die Zeit vergleichend mit der
von damals und der heutigen? Da war freilich nicht vorauszusehen,
welcher Rückschritt wieder kommen würde, wie nach 1870 die Gefangenen
behandelt würden, die mit viel mehr Reserve die Schäden ihrer
Regierungen aufzudecken bemüht waren. Und denk ich nun an den heut
sich abspielenden Prozeß "Lola", so muß ich mir sagen, die Reaktionäre
von dazumals, waren Engel der Milde und Gemüthlichkeit, verglichen
mit diesen französichen Bestien. Für sie möchte ich eine
Hölle schaffen in der sie 1 000 Jahre braten sollten, dann wäre ich
immer noch barmherziger wie Dante. (29) - Doch zurück nach Colmar.
Wie war mir alles dort so neu. Anfangs scheute ich mich vor dem
Luxus eines so radikalen Republikaners wie mein, mir sehr theurer
Freund Deubel es war. Meine ärmlichen Kleider stachen freilich sehr
an diesem Punkt ab, aber niemand stieß sich daran, man nahm es als
ein dem Deutschen angehöriges Zeichen des Radikalismus. Ich verlebte
dort sehr schöne Tage, lernte eine Menge Franzosen, theilweise
Mitglieder der provisorischen Regierung von 1848 kennen: Flocon,
(30) ein kleiner wuseliger Franzose schrieb mir ins Album. Auch
verschiedene socialistische Systeme lernte ich kennen: z.Bsp. den
S. Simonis (31) und den Fourier (32) mit seinen pholaesteres.(?)
Ich verschlang das mir Neue alles mit Heißhunger. Advokaten, Ärzte,
Schriftsteller drängten sich um mich und machten mir den Hof, vor
allem aber der Mann meiner Freundin. Ich hatte Gefallen und Freude
an der französischen Lebhaftigkeit und Liebenswürdigkeit. Seit
dieser Zeit war mir immer eine Vorliebe für Frankreich geblieben
bis jetzt, wo ich die Niederträchtigkeit dieses Volkes, wie es sich
wenigstens im Prozeß Lola (33) zeigte, schaudern erfahren mußte.
Mitte Mai war es, daß ich nach Colmar abgereist war und Mitte
Juli oder Ende des Monats Juli nahm ich Abschied mit schwerem Herzen,
aber ich mochte die Gastfreundschaft nicht länger benützen
und zudem schrieb mir Scherr,(34) der Professor am Polytechnikum in
Zürich war, Brandbriefe, endlich zu kommen. Diesen früher so radikalen
Schriftsteller, hatte ich zugleich mit einem Baron Secken-
dorf, (35) ebenfalls Schriftsteller, bei Frau von Rieger in Stuttgart
schon lange vor 48 kennen gelernt. Seckendorf war ein überaus
guter und höchst strebsamer Mensch, auch selbst Dichter und mit
aller Literatur innigst befreundet, auch mit Herm. Kurz, und war
[12] mein erster Freier. Er nannte sich selbst den Ritter von der traurigen
Gestalt, und war häßlich, jedenfalls kam er mir so vor, und
ich begriff dazumal nicht, denn ich war doch innerlich noch stets
eine Aristokratin, wie es komme, daß der Plebejer Scherr so feine
kleine Hände haben könne und der Freiherr so große plumpe Bratschen
habe. Seckendorf ging nur mit Demokraten um, obleich er ein nicht
Politik treibender Aristokrat war. Meinem Vater wäre unsere Verbindung
sehr lieb gewesen, da er ihn sehr schätzte, und er auch in
gesichterter Lebensstellung war, aber ich konnte nicht, obgleich
mir seine Huldigungen und das "von ihm angedichtet" werden, ganz
angenehm war: "Rittertreue, Schwesternliebe", war in solchem Falle
immer meine Antwort. Ich habe gewiß nie mit einem gespielt, außer
mit einem jungen Abbé in Colmar, den ich zur Strafe für sein
Kleid und seine Heuchelei etwas quälen wollte. Im übrigen fühlte
ich eine gewisse Dankbarkeit für jeden, der mir sein Herz darbrachte,
jenes stolze Zurückweisen hatte ich bloß für jenen Proletarier,
der zwar ein Mensch von ziemlicher Bildung war, bei dem es aber nur
Berechnung war, sich mit einem adligen Fräulein verbinden zu wollen.
Zu diesem Prof. Scherr also ging nun meine Reise. Deubel
begleitete mich bis Mühlhausen oder Basel, von dort hatte ich einen
Eilwagen bis Bern, dann gings mit der Eisenbahn nach Zürich. Das
Neue, die Großartigkeit der Natur stillten bald das Heimweh nach
Colmar. Ich wollte das Leben kennen lernen auf seinen verschiedensten
Schauplätzen, denn bis zu meiner Reise nach Colmar, war ich ja
nie über Stuttgart, Eßlingen oder Boihingen hinausgekommen. Die
Schweiz, die ich aus Schillers Wilhelm Tell kannte und die mir als
der Sammelplatz aller Flüchtlinge, jener für mich so hochverehrten
Märtyrer doppelt interessant war, war längst das Ziel meiner Sehnsucht.
Wer dachte dazumals schon daran nach Italien zu können,
(dazu hätte ein Vermögen gehört). Ich wurde bei Scherrs, (seine
Frau war eine sehr unterrichtete Schweizerin), sehr herzlich aufgenommen,
lernte dort zuerst die schwäbischen Flüchtlinge kennen,
gleich am ersten Abend Pfau.(36) Hier waren die Sitten vielleicht
etwas weniger fein als in Frankreich; Pfau trat mir unter dem Tisch
auf die Füße. Ich dachte zuerst, ich hätte nun ein ihm unliebsames
Thema berührt, als er es wieder tat, sagte ich laut: "Aber Herr
Pfau, was hab ich denn gesagt, das sie genieren könnte, weßhalb
treten Sie mich denn beständig?" Hierauf erfolgte schallendes Gelächter.
"Das dürfen Sie unserem Pfaule nicht übel nehmen, das ist
eine Gewohnheit von ihm, die er nie lassen kann." Jetzt ging mir
[13] erst ein Licht auf. Da machten es die Franzosen feiner. Der Nebensitzer
küßte nach beendeter Mahlzeit seiner Dame auf den Mund und
sagte mir darauf, das sei französische Sitte. Da ich meist meinen
guten Freund Deubel an der Seite hatte, genierte es mich nicht.
Pfau kam nun alle Tage, da ihn Scherr aber ins Gebet genommen, nahm
er andere Gewohnheiten an, und wurde mir bald ein wirklicher Freund,
der mir seine Gedichte vorlas. Ich lernte manches von Scherr, denn
er war unausgesetzt bemüht mir meine literarischen Kenntnisse zu
erweitern, nur wollte er mich allein haben, um ungestört seine Vorträge
halten zu könnnen, die vielen Flüchtlingsbesuche ärgerten ihn
zugleich. Aber seine Frau wurde eifersüchtig und bat mich eines Tages
auf wahrhaft rührende Weise, ich möchte ihr ihren Mann lassen.
Als ich ihr aufs Heiligste versicherte, es falle mir gar nicht ein,
mich in ihren Mann zu verlieben, es wäre mir schlechterdings unmöglich,
war sie beruhigt. Ich lernte nun nach und nach alle dortigen
Flüchtlinge kennen und manchen Abend haben wir am Ufer des Sees im
Seefeldgarten miteinander zugebracht. Ich lernte dort auch Robert
Schäuffelen (37) mit seiner Geliebten und nachherigen Frau Marie
kennen, die sechzehnjährig eine vollendete Schönheit war. Sie waren
mit Pfau sehr befreundet. Nach einigen Wochen machten wir eine
große Fußtour: Herr und Frau Scherr, ich und ein paar preußische
Flüchtlinge. Wir bestiegen den Gotthard, gingen nach Andermatt. Es
war mir sehnsüchtig zu Muthe als man mir sagte: Sehen sie da hinunter,
dort liegt Italien, und ich las an vielen Wirthshäusern angeschrieben:
"Cui si parla Italiano." Wie konnte ich ahnen, daß dort
einst mein geliebtes Heimatland sein würde, aber auch das Grab
meines Jüngssten, noch nicht Geahnten! - Wir stiegen den Furka
hinauf, übernachteten im Grimselhospiz, dann gings am Rhonegletscher
vorbei. Oft mußten wir auf unseren Maulthieren durch ganze
Herden von Kühen, da wars mir nicht immer gut zu Muthe, da aber die
geborene Schweizerin sich ebenfalls fürchtete, brauchte ich meine
Angst nicht zu verbergen, und ich wurde ritterlich beschützt. Acht
Tage lang wanderten wir so in der Kreuz und Quer, ohne Gepäck, nur
eine kleine Tasche umgehängt, ein Hemd und 2 Paar Strümpfe enthaltend,
waren die einen naß vom ewigen Schnee, so trugen wir sie zum
Trocknen an den Schirmen aufgespannt. Durchs Berner Oberland gings
nach Bern, wo wir uns aufhielten, dann per Bahn zurück nach Zürich.
Ich blieb dann noch einige Wochen in anregendem Verkehr mit den
Flüchtlingen, erlebte manches Sonderbare, nämlich die leidenschaftliche
Liebe eines Flüchtlings namens Baumgärtner,(38) eines Fürsten
[13] Cato,(39) ein zweiter Robespierre. (40) Es war ihm übrigens
nicht so sehr um meinen Besitz zu thun, sondern nur um das Versprechen,
daß ich der heiligen Sache der Freiheit immer treu bleiben
würde. Das konnte ich leicht versprechen, nicht aber, daß ich
keinen andern lieben würde. was er auch gern gehabt hätte. Als ich
Abschied von ihm nahm, sagte mir der liebende Verehrer: "Wenn Sie
sich je von uns wenden und abtrünnig werden, so sterben Sie von
meiner Hand." Ich hielt zwar mein Versprechen und schrieb ihm aus
der Heimat noch öfters, hatte aber keine Freude daran und steckte
es endlich auf. Er starb bald, er war ein Auszehrender, dann aber
that mir sein Tod doch leid.
Endlich kehrte ich wieder in mein altes Obereßlingen zurück, fand
dort meine gute Fina und das Kindchen wohlauf. Die Mutter desselben
hatte einen Dienst gesucht, wo es bessere Brocken gab als
bei mir, da wir so gar einfach lebten. Nun lebte ich so hin in der
Stille, erzählte meiner Fina meine Reiseerlebnisse, sehnte mich
auch manchmal wieder in jene Kreise zurück, denn der fleißige Briefwechsel
mit einigen meiner Freude beschäftigete mich sehr, that
aber meinem Beutel sehr weh, da diese Briefe ins Ausland noch sehr
theuer waren und die armen Flüchtlinge unfrankiert schrieben.
Ich ging auf einmal wieder nach Boihingen auf eine Woche oder zwei.
So ging der Herbst herum. Inzwischen hatte sich ein früherer
Anbeter und Freier von Eßlingen Hugo Steudel,(41) mit einer mir
befreundeten sehr hübschen Cölnerin verlobt, gemeldet. Da mich
beide dringend baten zu ihrer Hochzeit nach Cöln zu kommen, so
hörte ich auf meinen alten Reisetrieb, und fuhr mit dem Bräutigam
den Rhein hinunter. In Cöln machte ich gleich wieder interessante
Bekannt- schaften. Den roten Becker (42) lernte ich kennen, einen
Socialisten und späteren Agosteten.(?) Die Heirat zerschlug sich,
weil das junge Ding einen anderen liebte und der getäuschte Bräutigam,
dem man eine Krankheit vorlog damit er beruhigt abzöge,
schiffte damals zur Heimat zurück, die Hiobspost hinkte nach, doch
mochte ich sie nicht mehr überbringen. Ich blieb noch einige Tage,
machte auch eine Reise nach Brüssel, wo ich Freunde hatte, hielt
mich in Mannheim auf der Heimreise auf, wo ich den Vater von
Friedrich Hecker kennenlernte und kehrte dann wieder zurück ins
alte Nest.
So verging der Winter, ich zeichnete viel. Mein alter Zeichenlehrer
kam oft zu mir, bat mich ihn zu porträtieren. Ich las viel,
natürlich auch immer den Beobachter und dachte ohne Schwärmerei an
[15] den unterzeichnenden Redakteur mit Ruhe, er lag hinter mir. Eines
Tages bekam ich eine Billettchen von meinem Freunde Conrektor
Pfaff. Er bat mich, ich möchte in einen von ihm bezeichneten Biergarten
kommen, er und seine Tochter seien auch dort. Ahnungslos
ging ich hin und Er trat mir entgegen mit lächelndem Gesicht. Er
war es. Bald kamen die andern und erfreuten sich auch an der Überraschung.
Er führte mich dann spät nach Hause, sagte mir, daß seine
Brautschaft schon längst aufgegeben sei, und nun möchte er doch
auch seine Laura aus alter Zeit wieder sehen. Er frug mich, ob ich
seiner noch gedächte? "Wir wollen Freunde sein," sagte ich ihm,
denn es liege eine zu lange Zeit jetzt dazwischen. Er war zufrieden,
kam aber alle Wochen am Samstag und blieb über Sonntag. Ich
freute mich zumeist auf diese Tage, die wir so gemüthlich zusammen
verbrachten, er las mir Shakespeare (42) und den "Decamerone" vor,
(43) dessen italienisch ich anfangs nicht verstand.
Dann kam die Zeit, daß die Mairöschen blühten, und nie kam er ohne
einen Strauß jener kleinen Maienröschen, für die ich noch immer
seit jener Zeit eine so große Vorliebe behalten habe. Nun sehnte
ich mich nach den Besuchen, und er sagte mir, daß er mich liebe,
recht liebe, nicht in kühler Freundschaft. Ich wußte nun, er würde
nicht mehr sich mir entwinden. Ich wollte nicht zu schnell einen
Bund fürs Leben eingehen, ohne mir selbst ganz sicher zu sein. Ich
hatte ihn doch nicht vergessen, aber in den Hintergrund meiner
Seele rücken können. Die Zeit war nie glücklicher die wir verlebten,
der Sommer kam, schöne Spaziergänge in Wald und Flur, sternhelle
Sommernächte im Garten, Wasserfahrten auf dem Neckar. - Längst
wußte ichs, daß ich ihn liebte und so liebte, um alles mit ihm
theilen zu können, und als er mir dann aber sagte, er wolle mich
nicht an sich binden bevor ichs wohl überdacht hätte, daß er mir
nur Armuth bieten könne, daß vielleicht der Kerker, vielleicht das
Schafott seine Zukunft sei, in einer Zeit, wo wieder ein Kampf um
die Freiheit bevorstehe - da hatte er gesiegt. Gerade das reizte
mich. - Andere Weiber erwarten Wohlleben, Reichthum, Vergnügungen er
zeigte mir die Dornenbahn, nicht nur des Dichters, sondern auch
des Freiheitskämpfers, und ich fiel ihm in die Arme und sagte ihm
jetzt sei ich sein! Ist eine solche Vermählung nicht edler und
heiliger als vor dem Altar oder dem Syndicos? (43) Als der Herbst
kam und die Fahrten bei schlechtem Wetter nicht mehr möglich waren,
hätte er gerne gehabt, daß wir beisammen in Stuttgart wären. Ich
war sogleich bereit zu ihm zu ziehen, er aber sagte, das gehe in
[16] dem kleinstädtischen Stuttgart nicht, sie würden ihn als mißliebige
Persönlichkeit gleich ausrufen, man müsse heirathen. Nun war
1848 aber noch keine Civilehe geschaffen, denn die Grundrechte von
lagen zertrümmert. Wir sperrten uns aber beide gegen einen Contrakt
mit der Kirche, der ich zudem gar nicht mehr angehörte, da ich seit
Jahr und Tag ausgetreten war. (44) Wir wollten uns das Bürgerrecht
im französichen Straßburg erwerben. Um uns dort trauen lassen zu
können, dazu fehlte aber nach eingehenden Erkundigungen das Geld.
Denn es wäre sehr theuer gewesen. Da trat der alte Pfarrer Ro. zu
Obereßlingen als Deus ex maeturi (?) dazwischen. Er kam zu mir und
sagte: "Ich weiß ja wie sie denken, aber was wollen sie so viel
Geld ausgeben für eine bloße Förmlichkeit? Auch ich kann Sie in
civitas trauen. Ich schließe die Kirchthüre, laß niemand herein
als ihre Trauzeugen, stelle die gesetzesmäßigen Fragen an Sie trage
sie ein ins Register und alles ist geschehen. Auch ich denke
frei und hasse Römers (45) Anspielung auf den früheren radikalen
Märzminister." So geschah denn diese Trauuung am 20.November (dem
nachherigen Todestag meiner theuren Fina), in der kleinen Dorfkirche
zu Obereßlingen. Die ganze Linke der Kammer war anwesend bei
dem ..... Hochzeitsschmaus in einem schon ausgeräumten Hause, wo
man wie Zigeuner auf dem Boden um ein Faß herumsaß, aus dem edle
Bachusgabe floß. Kalter Braten und Bretzel war alles, was die Gäste
erhielten. Das Pfäfflein trank sich ein Zäpflein und alle waren
sehr vergnügt. Von allen, die dazumals so versammelt waren, lebt
kein Einziges mehr außer mir und vielleicht dem Brüderchen im hohen
Norden von britisch Amerika? Doch vielleicht auch er nicht mehr, da
ich nie mehr etwas von ihm erfuhr. Mit dem letzten Zug zogen die
Freunde ab samt meinem Mann, ich und das Pfäfflein gaben ihnen das
Geleite, im Heimweg war das alte Pfäfflein zärtlich und glaubte
mich entschädigen zu müssen für den Abschied. Ich entzog mich lachend
seinen Armen. In zwei Tagen folgten wir nach: Josephine, ich
und der kleine Otto. Das Haus wurde geschlossen, denn vermiethen
konnte man es nicht. Abends kam der Liederkranz und brachte uns
ein Ständchen: "Der Himmel lacht und heitre Lüfte spielen," (46)
wurde gesungen, obgleich die Schneeflocken an die Fenster fielen.
Wir wohnten da in der Leonhardsstraße, zogen aber in einigen Tagen
in eine nebenanliegende Straße, den Namen habe ich vergessen.
Ich lebte glücklich, nur ein Leben der Liebe in der engen Wohnung,
dahin. Bald verheirathete sich die Mutter meines Brüderchens, zog
ihre und ihres Kindes von meinem Vater bestimmte Erbschaft ein,
[17] nahm ihr Kind zu sich, das wir ihr nicht geben wollten, worauf sie
aber eben ein Recht hatte und wanderte mit Mann und Kind nach Kanada
aus. Einmal bekam ich noch in Jahresfrist ein englisches Briefchen
von dem Knaben, der etwa neun Jahre alt sein mochte. Dann verscholl
er auf immer. Mir that seine Abreise herzlich leid, aber es
ging mir nicht so tief wie der guten Josephine.Es
ist jetzt eine Lücke in der Erinnerung. Ich weiß nur, daß ich
ungeduldig ward und ein Kind wollte, nachdem wir uns schon etliche
male eingebildet hatten, es sei unterwegs und das Kleine, nie entstandene
und schon gehoffte Perseus genannt hatten. Monde waren
vergangen - immer nichts - da kam eines Tages ein heftiges Erbrechen,
den Tag darauf wieder, man holte den Doctor: "Nun endlich
wird er kommen," sagte dieser und ich jubelte. In diesem Zustand
machten wir eine Schwarzwälder Fußtour, sie ward aber durch Kuhabenteuer
verdorben. Nun seh ich uns mit den vorwärts gekehrten
Augen in der Paulinenstraße Nr.12, ein Garten am Haus, eine nette
behagliche Wohnung im Grünen, die ich als Landpomeranze schmerzlich
vermißt hatte. Eine große Angst kam bald über mich, mein Mann erkrankte
an Typhus. Nervenfieber nannte man es damals. Es war kein
schwerer Fall, aber Wochen verstrichen, und ich saß zerschmettert
an seinem Bette. Als es besser war las ich ihm Kindermärchen vor.
Er war so schwach, daß er darüber weinte. Ich war fest entschlossen
mich umzubringen, wenn ich ihn verlieren sollte, trotzdem, daß ein
neues Leben in meinem Schoss keimte. Aber er genas langsam. Zuletzt
las ich ihm die Geschichte des Prinzen Biribinker von Wieland (47)
vor was ihn sehr erheiterte, und deshalb hatte ich immer eine große
Vorliebe für dieses Märchen behalten und auch Hermann hat ihn dankbar
in den "beiden Tubus" (48) ein Monument gesetzt. (Isolde
notiert: "Indem die beiden jungen Freunde sich das Wort Biribinker
als Losung gaben.")
Wir hatten einen sehr freundschaftlichen Verkehr mit Bechers.
(49) Er war Reichsregent gewesen, einer der fünf, die das Parlament
nach Rücktritt des Erzherzogs Johann, (50) ernannt hatte.
Raveany,(51) ein Jude, den ich kannte und Simon von Trier (52).
Die andern zwei hab ich vergessen. Sonst war Ludwig Seeger, (53)
der Dichter und Emma Succona, (54) die Dichterin, eine bildschöne
Frau, aber sehr unbedeutende Dichterin, doch große Verehrerin
meines Mannes unser häufiger Verkehr.
Um diese Zeit lernten wir auch Hedwig (55) kennen bei einem
Maler Groß,(56) Schwager von Becher. Sie war damals 19jährig eine
[18] reizende Erscheinung. Noch keine Spur von jener Schroffheit, die
sie im Kampf mit feindlichen Elementen angenommen, aber glühend,
begeistert für alles Schöne und Hohe. So sahen wir sie und bekamen
sie lieb, während sie selbst in Feuer und Flammen gerieth. Es war
mir stets eine große Freude, wenn ich den Eindruck sah den mein
Mann, aus dessen edlem Gesichte der Genius leuchtete, und dessen
Schönheit immer mehr und mehr den Stempel seiner hohen Seele trug,
auf Frauenherzen machte. Es gibt keine Eifersucht, da wo sich die
Liebe bis zur Schwärmerei, zum Enthusiasmus erhebt, da verliert man
sein Ich im Du und fühlt sich beglückt, wenn dieses Du gelobt und
angebetet wird. Und so lebten wir einige sehr schöne Wochen im
fröhlichen Verein zusammen, bis jeder wieder abreiste. Hedwig war
eine jener Sonntagserscheinungen, die die Männer fascinierte; wir
hatten sie überall mit hingenommen. In den Versammlungslokalen der
demokratischen Parthei da rissen sie sich um ihre Nähe. Es wurden
ihr zu Ehren lebende Bilder aufgeführt und zwar aus dem Drama
Virginia, das sie mit 16 Jahren geschrieben hatte. Natürlich kein
Kunstwerk, aber für trunkene Augen doch ein Schmuck weiter an einer
liebreizenden Person. Doch geschah das erst bei ihrem zweiten
Aufenthalt. -
Am 16. Januar 1853 schlug morgens 6 1/2 die Stunde, in der ich
meinen Erstgeborenen nach 36stündigen Kreisen zur Welt brachte.
Die ganze Nacht waren Becher und Hermann um mein Bett versammelt,
um meinem armen Mann, der mehr darunter litt als ich, Gesellschaft
zu leisten. Es war ein bildschöner Knabe mit schönen leuchtenden
Augen, ein ganzes Ebenbild seines Vaters. Da ich an einem andern
Ort, in dem ersten der Hefte, die ein Tagebuch repräsentieren,
darüber geschrieben habe, so übergehe ich diese Episode, um mich
nicht zu wiederholen. Bald darauf war ich wieder in der Hoffnung.
In diese Zeit fielen große Aufregungen, wieder ein Preßprozeß meines
Mannes, der in Ludwigsburg behandelt wurde, oder in Eßlingen,
ich weiß es nicht mehr sicher. Es war eine Beleidigung des Kaisers
Napoleons III, (57) und so davot gegen Frankreich waren damals die
deutschen Regierungen, in ihrem Rückschrittsmantel eingehüllt, daß
man nichts gegen die geheiligte Majestät dieses Staatsstreichsabenteuer
sagen durfte. Becher war diesmal der Vertheidiger und
seiner glänzenden Vertheidigung verdankten wir die Freisprechung.
Allabendlich holte ich sie ab von der Bahn, die Verhandlung hatte
mehrere Tage gedauert. Kurze Zeit vorher oder nachher hatte ich
mich vor Gericht zu verantworten wegen einem Gedicht: "Kinkel (?)
[19] frei", (58) das bei einem sächsischen Redakteur, der verhaftet worden
war, vorgefunden wurde. Von allen Advokaten der Parthei begleitet,
die mir meine Rolle eintrichterten was ich sagen durfte
und was nicht, erschien ich hochschwanger. Es war ein Schöffengericht,
dumme schläfrige Philister, dickbäuchig saßen sie da. Ich
war der Gotteslästerung und der Majestätsbeleidigung angeklagt.
Mein liebenswürdiger Präsident machte mir gleich ein Compliment
über die Form des Gedichts, frug mich dann, ob es ein kleiner Erguß
meines Herzens, oder aber zur Veröffentlichung bestimmt gewesen
sei? Ich verneinte das Letztere, setzte aber hinzu, es sei auch
heuer noch, 4 Jahre danach, meine Gesinnung. Doch meine Äußerung
wurde, wie ich nachher erfuhr, nicht ins Protokoll aufgenommen.
Ich wollte lesen was drin stand, er drückte mir aber die Feder in
die Hand, winkte mir mit den Augen zu und sagte: "Unterschreiben
Sie!" Ich thats. Die Schöffen zogen sich zurück. Nach 10 Minuten
erfolgte das freisprechende Urtheil. Im Heimgehen gesellte sich
der Präsident zu uns und sagte, die Justiz habe gegen ihren
Willen auf ausdrückliches Verlangen der sächsischen vorschreiten
müssen, aber man habe die Sache so eingerichtet, daß ein freisprechendes
Urtheil habe erfolgen müssen. Da sieht man welche Macht sie
haben fürs Gute wie fürs Schlechte. Der Ehrenmann wurde später in
Tübingen als entschiedener Antipreuße unser Gesinnungsgenosse und
Hausfreund. Auch er ist längst todt, nur ich wandle bis jetzt als
Überbleibsel aus jener Zeit, in einer andern Welt, die nicht mehr
die meine ist, umher. Und dennoch hab ich das Leben lieb, hab ich
doch noch vier Kinder an denen mein Herz in heißer Liebe hängt, und
ich habe auch meine Erinnerung, solang die Bilder meiner geliebten
Todten so lebendig in mir sind, bin ich nicht verarmt.
Nun kam die Geburt meines zweiten Kindes, eines ersehnten Mädchens,
als der kleine goldige Edgar noch kein Jahr alt war. So zart
der Erstgeborene war, so kräftig wuchs die kleine Isolde heran zu
unserer Wonne. Wieviel Zukunftsbilder entwarfen wir, welche ehrgeizigen
Hoffnungen hegten wir, und die Koren nickten freundlich
dazu. Die Pflege meines süßen Kinderpärchens nahm nun meine ganze
Zeit in Anspruch. Ich entfernte mich fast nie aus der Wohnung. Wir
hatten ein Wägelchen, in das setzte ich beide Kinder, entweder
führte ich sie spazieren, hie und da auch Fina mit mir, oder gar
der Papa. Es gab keinen zärtlicheren Vater als er war. Wie oft trug
er seinen Edgar des Nachts auf den Armen, tränkend oder singend,
während ich den kleinen Schreihals, die kleine Säuferin, herumtrug.
[20] Mit dem Vorlesen war es jetzt freilich aus. Als der geistig so
unwahrscheinlich frühzeitig aufgeweckte Knabe, den alle ein Wunderkind
nannten, zwei Jahre alt war, kam eine Krankheit nach der
andern. Als ganz kleines Kind hatte er schon die Brechruhr gehabt,
die ihn an den Grabesrand brachte, jetzt eine Halsentzündung, dann
Gehirnentzündung. Es waren Tage der Verzeiflung für uns Beide. Wer
diese Angst nie gekannt, der kennt das Schrecklichste am Leben
nicht. Er genas, aber wie? Ein Gesichtchen von durchsichtigem
Wachs, aus dem die großen blauen Augen gespensterhaft hervorsahen
und unfähig auch nur einen Schritt zu machen. So lag er Tag und
Nacht in seinem Wägelchen, das man stundenlang im Zimmer auf- und
abfahren mußte. Endlich sagte der Arzt: "Fort, in den Schwarzwald."
Wir nahmen einen ganzen "Omnibus", (gr.Karre) um den Hausrath mitzupacken.
Und so fuhren wir zu viert nach Liebenzell, eigentlich
zu fünft, denn das dritte Kind rumorte furchtbarlich in meinem
Leibe. Es war fast noch Frühling, aber das Wetter war mild und
sonnig und die Kinder immer im harzigen Tann. Uns allen that die
Waldesluft sehr gut, auch mein Mann, der im Waldesgrund sitzend,
seinen "Weihnachtsfund" (59) schrieb. Kräftig wieder gehen könnend,
kehrte Edgar in die Stadt zurück. Wir kamen am 2.August an umd am
vierten erblickte Alfred das Licht der Welt. In Liebenzell waren
wir öfters mit Hopf,(60) den ich aber schon vorher als Gesinnungsfreund
kannte, zusammen. Unterwegs hatten wir auch die herzensgute
Tante meines Mannes, (auch der Onkel lebte noch in Ehningen)
besucht, Heinrich Mohrs Eltern. (61)
Mit Frau von Rieger war ich in Stuttgart immer viel zusammen, sie
hatte meinen Mann so gern. Auch mit Rantzaus, die immer in treuer
Liebe an mir hingen, kam ich noch zusammen. Mit meinen Verwandten
in Dätzingen aber nie mehr, da mir mein Vetter in Folge des Verlöbnises
mit Hermann Kurz einen verrückten Brief geschrieben hatte.
Ich solle bedenken wer er sei und meine Ahnen würden sich messalieren
(62) und im Grabe herumdrehen. Und der, den ich heirathen
wolle, könne nur im Zuchthaus oder im Narrenhaus enden. So wurde
dazumals noch in jenen Kreisen, über die doch auch das Jahr 48 mit
seinen Grundrechten hingebraust war, gesprochen. - Messalieren mit
einem Dichter von seiner Begabung, mit einem Gelehrten wie Er! wunderbare
Führung des Geschicks, denn dieser Vetter starb im
Narrenhaus. - Mit meinem Schwager,(63) der früher in Eßlingen gewohnt
hatte, wo ich ihn oft, seiner großen Ähnlichkeit halber, für
seinen Bruder Hermann hielt, kam ich auch öfters zusammen. Er hatte
[21] dazumals noch seine erste Frau (geb.Faber), Luisens Mutter, und ein
schönes 11jähriges Mädchen, das an der Epilepsie litt und bald
starb.(62)
In unserer Wohnung in der Paulinenstraße, in der wir so gerne waren,
zog nun leider eine Klavierbestie ein, wie sie mein Mann nannte. Da
war seines Bleibens nicht mehr, denn dieser pensionierte Offizier
über uns hämmerte stundenlang auf dem Klavier, einem Instrument, das
Euer Vater nie ausstehen konnte, weil er sagte, es werde der für andere
Leute quälendste Dilletantismus darauf ausgeübt. Nach einer
schweren, aber glücklich überstandenen Krankheit des kleinen Alfred
zogen wir in die Militärstraße, in dasselbe Haus in dem meine Mutter
zur Erholung einige Wochen zugebracht hatte. (Isolde notiert: "Nun
wars ein Wirthshaus") Frau Heinrich (63) kam und räumte uns die
Zimmer ein und blieb einige Zeit bei uns. Aber wir kamen vom Regen
in die Traufe, denn kaum eingezogen, so ging ein Hämmern und Klopfen
los. Es wurde nebenan eingerissen und ein Neubau gemacht, und
Hermann sollte unter diesem banauischen Lärm arbeiten. Also wieder
Wohnungssuche. Es wurde eine herrliche gefunden in einem früheren
königlichen Schlosse, dem sogenannten Königsbad (64) zwischen
Stuttgart und Berg, gerade in den Anlagen liegend. Ungeheuer große
und hohe Zimmer, und ein herrlicher parkähnlicher Garten. Hier gabs
Ruhe für den Dichter und wunderbaren Spielplatz für die Kinder. Im
selben Gebäude wohnten später noch Notters. Friedrich Notter, (65)
der Danteübersetzer und später zogen Weißers, mit denen wir sehr
befreundet waren, ein. Dieser Ludwig Weißer, später Professor an
der Kunstschule war der Bruder des bereits verstorbenen Adoph
Weißers. - Hier ging alles eine Zeitlang vortrefflich. Eine neue
überarbeitete Ausgabe von "Schillers Heimathjahren" kam heraus. Wir
machten hier die Bekanntschaft mir Paul Heyse,(66) den I.G.Fischer
(67) bei uns einführte. Auch Ludwig Pfau war acht Tage, als
noch nicht amnestiert, bei uns verborgen. Nun kam an einem Ostermontag,
den 13. Apil 1858 das 4. Kind, Erwin. Blüthen und Schneeflocken
wehte der Wind an die Fenster, ein herziges kleinwinziges
Kindlein mit einem Köpfchen nicht größer als ein Äpfelchen lag
neben mir an der glücklichen Brust, die wie ein fast nie versiegender
Born meine Kindlein nährte. So wuchs das Häuflein an, und da
konnte es die fleißige, nie rastende Fina nicht mehr allein fertig
bringen, Frau Weißer trat uns ihr Dienstmädchen ab die Christine.
Bald sollte nun mein häusliches Glück einen Stoß bekommen. Mein
Mann, der sich nun wieder ganz seiner literarischen Arbeit hingegeben
[22] hatte, litt schon nach Beendigung des "Sonnenwirths" an einer
gewalthigen Nervenaufregung, die aber niemand erschreckt hatte, da
er das Werk in neun Monaten hatte vollenden müssen und Krankheiten
der Kinder es ihm erschwert hatten. Doch legte sich die Nervenerregung
wieder durch eine Fußreise die er auf der Alb, zuerst zu
Bareiß, (68) dann zu seinem Freund Kausler (69) machte. Er kam
dazumals kuriert zurück. Doch begann sie aufs neue nach Beendigung
einer Arbeit, ich glaub es waren "die beiden Tubus". Zuerst war es
eine tiefe Verstimmung, Schwermuth und plötzlich eine Unruhe. Ich
ging mit ihm spazieren, aber er kam nicht weiter, lief nur im Kreis
umher, aß nicht mehr, schlief nicht mehr, wurde vom Durst gepeinigt
und da griff er einmal des Nachts nach einer Flasche von der er
sich einschenkte und ein ganzes Glas ausleerete. Es war aber nicht
Wasser, es war Rhum. (Isolde notiert: "Ist unrichtig, siehe im
ersten Heft") Nun brach eine fürchterliche Hitze an ihm aus, die
Augen glühten, er stand stundenlang vor dem Spiegel und wusch sich
mit kaltem Wasser, immer seine entstellten Züge anschauend, dann
schloß er sich ein, sprach mit niemand mehr, auch nicht mit mir,
dachte nicht mehr an seine Lieblinge, die Kinder. Die Freunde, die
ihn besuchen wollten: Hopf, Schnitzer (70), die liebsten, er ließ
sie nicht vor. So verharrte er mehrere Tage. Das Essen mußte man ih
durch ein Schiebfensterchen einführen, er berührte es kaum und
stellte es wieder heraus. Ich stand abwechslungsweise mit Christine
am Schlüsselloch, immmer eine Katastrophe befürchtend, die Kinder
hatte ich ganz Josephine übergeben. Endlich kam Dr. Stockmaier,
(71) unser Arzt. Er beruhigte mich und sagte, das sei jetzt hauptsächlich
die Alkoholvergiftung, es werde sich legen und er hoffe
ihn heraus zu locken. Er sprach also zu ihm hinein durchs Schiebefensterchen
das Hermann öffnete. Er sagte, er habe über eine Geldangelegenheit
mit ihm zu reden, es handle sich um Aktien die vorteilhaft
für ihn wären. Und siehe da, als der Kranke sah, daß man nicht
Notiz von seiner Krankheit nahm, öffnete er die Thüre. Stockmaier
ließ sich nichts anmerken, wie sehr er auch über ihn erschrak,
sagte ihm, es sei eine lange Auseinandersetzung geschäftlicher Art
und schlug ihm vor einen Spaziergang mit ihm zu machen, wo sie
ungestört verhandeln könnten. Mir sagte er, ich solle ruhig sein,
er werde ihn den ganzen Tag nicht heimbringen. Langsam erklärte er
ihm unterwegs ein Geldgeschäft, führte ihn nach Wangen, dort
bestellte er ein Essen, der Apetitt hatte sich eingestellt, er
führte ihn auf Umwegen durch Wälder und über Berge und bei sinkender
[23] Nacht zurück. Er schlief die ganze Nacht und stand als ein
Genesener auf, doch nur für kurze Zeit. Was ich ausgestanden habe
das läßt sich nicht beschreiben, auch die Dankbarkeit nicht, die
ich für Dr. Stockmaier empfand. Nun kam wieder eine ruhige Zeit.
Die Gesundheit eures Vazters besserte sich schnell, ich machte oft
lange Spaziergänge mit ihm durch Äcker und Wiesen, da er immer den
Weg verlor und ich eine ebenso schlechte Pfadfinderin war. -
Im andern Flügel des großen Gebäudes wohnten Weißers. Frau Weißer,
von uns eine sehr treue liebende Freundin, hing mehr an euch, als
an ihren eigenen Kindern. Der Papa überarbeitete frühere Novellen
und schrieb auch wieder an "den beiden Tubus". Dann begann eine
gemeinschaftliche Arbeit mit Weißer. Hermann schrieb den Text zum
Kunstatlas, den Weißer herausgab. (Isolde notiert:" Wieder erst in
Obereßlingen vollendet".) Endlich kam wieder die Wohnungsnoth. Wir
mußten ausziehen, da das Königsbad an einen anderen Besitzer überging.
Das war ein arger Schlag, denn so schön sowohl die großen
Räumlichkeiten, als was den parkartigen Garten betrifft, konnten
wirs wohl nicht mehr finden, besonders auch der Stille halber nicht.
Vergeblich waren alle Entdeckungsreisen in und um Stuttgart. Da kam
Freund Hopf mit dem freundschaftlichen Anerbieten bis etwas ganz
Passendes gefunden sei, zu ihm nach Obereßlingen zu ziehen. Er
hatte erst kurz sich dort ein hübsches Häuschen gekauft. Wir brachten
also den größten Theil unserer Geräthschaften bei Weißers und
Bechers unter und zogen nach meiner alten Heimath, wenn auch nicht
in mein väterliches Haus, das längst um einen Spottpreis an das
Fräulein Weinland (72) verkauft worden war. Es war zwar eine kleine
Mansardenwohnung in die wir zogen, eures Vaters Zimmer war zwar
ziemlich groß aber nieder und hatte nur halbe Mansardenfester, wir,
die Kinder, Fina und ich bewohnten ein großes Zimmer mit zwei ganz
kleinen Alkoven, (73) in einem der kleinsten war Christine untergebracht
die auch mit uns kam. Ich war glücklich wieder auf dem Lande
zu sein, dem Schauplatz meiner Kindheit, und wo ich die ersten Monde
meiner glücklichen Liebe zugebracht hatte. Ich hoffte auch von der
ländlichen Stille, dem Garten, dem täglichen Umgang mit einem so
zuverlässigen Freund das Beste für die immer etwas aufgeregten Nerven.
Auch Er fühlte sich behaglich in der ländlichen Ruhe und dem
steten Contakt mit der Natur. Wir waren aufs liebevollste von allen
Seiten empfangen worden. Das Millersche Haus überhäufte uns mit
Freundschaft und Liebesbeweisen, vor allem die gute Tante Bertha.
Mit meinem alten Freunde Rommel, den die Zeit besänftigt hatte,
[24] traten wir in ein herzliches Verhältnis. Ich brachte ihm meine
Kinder, an denen er eine aufrichtige Freude hatte, besonders an
Isolde und dem Butzel, den er gleich auf das Pferd setzte und
reiten ließ. Auch das alte Fräulein von Bär lebte noch, die uns mit
ebensoviel Herzlichkeit empfing. Nach nur 7jähriger Trennung war es
uns als ob wir nie fortgewesen wären, lebten doch auch fast alle
die Landsleute noch, die mich als Kind gekannt, die meinen Eltern
verpflichtet gewesen und die sich freuten, mich wieder unter sich
zu haben. Frl.von Bär war entzückt von meinem Mann, war er doch von
jeher das Entzücken des ganzen weiblichen Geschlechts, jeglichen
Alters und Standes. Wie schön kam mir unser Garten am Haus vor.
Armanidens (?) Zaubergärten konnten nicht schöner für mich sein. Da
spielten die Kinder ohne Zwang, wie losgelassene Füllen sprangen
sie auf dem Wasen einher, und weiter oben wandelte in Gedanken der
herrliche Mann, band herabhängendes Laubgewinde herauf. Morgens
schulmeisterte ich mit den zwei älteren Kindern, Christine spielte
mit den Kleinen im Garten, Erwin war dazumals erst zwei Jahre alt
und ein entzückend reizendes Kind, zart wie ein Mägdelein. - Abends
badeten wir oft alle zusammen im offenen sehr seichten Neckar.
Einmal rutschte der Papa mit seinem Mädele aus und stürzte im
Wasser hin. Als er sich mit dem Kinde wieder aufgerafft hatte, war
die Kleine ganz blau und mußte durch Reiben erst wieder ins Leben
gebracht werden. Nun war auch noch eine mir liebe alte Freundin
nach Obereßlingen gezogen. Frau von Rieger mit ihrem Mann, dem
sogenannten Groschenbaron. Letzterer war früher Attaché an der
Gesandschaft gewesen, ein Original ganz absonderlicher Art, sehr
reich, sehr gelehrt. Meiner heutigen Erinnerung nach lebte er
zurückgezogen, von seinen Büchern umgeben, mit seinen Papageien.
Auf dem Boden lagen die Banknoten herum. Es durfte niemand in sein
Zimmer aus Furcht er könnte die Papierscheine an den Sohlen davon
tragen. Er selbst hatte die Gewohnheit beim Ausgehen stehen zu
bleiben und seine Sohlen zu untersuchen, ob kein Schein daran haften
geblieben. Da man aber wußte, daß er sein Vermögen verzehrt
hatte bis auf einen Nothpfennig, die seine Frau gerettet hatte,
nannte man ihn den Groschenbaron. Er war ein Abkömmling, aber mit
englischem Blute vermischt, von jenem Oberst Rieger dessen fluchbelandenes
Angedenken, der in "Schillers Heimathjahre" beschrieben
ist. In größter Armuth zogen sie nun nach Obereßlingen. Für mich
aber war es eine Freude, die Jugendfreundin meiner Mutter in meiner
Nähe zu haben. Alle Menschen die uns umgaben, waren uns aufs
[25] innigste zugethan. Oft kamen auch Bechers und Frau Weißer uns zu
besuchen, auch I.G. Fischer. Es wäre eine friedliche, liebliche
Idylle gewesen so im trauten Verein mit unserem vortrefflichen
Hauswirthen hier zu leben, wenn nur nicht die Nerven immer wieder
zu spuken begonnen hätten. Dazu kam die Geldnoth, die oft sehr
drückend war. Wir lebten so billig als es nur möglich war, Euer
Vater hatte sich eine Zeitlang den Wein versagt, trank Essig mit
Wasser, aß schwarze Brodtsuppe, die er seine spartanische Suppe
nannte, als Luxus noch Butterbrod mit Kräuterkäse. Statt der
Cigarren und des Tabaks, wickelte er sich von getrockenten Erdbeerblättern
Cigaretten zurecht. In dieser schweren Zeit der
Geldnoth erhielt ich oft auf merkwürdige Weise ein Goldstück. Wer
der Spender war, weiß ich heute noch nicht.
Nun kam das Jahr 1859 und mit ihm die Gründung der Schiller-
stiftung, (74) die anfänglich nur über geringe Mittel verfügte,
und so war auch die Provision die eurer Vater erhielt vorerst nur
eine einmalige, doch wiederholte sie sich immer, ohne feste Zusage
bis sie endlich als dauernd bestimmt wurde. Das war nun gerade gege
Hungersterben. Der Text zum Bilderatlas hatte zwar eine ordentliche
Summe abgegeben, aber sie war im Vorraus verbraucht. Herrlich
leuchtete der Genius noch einmal hervor im "Fremdling", (75) seinen
poetischen Schwanenliedern, dann brach wieder das alte Übel los,
das keine Arbeit zuließ und die Muse vertrieb. Auch Gehörhalluzinationen
traten auf, hie und da ließ sich auch ein Verfolgungswahn
bemerken. Nie hab ichs vergessen und nie werde ichs vergessen, daß
in diesen Zeiten, wo der arme Dichter sich schon in sich selbst
zurückgezogen hatte und bald auch ein Verschollener geworden wäre,
der Briefwechsel mit Paul Heyse ihm eine Quelle der Freude und
Auffrischung wurde. Die Kritiken, die er über ihn geschrieben
hatte, entzogen auch den Halbvergessenen seiner tiefen Einsamkeit.
Es kamen buchhändlerische Aufträge, aber die Nerven stellten sich
dazwischen, doch kamen immer wieder auch ruhigere Intervalle und
schöne und glückliche Tage, doch selten ohne Angst und Sorge.
Das Jahr 1860 das die Welt mit Garibaldis (76) Ruhm die Befreiung
beider Siciliens vom bourbonischen Jahr brachte - brachte auch
mir einen kleinen Garibaldi am 18. Mai im kleinen Alkoven, in Hopfs
Häuschen geboren. Seine Niederkunft war so schmerzlos gewesen. Kein
Kind hatte mir weniger Sorgen gemacht wie dieser kleine Nestkegel.
Nach wenigen Tagen hielt ich schon wieder meine Schule im Bett, den
kleinen Säufer an der Brust. Die Aufzeichnungen aus jener Zeit
[26]stehen ausführlich im ersten Heft, ich geh also flüchtig darüber
hinweg. Eine Scharlachepedemie war in Obereßlingen ausgebrochen.
Alfred war unter den ersten, die davon befallen wurden, dann kam
Erwin, gleichzweitig folgten Edgar und Isolde. Alle vier Bettladen
standen im grossen Zimmer. Da der Verlauf ein sehr guter war, so
blieb ich meistens ziemlich ruhig. Jeden Abend brachte Hopf den
Kindern Orangen und Äpfel, wenn er von Stuttgart, wo er zuerst "den
Beobachter" redigierte und später den "Gradaus" schrieb, mit.
Während bei uns alles gut verlief, war im Dorf fast in jedem Haus
ein todtes Kind, denn die Diphterie war dem Scharlach gefolgt und
sie ist eine grausame Mörderin. Bald nachdem die Kinder wieder genesen
waren, verkaufte Hopf sein Haus und der Papa machte sich auf
die Wanderschaft eine ländliche billige Wohnung zu finden. Er
machte also ein Fußtour, die er ohnedies nöthig hatte, kam nach
Weilheim, wohin ihn Jugenderinnerungen zogen, weil dort sein Bruder
mehrere Jahre gelebt hatte, seinen Liebesroman dort gesponnen
mit seiner ersten Frau, die die Tochter des Amtmanns war, und auch
er hatte seine ersten literarischen Arbeiten dort verfaßt. Ein
Verwandter, ein Dr. Bauer (77) lebte hier. Mit dem zog er nun auf
Erkundungsfahrt. In dem nahen Kirchheim fanden sie eine sehr geräumige,
aber nicht gerade anmuthige Wohnung in einer engen Gasse.
Der Abschied von Obereßlingen that uns allen sehr weh. An die Übersiedlung
dorthin kann ich mich nicht mehr erinneren, nur an den
Einzug, als unsere Möbel auf der Straße standen und von den Leuten
neugierig begafft wurden. Ein kleiner Lausbub trat zu Alfred heran
und frug: "He Du, seid Ihr reich?" Und Alfred antwortete: "Was
reich? Da thäten wir uns schämen."- Ein Beweis wie wenig meine
Kinder Reichthum und Wohlleben vermißten. - Ein Zimmer war sehr
groß, das hatte zehn Fenster, in dem schlief Josephine mit den vier
Ältesten, ich mit Balde und dem Papa schliefen daneben in einem
kleinen. Die Umgebung von Kirchheim war reizend, die Teck mit ihrer
Mauerkrone ragte zu allen Fenstern herein, die Spaziergänge in der
Umgebung konnten einem die unangenehme Wohnung in der engen Gasse
vergessen lassen. Viel gingen wir fort, auch den Papa lockte es
hinaus, er fühlte sich dadurch wohler, war angeregt durch die
schöne Natur und die Nerven ruhten. Die Freunde, die alle kamen,
führte er meistens auf die Teck. Bald zogen wir wieder aus in eine
hübsche Gartenwohnung, durch die ein Flüßchen floß, in dem wir alle
baden konnten. Wir waren noch nicht ganz mit der Einrichtung fertig,
als von Heyse die dringende Aufforderung kam, der Papa solle zu ihm
[27] nach München kommen. Ich war erfreut und betrübt darüber, denn es
war die erste Trennung, in die ich mich finden mußte. Andererseits
hoffte ich, daß es eine günstige Anregung für den Einsamen sein
würde. Ich begleitete ihn bis Plochingen, wohin viele der Freunde
gekommen waren, um nochmals mit ihm zusammen zu sein un Abschied zu
nehmen. Dazumals war Heyse noch Witwer und lebte mit seiner Schwiegermutter
(78) zusammen, die eine so große Freundschaft zu Hermann
erfaßte. Auch der unglückliche Schwager lebte mit ihnen. Sechs
Wochen dauerte der Aufenthalt, während welcher Zeit Tante Bertha
bei uns war, die ich von Plochingen mitgenommen hatte. Alle paar
Tage bekam ich einen langen Brief, und diese Briefe waren mir eine
wahre Seligkeit. Die Kinder schrieben theils italienisch, theils
lateinisch, denn Edgar war durch die ausgezeichneten Privatstunden,
die er bei Herrn Bockel,(79) einem jungen netten Collaborator
nahm, schon ein ganz tüchtiger Lateiner geworden und konnte gleich
in der Lateinschule zwei Klassen überspringen. Dort wurde er wie
ein Prinz behandelt und erwarb sich durch seinen Fleiß und sein
zurückhaltendes angenehmes Betragen die Bewunderung seiner Lehrer.
Auch Isolde machte tüchtige Fortschritte im Lateinischen. Nun hatte
ich Edgars Hefte und konnte mich daran halten. Der Butzel lernte
lesen und schreiben, wobei mir Christine sehr hilfreich war. Für
die gute Fina war die Trennung von Obereßlingen wohl am schmerzlichsten,
aber wo sie mit uns sein konnte, da war ihre Heimath. Wie
selten findet man so edle Menschenseelen, wie sie eine war. Denk
ich an sie, so empfinde ich eine tiefe Beschämung, denn alle ihre
Opfer hatte ich hingenommen als selbstverständlich, wie ein Kind
von seiner Mutter, niemals hab ich ihr den Dank ausgesprochen, den
ich Fina unbewußt doch immer für sie gefühlt, durch das Gefühl, daß
ich sie gleichsam eins wußte mit mir, daß ich ihr jeden Gedanken
jede Sorge mittheilen konnte. Und wie hing sie an euch und eurem
Vater! - Die Freude seiner Rückkkehr vermag ich nicht zu schildern.
Pläne einer Übersiedlung, einer Herausgabe eines Almenachs, der die
Mittel dazu liefern sollte, wurden in München geschmiedet. Das
alles wirkte belebend und anregend. - Zwei Novellen waren in diesem
Kirchheimer Aufenthalt entstanden: "Sankt Urbans Krug," (80) der
den Beweis lieferte, daß der Humor noch nicht ertödtet war, trotz
Misere und Nervenleiden und das verhängnisvolle Märchen, das ebenfalls
wie "Sankt Urbans Flasche" in einem Münchner Blatt erschienen
war, wovon sich aber später kein Exemplar vorfand, und auch Heyse
bei Herausgabe der Werke das Blatt nicht ausfindig machen konnte.>s4
[28]Eine kleine historische Skizze, die noch in Obereßlingen geschrieben
war, kam im "Beobachter": "Die Schenke am Rhein, Scenen des
30jährigen Kriegs." (81) Während sich euer Vater noch mit seinem
Münchenplänen trug, hatte die demokratische Parthei bei dem
dazumals demokratischen Minister Golther (82) dahin zu wirken
gesucht, dem vom Schicksal so verfolgten Dichter eine, eben durch
den Tod des Prof. Tafel (83) freigewordene Stelle als Universitätsbibliothekar
zu verleihen. Die Freunde in Tübingen wie Prof.Keller,
(84) Holland (85) usw. frugen bei ihm an, ob er willens wäre, die
Stelle anzunehmen, was ihm mehr Sicherheit böte und die demokratisch
gesinnten Professoren schlossen sich mit Eifer an: wie Schäffle,(86)
Mandry, (87) Fricker (88) etc. Es wurde durch Golthers Dafürwirken
durchgesetzt, und er bekam in Laufe des Herbstes 1863 die
Ernennung. Der schon sehr alte König Wilhelm I, (89) der niemals
seiner demokratischen Gesinnung verzieh, obgleich er sich im Jahr
1848
als Republikaner bekannte, wurde, als er beim Unterschreiben
des Erlasses stutzig wurde, durch Golther mit einer kleinen
List abgelenkt. Alle Blätter Schwabens jubilierten, daß nun ein so
hochverdienter Dichter, der seine Heimat mit zwei so vortrefflichen
Werken wie "Sonnenwirth" und "Schillers Heimathjahre" beschenkt
habe, endlich eine kleine Anerkennung zu Theil werde. Auch ich
frohlockte, weil ich glaubte, daß ihm mehr Umgang, mit lauter alten
Jugend- und Universitätsfreunden gut thun würde, und weil ich die
Hallen der Universität für meine Söhne offen sah. Wie oft hatte
mich diese Frage mit schwerer Sorge erfüllt. Wie sie studieren
lassen ohne Geld- jetzt wars durch die Versetzung in die Universitätsstadt
allen ermöglicht. - Also noch einmal die Zelte abgebrochen
und dem liebgewordenen Garten Valet gesagt. Wieder kam die unermüdliche
Tante Bertha und half packen und reiste mit uns nach Tübingen.
Der Papa war schon voraus. Er mußte am 2.Dezember 1863 eintreten,
wir folgten erst Ende Dezember nach. Doch holte er uns in
Kirchheim ab. Der erste Eindruck, als der Zug hielt und Tübingen
gerufen wurde, war ein schmerzlicher und war das Durchzucken einer
bösen Ahnung. Hier, so stieg es in mir auf, hier in dieser Stadt,
wird einst mein Mann begraben werden. Es war ein schwarzes Gespenst
das aufgestiegen war, das ich aber auch sogleich verscheuchte.
Hermann führte uns nun in unsere Wohnung, ganz in der Nähe des
Bahnhofs, wo er inzwischen allein gehaust hatte. Befreundete Hände
hatten alles hergerichtet. Ein großer Jubel wars als ihr mit Fina
in die Speisekammer tratet. Da waren Körbe voll Äpfel und Schnitz
[29] und Zwetschken, Butterballen, Milchkrüge, Würste an Bindfäden aufgehängt,
Mehl, Reis, Zucker, Kaffee, kurz alles was man in einer
Haus- haltung nöthig hat, lag aufgespeichert da, einen Vorrath wie
ihn meine gute Josephine seit dem Tode meiner Eltern nicht mehr sah
Auch ein neues Sopha stand im Wohnzimmer. Ich verdankte das einer
Jugendfreundin meiner Mutter, der Kriegsministerin Miller, die
ihrem verwithweten Schwiegersohn, dem Prof. Roemer (90) das Haus
führte. Sie hatte uns auch schon einmal in Obereßlingen besucht
gehabt. Sie hing mit großer Herzlichkeit an mir und liebte meinen
Mann sehr. Wer hätte auch den nicht geliebt! - Dieser Prof.Roemer
aber war ein Sohn des radikalen Märzministers Roemer, eines
entschiedenen Republikaners, der aber mit dem Porte famille seine
Gesinnung änderte, die Nationalversammlung, die von Frankfurt nach
Stuttgart übergesiedelt war, durch rohe Militärgewalt auseinander
sprengen ließ, und der als Tonangeber der Württembergischen Zeitung
in einer offenen Fehde mit der Redaktion des Beobachters gestanden
hatte. Einmal hat er sogar euren Vater zum Duell mit dem Degen
fordern wollen. Er aber antwortete, er sei kein Corpsstudent und
gebe sich zu keinen dummen Paukereien her, dagegen nehme er ein
Duell mit Pistolen an, auf fünf Schuh Entfernung. Damit hatte die
Herausforderung ein Ende, denn damit wärs dem Herrn Minister, der
in seinen Studentenjahren ein Raufbold war, nicht gedient gewesen.Aber
das alles war - tempi pasati, und der Professor stand mit dem
neuen Universitätsbibliothekar sehr gut, war sogar einer jener, die
seine Anstellung eifrig betrieben hatten. - Den Abend von unserer
Ankunft waren wir zu den alten Mayer (91) eingeladen, wo uns alle
mit rührender Herzlichkeit entgegen kamen. An diesem alten Naturdichter,
dem Busenfreund Uhlands, bekam ich nun einen sehr warmen
Verehrer, der nicht müde wurde mich anzusingen. Auch mit seinen
Töchtern befreundete ich mich bald, besonders mit der jüngsten und
schönsten Emilie. Auch sie lebt nun nicht mehr. Ich machte nur bei
den allernächsten Freunden meines Mannes Besuch. Die junge schöne
Frau Prof. Strecker (92) kam zuerst zu mir. Mit ihr und ihrer
Mutter kam ich in ein sehr herzliches Verhältniß. Es versteht sich,
daß ich Frau Uhland (93) aufsuchte, ich wurde aber nicht warm bei
ihr, denn sie war ein abweisendes Wesen, sehr verständig, aber ohne
Feuer. Das schöne Tübinger Schloß und die Bibliothek machten mir
viel Freude. So reich war ich noch nie mit Lektüre versehen. Alle
neu angeschafften Bücher wanderten zuerst duch meine Hände. War der
Oberbibliothekar Eures Vaters schon aus politischen Gründen, uns
[30] nicht sehr hold, so hatte das doch keinen weiteren Einfluß und er
fühlte sich in den neuen Verhältnisssen ganz behaglich. Das Rechnungswesen
hatte er bald los, die Studenten liebten ihn alle wegen
seines freundlichen Wesens und die große Bücherwelt war ihm wie
eine Provinz, die er zu verwalten hatte. Da der Weg von Letsches
Haus
bis zur Bibliothek weit war, blieb er über Mittag oben, und
ich brachte ihm täglich Gerstenschleim, Fleischbrühe und dergleichen.
Erst abends um vier Uhr aß er dann zu Mittag und gleichzeitig
zu Abend. Das Stündchen, das ich dabei bei ihm zubrachte, wo ich
ihn so ganz allein hatte und wo er dann nicht durch Geschäfte noch
durch Arbeiten absorbiert war, gereichte mir zu großem Genuß! Die
Nerven waren ruhig. Er hatte keine Zeit sich .....in sich selbst zu
kehren, die Außenwelt machte zu viele Ansprüche an ihn. Wie segnete
ich dieses Tübingen von dem ich absolute Heilung erwartete. Als
dann der warme Frühling kam, waren wir viel auf einer großen Wiese
hinter Letsches Haus, abwechslungsweise Fina und dann wieder ich.
Da spielten die Kinder Ball. Edgar war inzweischen ins Gymnasium
eingetreten, hatte wieder ein Klasse überspringen dürfen. Das
lernern war ihm ein Kinderspiel. Alfred ging noch in der Elementarklasse.
Isolde turnte Edgar nach und machte mit neun Jahren ihr
ersten Gedicht, das heißt eine lateinische Übersetzung aus dem
Mittendorf in deutsche Verse: "Ohne Zweifel habt ihr schon, gehört
von König Philipps Sohn...etc." Da ich ein ziemlich gründliches
Tagebuch über der Kinder Thun und Treiben geschrieben, verweise ich
darauf. Unsere Hausgenossen, direkt unter uns waren Prof. Hegel-
meier,(94) mit denen wir aufs Herzlichste standen, und noch eine
Etage tiefer wohnte Prof.Siegwart, (95) der Philosoph. In dem
ersten Jahr unseres Aufenthalts kamen wir mit der Familie des
Componisten Silcher,(96) der ein Verwandter von Hermann war, viel
zusammen. Ob aber Silcher noch am Leben war, weiß ich nicht mehr.
Als Balde fünf Jahr alt war, bekam er das hitzige Gliederweh, das
dazumals in der Stadt sehr verbreitet war. Es war ein besonders
kalter Winter und unsere Wohnung war windig und kalt. Drei Wochen
lang litt das arme Kind entsetzliche Schmerzen, dann wich die
Krankheit. Ich ahnte glücklicherweise noch nicht, daß mit diesem
heftigen Anfall der Grund zu seinem langen Leiden und frühzeitigen
Tod gelegt war. Alle Jahre zeigte sich diese Krankheit wieder,
verschwand aber auch immer wieder schnell und in den Intervallen
befand sich der arme Schelm ganz wohl. - Frau von Rieger besuchte
uns einmal. Sie lebten schon längere Zeit nicht mehr in Obereßlingen
[31] sondern waren nach Cannstatt gezogen, da ihr Mann eine
reiche Erbschaft von einem englischen Lord, der sein Vetter war,
gemacht hatte. Er sollte sich nicht lange seines Reichthums freuen,
er starb und ließ seine Frau im Besitze des großen Vermögesn.
J.G.Fischer und das Waldfegerlein, der Vetter Heinrich Mohr,
Frau Schäuffele und Lilli hatten uns abwechslungsweise besucht.
Nach einigen Jahren zogen wir aus, der Unverschämtheit des Hausbesitzers
halber und zogen in die Stadt hinauf auf den Markt, in
das Haus des Conditors Genschowsky, an denen wir treue Freunde
fanden. Die Wohnung war klein für die nun größer werdenden Kinder,
aber die Geldmittel waren eben auch klein. Ein lang andauernder
Krampfhusten hatte den Umzug sehr beschwerlich gemacht. Wir waren
alle sehr gern in dieser Wohnng, hauptsächlich wegen den guten
liebenswürdigen Hausleuten, mit denen wir bald auf einem sehr
herzlichen Fuß standen. Unten war das Café Voigt, (97) ein Studentencafé,
wo sie den ganzen Tag und die halbe Nacht ihre Gelage
hatten. Gegenüber stand das alte Rathhaus mit dem Storchennest Es
war immer eine herzliche Freude, wenn der Frühlingsbote nach den
langen Wintermonaten wieder sein Geklapper hören ließ. Das Schloß
war nun ganz in der Nähe. Morgens um 9 Uhr stieg der Papa hinauf
und nachmittags um 4 Uhr kam er herunter. Dann war sein Tagwerk
vollbracht. Er aß dann Mittag und Abend zugleich allein und machte
sich bald wieder an irgend eine Arbeit: gelehrte Abhandlungen, geschichtliche
Studien aus der Mélaczeit,(98) Shakespearestudien,(99)
Übersetzungen spanischer Lustspiele von Cervantes Intermazoz. (100)
Nur ein Gedicht ist in diesem Hause entstanden: "Roswitha." Der
begonnene zweite Theil von "den beiden Tubus" blieb unerledigt.
Bald nahm die Herausgabe des Novellenschatzes mit Paul Heyse fast
seine ganze Zeit in Anspruch. Mit derselben, begann aber eine
pekuniär bessere Lage. So oft aber eine Geldsendung kam, gab er sie
mir mit den Worten: Du kannst besser spraren als ich, hebe sie auf,
schließe sie ein für die Kinder. Später aber schickte der vorsichtige
noch sparsamere Heyse das Geld gar nicht mehr, sondern legte
es gleich für uns an und nur wenn der Papa schrieb, es fehle an der
Haushaltung schickte er einen Theil. Dadurch wurden aber natürlich
keine Reichthümer gesammelt, das ging nicht gleich in die Tausende,
sondern in die Hunderte und das war eine große Sorge, weil der vom
Schicksal so karg bedachte Mann ein Gefühl von Wohlhabenheit empfand
und mir öfters sagte: "Nun habe ich die Hoffnung unsren Kindern
doch ein Vermögen von etwa 12 000 fl hinterlassen zu können,
[32] wenn das noch ein paar Jahre so fort geht." Ja, das Unternehmen
wäre schon fortgegangen, aber Er blieb uns nicht. Und doch wie
dankbar bin ich dem Schicksal, daß er wenigstens die Hoffnung in
sich trug.-
Als Isolde 13 Jahre alt, und bereits ein vollständiges Jungfräulein
war, ging sie auf den ersten Tanzstundenmaskenball, als Berner
Landmädchen maskiert. Um diese Zeit bekam sie auch ihr erstes
Liebesgedicht mit einem Blumensträußchen von Ernst Mohl, (101)
bald, da er auch ein intimer Freund Edgars geworden, unser täglicher
Hausgenosse wurde. Ich hatte ihn sehr lieb und er hing an mir
wie an einer Mutter. Er war damals 17 Jahre alt. Anna Dulk (102)
war um diese Zeit auch zum ersten mal bei uns, später kam sie alle
Jahre einmal. Als Isolde 14 Jahre alt war übersetzte sie bereits
für den Beobachter verschiedene Romane von Erkmann und Chatrian,(?)
die gerade Aufsehen errregt hatten: "Le bloceur de Pfalzburg," "Mon
oncle Fritz" und andere, daran ich mich nicht mehr erinnern kann.
Mit 10 Jahren hatte sie schon metrisch die Merope von Voltaire (103)
übersetzt mit 12 Jahren ein Trauerspiel geschrieben: Aristodemos,
samt der Geschichte von Messere, das Vischers große Bewunderung
errregt hatte und mich mit unsäglichem Stolz erfüllte. Auch bei
Edgar zeigte sich die Muse mit einer Formvollendung die staunenswert
war. So oft der Onkel von Stuttgart kam sagte er zu mir: Oh,
Du glückliche Griechenmutter. Von allen jungen Studenten, die unser
Haus bestürmten war der durch sein Schicksal und seine Originalität
hervorragenste Vaillant, (104) ein glühender Republikaner und
Socialist, der aber durch seinen allzu großen Ernst und platonische
Strenge einem aufblühenden, so gar jungen Mädchen, nicht gefallen
konnte, was er doch so sehnlichst gewünscht hatte. Sie war von zu
viel Huldigungen umgeben, als daß sie sich hätte fixieren können.Mit
der Gesundheit Hermanns gings ordentlich, nur am Uhlandfest,
(105) das bei grenzenloser Hitze abgehalten worden war, hatte er
eine Art Sonnenstich bekommen. Von auswärigen Celébritäten besuchten
uns Freese,(106) Walesrode,(107) Freiligrath (108) und
Moritz Hartmann,(109) mit denen wir dann meistens Touren in die
Umgebung von Tübingen machten. Im Übrigen lebte der Papa in seine
Bücher vergraben. Abends, wenn er nicht gerade arbeitete, durfte
man ihn besuchen, dann bot er sein Glas Grock zum Trinken an, was
die Buben nicht abschlugen. Wenn es dann im Hause ganz still
geworden war, die Kinder alle zu Bette lagen, die Großen wie die
Kleinen, dann kam er leise herab von seinem Dichterstübchen ging an
[33]das Bett eines jeden und drückte ihm einen Kuß auf. Bei Isoldens
Bett blieb er oft lange stehen und betrachtete wohlgefällig ihre
aufblühende Schönheit. Mit ihr machte er die meisten Spaziergänge,
denn ich war sehr viel am Bett des armen Dulders Balde festgebannt,
der vom 10ten Jahr an leidend war. Er konnte auch nur den Sommer
über, wenn er sich relativ ordentlich fühlte, das Gymnasium als
Hospes besuchen, die ganzen Winter brachte er im Bett zu und hatte
dann bei einem Studenten in Latein Privatstunden, sodaß er im
Sommer wieder mitmachen konnte, wo er oft ganz lange Pausen seines
Übels hatte. Über die vielen Krisen schweige ich, alles Traurige
liege mit mir begraben, mir ist ja im Laufe der Jahre auch der
qualvolle Schmerz gewichen und nur die Liebe geblieben und die
Erinnerung an die guten Stunden, die mir im Besitze dieses Schmerzenskindes
geworden waren. So wird es auch euch geben und ich werde
fortleben in euch, die euch so maßlos geliebt hat, die Erinnnerung
an solche Liebe stirbt nicht, das ist ihr Triumph und mein Trost zu
jeder Stunde meines Lebens. Die Unsterblichkeit, die ich jetzt im
voraus genieße, aber ich sage nicht mit Sokrates: (110) "Freunde
opfert mir keinen Hahn, es wäre mir leid um das gute Thier."
Das tägliche Leben mit allen kleinen Ereignissen habe ich, in dem
dazumals geführten Tagebuch, aufgezeichnet, thörichterweise jeden
Bubenstreich und jede Unart, worüber ich mich jetzt selbst
auslache, denn jetzt ists vergessen.
(Ende von Heftes: "Kirchheimer Zeit bei Mama"
[1581] Heft II, gelbes Heft, DLA 53.
I Kurz Familie Marie Kurz )


fehlt: Lehrer Julius Zeyer (s.Br.Mappe 3/1905, 8.5.1905
...Er erschoß sich aus Lebensüberdruß....

[68] Anmerkungen zu Heft II
[1844] (1) Graf Alexander von Württemberg, 1801 - 1844
Der "ritterliche Sänger"
Lenau schreibt an Max Löwenthal am 31.5.1843: "Unser Freund
Graf Alexander hat die erstaunliche Keckheit gehabt...einen
Band Sonette unter dem Titel "Gegen den Strom" erscheinen zu
lassen. Wer gegen die rapides unserer Zeit steuern will, muß
kräftigere Arme besitzen, als unser Freund, auch ein festes
gezimmert Fahrzeug führen, als leicht gefügte, zierlich geschnitzte
Sonette... Ich wünsche ihm ein stilles Untergehen
seiner Sonettenflotte, ohne, daß die Kritiker ihr lärmendes
Standrecht üben"...
(aus A. Nodnagel: "Alex.v.Württ.", Leben und Werk 1925, DLA)
(2) Zitat aus dem "Faust"
(3) Carl und Marie Rommels Grab ist noch auf dem Oberessl.Friedh.
(4) Cornelius Nepos, röm. Biograph 100-32 v.Chr.
(5) Friedrich Hegel, 1770 - 1831, Philosoph
(6) Conrektor und Geschichtsschreiber Pfaff aus Esslingen
(7) Georg Herwegh 1817 - 1875, Revolutionär und emigriert mit s.Frau.
[1904] Emma geb. Siegmund 1817 Von
Herwegh ist der Spruch: "Alle Räder stehen still, wenn dein
starker Arm es will."
(8) Nikolaus Lenau, eigentl. Niembsch, Edler von Strehlenau, 1802-1850
(9) u.(108) Ferdinand von Freiligrath, 1810 - 1878 Dichter und Revol.
(10) Alfred Thum(b) (M.K. schreibt Thumb von Neubronn)
Baron Alfred Thum von Neuburg aus Unterboihingen (ht. Wendlingen)
Marie Thum von Neuburg
(11) Heinrich Heine 1797 - 1856, ein Dichter ging nach Paris und
versuchte dort zwischen Frankreich und Deutschland zu vermitteln.
(12) Wilhelm Liebknecht, 1826 - 1900, sozialdem.Politiker u. Schriftst.
(13) Adolph Weisser 1815 - 1863 aus Göppingen, Redakteur beim "Beob."
(1843-1849) machte aus ds.schwäb.Blatt ein deutsches Blatt, war
von 1849 - 1862 als Emigrant in der Schweiz, kam als gebrochener
Mann zurück und starb in Göppingen im "Christophsbad"
Sein Bruder war Carl Weisser,
(14) Richard Wagner, 1813 - 1883 Komponist und sächs. Revolutionär.
Wagner komponierte in Venedig "Tristan und Isolde". Sein Wohnhaus
am Canal grande war schräg gegenüber von Dr. Alfred Kurz, Maries
2. Sohn, der seine Kinder Tristan und Isolde taufte.
(15) Friedrich Hecker,1811-1881, Anführer der bad. Revolutionäre.
(16) Lajos Kossuth,1802-1894, Führer der ungar.Unabhängigkeitsbewegung.
(17) Giuseppe Garibaldi, 1807 - 1882, Anführer der ital. Revoluionäre
u. Volksheld, Sohn Minotti gab 1888 die Memoiren s. Vaters
heraus. Die Garibaldianer oder "Rothemden" waren Garibaldis
Mitkämpfer. Marie Kurz benannte ihren Jüngsten nach ihm.
(18) Kaiser Wilhelm I, 1797 - 1888
(19) Mögling
(20) Otto von Corvin-Wiersbitzki, 1812-1886, am Aufst.i.Baden beteil.
(21) Lehrer Barth, von Esslingen
(22) "Don Quijote",(fzs. Quichote) Held des Romans von Cervantes,
1605-1615. "Der Ritter von der traurigen Gestalt."
(23) Dr. Späth
(24) Roderich letzter König (710/711) der Westgoten in Spanien.
(25) Adolf Bacmeister 1827 -1873 (M.K. schreibt meist Backmeister)
Er schrieb und malte das "rote Album" im Stadtmuseum Reutlingen.
(26) (frzs.) deutsch: "Nach seinem ehrerbietigem Körper"
(27) Lethe (grch.) = Vergessenheit
(28) Dr. Deubel
(29) Alighieri Dante, 1265 - 1321, größter Dichter Italiens
Sein Hauptwerk ist die "Divina Comedia" ("Göttliche Kommödie"),
welche M.K. von ihrer Mutter zum 12. Geburtstag erhielt.
(30) Flocon
(31) Simonis
(32) Charles Fourier, 1772-1837,
Jean Baptiste Fourier, 1768-1830
(33) Der Prozeß "Lola"....
(34) Scherr, Johannes geb. 3.10.1817 in Hohenrechberg bei Göppingen
gest. 21.11.1886 in Zürich. Scherr brach sein Priesterseminar in
Ehingen ab und studierte in Tübg. Philosophie und Geschichte.
Seit 1843 lebte er als freier Schriftsteller in Stuttgart,
stand sehr unter dem Einfluß Heines und Herweghs.
Er schrieb politische Denkschriften über Württemberg 1844. Bis
1847 war er Abgeordneter in der Kammer. Nach dem Scheitern der
Revolution wurde er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. In
Zürich war sein Bruder Seminardirektor der Blinden- und Taubstummenanstalt,
wo er als Flüchtling als Lehrer eingestellt
wurde. Johannes Scherr bekommt einen Ruf als Prof.in Zürich.
(Der Kulturpessimissmus nimmt zu) aus: Liede, Alfred: "Das
Herwegh Archiv im Dichtermuseum Liestal".
(35) Eduard Seckendorf - Gudent 1813 - 1875
Übersetzer, Lyriker und Dramatiker. Literatur: Der Irre 1834,
Volkslieder aus der Bretagne 1841, Der Civil-Prozeß
Parodie auf Schillers Glocke, Reimchronik über Herzog Ulrich v.W.
1863, Gedichte 1877) (Literaturlexikon)
(36) Ludwig Pfau, 1821 - 1894, Schriftsteller und Redakteur
der sat. Zeitschrift "Eulenspiegel". Lied von Robert Blum
(37) Robert und Emma Schäuffelen
(38) Baumgärtner
(39) Fürst Cato d.Ä. röm. Staatsmann, 234-149, sein Urenkel
Cato der Jüngere, 95-46 v.Chr. überzeugter Republikaner und daher
Gegner Caesars.
(40) Maximilian Robespierre, 1758 - 1794, Führer der Jakobiner
in der französischen Revolution.
(41) Hugo Steudel
(42) William Shakespeare, 1564 - 1616, größter Bühnenautor s.Z.
(42b)Der rote Becker
(43) Syndicus (grch.) = Justitiar
(43) "Decamerone", von Giovanni Boccacio, florentiner Dichter
[100] und Humanist, 1313 -1375. "Decamerone" ist eine Sammlung von
sinnenfrohen Novellen, waren Vorbild für die europäische Novellenkunst.
Zu seinem Repertoire gehört die Unbezwingbarkeit der
Triebe, Anregungen gaben ihm Horaz und Ovid. (Reclam)
(44) Deutschkatholiken (Erklärung im Karlsruher Schloß bei der
Revolutionsausstellung 1998)
"Die deutschkatholische Nationalkirche 1844, gegründet vom
jungen schlesischen Kaplan Joh.Rone. Ihr konnten Protestanten,
Katholiken und Juden beitreten. Die kirchliche Benachteiligung
der Frauen wurde abgeschafft, ebenso der Heiligenkult,
das Zölibat, die lateinische Messe und die Ohrenbeichte.
Unter den Demokraten und Liberalen waren die Deutschkatholiken
populär. Struve, Fickler und Blum gehörten ihr an. Mit der
Niederlage der Demokratiebewegung (nach 10 Jahren war dessen
Schicksal besiegelt." (Karlsr. Staatsarchiv)
Nach dieser Erklärung ist es verständlich, daß Marie dabei war.
(45) Römer
(46) Ein Gedicht von Hermann Kurz vertont von Silcher
(47) Christoph, Martin Wieland 1733-1813 Schriftsteller
auch Hauptgestalt der wohl ältesten germanisch- dt. Heldensage
(48) "Die beiden Tubus", Erzählung von Hermann Kurz
(49) Hermann Heinrich Becker,1820-1885, Rev. später Staatsrat (1884)
(50) Erzherzog Johann, 6. Sohn Kaiser Leopolds II, 1782 - 1859
am Aufstand der Tiroler beteiligt, beliebter Volksheld.
(51) Raveany
(52) Simon von Trier
(53) Ludwig Seeger, 1810-1864, Theologe, Dichter, Lyriker und
Redakteur, Shakespeare-Übers., Abgeordneter für Ulm und Bad Waldsee.
(54) Emma Niendorf (Succov) Schriftstellerin, Freundin Lenaus
mit ihm im Dichterkreis um Graf Alexander und Just. Kerner.
(55) Hedwig Wilhelmi, neben Marie Caspart die bester Freundin von
M. K., lebte lange in Spanien.
(56) Maler Groß
(57) Kaiser Napoleon III 1808 - 1873, ab 1852 Kaiser, siegte im
Krimkrieg gegen Rußland usw., kam 1870/71 bei Sedan in preuß.Gef.
(58) "Kinkel frei" Gedicht von M.K. (nicht aufgefunden)
(59) "Der Weihnachtsfund" , Erzählung von Hermann Kurz
(60) Franz Hopf gen.Vatterle, 1807-1887, berühmter Pfr. und Polit.,
betreibt prakt. Christentum, Red. beim "Beobachter" später
"Gradaus", scharfer Preußengegner. Seine Tochter
Marie Schiler,1840-1907, verh. mit Dr. August Schiler,
1840-1882, aus Zavelstein, Arzt in Pfalzgrafenweiler, später
Oberamtsarzt in Calw. Sie wohnten hier in der Nonnengasse 3.
(61) Heinrich Mohr,1780-1861 und Wilhelmine geb.Schramm 1787-1864
Pfr. in Ehningen bei Böblingen, Sohn Heinrich als stud.theol.
viel bei Kurzens in Tüb., später Pfr.in Asch bei Blaubeuren.
Er heiratete Marie geb. Dieterich aus Boettingen, die Tochter
Anna verh. mit Pfr.Karl Schnizer Kirchberg/J.u.Bad Mergentheim
1 Sohn Friedr.,Conr.Heinr.,Landgerichtsrat i.Oberndorf/N.
verh. mit Christine geb.Rüppel aus Wien. (meine Großeltern)
(62) Messalianer = auch Euchiten oder Euphemiten, eine Vereinigung
versch. nicht miteinander zusammenhäng. Religionen.
(63) Frau Heinrich
(63b) Dieses epielpsiekranke Kind (Name ?) wird im Kurz(t)-Stammbaum
nicht einmal erwähnt.
(64) Das Königsbad in Stuttgart
(65) Paul von Heyse, Schriftsteller, Nobelpreisträger 1910, Freund
der Familie
(67) J.G. Fischer, 1816 - 1897, Schriftsteller, Naturdichter, kein
Mann der Revolution, doch Gedichte dafür machte er, die dem
König mißliebig waren, erst durch seine Rede zu Schillers
Geburtstag wurde er berühmt,in Marbach kümmerte er sich um das
Schillerdenkmal. (aus Schwabenspiegel 1908)
(68) Bareiß
(69) Rudolf Kausler, 1811-1874, bester Freund von H.K.und Onkel
von Marie Caspart, Pfr. und Philosoph, Schüler Schopenhauers:
"Die Aufgabe das Daseyn Gottes zu beweisen, zeigt, daß die
Vorstellung Gottes vorhanden ist, aber als eine abstrakte, die
den Gegensatz an sich hat." Er konnte weder als Schriftsteller
noch in der Wissenschaft seinen Platz finden. Vikar in Buoch
z.Zt. von H.K., später Pfr. in Eislingen und Stötten.
(70) Karl Friedrich Schnitzer, 1805-1874, Rektor in Rtlg., a.d.
Asberg wegen Teilnahme an der Rev., ab 1855 Redakt.b.Beobachter.
(71) Dr.Stockmaier einer der freien Ärzte in Tübingen.
(72) Fräulein Weinland
(73) Alkoven = fensterloser Nebenraum, der an ein großes Zimmer
nischenartig angeschlossen ist. (Auch Friedr. der Große hatte
sein Bett in Sanssouci in einer Alkove.)
(74) Schillerstiftung
(75) "Der Fremdling", Erzählung von Hermann Kurz
(76) und (17) Garibaldi
(77) Dr.Bauer, ein Verwandter von H.K. in Weilheim/Teck
(78) Franz Kugler, 1808.1858, Kunsthist.u.Geschichtsschr.i.Berlin.
Prof. Dr.Bernhard Kugler,1837-1898, Geschichtsforsch.in Tüb.
nimmt Hermann Kurz 1873 mit zum Kegeln hinter der Schloßküferei.
(schönstes Grabmal auf dem Tübg. Friedhof)
(79) Lehrer Bockel, Kirchheim/Teck
(80) "Sankt Urbans Krug", Erzählung von H.K.
(81) "Die Schenke am Rhein," Gedicht von H.K.
(82) Karl, Ludwig von Golther 1823 - 1876 Staatsmann, Jurist
und Philosoph im württ. Innenministerium, ab 1864 Kultusminister,
ab 1867 Präsident des Geheimen Rats. Wegen seiner großdeutschen
Gesinnung mußte er 1870 das Ministeramt aufgeben und wurde Präsident
des evang. Konsistoriums. Er veröffentlichte u.a.:
"Der Staat und die kath. Kirche im Königreich Württemberg", 2 Bd.
1874. Er war der Vater des bek. Germanisten und Wagnerspezialisten
Wolfgang Golther, 1863 - 1945. (Dt. Biogr. Enzyklopädie)
(83) Gottlob Tafel, 1801-1874, Landtagsabg. ab 1849
(84) Adalbert von Keller, 1812-1883, Schüler Uhlands, Studienkam.
von Hermann K., Oberbibliothekar in Tübingen
(85) Holland
(86) Schäffle
(87) Prof.jur. Gustav Mandry, 1837-1902, Emigr., hat 1884-90 an
der Ausarbeitung des "Bürgerl.Gesetzbuches" mitgearbeitet.
(88) Fricker
(89) König Wilhelm I v.Württ., 1781 - 1864
(90) Friedrich von Roemer, 1794-1864, württ.Staatsmann, spät.
Präsident, mit Uhland und Pfizer in der Parthei
(91) Karl Mayer, 1786 - 1870, Oberjustizrat und Dichter (Foto)
schildert liebevoll ausgeführte Naturbilder voll inniger
Stimmung, die in drei Aufl. erschienen.
(92) Lina Strecker
(93) Ludwig Uhland L.U. 1787 - 1862, Spätromantiker
und Germanist, sein Frau Emilie schrieb über ihn f.s.Freunde.
(94) Prof. Hegelmeier,
(95) Prof. Heinrich, Christoph, Wilhelm Sigwart, 1830-1904, Phil.
ein Anhänger Kants. Stiftsephorus zur Zeit Herweghs.
Familie Hegelmeier und Sigwart wohnten mit Kurzens in der Karlstraße
13, dem heutigen Epple-Haus, an der Steinlach, neben
dem damaligen "Gasthof zur Eisenbahn".(jenseits der Steinlach
war die Wiese mit dem Schießplatz). Er schrieb: Logik 2 Bd.
Theodor Häring schrieb 1930 über ihn.
(96) Friedrich Silcher 1789 - 1860, war also 1863 bereits drei
Jahre tot. Komponist und Verwandter von H.K. durch Silchers Frau
Rosine Luise geb. Ensslin. Hermann Kurz lernte im Seminar Maulbr.
auf Wunsch Silchers zur Flöte noch Kontrabaß und hatte das größte
Gaudi, indem er 1/2 Ton tiefer spielte und das ganze Orch. drausbrachte.
(97) Cafe Voigt im Hause Genschowskis, Kronenstraße 11 ist
das heutige Café Pfuderer am Markt.
(98) "Aus den Tagen der Schmach, Geschichten um die Mélaczeit"
von Hermann Kurz, erschienen 1871.
(100) Cervantes spanischer Dichter 1547 - 1616, Verf.des Don Quijote.
(101) Ernst von Mohl, 1849-1926, Philologe,
zuerst Kaufmannslehre, in Tbg. Klassenkamerad von Edgar.
Gymnasiallehrer in Birkenruh bei Wenden (Baltikum) geht als
Lehrer nach Rußland, heiratet eine Deutschrussin, wird
Staatsrat in Petersburg. Mutter Marie ruft ihn vor ihrem Tod
zurück und er wird in München Isoldes "Kyrios". Buch: Isolde
Kurz "Ein Genie der Liebe, dem toten Freund zur Wohnstatt."
(Rainer Wunderlich-Verlag Tübingen o.J.)
(103) Voltaire, 1694 - 1778, Francois-Marie Arouet, bek.frz.Dichter,
Historiker und Philosoph, kritisiert das franz. Staats- und
Kulturleben.
(104) Dr. Edouard Vaillant, Mediziner und Kommunist, spät. Minister
der Pariser Kommune.
(105) "Uhlandfest", die Enthüllung des Uhlanddenkmals am 14.7.1873,
bei dem Hermann Kurz sich den Sonnenstich zuzog.
(106) Paul Freese
(107) Ludwig Walesrode
(108) Ferdinand Freiligrath, 1810-1876, Kaufmann, Dichter
(109) Moriz Hartmann, 1821 - 1872 böhmischer Jude, verließ 1844
Österreich, um seine Gedichtsammlung: "Kelch und Schwert"
(1845, 3 Aufl.) veröffentlichen zu können. Kehrte nach
Österreich zurück und trat in Prag an die Spitze der Dt.
Partei (demokr. Linke) 1849 verfasste er seine satirischen
Verse über die Verhandlungen in der Paulskirche, "Reimchronik
des Pfaffen Mauritius."
(110) Sokrates, 470 - 399, grch. Philosoph, führte zum Wissen des
Nichtwissens hin. Aus einsichtigem Denken folgt notwendig
richtiges Handeln. Tugend ist Wissen. Eine innere Stimme
(Dämonion) warnt den Menschen vor Irrwegen.

(111) Julius Zeyer, Lehrer am Gymnasium. Sein Liebling war Erwin.
s.a.Brief vom 8.5.1905 (Mappe 3/1905)...Er erschoß sich aus
Lebensüberdruß.

Ludwig Laistner, 1845 - 1896, Literaturhistoriker und
Schriftsteller. Theologiestudium in Tü., Vikarszeit 1870
Hauslehrer und Privatgelehrter in München, Mitglied des
Dichterkreises: "Gesellschaft der Krokodile" um Emauel Geibel,
seit 1880 nur noch als Schriftsteller tätig. Lit.: Er schrieb
Beiträge für Heyses "Neues Münchner Dichterbuch"(1882)
Berater bei Cotta Stgt. ab 1889 und betreute dort u.a. die
Goethe-Ausgabe. Bücher: lat. und dt. Literatur des
Mittelalters. Er war auch Mythen- und
Sagenforscher, schrieb u.a.:"Das Rätsel der Sphinx" (2 Bd 1889 )
(aus Vierhaus München 1997, "Dt. Biogr.Enzyklopädie")
Erwin, Dietbold Kurz, Bildhauer von 09-24. Prof.Kurz schuf
Plastiken für Kirchen, öffentl.Gd.,Brunnen und Denkmäler,
sowie Proträtbüsten u.a. wie 1908 Bismarck für die Walhalla.

Otto Orlando Kurz,Sohn v.Erwin, Architekt, 1881-33
Studienreisen durch Europa und Nordafrika, ab 1908 selbst.
Architekt in München, Preise für Rathaus in Mülheim/Ruhr.
Bismarckdenkmal in Bingen 1911 und die Augsburger Synagoge.
Sein Hauptwerk: Gabrielkirche in München (1926) aus Vierhaus

Kurz, Isolde, Marie Clara, 1853-1944 ber. Schriftstellerin

[1873] Kurz Heinrich Schweizer Sinologe. Germanist 1805Aarau
stammt aus Hof/Oberfranken stud. theol.in Leipzig wurde
als Burschenschafter relegiert und wandte sich der Uni
München als Orientalist zu, 1832 entlassen Er redigierte das
freisinnige Tagblatt: "Die Zeit" 2 Jahre Festungshaft.
Schweizer Exil, Prof.in St. Gallen einer der bedeutensten
[1859] Sinologen s.Zeit. Geschichte der dt. Lit. 3 Bd.
(aus Vierhaus)
Heft III
Anmerkungen zu Heft III


1898
Aufzeichnungen aus ihrer Jugend

und ihrem späteren Leben.



(Isolde Kurz notiert: "Tief wahrhaftig, aber in äußeren Dingen
oft ungenau.")

Meine geliebten Kinder
Schon vor Jahren, im Spätherbst 1887 hatte ich begonnen Erinnerungen
aus meinem Leben niederzuschreiben, aber von so verschiedenen Ereignissen
in der Familie abgezogen und an die Gegenwart gefesselt, ließ
ich die begonnene Arbeit liegen. Und doch war dazumals der Impuls,
der mich dazu getrieben, schon ganz derselbe, der auch den Versuch
heute wieder aufnehmen ließ. Es ist meinestheils der Wunsch euch zu
zerstreuen und abzuziehen vom ersten Schmerz der euch nun im Hinscheiden
entstanden ist. So lange ihr in diesen Blättern lesen werdet,
bin ich ja immer noch bei euch, ich rede mit euch. Ihr fühlt
meine Nähe, und ich genieße jetzt die Wohlthat, mich an euch zu hängen,
mich fest zu setzen, um nicht ganz zu vergehen und aufgelöst
zu werden in den Elementen. Das ist ein bißchen Unsterblichkeit,
die dem scheidenden Menschen ja wohlthut. Was mir das Scheiden
allein schwer macht, das ist der Gedanke euch, die ich so unendlich
lieb habe, zu betrüben, aber Ihr meine Söhne habt Kinder; in ihnen
lebt der beste Trost, schließt sie in eure Arme und der Schmerz
löst sich in sanfter Wehmuth auf. Nur du, meine geliebte Isolde
hast keinen solchen Trost und wirst vielleicht den Verlust der
Mutter am schmerzlichsten fühlen, aber du hast dein Talent,- du
hast die Muse, die mit sanfter Hand über die Wunden führen wird.
Und wenn du denkst, wie glücklich mich dieses Erbe deines Vaters
an dir gemacht, wie stolz er darauf war, so wirst du dich fassen.

So begleitet mich denn in die Vergangenheit. Leider werdet ihr viele
Lücken finden, denn mein Gedächtniß ist oft umschleiert. Die Zeiten,
in denen ich am glücklichsten mit eurem Vater gelebt habe und wo ich
am meisten von ihm hatte, das waren die Redaktionsjahre. Da zeigte
sich jenes spätere, all meine Ruhe mir raubende Nervenleiden noch
nicht. Ein ihm befreundeter Kreis gleichdenkender Männer umgab ihn,
der tägliche Kampf in der Redaktion griff sein innerstes Wesen nicht
an und gestattete ihm nicht, sich von der Außenwelt abzuschließen.
Allgeliebt, allverehrt, selbst von der feindlichen Parthei hochgeachtet,
flossen ihm die Tage harmlos hin, wenn er auch manchmal einen
[79] schmerzlichen Seufzer nach der verlassenen Geliebten, der Muse ausstoßen
mochte. Daß er, wie kein anderer mehr den "Beobachter" zu
einem ästhetischen Journal gemacht ohne seine Farbe abblassen zu
lassen, das beweisen die noch vorhandenen großen Bände der gesammelten
Nummern. Seine Devise war immer, daß für das Volk und die Kinder
nur das Allerbeste geschrieben werden dürfe, indem man sie zu
sich hinaufzuziehen streben müsse, man nicht aber herabsteigen
solle. Alles was im Schatze des Menschengeistes zu finden ist hat
er hereingezogen: Philosophie, Archäologie, Geschichte, Naturkunde,
weil ihm jeder Zweig des Wissens ebenso wichtig war wie der Kampf
um die Freiheit. Der Gehalt war ein spärlicher, den Zeitumständen
entsprechend, und doch brachte euer Vater noch einen beträchtlichen
Theil desselben den politisch Verfolgten, den Flüchtlingen zum
Opfer dar.
Manches Stündchen am Tag blieb auch mir. Er war dazumals noch nicht
so stumm in sich versenkt, wie ihr ihn später gesehen. Wir machten
schöne Spaziergänge in die Wälder, wo er mir die zu schreibenden
Zukunftsbilder aufziehen ließ. Denn daß er bei passender Gelegenheit
wieder in seiner eigenen Dichterwelt stehen wollte, schon um
den begonnenen und in einigen Kapiteln gedruckten "Sonnenwirt" zu
beenden, war dazumals eine beschlossene Sache bei ihm. Ein Roman
sollte durch alle Jahrtausende, theils in hermetischer Form, unter
allen Himmelsstrichen spielen, die andern geplanten waren wirkliche
Stoffe, ein Conrad Wiederhold, ein Breuning und die Geschichte
jener unglücklichen Afra, die ein Ahnherr verbrennen hat lassen.
Von sich selbst aber sprach er nie, und im reichen Vollbesitz der
Gegenwart kam ich nicht dazu, ihn auf sich selbst zu lenken. Als
dann die Kinder kamen, hielt uns die Gegenwart ganz gefangen. -

Das fünfzigjährige Jubiläum des Jahres 1848, das nun in allen Zeitungen
gefeiert wird, hat mich auch wieder mächtig ergriffen. Ich
sehe doch, daß der Geist jener Zeit in den Epigonen noch nicht ganz
erloschen ist, auch wenn er sich schwerlich wieder im kommenden
Jahrhundert inkarnieren wird. Ich werde dieses neue Lerchengeschmetter
nicht erleben, aber ihr, und ich hoffe es wird Widerhall
finden in Euren Herzen.
Ich wundere mich oft über mich selbst, daß ich die Abendstunden
meines Lebens mit wahrer Lebenslust genieße, daß ich genußfähig
geworden bin wie nie zuvor. Woher kommt das? Weil ich so alt geworden,
daß ich hoffen darf aus dem Leben zu scheiden, ohne noch
[80] einen heißen Schmerz zu erleben, hoffen darf keins der Meinigen
mehr zu verlieren. Wie freue ich mich, ihr Lieben, ich sage euch
allen meinen Dank dafür. Jedes zeigt mirs auf seine Weise, daß es
mich liebt, und ich fühle es überall heraus, und es macht mich
glücklich. Es macht mich glücklich, daß ich auch den Weg gefunden
habe zum Herzen meiner kleinen reizenden Enkelin Maja, daß es mir
manchmal gelingt ein Samenkörnchen in ihre Gedankenwelt zu weben,
von dem ich hoffe, daß es aufgehen werde. Ich weiß, daß ich ihr
manches hätte beibringen können, manches Ideal in ihr erwecken und
manches Streben, ein Schatz der glücklich macht und im hohen Alter
noch Genüsse bereitet, aber es sollte ja nicht sein,- Schwamm darüber.r>Ich
hoffe, daß der Geist ihres Großvaters und Vaters sich dennoch
Bahn bricht und sie in Euer Geschlecht einschlägt. Excelsior
sei ihre Losung! Wie freu ich mich jeden Tag, an dem ich durch Blütenbäume
und duftiges Grün hinauf zu Isolde steige, die paar Stunden
um sie sind mir wonniger Genuß. Und wenn ich morgens meinen
schlafenden Edgar wecke und mir die Züge seines Vaters in dem Schläfer
entgegenblicken, das alles ist Genießen, ist bewußtes Geniessen.
Dann kommen die liebesdurchglühten Briefe meines Erwin und die
Tage, die ich bei ihm erlebt und mit so inniger Liebe von allem
umringt war, tauchen mir wieder auf. Und Alfred, der herzensgute
Alfred läßt mich auch nicht...nach Liebe dürsten. Ganz zufrieden
kann der Mensch eben nicht sein, und so taucht auch ein Seufzer in
mir auf. Ach könnte ich doch alle wieder zusammen haben und müßte
ich nicht, wenn ich zum einen gehe den andern missen. Wessen Augen
auf diese Zeilen fallen, der sei innigst umschlungen und fühle
meinen Geisteskuß. -
Aber nun wieder zurück nach Tübingen. Die Jahre schwinden dahin. Tübg.
Edgar hat das Gymnasium hinter sich, in dem er sich die Achtung und
hohe Anerkennung aller seiner Lehrer erworben hatte, ist mit siebzehn
Jahren Student, zuerst stud.phil., was mit seines Vaters
Wunsch übereinstimmte. Der hoffte ihm einst seine Stelle als Universitätsbibliothekar
hinterlassen zu können. Isolde ist eine
vielumworbene Schönheit. Solche Haare mit ihrem schönen Goldglanz,
die ihr bis zu den Knien herab reichten, sah ich nie wieder. Was war
mir das alle Tage für eine Wonne sie zu kämmen, mit ihnen zu spie [81]
len, ebenso diese strahlenden blauen Augen, die die beiden Ältesten
von ihrem Vater hatten. Über die Mutterfreuden geht nichts in der
Welt.- Aber auch bei Alfred hatte ich alle Ursache zufrieden zu
ein, denn ein colossales Gedächtniß hatte sich entwickelt und ihm
[81] das Lernen leicht gemacht. Mit achtzehn Jahren war auch er Student.
Edgar war inzwischen, da ihn die pedantische Art des Professor
Herzog zu Tod gelangweilt hatte, zum Studenten der Naturwissenschaften
übergegangen. Da der Krach von 1870 ausgebrochen war, so
war der Papa zufrieden mit dem Wechsel, denn es war ihm eine Beruhigung
den Sohn, im Falle fortdauernder oder wiederkehrender Kriege
als Arzt und nicht als Commandant ausziehen zu denken - ebenso
war er froh darüber ihn im freiheitlichen Lager zu wissen, weil er
ihm da, wie er mir sagte, nicht mit dem Schießprügel davon laufen
werde. Wie oft sagte mir dieser liebe zärtliche Vater daß, wenn
Edgar, der aber noch zu jung war, in den Krieg gemußt hätte, so
wäre er mit ihm gegangen, um ihn nie allein zu lassen. Dieser Jammer
wurde uns Beiden erspart. Alfred war seinem Bruder gefolgt und
studierte nun auch Naturwissenschaften. Auch darin hatte ich ein
großes Glück, daß keiner zu einer Verbindung ging, daß keiner je
einen Kreuzer Schulden machte, daß sie auch mit ihren kleinen
Familienstipendien ihrem Durst mit Bier löschen konnten.Unser
lieber Freund Vaillant war, als der Krieg mit Frankreich
ausgebrochen war, in die Heimat zurückgekehrt, mit dem Wunsche, daß
die Deutschen siegen möchten, weil sie sonst ihres Kaisers und des
scheußlichen französischen Chauvinismus nicht ledig würden. Daß
auch eine große Niederlage die Franzosen nicht vom Chauvinismus
befreien konnte, zeigte die infame Dreyfußaffäre so manche Jahrzehnte
nachher.- Und die deutschen Siege, was haben sie uns gebracht?
Eine politische Reaktion ohnegleichen - den Uniformismus,
aber wie schon Heine sagte: "Ein gemeinsames Nationalzuchthaus und
eine gemeinsame (grausame?) Peitsche." Das dachten aber die
siegestrunkenen Deutschen dazumals nicht. -
Als es sich um die preußische Kaiserkrone handelte, legte euer
Vater mit den andern demokratisch und antipreußisch gesinnten
Professoren Protest beim Senat ein: Fricker, Schäffle, Mandry,
Brienz, Keller, Holland, Köstlin etc. Es war nur ein Gewissensakt,
daß es keine Wirkung haben konnte, wußten sie wohl. Die
Jahre die nun folgten sind mir durch die sich stets häufenden
Leiden meines armen Balde umschleiert. Bei Erwin hatte sich ein
ungewöhnliches Zeichentalent entwickelt, was uns mit großen
Hoffnungen erfüllte. Er war nun auch schon seit geraumer Zeit im
Obergymnasium, wo es gut vorran ging, die Mathemathik abgerechnet.

Von unseren früheren Bekannten, hatten verschiedene Tübingen verlassen,
[82] so der junge Mayer (Göckele) und Mühlberger. Dagegen war jetzt unser
[5] täglicher Umgang Otto Zeller. - Vaillant, war dem mörderischen
Standgericht der thierischen Bluthunde glücklich über die Pyrenäen,
als Eselstreiber verkleidet, entkommen, nachdem er zuvor noch zu
unserem Schrecken seine Erschießung in den Blättern gelesen hatte.
Unter dem Commandant war er Cultminister gewesen. -
In diese Zeit fällt auch Isoldes Reise nach Vierzon, da sie von Frau
Vaillant dringend eingeladen worden war. Es kostete noch einen kleinen
Kampf, mich drein zu ergeben, sie zum ersten mal auf Monate von mir zu
lassen, aber am Papa hatte sie eine große Stütze, der seinem Mädele
nie etwas gesagt hätte, ja, der sogar ein Jahr später, trotz seiner
im Lauf der Jahre gefassten Antipathie vor dem Reisen bereit war
Isolde nach Vierzon zu bringen, da sie ihm diesen Wunsch ausgedrückt
hatte. Unter der sehr schwachen Aufsicht eines theologischen Stiftlers,
der auch nach Frankreich zu reisen im Begriff stand, fuhr sie ab. Ich
begleitete sie bis Stuttgart, der Onkel fuhr bis Heilbronn mit, und
mit bangem Herzen kehrte ich in mein Heim zurück. Nach 3 Monaten
kam sie zurück, ganz dick geworden unter Frau Vaillants kräftigen
"pots on feu". Im Frühling 1873 starb unser treuer Freund Adolph
Bacmeister als Privatgelehrter in Stuttgart. Am Schreibtisch
sitzend, die Feder in der Hand, war er eingeschlafen, um nicht mehr
zu erwachen. Dieser Tod ging uns sehr nahe. Hermann brauchte viele
Tage, bis er sich von diesem Schlag etwas erholte. Es zeigte sich
bald darauf wieder seine Nervenüberreizung, doch gings vorrüber und
er arbeitete am zweiten Theil seiner beiden Tubus weiter. Doch immer
wieder spukten die Nerven, es griff ihn an, er zwang sich zum
Humor, aber die Arbeit wollte nicht vorwärts gehen. Endlich mußte
er Ruhe geben. Die Unruhe legte sich wieder, aber es folgten nun
Tage und Wochen der Schwermuth. Er sah sehr bleich aus, ging langsam,
da kamen die Oktobertage, der verhängnisvolle zehnte Oktober
brach an. Was er uns nahm das wißt ihr ja wohl! Auch ihr habt gelitten,
aber so jung noch konntet ihr den unermeßlichen Verlust der
euch traf nicht in seiner ganzen Wucht fühlen. Ich aber fühlte
ihn, nicht für mich allein, sondern auch für euch. Doppelt mußte
ich meine Kraft zusammen nehmen, durfte an das eigene Ich nicht
mehr denken, um gegen die hereinstürzenden Sorgen gewappnet zu
sein. Und daneben lag mein schwerkrankes Kind. Vom Totenbett weg
zum Krankenlager. Hätte ich nicht in der treuen Fina ein Mutterherz
gehabt, ich hätte es allein nie getragen. Nun sollten sich als
höchster, als einziger Trost die Worte des Todten bestätigen:
"Und haben sie mich eingescharrt, dann theures Wort, in dir sei
[83] meine Gegenwart." Wir versenkten uns in seinen Werken. Das brachte
etwas Frieden in unsere Herzen.
Bald trat nun auch Heyse mit der Absicht hervor, die Werke zu
sammeln und die zersteuten Glieder als Ganzes herauszugeben. Da gab
es manches zu thun, die Gedichte abzuschreiben, zu sammeln und an
Freunde zu schreiben. Es war eine wohlthätige Betätigung und doch
ein in ihm fortleben. Noch ein anderer Trost ward mir zu Theil. Über
ein halbes Jahr träumte es mir jede Nacht, so angenehm, so deutlich,
so Glück spendend von ihm. Ich fühlte ihn um mich, in meinem
Arm, Mund auf Mund mit ihm so, daß ich mit einem Glücksgefühl des
Morgens erwachte und sehnend den Abend wieder erwartete, wo es mir
zu Muth war, als dürfe ich seine persönliche Wiederkehr erwarten.
Und wieder kam der beseligende Traum! Ein Glücklicher hätte sicher
gewähnt, daß die Liebe der seligen Geister dies Wunder bewirkt. Es
war nur meine Liebe, die jene Kraft besaß, Ihn festzuhalten im
Traum! Ach, wir sind Eintagsfliegen, nur Kinder dieses kleinen
Planeten, in ihm war nicht unser Sein! Aber das Andenken gereicht
nicht, und ein herrliches Menschenbild läßt sich nicht festbannen
für Jahrhunderte. Er lebt im Wort, und das Wort verhallt nicht
und wird auch den Enkelgeschlechtern in die Ohren klingen. Und
sind´s auch nur einzelne weise Geister in der deutschen Nation,
die ihn ganz verstehen werden, so lebt er doch in ihnen; aber auch
seinen Söhnen kommts zu, daß ihr Sorge tragt, daß eure Kinder ihn
ganz in sich aufnehmen. - Heyse hatte dafür gesorgt, daß mir die
ganze Schillerstiftungspension 900 M. für Lebenszeit ausbezahlt
wurde. Dazu kam die Staatspension von 300 M. und ein kleiner Zuschuß
für jedes Kind unter achtzehn Jahren, also für Erwin und
Balde. Es war gerade nicht viel für so viel hungrige Mäuler und ein
krankes Kind, das außergewöhnliche Pflege und Kost bedurfte, aber
es reichte. Mit eisernem Fleiß legten sich die Söhne auf ihr Studdium.
Isolde übersetzte den Winter hindurch von Nievo, (2)
Und hätte der geliebte und Dahingeschiedene in seine Familie
hereinschauen können, er hätte seine Freude gehabt an den
ernst-gesammelten Kindern, die der erste Lebensschmerz mit einer
Art Weihe umgeben hatte. -
Edgar machte im Jahr 1874 sein Staatsexamen, und wie zu erwarten
war, vorzüglich, schrieb dann sogleich seine Doktordissertation und
reiste als blutjunger Doktor nach Wien und Prag, um dort noch zu
hospitieren, schon mit dem Versprechen Professor Saxingers (3)
[84] ihn nach seiner Rückehr als Assitenzarzt an seinem gynäkologischen
Klinikum anzustellen. Alfred, dessen Fleiß ich oft angezweifelt
hatte, weil ich ihm dem Bier etwas zu ergeben wußte, überraschte
mich eines Tages mit einem ganz ausgezeichneten Zeugniß seines in
aller Stille gemachten Physikums. Das war eine Freude! Eine nicht
weniger wohlthuende Empfindung wars, wie der gute Jüngling sich
seinem kranken Bruder widmete, wie er stundenlang an seinem Bett
sitzen konnte und ihm Geschichten erzählte. Und wenn der Onkel aus
Stuttgart kam, so hieß es immer: "Oh, Du glückliche Cornelia!" Hoch
rechnete er es den Neffen an, daß sie nicht, wie andere junge Leute,
Schulden machten, sondern mit dem Wenigen was sie hatten, auskamen.
Während Edgars Anwesenheit in Wien folgte Isolde einer Einladung
von Frau Flattich, (4) bei der sie mehrere Wochen zubrachte, die
sie und Edgar mit Güte und Liebe überhäufte, denn sie hatte euren
Vater, der ihr auch sehr theuer war, nicht vergessen.- Diese Begebenheiten
wißt ihr wohl alle selbst viel klarer als ich. Ich schreibe
sie auch nicht für euch nieder, sondern für mich selbst, um mein
ganzes Leben, so viel es mir noch erinnerlich, noch einmal in mich
aufzunehmen, es durchzuleben.- Als nun die beiden Ältesten wieder
zurück waren, bezog Edgar das Klinikum, wo er zwei reizende Zimmer
hatte mit Aussicht auf den Neckar und nun wohlbestellter Assistenzarzt
war und Privatdozent mit 21 Jahren. Seine Zuhörer waren alle
älter als er. Wie war ich durchdrungen von Mutterstolz! - Mittags
kam er noch zum Essen zu mir, auch manchmal abends zur Freude der
guten Fina, die immer bedacht war, ihm einen guten Bissen bereit zu
halten, denn er und Alfred waren ihre Lieblinge. Letzterer hatte
sie als kleines Kind furchtbar gequält. Sie mußte ihn nachts oft
stundenlang herumschleppen, da schrie er immer: "Kratze mich Fina!"
"Ja, wo denn"- "Ei, das mußt du selber wissen." Die viele Liebe,
die sie ihm erwiesen, ihre Aufopferung, hatte sie so sehr an ihn
festgebunden. Aber ich war ihr auch dankbar.
Zum Nachtessen war
für jedes Kind ein Glas Bier, eine Knackwurst und Brod bestimmt.
Für Balde natürlich wurde leichtere und feinere Speise ausgesucht,
Fina und ich tranken aufgewärmten Kaffe. Wie oft ging da Alfred
leise in die Küche und brachte ihr die Hälfte seiner Wurst, die er
sie zwang sie zu essen. Durch diesen Liebesbeweis fühlte sie sich
reichlich belohnt.- Nun kam eine Angstzeit für mich. Isolde wollte
reiten lernen. Hopf drang in mich, meine Angst zu bezähmen und
dem jungen Mädchen die gesunde Freude nicht zu versagen, besonders
auch da sehr wenig Kosten im Universitätsreithaus damit verknüpft
[85] waren, die sie zum größten Teil selbst bestreiten konnte. (Isolde
notiert: "Nein, ganz!") Am Stallmeister von Sternenfels, der auch
Edgars Lehrer war, hatte sie einem sehr liebenswürdigen und galanten
Lehrer. Sie war die einzige Dame unter den vielen Studenten.
Ach, und wie hübsch und blühend war sie. Nun rissen sich die Studenten
alle sie begleiten zu dürfen, wie früher mit ihr zu tanzen.
Meine Muttereitelkeit wurde Herr über die Furcht. Nur einmal träumte
mir, ich hätte sie stürzen sehen von einem schwarzen Pferd
herunter. Als ich sie morgens bat doch heute zu Hause zu bleiben
und ihr meinen Traum erzählte, sagte sie mir zur Beruhigung: "Sei
ganz ruhig, meine Stute auf der ich reite ist weiß". Der Traum hat
ein Loch. Ich beruhigte mich und ließ sie gehen. Sie kam bälder als
sonst nach Hause, etwas alteriert und erzählte mir, der Reitknecht
habe ihr heute statt ihres weißen Schimmels ein kohlschwarzes Pferd
gegeben, denn ihr Pferd müsse beschlagen werden. Sie sei stutzig geworden,
da ihr aber der Reitknecht versichterte, es sei ein ganz
frommes Pferd. (Isolde notiert: "Der Reitknecht sagte im Gegentheil,
es sei ein Tier, das meist ohne seinen Reiter zurückkomme.")
Sie habe sich ihres Aberglaubens geschämt und sei aufgestiegen.
Kaum aus der Stadt draußen, sei das Pferd durchgegangen, habe Sätze
gemacht, sie habe sich kaum noch an der Mähne halten können und
wäre gestürzt, wenn nicht noch zur rechten Zeit, er sie eingeholt
und in seinen Armen aufgefangen hätte.(Isolde notiert am Rand: "Das
ist alles ganz falsch erzählt...Ich war auch nicht in Gefahr zu fallen,
noch weniger wurde ich in irgend welchen Armen aufgefangen.
Nur die Hand wurde mir vom Zügel bluthig geschnitten, weil das
Pferd hartnäckig war, wie der Reitknecht voraus gesagt hatte. Auch
gestand ich die Sache nicht sogleich, sondern viel später!") (5)

Da ich mit der Chronologie immer auf schlechtem Fuß gelebt hatte,
so dürft ihr mirs auch nicht verübeln, wenn sie mich mal im Stich
läßt. Ich weiß nicht mehr, wann Edgars Fall war, als ihm Stockmaier
die Kniescheibe entzwei geschlagen hatte, ein Glücksfall, der ihn
vom Militärarzt Filzer vom Militärdienst frei sprach.
Als Erwin 16 Jahre alt war, reiste ich in der Ostervakanz mit ihm
zu unserem Freund Bareiß, der in Lindau wohnte, aber eine
Fabrik auf Schweizer Boden hatte. Dieser hatte mir versprochen
Erwin frei vom Militär und zum Schweizer Bürger zu machen. In
Friedrichshafen bestiegen wir das Dampfschiff. Dasselbe, an das
sich jene Anekdote anknüpft, die allerdings mehr cum grano salis
[86] erzählt wird. Der See mit dem Schneeberg im Hintergrund machte einen
sehr großen Natureindruck auf mich, und ich war so froh, mein
herzig liebes Erwinele, vor der Pickelhaube (Foto) zu retten.
Bareiß nahm ihn hinüber auf Schweizer Boden, ließ ihn in seiner
Fabrik einschreiben, damit hatte er das Heimatrecht erlangt, und in
einem Jahr konnte ihm das Bürgerrecht zu Theil werden. Wir verbrachten
ein paar schöne Tage bei dem lieben treuen Freunde Eures Vaters
und ein Abenteuer mit dem Schiff, das ich herbeiziehen wollte, gab
dort auch Stoff zum Lachen.
Balde hatte auch jetzt, da noch Sommerszeit, immer wieder erträgliche
Phasen. Er konnte spatzieren gehen. Einmal ging ich auch mit
ihm nach Calw, wo er sich in den Tannenwäldern ganz wohl befand. Er
trug immer ein Katzenfell mit Eis gefüllt auf dem armen unregelmäßig
schlagenden Herzen. Ich hatte es ernstlich vermieden ihn auf
den Friedhof, wohin es ihn immer zog, gehen zu lassen. Als ich aber
eines Tages wieder herauskam fand ich den Hügel schön mit Blumen geschmückt,
und als ich nach dem Spender dieser Blumen fragte, hieß es:
"Ihr jüngster Sohn hat es gethan." Tief erschüttert kam ich nach
Hause und drückte das geliebte arme Kind an mein Herz.- "Es war mir
längst ein sehnlicher Wunsch gewesen ein würdiges Denkmal über dem
Hügel meines Mannes zu errichten." (Kopie)
Die Stadt Reutlingen hatte bereits eine Gedenktafel an seinem
Geburtshaus anbringen lassen. Isolde, die ein großes Honorar für
ihren "Nievo" erwartete, dies bevor er als Buch erschien, durch
Heyses Verwendung in der neuen ... Presse abgedruckt wurde, legte
freudig die Summe auf den Altar der kindlichen Liebe nieder. Und so
konnte in einiger Zeit jene schöne antike Muse Polyhymnia sich auf
dem Hügel in Lebensgröße erheben. Eine Vertiefung ward auf dem Sokkel
gelassen für ein Rondell-Relief, das von der Hand des angehenden
jungen Künstlers einst entstehen sollte und nach Jahren hier in
Florenz auch entstanden ist. Prof.Kopp in Stuttgart (6) hatte die
Muse gemeiselt. Die Nebengräber wurden zu Tannenanpflanzungen verwendet.
Dieses Grabdenkmal war der schönste Schmuck des Friedhofs.
4. März
Stralend ging die Sonne heute auf am tiefblauen Himmel und das
erste was ich erfuhr war die Nichtigkeitserklärung des ....losen
der Zolaverurtheilung. (7)
Eine jubelnde Freude durchdrang mich - aber auch, wie der Himmel
sich nach einigen Stunden wieder mit den schwarzen Regenwolken
überzog, die nun schon seit 10 Tagen den berühmten florentinischen
Himmel verstellen- so mußt ich die Nachricht lesen, daß der arme
[87] Dreyfus, zu Tode gemartert- sterbend ist. So nahe der Erlösung muß 87
er erliegen! Sein Tod komme über seine Mörder, ein Purim der nahen
Zukunft verschlinge sie! Nachdem
das gesetzliche Jahr vorrüber war, mußte Erwin noch einmal
in die Schweiz. Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich wieder dabei
war, aber ich glaube nicht. Der Onkel, als Vormund, hatte ihn mit
allem versehen und hervorgehoben in einem Schreiben, daß ein Zweig
der Kurzschen Familie längst schon das Bürgerrecht in Bern erlangt
und ein hervorragendens Glied derhalben der Schweiz als eidgenössischer
Oberst, als Landsmann und Advokat große Dienste geleistet
hatte. Es war dort ein Vetter meines Mannes, Albert Kurz, (8) an
dem er sehr hing und auch in Correspondenz stand, doch war er schon
vor ihm gestorben. Dem Onkel mußt ich doppelt dankbar für diesen
Dienst sein, da er eigentlich ein großer Deutschlandschwärmer war
und das neue deutsche Reich für ihn ein Paradies. -
Als Erwin 17 Jahre alt war, verließ er das Gymnasium. Er hätte noch
eine Classe durchzumachen gehabt, da es mir und ihm aber zu thun
war, ihn auf die Akademie zu bringen, und er in der Mathemathik
Nachhilfestunden hätte haben müssen, was eine unnöthige Plage für
ihn gewesen wäre, so fuhr er nun alle Tage nach Rottenburg, wo
eine gute Kunstschule (9) war und er auch gleich emsige Fortschritte
machte. Bald verdiente er sich ganz nette Summen, indem er
kleine Photographiebilder abzeichnete und in Lebensgröße versetzte.
Auch das Modellieren hatte er begonnen und bald seinem Bruder Balde
und seinen Onkel modelliert. Ein halbes Jahr ging dabei herum, dann
ward die Übersiedlung nach München beschlossen, um in die Akademie
einzutreten. Und nun sollt ich nicht nur ein Kind, nein zwei Kinder
mußt ich missen. Das war ein schwerer Schlag für ein noch blutendes
Herz und für die immerwährende Sorge in der ich um Balde schwebte.
Isolde fühlte den Drang die alte Heimstätte, in der es ihr längst
nicht mehr wohl war, zu verlassen und auf eigenen Füßen zu stehen.
So reiste sie denn mit Erwin ab, ließ sich in München nieder und
begann italienische- und Literaturstunden zu geben. Daneben übersetzte
sie auch eine Geschichte der Commune, und auch ihre erste
Novelle: "In den Stozzi,"(10) die unzählige male abgedruckt wurde
entstand in München. -
So war ich nun mit Alfred und Balde allein im Haus, denn Edgar
wohnte ja im Klinikum. Es ward ihm noch das 2te Jahr die Stelle im
Altklinikum überlassen, obgleich er im Senat wegen seinen sozialistischen
Ansichten anrüchig war und gegen ihn gestimmt wurde, aber
[88] sein Chef setzte es für ihn durch: "Haben sie je gehört", sagte er 88
zu den Professoren, "daß Dr. Kurz den Hebammen Socialismus predigt,
oder seinen Zuhörern über.....etwas liest?" Als nun die Professoren
lachten, sagte er: "Nun, so bekümmern sie sich doch nicht weiter um
seine Privatansichten." - Vor Isolde und Erwins Abreise waren auch
noch einmal Hedwig und Bertha bei uns. Bertha war dazumals 16 Jahre
alt und sehr hübsch und hatte im Flug die Herzen aller meiner Söhne
erobert. Bei Alfred aber zündete es am Heftigsten, sodaß er sich
manchen Zapf mehr als sonst trank.
Im Herbst 1876 begann Baldes Leiden immer mehr an Gefährlichkeit
zuzunehmen. Das Gliederweh hatte sich wieder gezeigt, darauf folgte
eine Herzbeutelentzündung. Balde schwebte tagelang in Todesgefahr.
Die beiden Brüder standen ihm treulich bei und der gute Dr. Gärtner
opferte manche Nachtruhe. Endlich wendete es sich zur Besserung.
Lange konnte er das Bett nicht verlassen bis eine Rippfellentzündung
kam. Auch darüber vergingen Wochen bis eine Besserung eintrat.
Als ich ihn endlich soweit genesen glaubte, kam ein Rückfall. Das
hatte den ganzen Winter so fortgemacht. Mit dem Nahen des Frühlings
besserte sich sein Zustand. Nun lief aber auch die Zeit im Klinikum
für Edgar ab. Zur Landpraxis hatte er keine Lust, zur Habilitation
kein Geld. Da kam ihm der Gedanke es in Italien versuchen zu wollen,
auch um Baldes Willen. Dr. Gärtner war der Meinung das wärmere
Klima könnte ihm Aufschub und ordentlichere Zeiten gewähren. Der
Arzt hatte immer die volle Wahrheit gesagt, daß keine Rettung möglich,
aber daß Balde sich noch jahrelang relativ wohl befinden könne.

Ostersonntag 1998
war ich mit Isolde auf Finas Grab und fand dort einen marmornen
Gedenkstein mit den eingegrabenen Worten: "Unser Josephine".
Isolde hatte mir diese Überraschung bereitet, halb aus Pietät für
die edle Todte, halb aus Liebe für mich. Ach, könnte so ein Liebeszeichen
hinabdringen in das dunkle Grab und der Schläferin den Dank
zuflüstern, den sie sich im Herzen der Ihren - denn wir waren die
Ihren- für immer, so lange sie schlagen, erworben hat.

Ostermontag. Obgleich heute erst der 11te ist, feiere ich doch den
Geburtstag meines Erwins, weil er an einem Ostermontag geboren
wurde. Die Bilder meiner Laterna magica zeichnen das Königsbad in
mir. Sehr hold seh ich in die Knospen der großen Roßkastanienbäume,
die am Aufspringen waren und daneben schlugen Schneeflocken eines
veränderlichen Apriltages an die Fenster des Zimmers, in dem ich
mit meinem kleinen, soeben geborenen Knäbleins liege, und seine
[89] ganze erste Kindheit zieht an mir vorrüber. 89
Doch jetzt wieder nach Tübingen zurück. Edgars Enstschluß stand
fest. Im Frühling 1877 schnürte er sein Bündel und fuhr Italien
zu. Zuerst gings nach München, wo er seine Geschwister besuchte und
sich einige Zeit aufhielt und dann nach Venedig. Es war ein schwerer
Abschied für mich. Immer kleiner war nun der Kreis geworden,
und ich blieb und fühlte mich recht verlassen mit meinem Angstkinde,
doch gings Balde glücklicherweise recht ordentlich. Er
blieb viel in seinem Bett und studierte italienisch, sich innigst
freuend auf die Übersiedlung ins südliche Land. Was ich in dieser
Zeit an Alfred hatte, kann ich gar nicht genug dankend anerkennen.
Immer blieb er bei mir zu Hause, unterhielt sein armes Brüderlein,
ging mit uns spatzieren, wenn das Wetter gut war. Und so ging die
Zeit wieder schneller herum, als ich es anfänglich fürchten mußte,
hatte ich doch auch das gute treue Mutterherz (Fina) zur Seite, das
mir alles tragen half, in das ich alle Sorge ergießen konnte.
Edgar war von Venedig bald nach Florenz übergesiedelt und hatte in
kurzer Zeit eine ziemlich gute Praxis gefunden, so, daß er die Übersiedlung
seiner Familie für thunlich hielt. Und so machten wir uns
denn mit dem Gedanken vertraut, Tübingen und das mir so theure Grab
meines Hermanns zu verlassen. Die Reiselust und Freude die Balde
zeigte, erleichterte mir den Entschluß, auch die Gewißheit, daß ich
Isolde wieder gewinnen würde, die auf Italien, wie auf das gelobte
Land blickte. Dagegen mußte ich mich an den Gedanken gewöhnen mich
von Alfred und Erwin zu trennen und eine so gute Strecke Landes
zwischen uns zu legen.
Der August 77 sollte uns alle noch einmal im alten lieben Hause auf
dem Markte, wo wir so lange zusammen gelebt, versammeln. Die
Universitätsjubiläumsfeier (11) stand vor der Thüre. Meines
Mannes alter Freund Prof. Keller und verschiedene andere Professoren,
hatten Isolde erwählt, die Muse der Universität darzustellen
beim historischen Zug, weil sie die reizendste von allen
jungen Mädchen Tübingens und auch die einzig Fähige war, durch
ihre Reitkunst, sich über die buckligen Straßen hinweg aufrecht auf
einem Triumphwagen zu halten. Bevor der Tag der Feier erschien
hatten wir alle zusammen Kränze geflochten und unsere sämtlichen
Fenster schön dekoriert. Wir vergaßen über diesen Vorbereitungen
den nahen Abschied. Balde half so emsig mit, war so wohl und so
vergnügt, daß auch mir die Hoffnung auf seine Genesung wieder
aufging.- Meine Muttereitelkeit feierte neuen süßen Triumph, denn
[90] Isolde war hinreißend schön in ihrem weißen, goldumsäumten grie- 90
chischen Gewande. Ein blauer Mantel schwebte um ihre Schultern, ihr
weiches Goldhaar umringte ihr jugendliches Gesichtchen in langen
Locken und ein voller Lorbeerkranz ruhte auf ihrem Haupte.
Professoren und Studenten bewunderten sie gleichmäßig, aber der
weibliche Theil barstete vor Neid.- (Foto) Und der Lorbeer auf
ihrem Haupte, war der wohl ein Omen für ihre zukünftige Laufbahn?
Ja, die Zukunft hatte sie angerührt, aber auch mit Dornen nicht
gespart, die ihrem jugendlichen Haupte werden sollten. Wem aber
bleiben sie erspart? -
Die Festklänge verhallten, die Gäste zogen ab, die auch uns zum
Abschied aufgesucht hatten,- Hopfs und der Vetter Heinrich Mohr.
Nun ging das Abschiednehmen an, das Packen nach einem letzten
Besuch auf dem Grabe. Der gute Onkel war herübergekommen uns zu
helfen, und da ihm mein Hut nicht behagte, hatte er mir noch einen
neuen gekauft. Die Hüte waren mein ganzes Leben immerfort die
"partie pauvre" meiner Garderobe. Wir nahmen nur die Betten und
einige nötige Küchengeräte mit, die übrigen Möbel sollten die
beiden Zurückgebliebenen, Alfred und Erwin, verkaufen. Der Tag der
Abreise kam heran, der Abschied von unseren vortrefflichen Hausleuten,
die uns wahre Freunde waren, that schmerzlich weh, ebenso von
unseren guten Gärtners. Edgar, Isolde, Balde, Fina und ich waren
voraus gegangen die Bilette zu nehmen. Der Onkel, mit Alfred und
Erwin je auf einer Seite, kamen nach. Als ich ihn, euren Onkel
Ernst, so zwischen meinen beiden Söhnen sah, glich er wieder seinem
Bruder, wenigstens war es mir, als sähe ich ihn wiedererstanden
zwischen seinen Söhnen einherschreiten. Bitter war der Abschied.
Der Onkel begleitete uns noch eine Strecke weit und bog dann nach
Reutlingen ab. Es war das letzte Mal, daß ich den guten braven
Menschen, der mit so vielem Stolz an seinem Bruder und an euch
gehangen hatte, sah. In München wurde ich mit Balde bei Prof.Brinz
einquartiert, Isolde und Josephine bei Bareiß, Edgar ging ins
Wirthshaus. Wir hielten uns zwei Tage dort auf, dann gings nach
Italien.
Mit welcher Opferfreudigkeit folgte uns Fina ins fremde Land.
Sie hatte noch einmal Abschied genommen von den Ihren in
Oberkirchberg bei Ulm, ihnen all ihre Habseligkeiten hinterlassen,
was sie an Kleidern und Weißzeug besaß, und ging nun in ein
Land, wo sie mit keinem Menschen ein Wort sprechen konnte. In
Tübingen hatte sie an Genschowskys doch immer wieder Gesellschaft
und gute treue Menschen, die sie hoch schätzten, gehabt. Auch die
[91] jungen Freunde der Kinder hatten sie immer zur Familie gehörig 91
betrachtet: Mohl, Stockmaier, Zeller, sie waren auch ihr lieb
geworden. Jetzt sollte sie auch noch verstummen lernen, denn außer
mit uns war jeder Umgang unmöglich. Bei ihren 70 Jahren war das
Erlernen einer fremden Sprache nicht so leicht möglich. Aber was
überwindet die Liebe nicht. - Die Reise ging gut vonstatten. Balde
fühlte sich ganz wohl und heiter und voller Erwartung des neuen
Lebens, das ihm aufgehen sollte, das schöne Land das ihn heilen
würde, mit seinem Sonnenschein und milden Winter.
Am 2. September 1877 abends kamen wir in Florenz an. Es war ein
warmer Sommerabend. Wie weich war die Luft, und die Leuchtkäferchen
tauchten von allen Seiten auf und durchzuckten die Luft, als wir
mit einem Fiaker in die Via della reale fuhren, wo Edgars Interieurswohnung
war, Nr.51. Das Essen, das uns die Pardena, die Signora...vorsetzen
konnte, wollte unseren deutschen Mägen nicht
recht behagen, mit desto mehr Apetitt warfen wir uns auf die Feigen,
die nicht verfehlten, Isolde, Balde, Fina und mir eine tüchtige
Ruhr herbei zu ziehen. Doch wir hatten ja den Arzt bei uns,
und es ging auch bald vorrüber. Wir aßen nun täglich in der ...,
wo das Essen recht gut war und meinem Sorgenkinde trefflich schmeckte.
Er war überhaupt in der besten Laune, voll Interessse, immer
angeregt und immer Fina über alles belehrend.
Mit den Eigenthümern der Pension Suisse Weisschedel und den de
Borne wurden wir zuerst bekannt, was mir sehr lieb war, weil die
Fina doch wieder Menschen traf, mit denen sie hie und da verkehren
konnte. Die beiden zurückgebliebenen Kinder lebten um sich zu zerstreuen,
(denn die Trennung wurde ihnen auch nicht so ganz leicht,)
etwas unordentlich. Sie hielten eine Auktion, wo alles weit unter
Werth losgeschlagen wurde. Mein Hut, den der Onkel für Italien als
unwürdig erklärte, wurde vom jungen Heller für eine Mark erstanden,
auf einen Stock gesteckt und im Jubel heimgetragen. Bald aber
kam uns eine schlimme Botschaft durch Dr. Gärtner zu. Alfred hatte
sich durch unmäßiges Biertrinken eine Nierenkrankheit zugezogen,
die anfangs recht gefährlich sich anließ. Er kam in Prof. Lieber-
meisters (12) Behandlung ins akademische Krankenhaus. Erwin saß
in großer Sorge an seinem Bett und Alfred selbst glaubte sterben zu
müssen. Glücklicherweise erfuhr ich es erst als die Gefahr vorüber
war. Beide Brüder zogen nun miteinander nach München, Alfred um
dort seine Studien zu beendigen, Erwin die seinigen fortzusetzen.
Prof. Brinz gab ihm in seiner Villa in Schwabing die Wohnung und bei
Bareiß aß er für ein kleines Kostgeld zu Mittag. Die Beiden fühlten
[92] sich sehr behaglich in München und genossen ihre Jugend, so weit es 92
die Mittel erlaubten, denn auch hier lebten sie ihren Verhältnissen
gemäß und machten keine Schulden.
Edgar hatte inzwischen eine passende Wohnung für uns gefunden auf Foto
der Viale Pricipessa Margherita, im ersten Stock, mit schönen
Lindenbäumen vor dem Fenster und über dem Weg drüben die Vasca (13)
mit Anlagen. Wie oft bin ich mit meinem kranken Sohn dort gesessen
und wie lieb wurde mir die Wohnung und Umgebung. Fina schlief in
einem kleinen Durchgangszimmer zur Küche. Diese Küche war der Glanzpunkt
der ganzen Wohnung, riesig groß und mit der herrlichsten
Aussicht auf Fiesole. Sie trug viel dazu bei, daß sich Fina so gut
angewöhnte. Unter uns wohnte ein Bildhauer, ein Garibaldianer, mit
dem ich deßhalb große Freundschaft pflegte; neben uns ein hoher
Eisenbahnbeamter, namens Levevre, dem ich eine Zeitlang Deutschunterricht
gab. Als er auszog, quartierten sich zwei russische
Fürstinnen ein, die eine verheirathet mit einem reizenden Kindchen
Kathja, die andere Schwester Tatjana Galizzie wurde bald aufs
innigste mit Isolde befreundet. Im Oktober waren wir in die neue
Wohnung eingezogen und da der ganze Monat, wie auch der nachfolgende,
vom schönsten sommerlichen Wetter gesegnet war und mein Angstkind
sich so wohl befand, wie seit Jahren nicht mehr, so konnte er
mit Fina und mir die schönsten Spaziergänge machen, auch oft mit
Fina allein. Sie gingen bis Settigiano, lernten alle Umgebungen von
Florenz kennen; auch nach Rowita kamen sie zur Familie Ginsti.
Das waren noch köstliche Monate, in denen die Hoffnung auf völlige
Genesung so beglückend in mein Herz eingezogen war. Balde hatte
sich die Sprache schnell vollkommen angeeignet, machte sich auch
daran italienische Novellen zu übersetzen. Oft schrieb er Isoldes
Gedichte ab, die nach und nach hier entstanden. Den ersten Weihnachtsabend
brachten wir bei Ginstis zu. Edgars Praxis entwickelte
sich sehr günstig, überall fand man Gefallen an dem jungen und so
hübschen Arzt. Liebesglück verfolgte ihn auf allen seinen Wegen,
und wenn Isolde mit ihren schönen goldenen, offen hängenden Haaren
durch die Straßen ging, rief ihr Alt und Jung nach: " O bella
Bambina, o cara biondina!" Da es Balde so gut ging, so dachten wir
oft daran, ob er nicht vielleicht bei fernerem Wohlbefinden die
Forstaccademie in Vallombrosa werde besuchen können. So hatte ich
alle Enthüllungen Dr. Gärtners in den Wind geschlagen, aber der Februar
sollte mich bald eines anderen belehren. Eines morgens entdeckte
Edgar, daß der Herzschlag wieder ganz unregelmäßig war. Er mußte
[93] nun wieder liegen, Zeit in völliger Ruhe verbringen und Digitalis
nehmen. Doch gab sich die Störung bald wieder auf seinen Spatziergängen.r>Eine
große Freude traf mich nun; Alfred hatte sein Staatsexamen
mit den höchsten Nummern bestanden, seine Doctordissertation
folgte bald darauf. Der gute Onkel, der immer in eifrigsten schriftlichen
Verkehr mit mir geblieben war, brachte mir wieder sein
caeterum censeo "Du glückliche Cornelia" entgegen und verschaffte
[400] Alfred, der immer sein Liebling war, eine Reisestipendium mit
M. Noch stand mir aber eine große Angst bevor. Die Militäruntersuchung.
Da kam eines Tages die glückliche Botschaft mir zu: Frei,
absolut untauglich. Die Freude war noch größer als sein vortreffliches
Examen. Nun kam er auch auf ein halbes Jahr in die Augenklinik.r>Zuerst
sollte ich meinen Erwin wiedersehen. Kam er auch
nicht in der besten Laune hierher, und ließ er auch ein Stückchen
Herz in München zurück, so packte ihn doch das Neue. Der Aufenthalt
sollte nur vorrübergehend sein. Um nicht müßig zu gehen modellierte
er bei Fonara,(?) der ganz erstaunt über sein Talent war. Nun lernte
ihn Hildebrand (14) kennen, der seine Zeichnungen so ausgezeichnet
fand, daß er ihn bewog bei ihm weiter zu lernen und sich
der Bildhauerei zu widmen. So verlockend mir die Aussicht war ihn
ganz behalten zu dürfen, so war ich doch nicht ganz einverstanden,
ich hätte lieber einen Maler aus ihm werden sehen aus Rücksicht auf
das theure Material. Aber der Würfel war gefallen und er blieb. Auch
Alfred bekam ich noch, bevor er sich in Venedig niederließ,
auf mehrere Wochen hieher und hatte noch einmal, zum letztenmal,
alle meine Kinder um mich versammelt, was auch für Josephine ein
letzter Glücksschimmer war. Als Alfred endlich seiner neuen Bestimmung
Venezia zufuhr, ahnte ich noch nicht, daß er seinem
Unglück entgegenreiste. - Noch zwei wichtige und für Balde erfreuliche
Ereignisse traten in sein junges Leben, bevor er mit raschen
Schritten seinem Schicksal erlag. Wir brachten ihn nach Andezza,
wo er sich gleich in den ersten Tagen so erholte, daß wir ein paar
Freudenwochen an seinem holdseligen Strande zubrachten. Auch Fina
mit Isolde kam, und es gibt mir heute noch einen gewissen Trost,
daß dieses aufopferungsvolle edle Wesen doch auch noch eine Freude
hatte und etwas Nieerfahrenes erleben durfte. Leider hielt die gute
Wirkung nicht lange an bei Balde. Die Krankheitserscheinungen traten
öfter und heftiger auf. Hedwig und ihr Mann besuchten uns
einmal um jene Zeit. - Auch Grants Erscheinen, seine unglückliche
[94] Leidenschaft für Isolde fallen in diese Epoche. All mein Denken und 94
Fühlen concentrierte sich so ausschließlich dazumals um mein armes
leidendes Kind, das doch so heldenmüthig sein schweres Leiden ertrug
und seinen nahen Tod fühlte, daß ich nur verworrene Erinnerungen
habe. - Noch einmal sah er das Meer, zuerst bei Livorno, dann
brachte uns Edgar an einen reizenden Ort nach San Terezzo, wo
Balde manche Freude zu Theil ward im Umgang mit verschiedenen
Fischern und dem weitgereisten Giacomino, die ihn alle so gern
hatten, schon um seines Namens Willen und dem sie ihr "el viva
Garibaldi" entgegen riefen, so fühlte er sich selbst als einen
Theil des allgeliebten Volksheros. Wir wohnten in Giacominos
hübscher Villa, wohin auch bald Erwin und Helene Wilkontie
mit Josephine kam. Auch Alfred wurde herbei gerufen und Wilhelmis
mit ihrem Sohne stellten sich ein. Nur Isolde fehlte, sie war in
Deutschland. Manche Meerfahrt, und manche Überraschung wurde ihm
da noch zu Theil, denn Alfred und Hedwig waren fortwährend beflissen
ihm Freude zu machen, und er genoß auch alles auf so herzige
kindliche Weise, aber das Übel war weit fortgeschritten. Edgar war
nach Genua gereist. Das war auch die Ursache, warum Alfred kam, um
die beiden Kranken zu überwachen, denn die arme Fina war plötzlich
zusammen gebrochen. Es fing mit einem heftigen Durchfall an, dann
folgte eine schmerzhafte Thrombose eines Auges, das schon vorher in
Florenz erblindet war. Montegazza behandelte sie aber falsch, Alfred
brachte ihr durch Umschläge aufs Auge Linderung, doch war ihr
Zustand sehr angsterregend und schon M. sagte uns, es sei eine
langsame Auflösung. Als Edgar zurück kam, ging die beschwerliche
Heimreise an. Baldes Befinden war ordentlich. In Florenz begannen
nun die schweren Tage. Fina siechte so dahin, doch besserte sich
ihr Zustand durch kräftiges Einschreiten Edgars und durch passende
Kost und Ungarwein. Vanzetti operierte sie, d.h. er zerschnitt
ihr den Augennerv, damit sie auf dem andern Auge nicht auch erblinden
sollte. Sie stand wenig mehr auf. Den Herbst über hielt sich
auch Balde noch außer Bett, die Anfälle kamen aber alle paar Tage,
die Nächte waren schlecht, ich saß fast jede Nacht an seinem Bett
und legte mich zu seinen Füßen, wo ich ihm Geschichten erzählen
mußte und ihm sein Bein rieb. Heute begreif ich nicht mehr, wo ich
den Muth und die Kräfte hernahm, dem geliebten Kind meine Todesangst
zu verbergen und ihm selbsterfundene dumme Märchen zu erzählen,
mit ihm darüber zu lachen. Und draußen im kleinen Kämmerchen
lag die stille edle Dulderin, nie mit ihrem Leide, immer mit
[95] Baldes Krankheit beschäftigt. Am 17. Januar 1882 war Balde zum
letztenmal am Tische, da aß Lola Hornstein mit uns, und die reizenden
kleine Erscheinung blieb nicht ohne Eindruck auf die
Kranken. Von da an verließ er das Bett nicht mehr. Das letzte
Weihnachten, das er ebenfalls im Bett zubrachte, hatte er sich noch
einmal wie ein Kind am kleinen Christtagsbäumchen erfreut, das ich
ihm mit weißen Papierlilien mit goldenem Bindfaden als Sterne von
Florenz ausgeschmückt hatte. Genießen konnte er nichts mehr von den
Süßigkeiten und trank nur Portwein und Champagner mit Eis, denn
alles andere erbrach er. Und dennoch sagte er zu mir: "Wie sollte
man nicht glücklich sein, wenn man ein so schönes Bäumchen hat und
so liebe Vögelein. Essen kann ich nichts mehr, aber doch trinken.
Spatzieren gehen werd ich nie mehr, aber ich kann doch vom Fenster
aus die Umgegend sehen." So genügsam wird der Mensch. Nie kam eine
Klage über seinen Mund. Es ist folglich nicht das Glück und die
Freude, die den Menschen veredelt, das Leiden verwandelte und
vergeistigte ihn. Wie hat dieser Jüngling, der den Tod immer vor
Augen hatte, dennoch fort und fort gestrebt, zu lernen sich geistig
zu beschäftigen. In der Zoologie war er bewandert wie ein Student
der Naturwissenschaften. Auch übersetzte er aus dem Italienischen,
ja er lernte noch mit Eifer englisch bei Helene Wilkontie - Vom
Februar an ging es rasch abwärts, aber auch Helene war schwer
erkrankt, und Edgar mußte von einem Bett zum andern eilen- für ihn
eine aufreibende schreckliche Zeit. Helene starb drei Tage vor
Balde. - Jetzt stockt die Feder- und das Herz blutet mir, ich kann
nicht weiter.- Alfred traf morgens um 8 Uhr am 7. Februar ein,
als sein Bruder den letzten Athemzug gethan. Friedlich, bewußtlos,
schmerzlos war er durch Edgars Fürsorge ins große Unbewußte hinübergeschlummertr>ins
Räthselland. Wie wohlthuend sind da körperliche
Leiden, die die schmerzdurchwühlte Seele einlullen. Sie wurde mir
kurz zu Theil, aber die Stahlkraft meines Körpers siegte bald wieder,
und ich konnte das geliebte Kind im Sarge mit Blumen zuschütten.
Es war ein fürchterlicher Schmerz. Oh, möchtet Ihr, meinen
theuren Söhne, ewig verschont davor sein. Es nur zu denken, daß ihr
das auch empfinden mußtet, es war schon ein Wahnsinn für mich.
Wir hatten Baldes Tod der armen Fina verheimlichen wollen. Sie
hatte ihn aber geahnt und ein paar Stunden nach seinem Erlöschen
fanden wir sie, die sich kaum vorher hatte rühren können, weinend
über der Leiche hängen. Wie hätte ich verzagen und dem Schmerze
nachhängen dürfen, wo noch so heilige Pflichten der Dankbarkeit zu
erfüllen waren. Sie mußte ich trösten, sie mußte ich pflegen, und
[96] konnte nur einen Bruchtheil der Liebesschuld an ihr abtragen. Sie
stand selten mehr auf, doch war der Zustand erträglich. Bei einem
der Besuche von Alfred konnte sie ihm noch einmal ein Huhn braten
auf die Rückreise. Als er Abschied von ihr nahm, gab sie es ihm mit
der Weisung es unterwegs sorgsam aufzumachen. Als er es unterwegs
verzehren wollte, fiel ihm ein 20 Mark Goldstück in die Hand. -
Ich kann mich heute der Thränen nicht enthalten, wenn ich daran
denke. Meine eigene grenzenlose Liebe für meine Kinder scheint mir
nichtig der ihren gegenüber. Bei der Mutter ist es der mächtige
Naturtrieb, sie darf sich nichts darauf zu gute thun, wenn sie ihr
Ich vereint und in den Kindern aufgeht - und dabei die höchste Lust
und Genugthuung empfindet- aber ein solches Wesen, das durch drei
Generationen nur Aufopferung gekannt, das aus Liebe jede Verbesserung
ihrer Lage abgewiesen, mit uns gedarbt, ja ihr Erspartes uns
in Zeiten der Noth theilweise zugeschoben- man steht sprachlos vor
solch bescheidenem Heldenthum.- Und sie war keine Christin, die
Atmosphäre, in der sie so lange gelebt, hatte auch ihr den Glauben
abgestreift, ohne daß sie jemals eine Leere empfunden hätte.(Isolde
notiert: "Wie hätte sie auch sollen? Wer die Liebe hat, hat
den Inhalt des Lebens.") - Eines Abends, als ich auf einige Minuten
ihr Bett verlassen hatte, indem sie scheinbar ganz ruhig schlief,
fand ich sie bei meiner Rückkehr sehr unruhig, sie wollte mir etwas
sagen und konnte nicht. Sie hatte eine Schlaganfall gehabt und die
Sprache verloren. Das Bewußtsein hatte sie behalten, doch war es
nicht ganz klar. Sie konnte auch im Laufe der nächsten Tage wieder
Worte finden, sagte sie aber verkehrt. Den kleinen Gaglielmo,(15)
den Isolde von Venedig mit hieher gebracht, nannte sie beharrlich
Balde. Ich verstand sie ganz gut, weil ich immer um sie war. Einst
wollte sie im "Sonnenwirth" lesen. Als ich ihr das Buch brachte,
küßte sie den Namen Hermann Kurz zu öfteren malen, schlug es dann
in der Mitte auf, aber verkehrt, und glaubte zu lesen. Der Geist
war umnebelt, aber das Herz wallte in heilige Liebe auf. Sie ließ
sich das braune kleine Kästchen bringen, das mein Vater selbst
gemacht und ihr einst geschenkt hatte. Sie überantwortete es mir,
daß ich es heilig halten möchte. Es steht auf dem Tischchen meiner
lieben Isolde, ich gab es nun in deine Hände als Andenken an die
Vielgetreue, der du erst ein Liebeszeichen auf ihr Grab gesetzt;
hab Dank dafür. -
Im Spätherbst mußten wir, die mir liebgewordene Wohnung, in der
mich so alles an mein todtes Kind erinnerte, verlassen. Wie oft
[97] hatte ich mit dem Kranken an der vasca gesessen, und er hatte sich
an den Goldfischchen erfreut, auch noch andere Erinnerungen zogen
durch die Räume. Nun gings mit der Schwerkranken in die neue Villa
Edgars. Nur noch wenige Wochen dämmerte Fina so dahin, immer
stiller, immer kleiner wurde sie, bis sie endlich bewußtlos das
bißchen Leben aushauchte am 20. November 1889, gerade an ihrem
Geburtstag und meinem offiziellen Hochzeitstage. Es war noch in
Baldes Todesjahr...(Isolde notiert: Es war im folg. Jahr 1889")
Der kleine Guglielmo, der wie ein Schatten an mir hing, zog mich
etwas vom Schmerze ab, da er meiner Pflege und Sorgfalt bedurfte,
auch hatte ich ihn sehr lieb bekommen. Noch einen Winter blieb er
bei mir, begleitete mich oft nach San Miniato und an Finas
Ruhestätte. Dann, im Laufe des nächsten Sommers, wurde er wieder zu
Alfred geschickt, denn mir waren eigene Enkelein geboren.
Aber ich breche hier ab, was nun folgte, böse und gute Tage, Sorgen
und Freuden, das wißt ihr besser als ich, deren Gedächtniß sich für
das Näherliegende verschleiert hat. Todesfälle die mich schmerzlich
trafen, folgten einer nach dem andern. Die gute Frau von Rieger,
die letzte überlebende Freundin meiner Mutter, war mir bis zu ihrem
92. Jahr erhalten geblieben. Viel hatte sie immer für mich und euch
gethan, in mancher Noth ausgeholfen, besonders bei Alfred, der ihr
Liebling war, und sterbend hatte sie euch 10 000 fl hinterlassen.
Der treue Onkel war schon vor Balde freiwillig aus dem Leben geschieden.
(16) Auch das war ein harter Schlag gewesen, denn es gab
wohl keinen so treusbesorgten, für seine Neffen und Nichte schwärmerischen
Onkel als ihn. Ein anderer Getreuer, den ich zuvor noch
einmal besucht hatte, Hopf, ging auch aus dem Leben.(17) Bald
folgte Brienz, ganze Heckensaaten von Freunden hat der Tod gemäht.
Eine Welt sank mit ihnen mir dahin, meine Welt in der ich jung war,
in der noch Ideale walteten, die Freundschaft noch etwas galt;
schmerzlich empfand ichs, aber ich sah auf meine Kinder und lebte
frisch weiter und freute mich an jedem und glaubte an die Liebe
eines jeden. Und wenn mir auch das Geschick das süße Glück gab, sie
drei wenigstens um mich zu haben, zwei auseinander - stirb, - so
durft ich sie doch immer wieder sehen.- Lebet wohl und laßt mich
fortleben in Euren Herzen, heget mich da, wie ich meine geliebten
Todten gehegt, die niemals verloren für mich waren und laßt mich
auch fort leben in eurer Kinder Gedächtniß und Du mein Edgar sorge,
daß deine Maja kein falsches Bild in der Erinnerung habe.
[98] Meine fernsten Erinnnerungen bringen mich zurück in ein Haus in
Ulm, wo ich wahrscheinlich geboren bin.
Ein kleines Mädchen, das Kind eines Feldwebels spielt mit mir und
läßt sich von mir plagen. Dann taucht mir der Münsterplatz auf,
über den ich an der Hand der guten Josephine gehe und von einem
heftigen Wind angeblasen werde, der in meiner frühesten Kindheit
mein größter Schrecken war: "Will brav sein," soll ich dann immer
gerufen haben, um den bösen Dämon zu bannen, denn ich sei ein
ganz gewaltthätiger Racker gewesen.
Auch ein Traum der oft wiederkehrte, hatte mir viel zu schaffen ulm
gemacht. Da war ein altes böses Zigeunerweib, das mich raubte und
fort trug. Ich mußte also wohl, bei meinen Spaziergängen mit Josephine,
Zigeuner gesehen haben.- Die lebhafteste und schrecklichste
Erinnerung aus jener Zeit, war der Anblick eines überfahrenen Kindes
das man uns entgegen trug, als ich mit meinen Eltern eine Steige
aufwärts ging. Lange Zeit konnte ich mich nicht mehr fassen und
war ganz gestört. Da mochte ich etwa drei Jahre alt gewesen sein.
Dann seh ich mich in Neu-Ulm; einem kl. Dorf bei Ulm auf bayrischem
Gebiet, etwa von Ulm entfernt wie Obereßlingen von Eßlingen. Die
Donaubrücke, die dorthin führte und die verschiedenen blauweißen
Wegzeiger und Stangen blieben mir im Gedächtniß. -
Etwas später bin ich in Göppingen, wohin meine Eltern mich wegen
der milderen Luft gebracht hatten, da ich sehr elend und krank
gewesen sein soll, was mir aber nicht in Erinnerung blieb. Diese
schönen Laubwälder und endlose Spaziergänge mit meinem Vater oder
Josephine tauchen vor mir auf, auch ein einsames Schlößchen, an dem
ich nie vorrüber wollte, weil mir Josephine erzählt hatte, daß die
Leute darin ihr einziges Kind verloren hätten, weßhalb ich es das
"traurige Schlößchen" nannte. Ich hatte in jener Zeit eine große
Vorliebe für meinen Vater, der mich auf sich reiten ließ und mir
immer die schönsten Spielsachen, unter anderem einen Teufel und einen
Hanswurst brachte. Letzterer konnte Speisen verschlucken, die
dann unten wieder heraus kamen. - Meine Mutter war durch den Tod
ihres Söhnleins in tiefen Jammer gestürzt und seit dieser Zeit
[1829] immer leidend. An dieses Brüderchen, der der Abgott meiner guten
Josephine war, erinnere ich mich aber nicht. Ich war etwa drei otto+
Jahre, als der kleine Otto starb. Von Menschen ist mir aus dieser
Zeit nur ein Dr. Krebs, der sich meine Zunge besah, oder eine Frau bolley
Bolley im Gedächtniß geblieben. Letztere war in früheren Jahren,
bevor ich geboren war Kammerjungfer bei meiner Mutter gewesen und
[99] hatte dann einen reichen kleinen Spezereihändler in Ulm geheirathet.
In ihrem Laden erhielt ich immer wieder Zibeben, auch stellte
sie mir immer alle Schubladen zur Verfügung, aus denen ich manchen
Leckerbissen zog.
[1832] Ein paar Jahre später, ich war sechs Jahre alt, fuhr ich in einer
großen Reisekutsche die schwer bepackt war, mit meinen Eltern und 6jähr.
Fina nach Stuttgart. Ein Garnisonswechsel hatte meinen Vater nach
Stuttgart versetzt. Es war eine lange beschwerliche Reise; in
Göppingen wurde zu Mittag gehalten, und da erinnere ich mich zum
ersten mal eine Schwarze gesehen zu haben, eine Bekannte meiner Eltern,
eine Frau Doktor Hofmann (18) mit zwei Söhnen, fast so dunkel
wie sie. Der Anblick des Negergesichts blieb mir immer im Gedächtniß,
und Fina mußte mir noch nach langen Jahren von dieser
Familie erzählen. Der Direktor Hofmann war ein Schwabe und auf dem
"Kap der guten Hoffnung" angestellt, er hatte eine Frau aus einem
Negerstamm geheirathet, und sie war nach dem Tode ihres Mannes in
die schwäbische Heimath desselben gezogen. Die Söhne wurden hier
erzogen und wurden Offiziere und hingen mit stürmischer Liebe an
der Mutter und sie an ihnen. stgt
In Stuttgart wohnten wir in der neuen Kaserne.(19) - 54 Jahre, also neu
mehr als ein halbes Jahrhundert ist darüber hingeflossen, und ich
erinnere mich noch sehr deutlich an die Zimmer, ihre Einrichtung
und was auf dem Kasernenhof vor sich ging. Mehr Personen treten
jetzt in meinen Gesichts- und Ideenkreis. Vor allem erinnere ich
mich aus dieser Zeit an ein kleines Schwesterchen, an meine Ottilie.
Ob sie in Stuttgart erst geboren, ob sie als neugeborenes Kind
auf die Reise genommen wurde, das ist mir im Laufe der Jahre entfallen,
denn es ist eine Eigenthümlichkeit unseres Gehirns, daß
wichtigere Dinge uns im Laufe der Zeit ganz verblassen, während
Unbedeutendes sich festgesetzt hat. Dieses Kind war der Liebling
von Josephine, und da meine Mutter sehr viel leidend war, zum
großen Theil ihrer Pflege überlassen.
Die Jugendfreundin meiner Mutter und die Wohlthäterin meines Lebens,
Frau von Rieger verkehrte jetzt viel in unserer Mitte. Ihr
Freund, Prof. Vollmer, hielt literarische Vorträge in unserem Haus.
Die Freundinnen meiner Mutter, treten mir noch ganz lebensfrisch in
der Erinnerung entgegen: eine sehr gelehrte Frau, eine Frau Landau-
er, vor der ich schon als kleines Kind großen Respekt hatte, am
meisten aber ein altes Tantele meiner Mutter, die früher schon in
Ulm bei uns gewohnt, die mir aber erst aus der Stuttgarter Zeit
erinnerlich ist, wird nun der Gegenstand meiner Liebe und ein ste [23]
tes Ziel meiner Wünsche. Sie war die Halbschwester des Grafen
Dillen eine verwithwete Pfarrer Hopfenstock und wohnte in Cannstatt.
(100) Ich erinnere mich noch eines 8tägigen Aufenthaltes bei
ihr, der mir eine ganze Seligkeit war. Die gute kleine Frau that
alles was ich wollte, wehrte mir nie etwas, hauptsächlich freute
ich mich darüber, daß meiner Art mich zu kleiden, nicht der entfernteste
Zwang angethan wurde. Ich konnte nähmlich schon als kleines
Kind die vielen Kleidungsstücke nicht leiden, begriff nicht,
weßhalb ich Hosen und Hemd und einen Unterrock tragen solte.
Nun lief ich barfuß und nur mit einem Röckchen bekleidet umher,
ohne Hemd und Unterrock, zum großen Entsetzen meiner Mutter und
Josephines, die mich mit meinem kleinen Schwesterchen abholen kam.
Meine Mutter war seit der Geburt eines Kindchens immer kränklich
gewesen, doch erinnere ich mich ihrer aus jener Zeit, als einer
sehr üppigen und blühenden Frau. Ich seh noch das weiß und rosa
geblümte, ausgeschnittene Zitzkleid, das sie dazumals trug. Ihrer
Gesundheit wegen, sie litt an Asthma, wohnte sie einmal einige
Wochen im Sommer in einer hübschen Villa in der Militärstraße,
wohin ich nun alle Tage an Josephines Hand zum Besuche wanderte.
Der Garten schien mir ein wahres Paradies zu sein. Ich habe ihn
zwanzig Jahre später mit Josephines Hilfe aufgesucht, zu meiner
nicht geringen Enttäuschung. -
In Ulm hatte ich schon bei meinem Hauslehrer lesen und schreiben
gelernt. In Stuttgart schickte man mich ins Katharinenstift. Alle
Tage trottete ich nun mit den Bedienten dahin, mit ungebundenen
Schuhen, da mich niemand dazu bringen konnte meine langen Kreuzbänder,
wie man sie dazumals in den Schuhen trug, zu binden, weil
es mir einen unsagbaren Genuß bereitete, sie durch den Straßenschmutz
zu ziehen. Erst als ein bekannter Narr, der der Schrecken
und Gegenstand der Verspottung aller Kinder war, mir einmal mit
seinem geschwungenen Stock nachlief und: "Willst Du nicht gleich
deine Schuhe knüpfen" zurief, ließ ich künftig ungehindert meine
Toilette vollenden.
Aus den Jahren, die nun folgten, weiß ich wenig mehr zu sagen.
Damit ich schneller des Französischen theilhaftig werden sollte,
hatten mich schließlich meine Eltern ganz in Pension des Katha-
rinenstifts gethan. Hier wurden mir dann zum ersten mal die
Glaubensartikel vorgesetzt. Mehr als von den Lehrerinnnen, geschah
dies von wenigen älteren Pensionistinnen, und ich erinnere mich der
[101] neu beginnenden Kämpfe, die Religionsanforderungen wollten mir
schlechterdings nicht in den Sinn, ich hatte schon als zartes Kind
kein Talent zum Glauben und sagte immer meinen Peinigerinnen: "Er
soll mir ein Zeichen geben, daß er ist, so will ich an ihn glauben,
that er früher Wunder, so thut ers heute auch." Ich wartete nun
aber doch in verängstiger Erregung auf dieses Zeichen, das nicht
kommen wollte. Zu dieser Zeit war die Euch wohlbekannte Frl. von
Bär Vorsteherin des Katharinenstifts. Ich werde nicht viel über
ein halbes Jahr darin gewesen sein, als ein Garnisonswechsel mein
Eltern nach Ludwigsburg rief. Meine Mutter konnte sich nicht entschließen
mich zurück zu lassen, so nahm man mich dann wieder
heraus und nahm eine französisch-schweizerische M`lle Fation, ein
Mittelding zwischen Bonne und Gouvernante ins Haus und schickte
mich daneben in ein Institut, da mochte ich wohl 9 Jahre alt
gewesen sein. Die schönen Kasernen alle in der Stadt, das Schloß
mit der Emichsburg mit Ritterrüstungen angefüllt, das eine Aeolsharfe
(21) hatte, machten einen gewaltigen Eindruck auf mich, auch
der Friedhof, es war der erste den ich sah. Meine Eltern führten
mich an das Grab meiner Großmutter, welcher der König Friedrich
ein prächtiges Grabmal hatte setzen lassen.
Inzwischen war mein Vater Oberst geworden. Nur dünn zieht sich oberst
der Faden der Erinnerung durch diesen Ludwigsburger Aufenthalt.
Wir hatten einen Garten, an den zur einen Seite die Gefängnisarrestlokale
der Soldaten lagen und daraus entsprang hier auch eine
geheime und äußerst reizvolle Liebesthätigkeit. Das Mitleiden hatte
sich meiner kindlichen Seele bemächtigt und der Groll gegen solche,
die diese armen Gefangenen quälten, hatte mich täglich verfolgt.
Ich plünderte nicht nur die Obstbäume, um ihre Früchte durch die
vergitterten Fenster zu werfen. Die Arrestanten waren erfindungsreich,
sie ließen Bindfäden herab, ich hängte Würste, Kuchenstücke,
kurz alles dessen, was ich in Küche und Speisekammer habhaft werden
konnte daran und genoß hie die erste Freude mich hilfsbereit den
Unterdrückten zuwenden zu können. Mein Vater war ein viel zu guter
Mann um es mir zu wehren, als er meine Heimlichkeiten merkte. Er
lachte und ließ mich gewähren und drückte beide Augen zu. Er war
sehr beliebt bei den Soldaten, stand aber auch gut mit seinen
Kameraden, nicht so bei den Vorgesetzten, denen er zu milde und
bürgerfreundlich gesinnt war. Auch war damals in Ludwigsburg unser
einziger Verkehr das Militär, und ich selbst lebte der Überzeugung,
daß Civilisten eine niederere Spezies des menschlichen Geschlechts
seien, so ansteckend ist die Atmosphäre in der man lebt.
[102] Wir hatten immer einen ganzen Hofstaat von Kindern der Feldwebel
und Unteroffiziere um uns. An unseren Geburtstagen, am 5ten und
6ten August wurde jedesmal ein Fest gegeben, und die Kinder durften
nicht nur Kuchen in Hülle und Fülle essen, sondern auch mit unseren
schönen Spielsachen spielen, die zum größten Theil mein Vater
selbst fabrizierte. Kutschen aus Pappendeckel, mit Pferden bespannt
und weitere derartige Herrlichkeiten. Meine Eltern luden mir diese
Kinder hauptsächlich deßhalb ein, weil ich mich gegen alle Kinder
sehr ablehnend verhalten und schon in Ulm absolut keinen Verkehr
mit andern Kindern wollte. Kamen dennoch Kinder zu mir, so brachte
ich ihnen alles was ich hatte, verließ aber das Zimmer und ließ
mich nicht mehr sehen. Sogar mit der uns am meisten befreundeten
Familie Dr.Rantzau, die wie ich in Ulm wohnten, machte ich es nicht
anders. Ich wollte nur meine Josephine und konnte die Kinder nicht
leiden. Wie mag ich sie dann oft gehörig gequält haben. Um mich
manchmal in der Küche los zu haben, wo ich Fina mit Fragen in die
Enge trieb, bot sie mir einen Kreuzer an. Das war die sicherste Art
mich los zu werden, indem ich das gemeine Geld zu nehmen als
ärgsten Affront ansah, ebensowenig konnte man mich in fremden
Häusern zur Annahme von Süßigkeiten bewegen. Ein unüberwindlicher
Stolz beherrschte mich. Auch dieser Hofstaat von Kindern, die mich
alle als Prinzesschen behandelten, behagte mir nicht. Dagegen waren
die Marionetten mein Entzücken und ein solcher Abend blieb mir
unauslöschlich im Gedächtniß. Ich weiß noch wie es mich traurig
stimmte, wenn ein Akt vorbei war. Wie gerne hätte ich die flüchtige
Zeit am Schopf gehalten. Im Moment des Affekts denkt das Kind fast
wie die Erwachsenen. Ich war einmal in einem solchen Puppenspiel und
schwelgte so in Seligkeit, daß mir die Thränen der Angst kamen, weil
ich denken mußte, wie schnell des Stück zu Ende gehen werde und so
sagte ich mir, wirds auch im Leben sein. Wenns ans Ende geht,
ists wohl nicht anders wie in dieser kurzen Stunde.
Ich glaube, daß ich zehn oder elf Jahre alt war, als mein Vater sich
pensionieren ließ. Meine Schwester war sechs Jahre jünger als ich.
Er hatte sich in Obereßlingen ein Landhaus gekauft und wir traten
nun mit Josephine die Reise dahin an. Es wurde noch daran umgebaut
als wir ankamen, und der viele Sand und Kalk war für uns Kinder ein
großes Vergnügen. Die beiden Gärten am Haus mit einer Unmenge von
Obstbäumen steigerte noch unsere Freude. Es ist für Kinder ein
[103] unendlicher Vorzug auf dem Lande aufzuwachsen, wo sie den unmittelbaren
Natureindruck genießen, der ihnen freilich nicht in so jungen
Jahren zum Bewußtsein kommt, dennoch aber einen wohlthätigen Einfluß
ausübt, der fürs ganze Leben bestimmend ist. Fern bleiben der
kindlichen Seele die Kenntnisse aller seiner Conzessionen, die man
im Contakt mit dem gesellschaftlichen Leben zu machen gezwungen ist
Diese ländliche Einsamkeit in der sich mein freier Wille ungestört
entfalten konnte, da meine zärtlichen Eltern keine anderen Erziehungsmethoden
hatten als uns vor Schaden zu behüten, ist mir jetzt
noch in Erinnerung wie ein geweihtes Paradies. Als dieses Haus nach
und nach in Ordnung gekommen war, mußte auch ans Lernen wieder
gedacht werden. Es wurde mir eine extra Gouvernante hergeschafft,
ein junges sehr lustiges Mädchen mit Namen Caroline Sauter. Sie
hatte eine hübsche Stimme, sang viel, gelernt haben wir nichts bei
ihr, denn es war ihr wenig am Unterricht gelegen. Sie hatte bald
ein halbes dutzend Liebschaften. Gleichzeitig hatten wir einen
Hauslehrer namens Fritz, der Professor des Orts, an den wir uns
gleich mehr anschlossen, besonders war es sein Geschichtsuntericht,
der mich sehr ergötzte, da er mit einem hübschen Zeichentalent
begabt, in jeder Stunde den Lehrstoff feierlich zu Papier brachte.
Ich hatte wohl hunderte solcher Bleistiftzeichnungen, wodurch er
mir die Geschichte sehr ins Gedächtniß prägte. So wurden auch die
Unterrichtsstunden zum Genuß und zur Freude, und da ich als kleines
Prinzesschen behandelt wurde, lehrte er mich nur woran ich Freude
hatte, und so lag die Regel Petri sehr im Argen. Als wir eines
Tages, es war ein Feiertag im September, von einem langen Spaziergang
auf die Berge zu Hegensberg zurückkehrten, empfing uns die
Trauerkunde unser lieber Fritz sei todt auf seinem Bett gefunden
worden. Er starb am Herzschlag. Das war der erste Schmerz, den
meine Kinderseele empfing. Wir waren nun einige Zeit ohne Unterricht,
denn auch Caroline Sauter war auf Antrieb meines Onkels,
des Grafen Dillen in Dätzingen, der Freude an ihrer Stimme hatte,
vielleicht auch noch an anderem, zum Theater übergegangen. Meine
Lieblingsbeschäftigungen aus jener Zeit bestanden hauptsächlich im
Schießen mit Bogen und Pfeil. Der gute Fritz hatte uns eine Menge
von Holzpfeilen geschnitzt, die wir auf der banachbarten Wiese und
auf der Chausée abschossen. - Auch hatten wir eine Geis, die wir Essl.
auf die Weide führten und an den Hecken fressen ließen. Alles
mögliche Gethier wurde nach und nach im Garten installiert: Rabe,
Elster, ein Feldhase und dergleichen. Meine Eltern hatten sich
[104] inzwischen um eine neue Gouvernante umgethan, und auch eine solche
gefunden. Ein Fräulein aus Frankfurt, Friedericke de Basy,(?) aus
einer französischen Hugenottenfamilie, 20 Jahre alt, war die Erlesene.
Sie hatte eine viel umfassendere Bildung als die Vorhergehende
und einen sehr scharfen Verstand und einen männlichen Charakter.
So sehr ich mich anfangs vor dieser neuen Hausgenossin scheute und
fürchtete einen Theil meiner Freiheit einzubüßen, so leidenschaftlich
schloß ich mich in kurzer Zeit an sie an, trotz des Abstands
des Alters; ich mochte damals zwischen 12 und 13 Jahre sein. Ich
lernte nun mit Eifer, weil sie es verstand das Erlernen der Sprache
durch ihre Literatur zu würzen. Mit "Les Trapteuses" de Telemaque
et l`Histoire de Numa Pompilius bekam ich neue französische Literaturstunden,
und im Englischen war es der Viear of Wakefield und
Goldsmiths history of England, an denen ich lesen und übersetzen
lernte. Nach und nach folgten verschiedene Romane von Walter Scott.
Mein Schwesterchen Ottilie, die 6 Jahre jünger war als ich, wurde
so nebenher beschäftigt. Des Vormittags wurden Sprachstunden gegeben,
nachmittags erschien der neue Provisor, um mich Geographie,
Geschichte und Rechnen zu lehren. Auch hier war der Tausch ein
guter, indem der junge Mensch von ganz ungewöhnlicher Begabung und
großer Strebsamkeit war, obgleich nur Bauernsohn aus dem nahe gelegenden
Deizisau, der durch einen Beinbruch für den Landbau untauglich
geworden und deßhalb ins Lehrerseminar gebracht wurde. Er
zeigte doch schon als blutjunger Präzeptor, daß er zu etwas Höherem
bestimmt war. Bald erbot sich Friedericke ihm französischen und
englischen Unterricht zu geben, worauf er sich nun mit Feuer ins
Zeug legte. Sein Geschichtsunterricht machte einen tiefen Eindruck
auf mich. Er ließ mich auch viele Gedichte auswendig lernen und
erweckte in mir die Liebe zur Poesie und die Begeisterung fürs
Schöne. Es vollzog sich nach und nach in mir eine Umwandlung durch
die Lektüre von Walter Scott (22) und de la Motte Fouqués (23) Zauber.
Auch war ich ganz in der Ritterromantik aufgegangen. Ich hatte mir
in Gedanken das Haus in dem wir wohnten, in dem kein feudaler
Pfeiler war, zur Ritterburg und mich zum Ritterfräulein umgewandelt.
Eine etwas unterirdische Kammer war mein Burgverließ, in dem
ich die gefangenen Ritter besuchte und ihnen köstliche Speisen
zutrug. Diese Gestalten zogen nun auf einmal mit dem griechischen
Olymp und den Heroen der Ilias auf, in Pracht und Herrlichkeit,
denn mein Freund und Lehrer Barth hatte mich auch mit Homer vertraut
gemacht und mich Hölderlingedichte auswendig lernen lassen,
[105] über die ich gerne allein noch meditierte: "Wo Asphasia durch Myrthen
wallte und der brüderlichen Freunde Ruf, die durch die lärmende
Agora schallte, wo ein Plato Paradiese schuf," da träumte ich mich
in die Rolle eines Sophokles und einer Aspasia hinein.
Die Schillerschen Dramen hatte ich schon sehr früh durch meine
Mutter zu lesen bekommen, ich war dazumals noch ganz Kind, doch
lernte ich viel und leicht auswendig und ließ meine Puppen den
Wallenstein aufführen.
Meine Mutter hatte eine große Vorliebe für italienische Literatur.
Sie machte mich deßhalb sehr bald mit Tasso Petrarka und Dante
bekannt, deren Werke sie in deutscher Übersetzung mir schenkte.
Ich verschlang alle Bücher und in der Stunde, die man mich zum Klavierüben
in ein entferntes Zimmer schickte, setzte ich mich nieder
und schrieb meine ersten Verse auf und versuchte Dramen zu schreiben,
die mich zwar in großer Aufregung umtrieben, die aber außer
den gefälligen Ohren unserer guten Josephine keiner zu hören bekam.
Ich hatte dazumals ein sehr glückliches Leben, an meinem kleinen
Schwesterchen hing ich mit großer Liebe und vertraute ihr alle meine
Träumereien an, sie war für ihre Jahre geistig sehr weit voran
gekommen. Mit Friedericke entwickelte sich ein Freundschaftsverhältnis.
Wir wurden immer inniger. Nun machten wir Verse füreiander.
Mit meinem Lehrer stand ich ebenfalls in sehr anregendem Verkehr.
Er brachte alle Freistunden in unserem Hause zu und war wie zur
Familie gehörig.
An den leidenden Zustand meiner Mutter war ich seit Jahren so gewöhnt,
daß ich es gar nicht anders wußte, auch hatte sie oft längere
Zeit weniger zu leiden. Da sie nie bettlägerig war, und das mutter
Leiden sich anfänglich nur in öfters wiederkehrendem Asthma zeigte,
das meistens in der Nacht auftrat, so blieb uns Kindern diese Sorge
lange fern. Den Tag über arbeitete die edle Frau unausgesetzt für
die Armen des Dorfes. Sie hatte das ganze Jahr zu thun, denn an
Weihnachten wurde die ganze Schule so reichlich beschenkt, daß nie
eins leer ausging: Schürzen, warme Winterhauben, Strümpfe und
Pulswärmer, immer fünfzigweis, wurden nach und nach verfertigt,
auch wir halfen mit in den Abendstunden, besonders an den Puppen
betheiligte ich mich sehr gerne. Mein Vater der eine Dreh- und
Hobelbank besaß, und die verschiedensten Handwerke zu seiner Be- essl.
lustigung trieb, machte Hefte und Federröhrchen. Winkte dann die
Zeit der Weihnacht heran, so backte Josephine ganze Körbe voll
Lebkuchen. Statt des theuren Honigs wurde Sirup dazu verwandt, sie
[106] waren aber sehr gut und mir wässert noch der Mund, wenn ich daran
denke.- Am Weihnachtsabend wurde dann alles in die Schule geschickt
und sämtliche Schuljugend zur Bescherung eingeladen. Der Trieb
meiner Eltern andern Freude zu machen, beschränkte sich nicht
hierauf, denn wo sie Kunde von einem Kranken im Dorfe erhielten,
ließ meine Mutter Speise und Trank hinbringen, und mein Vater
dessen Lieblingsdilletismus die Medizin war, kurierte drauf los,
wer sich ihm anvertraute. Besonders liebte er´s Wunden zu heilen
mit seinem Balsam von Wolleblumen oder mit Arnikatinktur. Ich bin
fest überzeugt, daß diese Fürsorge für andere, besonders für die
unteren Stände, die ich stets vor Augen hatte, die Grundlage zu den
sich später entwickelten freien und demokratischen Grundsätzen war.
Allerdings mag auch die freisinnige Richtung meiner Freundin
Friedericke und meines mir sehr lieben Lehrers, der in seinen
Geschichtsstunden einen feurigen Enthusiasmus für die Freiheitskämpfer
aller Zeiten entwickelte, nicht wenig dazu beigetragen
haben.
Eine für mich peinliche Episode rückte nun heran. Die religiösen
Fragen wurden mir, soweit als überhaupt möglich ist, fern gehalten.
Ich sah wohl, daß meine Eltern mit viel Interesse "Das Leben Jesu"
von Strauß lasen. Auch sprach meine Mutter mit mir öfter davon, daß
kein vernünftiger Mensch an die Wunder der Bibel glauben würde, das
seien Mythen so gut wie die griechischen; Christus sei eben ein
hervorragender Mensch gewesen etc. Nirgens sei aber in seiner Zeit
ein Mensch aufgetreten, der den Muth hatte die Sitte der offiziellen
Kirchlichkeit über den Haufen zu werfen, und so wurde mir denn
eben auch gesagt, diese Gebräuche wie Konfirmation und Taufe
hätten sich im Leben festgesetzt und man könne das nicht umgehen.
Das war der erste Conflikt mit der Welt oder der Gesellschaft, die
sich mir feindlich entgegenstellte. Es kam mir entsetzlich vor,
etwas öffentlich zu bekennen das man nicht glaubt und gab mir die
heftigsten Gewissenskonflikte, denn ich war zwar keine Christin,
aber ich glaubte dazumals an einen persönlichen Gott und an eine
persönliche Unsterblichkeit, und ich glaubte die Gottheit zu beleidigen,
indem ich einen Meineid beging. Ich las in jener Zeit den
Messias von Klopstock und verliebte mich in den schönen gefallenen
Engel, während ich für den Messias und seine Gebärerin weniger
Symphathie fassen konnte. Am Tag dieser kirchlichen Feier schwor
ich immerzu am Altar, wo ich den Christeneid abzulegen gezwungen
war, daß, wenn ich Kinder bekäme, sie niemals in eine solche Lage
[107] kommen sollten. Ich habs gehalten bei Kindern und Kindeskindern,
aber die Zeit auch ist eine andere geworden. Sie hat den Zwang der
Sitte gelockert, sodaß es wahrlich keines Martyriums bedurfte, um
wahr gegen sich selbst und gegen die Welt zu sein.
Vor dieser Zeit war ich sehr oft mit meinen Eltern in Dätzingen bei
meinem Onkel Dillen, für den ich als Kind eine heiße Liebe hatte und
mich an der Pracht seines Schlosses erfreute, bis der Dämpfer auch
darauf gedrückt wurde, als mir, ahnungslos in württembergischer Geschichte,
Barth von dem willigen Werkzeug des Tyrannen sprach, der
als Staatsminister das arme Land bedrücken half.
Ich war nun ins jungfäuliche Alter eingetreten, denn ich war mit
vierzehn Jahren, wenn auch nicht groß, so doch körperlich ganz
entwickelt. Noch immer in Freundschaft mit Friedericke schloß ich
mich auch an ein blondes sanftes schönes Mädchen an, die etwa sechs
Jahre älter war als ich, an Marie Rommel in Obereßlingen.
An unseren Garten anstoßend lebte Frl.von Bär, die frühere Vorsteherin
des Katharinenstifts, die sich ein nettes Schweizerhäuschen
hatte bauen lassen, worin sie mit ihren 2 Schwestern, wovon eine
ein Simpel war, lebte. Das alte Fräulein mit seinem feurigen Herzen
war begabt, hatte aber alle möglichen Narrheiten im Kopf. Sie war
mir trotz ihres Spiritismus und ihres Verkehrs mit Werner sehr sympathisch,
denn sie glühte für alles Große und Schöne und war sehr
taktvoll. Die ital. Literatur war ihr sehr bekannt, sie sprach viel
mit mir darüber und erzählte mir von einem längst gestorbenen Geliebten,
einem Italiener, der immer noch für sie und mit ihr
spricht. Man konnte sie auch oft in ihrem Tannenwäldchen hinter
ihrem Hause auf- und abgehen sehen in eifrigem Gespräch mit dem
Unsichtbaren begriffen.
Noch ein drittes Haus war da, mit dem ich auch im Lauf der Jahre in
freundschaftliche Beziehung trat, das Millersche, das ebenfalls
an Originalen nicht Mangel litt. Im selben Jahr meiner Confirmation
machte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester eine Reise
nach Ulm, zu der uns sehr innig befreundeten Familie von Rantzau.
Ich erinnere mich aber wenig mehr an diesen Aufenthalt. Nur der
Königsball blieb mir im Gedächtniß. Es war der erste Ball auf den
mich mein Vater führte. Ich konnte zwar nicht tanzen und hüpfte
eben so herum so gut es ging und freute mich an dem Neuen was ich
erlebte. Nach meiner Rückkehr nach Obereßlingen verlor ich bald
meinen Lehrer Barth. Er hatte sich mit unendlichem Eifer die französiche
Sprache angeeignet, sodaß er fähig war philosophische Vor>s24
[108] lesungen in Genf zu hören. Dort studierte er einige Jahre, ging
danach als Hofmeister nach England. Von nun an beschränkte sich
mein Unterricht auf die Literatur aller Völker, auf die nordische
Mythologie. Es war kein Unterrricht mehr zu nennen, sondern ein
gemeinschaftliches Lesen oder gegeneitiges Vorlesen.

Es war der letzte Winter den meine arme Mutter erlebte. Ihr
Leiden hatte nun eine ausgesprochene Form angenommen. Die Ärzte
erklärten es sei eine Zuckerharnruhr. Sie magerte furchtbar ab
und wurde in der Behandlung aufs Entsetzlichste gequält. Sie sollte
ihren brennenden Durst nicht löschen, auch wurden ihr die widersinnigsten
Nahrungsmittel angerathen. Nun merkte ich wohl wie es
um sie stund und quälte mich furchtbar ab. Unser Verhältniß wurde
nun ein sehr inniges und zärtliches. Alle meine Gedanken lenkten
sich auf den Gegenstand meiner Sorge, und ich bewachte sie aufs
Ängstlichste und quälte sie noch mehr. Daß der Tod ihr aber schon
nahe bevorstehe, das ahnte ich nicht. Mein Schwesterchen ein überaus
liebliches Geschöpfchen fühlte sich ebenfalls schon seit
Monaten nicht mehr wohl und litt immer an Kopfweh. Den letzten
Geburtstag meiner Mutter, den 14. März, brachten wir noch vergnügt
zu. Es war ein herrliches Frühlingswetter, alles voller Veilchen
und Schneeglöckchen im Garten, und Josephine hatte meiner Mutter
Lieblingsbackwerk Bauernküchlein gebacken, ein zwar verbotenes
Gericht, dem ich mich aber doch an diesem Tag nicht zu widersetzen
wagte.In diesem vergangenen letzten Winter hatten wir auch einmal
den Besuch einer Tante meiner Mutter gehabt. Ich sah diese Tante
nur einmal im Leben, blieb aber dann bis zum Tod in Correspondenz
mit ihr. Sie war die Schwester meines Großvaters eine verwithwete
Frau von Seybothen.(24) Der Sohn ihrer Tochter, ein Herr von
Beulwitz kam öfter zu uns in Tübingen, er war ein ziemlich verkommener
Mensch. Die alte Tante aber war mir dazumals sehr lieb
gworden. Frau von Rieger, Frau von Rantzau mit ihren Töchtern kamen
ab und zu. Trotz der Krankheit meiner Mutter blieb unser Haus immer
sehr gastfrei. -
Ende Mai oder Anfang Juni legte sich mein liebes, süßes Schwesterchen,
um nie mehr aufzustehen. Ein harter Husten quälte sie. Der
Oberamtsarzt Steudel (25) aus Eßlingen hielt die Krankheit für
ein einfaches Kartharrfieber, und behandelte sie ganz falsch. Das
Fieber steigerte sich, endlich erkannte er das Übel, den Lungenbrand,
als es zu spät war. Was ich ausgstanden in dieser Krankheit,
vermag ich nicht zu beschreiben. ich hing leidenschaftlich an ihr
[109] und konnte den Gedanken an ihren Tod nicht ertragen. Wie viele
Gelübde kindischer Art that ich in meinem Herzen. Wenn sie mir
erhalten bleiben wolle, daß ich nie auf einen Ball mehr gehen, nie
mich verheirathen, nie eine Liebe in mein Herz lassen, nur ihr
mich widmen, nur für sie leben wolle. Mein Schmerz war so wild und
so groß, daß ich meinte, es müsse ihn jemand dort überm Sternenzelt
in der Unendlichkkeit sehen und sich meiner erbarmen. -
Sie starb am 17. Juli (1842), mittags 12 Uhr, nachdem sie Josephine,
die nie von ihrer Seite gewichen war, die Stunde ihrer Todes vorausgesagt
hatte.- Ich war am Tollwerden, schlug den Kopf an die
Wand und wollte mich tödten. Es war der erste Todesfall, der mir so
nahe getreten. Ich hatte zwar einige Monate zuvor den Onkel Dillen
verloren, an dem ich sehr hing, aber er war mir ferne gestorben und
dann war es doch kein Vergleich mit der zärtlichen Liebe, die ich
für dies einzige Geschwisterchen, das zudem ein gar holdes gutes
Geschöpf war, empfand. Am Tage des Begräbnisses schickte man mich
mit Friedericke fort nach Eßlingen in ein befreundetes Haus. Meine
Mutter begleitete, so elend sie sich befand, ihr theures Kind zu
seiner letzten Ruhestätte. Es mußte ihr ein Stuhl neben das offene
Grab gestellt werden, da sie die Kräfte nicht zum Stehen hatte. Sie
äußerte sich gegen Josephine, sie fühle, daß sie dem Kinde bald
nachfolgen werde, war sehr gefaßt und klagte nur ganz leicht. So
heftig mein Schmerz auch war, der Jugendleichtsinn wurde bald
Meister darüber, nicht, daß ich das Schwesterchen vergessen hätte,
ich besuchte fast täglich ihren Grabhügel, aber ich war ja jung und
das Leben lag so verlockend vor mir; man umringte mich mit doppelter
Liebe, kam jedem Wunsch zuvor, sodaß die Jugend siegen mußte.
Um meine Mutter ein wenig zu zersteuen, reisten wir im August mit
meinem Vater, und Friedericke ging inzwischen zu ihren Eltern nach
Ludwigsburg, nach Dätzingen, wo die Tante noch lebte.

(Ende des Heftes Aufzeichnungen l898)

Anmerkungen zu Heft III

(1) Nievo, Ippolito, ital.Dichter 1831-1861 "Pisana, oder die
Bekenntnisse eines 80jährigen," 1857/58

(2) Prof. Dr. Saxinger, Leiter der Gyn. Abteilung im Altklinikum
am Neckar.

(3) Marie Flattich

(4) siehe auch Isoldes "Jugenderrinnerungen" Seite 340.

(5) Prof. Karl Kopp, 1825 - 1897, Bildhauer an der Stgt. Kunstgewerbeschule.
Er gestaltete die Trauernde Muse auf dem Grab
von Hermann Kurz.

(6) Emile Zola, 1840 - 1902, frz. Schriftsteller, schrieb u.a.
eine Anklageschrift. "J`accuse" 1898 gegen die Verurteilung von
Dreyfus.

(7) Albert Kurtz (1886-1948) kann es nicht sein. Marie meint
wohl Gustav Kurtz, 1817 - 1879 Bankdirektor in Bern, bzw.
dessen Sohn Emil Gustav, 1857 - 1920, der Schweizer Consul wurde.

(8) Die Kunstschule unter Prof. Schwarz in Rottenburg war bedeutend.

(9) 1. Novelle von Isolde Kurz: "In den Strozzi"

(11) Tübinger Universitätsjubiläum, am 10. 8. 1877. Isolde Kurz
lenkte als Muse den herzoglichen Wagen in griech. Gewand. Ein
Leporello von Maler Pilgram (Hsg. Osiander) erinnert an den
Historischen Festzug.
(12) Prof. Dr. Liebermeister

(13) Vasca (ital.) = Wasserbecken (hier mit Goldfischen)

(14) Adolf von Hildebrand, 1847 - 1921, lebt seit 1872 im Kloster
San Francesco in Florenz, bedeut. Bildhauer dort und in München.
Heute lebt dort ein Enkel von ihm Harry Brewster.

(15) Guglielmo, Stiefsohn von Alfred Kurz, steht nicht im Stammbaum.

(16) Nach dem Stammbaum starb Ernst Kurz in Untertürkheim
am 30.12.1879, wo seine Tochter Helene Pommer geb. Kurz mit
ihrem Mann dem Oberreg. Rat und Landrat Pommer wohnte.
Ernst Kurz hat sich in Wangen erhängt, war auch depressiv.

(17) Hopf starb eines natürlichen Todes, was aus dieser Bemerkung
mißverstanden werden kann. Die Tochter Marie Schiler schreibt
über seinen letzten Tag u.a.: " Der müde Mann legte sich zur
gewohnten Stunde zu Bett. Es wurde ihm schwer, die Treppe
hinauf in sein Zimmer zu gehen....Sein Enkel Franz kam eine
halbe Stunde später und ging sogleich zu Vaterle um ihn zu
begrüssen... Am andern Morgen hatte er die Augen für immer
verschlossen."

(18) Hofmann Göppingen

(19) Neue Kaserne Stuttgart

(20) Tante Hopfenstock, Halbschwester des Grafen Dillen

(21) Aeolsharfe (s. Gedicht von Mörike)

(22) Sir Walter Scott, 1771 - 1832, schott. Dichter, schrieb über
40 geschichtliche Heimatromane.

[1843] (23) Freiherr Friedr., Heinrich, Karl, de la Motte Fouqué, 1777 - 1843
Schriftsteller, schrieb v.a. Ritterromane.

(24) Frau von Seybotten

(25) Oberamtsarzt Steudel
Heft IV
Anmerkungen zu Heft IV
"Ihre erste Begegnung mit ihrem Mann."

enthält:

Politisches (Preßprozeß)

Über pekuniäre Lage

Charaktereigenschaften

Stellung zu den Frauen

Vollendung des "Sonnenwirth"

Briefe von Hermann Kurz

(Isolde notiert: "Seine Briefe vom Asperg vom 1.Nov.1850 datiert")
"Über das großelterliche Haus Schramm in Tübingen" (schreibt Isolde)
(insgesamt 62 Seiten, Seite 63 und Rückdeckel von Isolde beschrieben)



Einlage von 4 Seiten nochmals über:

[1848] Den Maskenball in Eßlingen am 24. 2.

Heft IV

Ihre erste Begegnung mit ihrem Mann.


Im Jahr 49 hatte Hermann einen Preßprozeß vor dem Eßl. Gerichtshof
auszufechten. Er war damals schon alleiniger Redakteur des Beobachters
und die Reaktionen waren in vollem Gange. Der confiszierte
Artikel hieß: Ein Mann, ein Wort oder - ein Fürst. In Wahrheit
heißt das Sprichwort: Ein Mann, ein Wort oder ein ein Hundsfott. Es
wurde den Fürsten in diesem Artikel ihr Meineid vorgeworfen. Ich
wohnte der Verhandlung bei, und mit Bewunderung hing mein Blick an
dem schönen Mann, der so stolz und entschlossen in die Menge
blickte. Was er und sein Verteidiger Tafel gesprochen, weiß ich
nicht mehr. Er wurde zu 6 oder 8 Wochen Asperg verurtheilt, aber
mit voller Festungsfreiheit. Als die Verhandlung zu Ende war,
überreichte ich ihm einen Strauß. Es war im Spätherbst. Trotz der
schon dazumals hereingebrochenen Reaktionen gings doch noch recht
gemüthlich und manierlich bei solchen Verurtheilungen zu. Der
Gefangene hatte ein schönes Zimmer mit allen Bequemlichkeiten,
konnte den ganzen Tag spazieren gehen und hatte nur einen Soldaten
zur Bedienung. Und so konnte denn der Redakteur des Beobachters von
der Festung aus die Redaktion des Blattes fortführen. Er schrieb
mir einmal von dort, ich solle ihn besuchen. Es kam aber nicht dazu.
So selten mein Mann auf Familienangelegenheiten vergangener Zeiten
zu sprechen kam, so gab es doch einen dunklen Punkt in dem Leben
eines seiner Vorfahren, den er nie loswerden konnte, und von dem er
öfters zu sprechen pflegte. Ich weiß nicht mehr wars ein Urgroßvater
oder gar ein Ururgroßvater, der als regierender Bürgermeister
von Reutlingen ein junges Mädchen Afra mit Namen als Hexe hatte
verbrennen lassen. Um die Schandthat zu sühnen trug er sich jahrelang
mit dem Gedanken einen Roman Afra zu schreiben, der die ganze
Scheußlichkeit seiner Tage hätte hervorheben sollen. Er hatte auch
schon Studien dazu gemacht. Es kam aber nicht zu der Ausführung. >s2
[2] Noch in den Stuttgarter Zeiten, als es schon anfing uns recht
schlecht zu gehen, forderten verschiedene Bekannte, - aber nicht
Partheigenossen, meinen Mann auf, er solle sich doch um die eben
vakant gewordene Stelle eines Bibliothekars an der Stuttgarter
königlichen Bibliothek bewerben. Es sei ja nur eine Form, daß
sich ein König selbst nicht dafür bewerben müsse. Mit Entschiedenheit
lehnte er es ab, weil er auch der Form nach nicht etwas thun
wollte, das den König hätte wie ein pater peccori vorkommen können.
Als er mir das erzählte, brannte ihm mein Herz entgegen, wie stolz
war ich auf ihn.- Mit Tübingen war es etwas anderes. Da ging die
Absicht, ihn aus seiner sorgenvollen Lage zu reißen, von der demokratischen
Parthei und dem demokratischen Minister Golther aus. -
Der Hauptgrund, weßhalb mein Mann nach 7jähriger Führung die
Redaktion des Beobachters niederzulegen sich entschloß, war in
erster Linie das gefühlte Bedürfniß, den Sonnenwirth, von dem nur
einige Kapitel geschrieben und auch im Morgenblatt erschienen
waren, zu beenden. Dann war es aber auch der Umstand, daß eine
Entzweiung in der demokratischen Parthei zu beginnen anfing. Ein
Theil einigte sich zu dem erst kurz ins Leben getretenen Nationalverein,
der zwar alle demokratischen Forderungen beibehalten, sich
aber an Preußen anschließen wollte. Obgleich es nur ein kleiner
Theil war, trug das doch dazu bei, ihm die Redaktion zu entleiden,
wo es nun außer dem Kampf mit den äußeren Feinden, der Fürsten
Reaktionen herumquälen, auch noch die Abtrünnigen in der eigenen
Parthei zu bekämpfen gab. Die beiden Seeger und sein Freund
Fetzer waren die Führer der Überläufer. Während ihm Schnitzer,
Hopf, Hausmann, Becher etc. fest zur Seite standen, bei einer sehr
langen eingehenden Arbeit die er geschrieben hatte, entscheidend
beriethen. Der Artikel hieß der Trias und verlangte einen Bund der
Kleinstaaten mit gesondertem Parlament und einem Schutz- und
Trutzbündnis mit Österreich und Preußen. Als er es nach großen
Kämpfen durchgesetzt, den Beobachter wenigstens bis zur Beendigung
seines Sonnenwirths abgeben zu können, übernahm Schnitzer die Redaktion
die er ganz in seiner Gesinnung fortführte. Nach neun
Monaten angestrengtester Arbeit, wo er um Mitternacht immer noch an
seinem Pulte stand, - konnte der letzte Bogen abgehen, nachdem ihm
die Druckerei immer wie ein armes Wild gehetzt hatte. Es war aber
nicht die Überarbeitung, die ihn zwang, statt dichterischer Gestaltung
das vorletzte Kapitel mit Akten auszufüllen, sondern es war
[3] die Sorge des zärtlichen Vaters, mit der er an seinem Erstgeborenen,
der an Gehirnentzündung lebensgefährlich daniederlag, hing. Da
flieht die Muse entsetzt und erst als Besserung eingetreten war,
floß ihm wieder das letzte schöne Kapitel in die Feder.
Diese erste Ausgabe des Sonnenwirts erschien in der "Deutschen
Bibliotheken Sammlung auserlesener Romane" von Meidinger, Sohn u.Co.
Frankfurt a.M. 1855. Dieser Meidinger war ein Phönix unter den Buchhändlern
ein Wunderexemplar, wie vielleicht noch keines unter ihnen
erschienen war. Nachdem er den Roman gelesen hatte, war er so
ergriffen, und von seiner Vortrefflichkeit so durchdrungen, daß er
dem bewunderten Autor schrieb ein solches Meistestück deutscher
Literatur dürfe nicht so gering bezahlt werden, wie er selbst die
Forderung gestellt, und er biete ihm daher eine viel höhere Summe,
ich glaube das Doppelte.- Da ich immer mit den Zahlen auf schlechtem
Fuß gestanden, vermag ich die Summe nicht zu nennen, aber das
Faktum steht fest. Das war doch einmal eine Genugthuung für den mit
dem Leben ringenden Dichter. Übrigens hatte er sich über die Kritik
nicht zu beklagen. Von allen Seiten regnete es Lorbeeren auf ihn
herab, die Hetze in der er arbeitete, sein Hirn zwingen mußte, denn
die Ablieferung war contraktlich auf einen gewissen Termin
gesetzt,- die entsetzliche Aufregung über die Krankheit seines
Kindes, hatten seine Nerven in schlimmen Zustand versetzt,- ich sah
da zum ersten mal diese bösen Geister auftauchen, die mich noch so
oft erschrecken sollten. Ich bat ihn dringend eine Erholungsreise
zu machen, er fühlte es selbst, daß es nöthig war, und so machte er
sich denn auf nach Ulm zu einem Freunde und im Heimweg nach Geislingen
zu Rudolph Kausler, aber er hielt es nur ein paar Tage aus,
die Sorge um die 2 Kleinen trieb ihn zurück, doch hatte er sich so
ziemlich erholt, lehnte aber die Wiederaufnahme des "Beobachters"
entschieden ab, da er nun in Gedanken schon auf die Umarbeitung zu
Schillers Heimathjahre und Sammlung seiner Novellen beschäftigt
war. (Auch der Weihnachtsfund gestaltete sich bereits in seinen
Phantasien.) Den Umzug in die Militärstrasse, wo er statt der
erhofften Ruhe ein lärmendes Bauwesen traf, brachte den Nervenspuk
wieder hervor bis er ins Königsbad, neue ehemalige königliche
Villa mit herrlichem Garten, ein prächtiges Asyl und für einige
Zeit Ruhe und Sammlung fand. Ich habe vorausgegriffen. Der Umzug in
die Militärstrasse und das Königsbad fand viel später statt.

[4] Nachdem mein Mann von der kleinen Reise zurückgekehrt war, erforderte
Edgars leidender Zustand, er war wohl von seinen verschiedenen
Krankheiten genesen, aber so schwach und elend, daß er mit zwei
Jahren nicht auf den Füßen stehen konnte- einen Landaufenthalt. Wir
fuhren in einem gemietheten Gefährt, in dem eine ganze Zigeunerwirthschaft
eingepfercht war: Nöthiges Hausgeräth aller Art, die
Kinder und der Papa, Fina, Mama und die Kleinen, über Böblingen in
den Schwarzwald. In Ehningen machten wir einen Abstecher und zeigten
dieses Kindergärtchen dem Onkel Moor und der lieben, guten
und geistig so regsamen Tante, der Schwester von Hermanns Mutter;
dann gings nach Liebenzell.(1) Ich kannte den Schwarzwald noch
nicht, wenigstens hatte ich ihn noch nicht mit den Augen gesehen,
hatte ihn nur mit Laura und Heinrich Roller durchwandelt, und
obgleich die Phanthasie nur schönere Bilder in uns weckt als die
Wirklichkeit ist, so verfehlte die Natur, die so lieblich hier
gemalt, doch nicht ihren nachhaltigen Einfluß auf alle auszuüben.
Edgars weiße Wangenröschen rötheten sich täglich mehr und der Papa
war heiter, ein wahres Naturkind, wie ich ihn noch nie gesehen
hatte. Mit dem Bleistift und der Mappe ging er in den Wald, suchte
sich einen Baumstumpf aus, wälzte einen großen Stein davor, oder er
lag im Moos und schrieb und ließ seine "Justine" entstehen, den
Stoff dazu hatte ihn sein Freund Buttersack, (1) Seegers Schwager
geliefert. Er war sein Stubengenosse aus der Stiftszeit, unglaublich
frei in der Gesinnung, wie fast alle Pfarrer jener Zeit, die einen
Zeller oder Strauß zum Repetenten gehabt. Wir waren sehr gut untergebracht
in diesem Pfarrhaus, ganz anders als Roller bei seinem
Freund Mathäus, dennoch erinnerte mich ein Ausflug, den die zwei
Freunde mit Hopf machten, wo sie sich nach einer etwas zu langen
Sitzung im Wirthshaus in stockfinsterer Nacht verirrt hatten, lebhaft
an Rollers und Mathäus Heimkehr in den Dorfteich. Es war eine
Nacht der Todesangst die ich da zugebracht hatte. Hopf hatte bei
diesem Abenteuer eine Rolle mit Geld, eine bedeutende Summe verloren,
deren Suchen in dunkler Nacht auch noch eine große Verzögerung
hervorrief, die er aber nach etlichen Tagen, ehrlich wie die Schwarzwälder
dazumals waren, vom redlichem Finder wieder erhielt. Die
Nerven hielten in der würzigen Waldluft und bei viel Bewegung herrlich
stand. Es war eine paradiesische Zeit, auch für mich, und als
wir wegen meiner Niederkunft Anfangs August das liebe Thälchen des
Heils und der Genesung verlassen mußten, da war auch der "Weihnachtsfund"
[5] beendigt. Am 4.August 1855 kam Alfred zur Welt und etwa 8
Monate später zogen wir in die fatale Militärstrasse, wo der Höllenlärm
eines Bauens uns nach zwei Monaten ins reizende Königsbad trieb.
Hier herrschte Stille in den großen Räumen für den ruhebedürftigen
Dichter, und für die Kinder gabs vorn einen prächtigen Tummelplatz
unter den riesigen Kastanienbäumen. Die Stille und Behaglichkeit
trieb auch ihre schönen Früchte. Hier entstand die Erzählung mit
dem erst später getauften Titel: "Die beiden Tubus". Zuerst hieß
sie nur ein Roman und war zwischen dem 6. und 7. Buch der "Denk und
Glaubwürdigkeiten" eingeschaltet. - Im Oktober 1857 erschien der
erste Band Erzählungen, der Altes und Neues enthielt und seinem
Freunde Rudolph Kausler zugeeignet war. Im Jahr 59, ebenfalls in
der Frank`schen Buchhandlung, der 2. Band, bestehend aus 9 Büchern
"Denk- und Glaubwürdigkeiten."
Im Anfang des Jahres 1857 am 13.4. an einem Ostermontag, erschien
auch das 4.Kind, ein herzig zartes Bübchen, unser Erwin. - Wir
waren nicht lange so einsam im Königsbad geblieben, bald waren uns
Weißers (2) nachgezogen und später auch Notter,(3) der Dante
übersetzte. Im Königsbad war es, daß uns Heyse (4) zum ersten
Mal besuchte. I.G. Fischer (5) hatte ihn uns gebracht. Er war
dazumals ein bildschöner Jüngling von 23 Jahren, schon verheirathet.
Eine sehr anerkennende Kritik über die Erzählungen, die er
geschrieben hatte, war die Veranlassung unserer näheren Bekanntschaft.
- Acht Tage lang war einmal Pfau (6) bei uns versteckt,
er war noch ein Gerichteter, da immer noch keine Amnestie erfolgt
war. - Unsere Finanzen standen zu jender Zeit schon ziemlich
schlecht. Oft fehlte das nöthige Geld den Steuerbeamten zu bezahlen,
der dazumals noch herumging die Steuern einzutreiben. Weißers
waren im selben Fall. Wir versteckten uns dann in einem dichten
Gebüsch des Parks und ließen Josephine den Steuermann abfertigen:
"Es sei alles ausgegangen." Dann hatte man 14 Tage gewonnen und
konnte Silber oder Mobiliar verkaufen. Wir waren sehr gern im
Königsbad und lebten so innig vereint mit Frau Weißer, die mehr an
Euch als an ihren eigenen Kindern hing; sie hatte außer der kleinen
Emmy noch einen älteren Knaben Adolph. Ludwig Weißer, ihr Mann,
war der Bruder von Adolph Weißer, dem früheren Mitredakteur des
"Beobachters" und Freund Eures Vaters. Mit Ludwig stand er nicht so
[6] intim. Er war ein sauertöpfischer Charakter voller Kenntnisse und
wissenschaftlichem Streben, aber sehr unliebenswürdig.- Die letzten
Jahre im Königsbad waren, durch das sehr heftig aufgetretene
Nervenleiden meines armen Mannes sehr getrübt. Er fühlte selbst
den Zustand, in dem er war und schloß sich deßhalb ein, kein Mensch
durfte zu ihm, das Essen mußte durch ein Schiebefensterchen
eingeschoben werden, es blieb gewöhnlich fast unberührt stehen.
Drei Tage und drei Nächte blieb ich am Schlüsselloch, um jede
Bewegung zu erspähen, denn ich fürchtete eine Katastrophe, hie und
da löste mich Christine ab, die mir Frau Weißer abgetreten hatte.
Fina hatte die Kinder in Verwahrung. Alle Freunde wurden abgewiesen,
selbst Hopf, mit dem er doch so intim stand. Erst Dr. Stock.
maier gelang es durch List, indem er ein Geldgeschäft vorschob, um
Einlaß zu erhalten. Auf einem Spaziergang wolle er ihm die Angelegenheit
auseinandersetzen. Die List gelang. Er führte ihn weiter
und weiter durch Dörfer und Wälder und brachte ihn spät abends
todtmüde zurück. Es ist gewonnen, sagte er mir, lassen sie ihn
jetzt nur schlafen. Er ging ruhig ist Bett, schlief die ganze Nacht
und stand gesund wieder auf. Was ich aber an Angst ausgestanden
hatte, das beschreibt keine Feder, und solche Eindrücke verwischen
sich auch nie wieder ganz, deßhalb konnte ich nie den Augenblick
genießen, der doch allein uns gehört, weil ich vor dem nächsten zu
sehr bangte. Ich wußte ja nicht was hinter solchen Zuständen durchlauerte.
Das Schicksal hatte mir alles gegeben zu einem seltenen
Glück, da mußten die Dornen der Furcht dazwischentreten. Durch
den Verkauf des Königsbads wurden wir daraus vertrieben und
mußten Hopfs Anerbieten in sein Häuschen nach Obereßlingen zu ziehen,
als ein Glück ansehen, - obgleich sich diese völlige Abgeschiedenheit,
dieser Mangel an Verkehr mit der literarischen Welt, sich für den
Dichter noch mehr als ein Grauen herausstellte. Ich hatte in der
ländlichen Ruhe, auch auf die Ruhe der Nerven gehofft, aber es war
nicht so. Immer und immer spukten sie wieder, doch gab es auch Pausen.
Da arbeitete er am Text des Bildatlasses weiter. In einer
guten, nicht von dem Dämon gestörten Stunde, entstand jenes wunderschöne
Gedicht "Der Fremdling".(7) Nicht mit Absicht hatte er sein
eigenes Schicksal hineingeflochten, aber unwillkürlich drang es
durch und da es wie ein Vorwurf an seine Mitlebenden klang, so
nahmen es ihm viele übel, aber Heyses Bewunderung überschüttete
ihn mit enthusiastischer Anerkennung und gab dem angehenden Freund>s7
[7] schaftsbund die Weihe. Ebenso begeistert sprach sich Bacmeister
aus, der uns nun öfters in Obereßlingen besuchte. Laistner (?)
hat diesen "Fremdling" einen schönen ergreifenden Nachruf gesandt,
leider ist mir der Vorabdruck entwendet worden. -
Ich habe nie einen freieren humaneren Menschen gekannt als meinen
Mann. Er hatte nie die hochmüthige Ablehnung älterer Schriftsteller
gegen jüngere, behandelte auch solche, deren Talent ihm zweifelhaft
war, mit schonender Freundlichkeit. Auch in Zeiten seiner Menschenscheu
war er nie griesgrämlich, sauertöpfisch, er zog sich nur
zurück und hüllte sich in Schweigen.
In der Frauenfrage, dazumals noch nicht sehr hervorgetreten, war
er längst der Zeit vorangegangen, er war für völlige Gleichberechtigung
des Weibes, freute sich immer wenn er Frauen mit geistigem
Streben traf, überschätzte vielleicht geniale Individien, weil er
eine große Zuneigung zum ganzen Geschlecht hatte. Er behauptete, es
sei besser als das männliche, was ich bestritt.- Mangel an Zartgefühl
bei Liebesverhältnissen, oder gar Prahlen mit gemachter
Eroberungen, was bei so vielen Männern zu finden ist, konnte ihn
ganz wüthend machen, da kannte er keine Toleranz mehr. Er erzählte
mir einmal wie am Wirthstisch ein "Commisvoyageur" seine Liebesabenteuer
erzählt habe und sich des Ausdrucks bediente: "Ja ich habe
sie genossen." "Sie Dummkopf, rief er ihnen zu, hat sie Sie denn
nicht auch genossen. Was gibts da drüber zu prahlen!"- Wenn sie
ihn beim Grafen Alexander mit seinen vielen Eroberungen unter
diesen Aristokratinnen aufzogen, so wies ers immer entschieden
alles von der Hand, dann sagte die Gräfin: "Da, wo Sie sich am
meisten wehren, darf man sicher sein, daß etwas los ist."
Eitelkeit ist ein Wort, das im Lexikon seiner Eigenschaften nicht
vorkam. Er war auch nicht eitel auf seinen Dichterruhm, und es gab
eine Zeiten,- er war noch sehr jung, da hatten die "Heimathjahre"
schon grosses Aufsehen gemacht und ihm volle Anerkennung zutheil
werden lassen, doch auf sein Wissen, seine Erfolge bei den Damen
und auf seine männliche Schönheit, er war sich seines Worthes bewußt
und hüllte sich in eine stolze Bescheidenheit. Er hielt sehr
wenig auf das Äußere und doch waren seine Manieren die eines vollendeten
Arikstokraten. Sein Auftreten hatte etwas Imponierenden.
[8] Von herzgewinnender Freundlichkeit war er mit Untergebenen und mit
dem Volke. Die Bürger von Tübingen schwärmten alle für ihn, nur
Prof. Brinz (8) kam ihm in der Zuneigung der bürgerlichen Bevölkerung
gleich. Ein fast übertriebener Zug von Rücksicht gegen das
weibliche Geschlecht, daß er sich nie von einem bedienenden
Frauenzimmer bedienen lassen wollte. Selbst zu seiner Frau konnte
er sich nicht entschließen zu sagen: "Nähe mir den Knopf an," oder
ähnliches. Da sagte er: "Bitte gib mir eine Nadel, etc." Zu Josephine:
"Haben Sie die Güthe mir Holz zu bringen, daß ich mir einheitzen
kann," was er doch sein Lebtag nie zustande gebracht hätte.
Wie ihm das aber auch alle Herzen eroberte! Auf den Anzug hielt er
nichts, er sah auch nie was andere anhatten, wo wenig an den Frauen
als an den Männern. Er hasste nur den Cylinder und den Frack, daher
kam es auch, daß er so sehr seine Toilette vernachlässigte, was ich
übrigens schon als junges Mädchen that. Einmal sagte ihm Becher,
als wir noch in Stuttgart wohnten, seine Frau meine, ich trüge gar
zu abgeschabte Kleider, und er solle mir ein Kleid spendieren. Nun
berathschlagten die Beiden, wie man mich zur Annahme bringen könne
und kam überein mir ein rothes Kleid zu kaufen, das würde ich dann
nicht abweisen. Da Hermann solche Dinge gar nicht verstand, übertrug
er es Becher, und ich mußte mich zu dem neuen Kleid bequemen. Ein
anderes mal in Tübingen, machte ich ihn auf seine gar zu zerissenen
Stiefel aufmerksam und bat ihn sich neue machen zu lassen: "Ich
bleibe doch der, der ich bin, auch mit zerrissenen Stiefeln," sagte
er, kaufe lieber Edgar ein Paar. Der ist jung und soll unter seinen
Kameraden keine schlechte Figur machen. Die Einrichtung seines
Zimmers sollte bequem, aber sehr einfach sein, um seine Phantasien
nicht zu stören. Der Kummer in Obereßlingen war, daß er in seiner
Mansarde nur halbe Fenster hatte. Er wollte auch keine Gardinen,
denn er liebte das Licht und haßte deßhalb jeden Vorhang.
Im Mai 1875
Es waren etwa 8 oder 18 Tage vor dem 24.Febr.1848, daß eine Freundin
von Eßlingen zu mir in mein stilles Obereßlingen kam und mir sagte:
"Du, wenn Du den Hermann Kurz kennen lernen willst, so komme auf den
Maskenball der am 24. Febr. im Eßlingen stattfinden wird, ich
habe gehört, daß Er auch hinkommt." Meine Dichtervorliebe war bei
meinen Freunden alle wohlbekannt, doch war diese Vorliebe fast in
allen Kreisen, die sich auch nur etwas über das gewöhnliche Niveau
[9] erhuben, zu jener Zeit getheilt. Man betrachtete mehr oder weniger
den von der Muse geküßten als einen Geweihten. Man that sich etwas
darauf zu Gute in seine Gesellschaft zu kommen und besonders das
weibliche Geschlecht bildete überall eine Art Hofstaat um ihn. Auch
in Eßlingen wurde dieser Sinn gehegt und gepflegt. Der nahegelegene
Musensitz Serach, wo Graf Alexander von Wirtemberg, der Sänger
der Stammesbilder alle Dichter Schwabens und auch des Auslands um
sich versammelte, trug nicht wenig zu diesem Poetenkultus bei. Die
Eßlinger besaßen in ihrem Geschichtsschreiber und Conrektor Pfaff
selbst einen Dichter der, obgleich der intime Prinzenfreund von
Serach wegen seiner demokratischen Gesinnung eine große Popolarität
unter der Bevölkerung genoß. In diesem Serach traf man auch Hermann
Kurz in den dreißiger und Anfang der vierziger Jahre, indem er theilweise
in Stuttgart und in dem nicht weit entfernten Buoch (8) und
Winnenden lebte, mit seinen Geistesgenossen zusammen. L.Uhland,
Carl Mayer, Justinus Kerner fanden sich dort häufig ein und bildeten
mit dem, dem Grafen Alexander innig befreundeten Lenau eine
festliche Tafelrunde. Ich habe in den letzten Jahren öfters eine
größere Photographie "Das Gastmahl des Perandes" ausgestellt gesehen,
das mich immer lebhaft an einen sehr hübschen Holzschnitt
erinnerte, den die "Gartenlaube" noch im Anfang der 60er Jahre als
ein Gedenkblatt an ihren Dichterkreis brachte, der sich in dem
lieblichen Serach versammelt hatte. Wie sehr Hermann Kurz in diesen
Kreisen geschätzt war, beweist ein aufbewahrter Brief von einer ihm
befreundeten Dame, der Frau von Mittnacht, Mutter des ehemaligen
Ministers aus dem Jahr 1844. Es heißt darin:
"Sie haben, wie ich, einen Freund verloren in dem Grafen Alexander.
Kurze Zeit vor seinem Tode, war ich einen ganzen Tag bei ihm in
Serach und wir waren in der Erinnerung unserer frohen Jugendtage,
vergnügt. Da kamen wir auch auf Sie zu sprechen, ich sagte: "Der
Hermann Kurz ist mir lieber als alle die andern, die so viel und
so schön sprechen"- "Sie haben auch ganz recht, liebe Ida," antwortete
der Graf, "er ist auch mehr werth, als die alle miteinander,
er ist ein ganzer Kerl, ein Mann an dem etwas ist."
Welch schönes Dasein wurde in dem Geschiedenen zerstört und während
wir seinen Tod beklagen, können wir kaum sein Leben wünschen! Alles
Gute begleite Sie nach Karlsruhe! Ich hoffe, sie sind dem Vaterlande
nicht verloren. Ida. " - Während diese Menschen in meiner
[10] nächsten Nähe verkehrten, hatte ich aber noch keine Ahnung, daß es
einen Hermann Kurz gebe, dessen Genius gerade dem reichsten Entfalten
entgegenreifte, und der mir so theuer werden, und so nahe stehen
sollte! Ich kannte nur den Grafen Alexander, dessen Tod ich die
heißesten Thränen nachgeweint hatte, und dem ich in halbkindlicher
Schwärmerei zu lieben glaubte, indem ich ihm den Dichter der Fürsten
und Ritter vereint sah. Und doch war er nur der Vorläufer, der
Johannes, dem ein Gewaltigerer folgen sollte, wenngleich die Ahne
desselben nicht auf dem wirttembergischen Herzogsthron gesessen,
sondern als republikanische Senatoren und Bürgermeister die demokratische
Verfassung ihrer Reichsstadt zu schützen bemüht waren.
Unter den vielen ungedruckten Gedichten von H.K. findet sich auch
eins, das er dem schon sehr leidenden und deßhalb gerade in der
Kaltwasserheilanstalt zu Kennenburg sich befindenden Grafen
Alexander gewidmet hatte.
Gebet bei einer Flasche Wein

12.Dez.1841

Dem Dichter der Sturmeslieder Grafen Alexander von Württemberg

"Von meiner Grotte traulich still umgeben,
Hell angefacht von Deines Trankes Gluthen,
Ruf ich zu Dir und schäme mich des Guten,
Der Du die Seelen schufest und die Reben!

Für die Verstürmten mögen Andre beben!
Mir will das Herz, um jene Schiffe bluten,
Die draußen, auf den grenzenlosen Fluthen
Windstill, vermodernd Plank um Planke schweben.

Vor allen bet ich für den Alexander,
Es ist ein edles Schiff mit starken Masten
Zwar von dem Sturm in etwas angegriffen,

So gehts nicht anders, schick ihm einen Brander,
Der ihn heraussprengt aus dem Wasserkasten.
Barmherzger Gott sei mit den armen Schiffen. "

[11] Doch ich kehre zu mir selbst zurück und zu jenem unvergesslichen
Maskenball, auf dem die Sonne meines Lebens nun zum ersten mal
aufgehen sollte. Von der mir gebotenen Möglichkeit, den Dichter von
"Schillers Heimathjahren" kennen lernen zu können, war ich wie
berauscht. Es waren kaum einige Monate verflossen, daß ich diesen
reizenden Roman zum ersten male gelesen hatte. Ich weiß jetzt noch
nach fast 28 Jahren den Ort in meines Vaters Garten, ein stilles,
unter einem Baum verstecktes Plätzchen, an das ich mich mit meinem
Buche flüchtete, um ungestört mit der holden Laura in die Wälder zu
ziehen und sie an den Mummelsee zu begleiten. Nie hatte ein Roman
einen so tiefen Eindruck auf meine jugendlich phantastische Seele
gemacht als dieser, daher war es gewiß sehr natürlich, daß ich
nichts Sehnlicheres wünschen konnte, als seinen Autor zu sehen, von
dem ich mir durchaus keine Vorstellung machen konnte, nur, daß er
sich mir hie und da mit seinem Roller indentifizierte, schon deßhalb,
weil ich mich unwillkürlich in die Rolle der Laura hineingeträumt
hatte.- Wie ein Blitz durchfuhr es mich da, den unbekannten
Dichter in der Maske seiner Laura entgegen zu treten. Einem
schmucken schlanken Studenten, den Sohn des Pfarrers von Obereßlingen
zog ich in mein Geheimniß und frug ihn, ob er nicht meinen
Toni machen wolle, auf was dieser mit Freuden einging. In einem
halb weiblichen, halb männlichen Zigeuneranzug, betrat ich mit
meinem Morgenländer den Tanzsaal. Schon unter der Thüre fragte ich
einen Bekannten nach Hermann Kurz. Man zeigte ihn mir. Allein,
inmitten des Maskengewühls stand ein schöner hochgewachsener Mann,
von dem man wohl sagen konnte, wie in der Bibel geschrieben steht:
Und er überragte alles Volk um einen Schuh in der Höhe. Er schaute
einmal in den Mummenschanz. Noch traf mich nicht der Blick seiner
glänzenden Augen, aber der schöne braune Vollbart, der das bleiche
edelgeformte Gesicht umrahmte und die langen hellbraunen Haare
entsprachen so sehr jenem Ideale männlicher Schönheit, das ich in
mir getragen, daß meine Augen mit Entzücken auf ihm weilten. Ich
steckte ihm ein kleines rosa Papierchen in die Hand, auf das ich
einen Gruß in Sonetteform an den Dichter der Laura geschrieben, und
wo ich ihn als Laura einlud mir zu folgen. Nie hatte ich noch so
selige Stunden erlebt als in diesem Ballsaal! Denn auch, nachdem
ich die Maske abgenommen, verließ mich zum großen Ärger meines vernachlässigten
Tonis, mein Dichter nicht mehr den ganzen Abend. Wir
vernachlässigten zwar beide den Dienst der Gattin Terziphora, (?)
entschlüpften den tanzenden Paaren und setzten uns in einen Winkel
[12]
des Saales, wo ich bald nicht nur den Maskenball, sondern die ganze
Welt vergaß. Jener denkwürdige 24. Februar 1848, der ein Frühlingswehen,
so schön wie die Welt nicht mehr erlebt, über die alte vermoderte
Gesellschaft hereinbrachte - Dieser 24. Februar war auch der
Geburtstag meines Glückes....(Anm.Mo.: Pünktchen von M.K.)
Den andern Tag sprach ich ihn noch ein kurzes Stündchen in einer
befreundeten Familie, dann ward er auf Monate meinem Gesichtskreise
entrückt, in den Strudel der politischen Welt hineingewirbelt, doch
ward ich selbst zu mächtig von ihm, dem Strudel, erfasst, um mich
Liebesträumereien hinzugeben, oder wenigstens sie auszuspinnen, wie
junge Mädchen solche Träume auszuspinnen pflegen. Bald hörte ich,
daß er die Redaktion des Beobachters in Gemeinschaft mit Adolph
Weißer übernommen hatte, und nun trat ich hinein in einen stillen
aber täglichen Verkehr mit ihm, wenn ich seine begeisterten und
ästhetisch so hoch gehaltenen Artikel las. Bald hörte ich sein
prächtiges Vaterlandslied "Sammle die zerbrochnen Glieder in der
Hand." So hoch erschien mir aber in seiner Zeit der Dienst für die
Freiheit und das Menschenthum, daß es mir noch gar nicht einfiel zu
beklagen, daß ein so hoher Genius wie dieser, seinem eigentlichen
Berufe entrissen und an dem rußigen Werkmannsdienst der Esse
gefesselt ward, obgleich ich von vielen Seiten das Bedauern ausgedrückt
hörte, daß nun sein "Sonnenwirth," von dem schon die ersten
Kapitel in Karlsruhe geschrieben wurden und im Morgenblatt erschienen
waren, nicht bald vollendet werde.
Es lebte zu jener Zeit in Eßlingen sein einziger Bruder Ernst, der
ihm besonders dazu noch sehr ähnlich sah, er war zwar blonder, auch
hatte er nicht die großen glänzenden blauen Augen, in einiger
Entfernung aber war eine Täuschung da leicht möglich...(Pünktchen
von M.K.) Wie oft klopfte bei einer solchen Begegnung mein Herz
fühlbar, immer wieder ließen sich meine Augen täuschen. Ich freute
mich übrigens seinen nächsten Verwandten so nahe zu haben und
knüpfte auf der Straße eine dicke Freundschaft mit den Kindern
meines hochverehrten Schwagers an, die ich in meinem Garten zu
meinen Obstbäumen und Johannisbeerhecken einlud, um das Vergnügen
zu haben von den arglosen Kinderlippen hin und da den Onkel Hermann
nennen zu hören. Einmal sah ich ihn noch in Stuttgart in der Journalistenloge
des Halbmondsaals und sprach ihn beim Herausgehen an.
Dann trat wieder eine lange, lange Pause ein. Ich mußte ihn nun
eine Zeitlang seinem mühseligen Beruf und dem täglichen Kampf mit
[13] der nur zu bald siegreichen Reaktion überlassen, um die zerstreuten
Notizen, die einige Streiflichter auf seine mir im Ganzen wenig
bekannte Jugend... zu sammeln. Wie sorglos vernachlässigten wir,
im Glück des Besitzes die Vergangenheit, die uns nicht angehört,
und erst in der grenzenlosen Verarmung, suchen wir die ganze Persönlichkeit
des geliebten Todten in all ihren Phasen und Beziehungen
uns fest zu stellen. Das Bild seiner Kindheit bis zum Jünglingsalter
tritt uns in seinen reizenden Schilderungen, in den Jugenderinnerungen,
so plastisch entgegen, daß der beste Biograph, wenn
er selbst ein Zeitgenosse von ihm gewesen wäre und seine Entwicklung
mitangesehen hätte, kein solches liefern könnte. Aber diese
Jugenderinnerungen brachen von dem "Kampf ums Dasein" und dem noch
viel schwereren seiner Überzeugung ab.- Schon im Stift waren ihm
die theologischen Studien ein Greuel, er ließ sich deßhalb, so oft
es nur anging, auf die Krankenstube setzen, um dort ungestört seiner
Muse Audienz zu geben. Als es ihm endlich gelungen war, durch
fortgesetzte Nichtachtung der Stiftsregeln, sich hinaus werfen zu
lassen, setzte er, um nicht in den Verdacht zu kommen, als habe er
sich vor dem lumpigen Examen gescheut, noch einige Zeit seine theologischen
Studien fort. Doch mochte er nicht allzuviel in den Hörsälen
der Theologen gesehen worden sein. Mit desto wärmerem Herzen
und wirklicher Begeisterung gab er sich den Lehren seines hochverehrten
Meisters Uhland hin, aber auch der geistvolle Moriz Rapp,
(10) wie ihn Heyse nennt, hat einen bedeutenden Einfluß auf das
junge aufstrebende Genie ausgeübt. Auch war Hermann Kurz so glücklich,
was den Besseren der heutigen Jugend so wenig zu Theil wird,
einen Kreis gleichgesinnter und begabter Freunde zu finden, deren
immer einer auf den andern einzuwirken befähigt war. Das reiche
Leben, das sie miteinander durchgelebt, erwähnt er in seinem schönen
Gedichte: "Nachlaß". Nur ein einziger lebt noch aus jenen
goldenen Tagen, wo die Musen und Grazien und der Gott der Freude
ihnen zugelächelt, Adalbert von Keller, (11) ein in seiner Wissenschaft
hochverdienter Mann, der mit liebevoller Pietät die
Verdienste seines todten Freundes in seinem Kolleg gedenkt, und die
nachwachsende Jugend mit der vortrefflichen Übersetzung des "Tristan"
und seiner noch viel herrlicheren Schlußdichtung bekannt
macht. Der dem Dichter am nächsten Stehende und der Letztgeschiedene
aus diesem Kreise, er überlebte nur um ein Jahr, war Rudolf
Kausler, nicht mehr der letzte, denn im Juni 75 starb Ed. Mörike
[14] den er in seinem "Wirthshaus gegenüber" als Ruwald einführte. Die
Rolle schon, die er ihn in dieser Novelle spielen läßt, zeigt, wie
hoch er ihn schätzte und welche geistigen Kräfte er ihm beimaß. Und
doch war Kausler, einer jener Heimathlosen auf dieser Erde, die es
noch nicht einmal zu einem Schatten von jener Anerkennung bringen
konnte, die sie tausendmal mehr, als die vielgenannten Namen der
Gegenwart, verdient hätten. Als er sich in den letzten Jahren um
eine Aufnahme seines "Schwarzen Schlosses" in den Novellenschatz
handelte, machte Heyse über Kausler die Bemerkung daß er "ein Dichter
sei, der eben nur wieder von einem Dichter gefühlt und begriffen
werden könne." In seinem Nachlaß fanden sich wohl über hundert Briefe
meines Mannes vom Jahr 31 bis 73, die die ganze Innigkeit des
Verhältnisses, aber auch die Verschiedenheit der beiden Individualitäten
wiederspiegelt. Die Correspondenz mit diesem Herzensfreund
mochte wohl auch fast sein einziger Trost gewesen sein in den kampfvollen
Jahren, die nun für ihn anbrachen. Nachdem er, trotz seiner
Vernachlässigung der Theologie dennoch im Jahre 1835 ein sehr gutes
theologisches Examen gemacht, hatte er sich endlich nach
langem Sträuben, durch Gustav Schwab bestimmen lassen, wenigstens
einen Versuch mit der theologischen Laufbahn zu machen. Er war bei
seinem Onkel, dem Pfarrer Mohr in Ehningen als Vikar eingetreten.
Aus dieser Zeit stammt folgender Brief an seinen Freund Kausler:

"Lieber Freund. Du hast die Adressierung des beifolgenden Buches an
Dich als eine Art von Dediktation angesehen, da ich mich auf Deinen
Brief noch nicht persönlich an Dich gewandt habe. Wie es mir gehe
wirst Du nicht im Ernste fragen können, denn wenn ich mir auch mein
Amt gar wohl zu deuten weiß, als eine Verwaltung geistlicher Kapitalien,
wenn ich in diesem Sinne meine Predigten mache, bedeutende
Wendung geben kann, so fühle ich doch, um den Zwiespalt, der in der
Wissenschaft eingerissen ist, daß die bisherigen Formen zum Abfall
reifen. Darunter leidet dann auch der Einzelne und überdieß, wer
sich vom substantiellen Familiengefühl philosophisch losgerissen
hat, hat doch noch manchmal die Empfindungen, die sich seltsam in
den Gliedern eines abgenommenen Fußes zeigen, daß man den Schmerz
der Nerven zu fühlen glaubt, die doch nicht mehr da sind. Meiner
Mutter, der Kunst, bin ich schmerzlich von der Brust gerissen, und
so darf ich mich wohl zu denen rechnen, die da sitzen in Finsterniß
[15] und im Schatten des Todes. In meinen literarischen Plänen geht mir
auch nichts nach Wunsche; ich muß den Anfang machen, eine Stimme zu
gewinnen und niemand ist mir dazu behilflich, denn diese Buchhändler
sind ein erbärmliches Volk. Ich gehe morgen nach Stuttgart um
den letzten Versuch zu machen, wenn er mißlingt, so will ich mit
Schmied von Lübeck zu reden: "So will ich ruhen und träumen mit
Hagedorn und Seumen, Vergessen in derselben Gruft."- Auf einmal
fällt mir ein, daß ich heute 22 Jahre alt bin. Das ist doch noch
ziemlich jung, und ich kann mich schon noch eine Weile am See
Genezareth herumtreiben, bis ich nach Jerusalem zu gehen anfange.
Wenn ich aber an meine drei mit mir gleich innigen Freunde denke,
so ist es seltsam, wie sie mir abgestorben sind und einer davon auf
immer. Er ist dahin, er wird zu Staub vergehen von jedem Hauch der
Liebe nun geschieden. In diese Augen soll ich nicht mehr sehen, die
mir geglänzt in überirdischem Frieden. Als ich ihn sah auf Nimmerwiedersehn,
den ich so lang mit Mund und Aug gemieden. Die trübe
Lehre tönt von seinem Sarge. Mit Menschen, welche sterben können,
karge.
(Hermann Mögling, Hermann ? Hermann Günzler +, schreibt Isolde)
30. November
Viel stärker als sich der Mißton über seine vom Schicksal aufgedrungene
Laufbahn, die im totalen Widerspruch mit seinem Gewissen stand,
in diesem Briefe ausspricht, hat er es in der Tiefe seines Herzens
gefühlt, ein Schweres, besonders in der Jugend ists, dem Andringen
einer Wahrheit sich zu wiedersetzen. Oft hat er nun von diesen
entsetzlichen Stimmungen gesprochen, die ihn in jener Zeit fast zum
Selbstmord getrieben; wie er einmal die feste Absicht gefaßt hätte,
sich auf der Kanzel todtzuschießen, um damit der ganzen Theologie,
die er wie ein Abdrücken nicht los werden konnte, ins Gesicht zu
schlagen, um das Elend des Daseins auf einmal loszuwerden.- Aber
die Lust zum Leben ist stärker als jedes Prinzip, und so lang der
Mensch noch irgend ein Fünkchen Hoffnung glimmen sieht, lüftet er
den dunklen Schleier nicht mit eigenen Händen, von dem er, selbst
im Unglück ein unwiderstehliches Grauen empfindet. Es blieb ihm so
auch die Muse als Trösterin zur Hilfe und mit ihr die Hoffnung die
Fesseln abzuschütteln. Und er schüttelte sie auch, nach nicht allzulang
ausgestandenem Fegefeuer, ab, siedelte nach Stuttgart über,
fing zu übersetzen an, fand Verleger und nach und nach einen Kreis
geistiger Männer; Schriftsteller und Künstler, in dem es ihm wieder
wohl werden sollte. Aus dieser Zeit stammt folgender Brief:
[16] "Lieber Freund, diese stille Stunde der Nacht zu einem Brief an
Dich benützend"- so begann der Brief meiner Liebsten, der mir meldete,
daß sie eine von jenseits des Jordans heirathen werde - also
diese stille Stunde in einen Brief zu verwandeln hab ich mir vorgenommen,
es ist mir so manches durch den Kopf gegangen, was ich Dir
zu sagen hätte: Wird mir die Zunge gehorchen, wo es am nöthigsten
ist? Doch ehe Du weiter liesest, bedenke genau, was es heißen
will, daß Du vielleicht nichts an mir hast als einen Poeten; ich
könnte Dir viele Gedichte senden - " O König Wiswannitra", es ist
der Müh nicht werth, komm hieher, dann les ich Dir alle vor, bis
auf eines. - Was ich sagen wollte: Es ist merkwürdig, daß die einzigen,
an die ich zu denken der Mühe werth halte, Pietisten
werden, oder wenigstens ihre Schweißtüchlein in den Geruch der
Pietisten tauchen. Nicht Laube, den Du mir zu sehr empfohlen hast,
hat mich jenes Gefühl gelehrt, ich kenne es selber, ich pflege es
auch nicht den Schmerz oder Riß der Welt zu nennen (denn was Goethe
der Menschheit ganzen Jammer nennt, ist etwas anderes,) mir ist es
jenes Hinausschauen ins Blaue, was vielleicht nur von meiner
Physiognomie herrührt, vielleicht hat auch Kant mit seinem "Ding
an Sich" die deutsche Eigenschaft, wirklich etwas gesagt zu haben,
was fließt aber aus diesem Allen? Wir leben, um zu sterben. Vielleicht
zitierst Du mir: "Lasset uns essen und trinken, denn morgen
sind wir todt". Auch gut, wenn Du willst (auch ich denke an Shakespeares
What you will), wir leben, empfinden das Nächste und nennen
es Freud und Leid und theilen es in Sensualismus und Phäermenologie
des Geistes, über diese hinaus liegt noch Etwas, was die Schwachen
Perfectibilität der Menschheit nennen, dem aber auch die Besseren
manche stille Stunde der Betrachtung schenken. Hier ist ja wohl
auch Gutzkows sterbliche Ferse, wenn es sich je der Mühe verlohnt
von ihm zu reden.- Kein Berechtigter wird diesen Geschicken
nachdenken, ohne einen großen Namen ins Spiel zu bringen- "von
einem Baldur spricht der Süd dem Sohn der Magd"- Du traust mir zu,
daß ich ein großes Menschenleben in meine Gedanken fassen kann, und
ich halte Dich für aufgeklärt- also nichts von seiner historischen
Erscheinung. Was er gewirkt hat, wissen wir ja auch- eine neue
Welt- des Kolumbus der Geister. Und deßhalb hab ich auch schon
längst im Sinne, wenn ich meine Sendung in der alten Welt erfüllt
habe und Zeugniß gegeben von mir und meinetwegen von dem Ding an
sich, nach China zu gehen, und das Einfache zu predigen, was ich in
[17] dem Ehningen der alten Welt nur mit heimlichem Hoselachen und
Selbstverachtung sagen konnte.- Ich glaube, diese verworrenen
Andeutungen "durch einen Spiegel, als in einem dunkeln Wort"
ersetzen eine "gediegene Abhandlung": wenn ich an ihn denke so
erlaubst du der Poesie hinzuzusetzen: "und unter ferner Palmen
steht sein Grab im Licht"- Nichts von jener Schädelstätte! es ist
kokett davon zu sprechen, denn wir werden ja auch von der Welt
gekreuzigt- seine Wirkungen glaub ich zu kennen, und somit brauch ich
nicht von Verehrung zu reden wie ein sich bückender Schulmeister.
Du verstehst ja Goethen, wenn er verlangt die Deutschen sollen sich
des Gebrauchs des Wortes "Gemüth" fünfzig Jahre lang untersagen, so
wirst Du auch verstehen, wenn ich von den Phrasen auf seinen Namen"
und sollens gar selig werden " glatterdings nichts hören will".
Verböte ich doch meinem Neffen oder gar einem Sohne, Studentenausdrücke
aus der Kneipe mitzubringen und mich damit zu beleidigen,
warum nicht noch mehr solches? Und hat mir doch die Theologie lange
nicht so mitgespielt wie dem Gutzkow oder gar dem Strauß,
weil ich in einer "festen Burg" gegen sie verschlossen lag, weil
ich ihr und all ihren Werken und Wesen immer widersagt habe."
Verzeih, daß ich so auf Gänsefüßen gehe, wir thun ja das alle, wir
von der Feder. Ich habe Mögling nicht vergessen, ich vergesse ihn
nie, ich habe ihn bei jedem Buchstaben im Auge gehabt: ich hoffe
viel von ihm: man muß den Nationalismus praktisch lernen- wer zu
viel Wein getrunken hat, muß am Ende eben doch zum Wasser greifen,
um sich zu waschen oder, was freilich noch ärger ist, zu trinken.
Schließlich bitte ich Dich, enthalte mir Deine freundlichen Worte
nicht vor, Du hast so viel Zeit zum Schreiben - und ich - ich muß
übersetzen: So sauer ringt das karge Loos der Mensch dem harten
Himmel ab. Noch eins: ich glaube an eine Vorsehung und zwar eine
individuelle: lieber Gott, wer sorgt denn sonst für uns Genies,
blaue und graue. (aus dem Lied: "Meine Mutter hat Gänse") Aber es
ist ein Instinkt, denn eine Intelligenz wäre erbärmlich, es ist ein
Instinkt, der einen gewissen Knaben vor großem Unglück bewahrt
hatte, der bei solchem Fallen und Stürzen "seinen Engel gesandt hat,
auf daß er seinen Fuß an keinen Stein stieße", der ihn einmal vor
wilden Pferden durch die Hand eines furchtsamen und ... wahrhaft
feigen Mädchens gerettet hat. Ich glaube es ist keiner was, der
nicht diesen Glauben hat und dieser Glaube hat mir oft geholfen! So
auch jetzt und ich bins zufrieden, daß ich meinem Gesicht gegenüber
eine Wand und keine Gemeinde habe.
[18] Ich habe Dich in mein Inneres blicken lassen, aber merke wohl, durch
einen Spiegel, als in einem dunkeln Wort. Du hast gewiß einen Brief
von mir erwartet, und ich dachte nicht daran, als ich um 12 Uhr
heimkam, ich hatte mit Deinem Bruder, mit dem ich täglich zusammen
kommme- unter L. die einzige menschliche Brust, von ganz andern
Dingen gesprochen. Nun können wir ja nach Winnenden gehen und auch
von andern Dingen sprechen. Ich sehne mich ohnehin sehr danach, von
Marielein (12) einen Kuß zu bekommen. Bis dahin bin ich vielleicht
ein berühmter Dichter, vielleicht auch nicht. To be, or not to be,
that is no question? Ist der liebe herzige Gottfried böse auf
mich? Animis celestibur ira. (13) Er sollte bedenken, daß ich seine
Sachen als Vikar gesagt habe. Übrigens hat er sich auch gar zu dumm
betragen. Schwab ist très charmante gegen mich und hat mir einen
Platz etc. angewiesen. Für Plato werd ich bei der ersten Gelegenheit
wenigstens einen literarischen Nerv und Hauptk. schlachten.
Eine Kommödie ganz in Platos Manier wird eines Tages endigen. Und
es reicht, wills Gott hiefür jemand mehr den Lausewenzel. - Mit
Pfizer,(14) dem Tropfen der Ewigkeit, bin ich noch nicht zusammengetroffen.
Den alten Gundert (15) besuche ich dieser Tage,
sobald ich schnaufen kann.
Daß ich Dir geschrieben, achte, wie wenn ein Amts- und Frohbote
jemand zu lieb eine Stunde weiter geht. Morgen bin ich acht Tage
hier und weißt Du wieviel Bogen ich schon vollgeschrieben?Siebzehn.
Und zwei Gedichter dazu gemacht, thut 19 Stück.-Ach
Gott! An Seeger muß ich auch schreiben. Schicke mir Geld, dann
halt ich mir einen Sekretät, denn im Rezensieren habe ich mich auf
der Kanzel geübt. - Also diese stille Stunde der Nacht zu einem
Brief an Dich benützend, Dein - ach mein! H. Kurtz
Nachschrift: Ich hätte oben anfangen sollen, theuerster Freund,
denn so fing jener Brief an und es war ihr Ernst damit.
Zweite Nachschrift
Die erste frauenzimmerlich, die zweite philosophisch. - Nachdem ich
geraume Zeit im Bett gelesen und meditiert, triebs mich heraus, Dir
noch etwas zu sagen und, es schlägt gerade 2 Uhr, also merke wohl
auf, denn es will tagen und die Nacht hat sich geneiget.Ich
kann die Prizipien ausgerufen nicht leiden, weil- weil ich
dabei an die Demagogen und den Frankfurter Krawall denken muß. Es
gibt sich ja von selber, d. h. sie sprechen sich aus im Handeln und
im Dichten (ich neige vielleicht noch mehr zum ersten, wenn mir die
[19] Welt nicht sogar lumpig wäre) da merkt man ja gleich ob einer eine
Philosophie hat oder nicht, ohne daß man deßhalb selbst eine
confitirieren muß. -
Wer diese Liebste" war, (Isolde vermerkt: "Es war Luise Bilhuber,
seine erste Flamme, die ihm im Jahr 1839 ihr Verlobung mit einem
Dr Wunderlich (?) mittheilte, mit der Vermerkung, daß der Bräutigam
nicht "lächerlich" sei, wie H.K. ihn genannt habe.) mit der
der Brief an den Herzenssfreund beginnt und die einen von jenseits
des Jordans geheirathet, weiß ich nicht, da sie jedenfalls nicht zu
den hervorragenden Frauengestalten seines Lebens gehörte.
Aber das kleine "Marielein" war die liebliche Nichte seines Freudes
für die er sein Waldfegerlein gedichtet und für die er sein ganzes
Leben lang eine innige Zuneigung gehegt.
Das Gedicht" Das Schöne Kind" scheint auch in dieser Zeit entstanden
zu sein und in folgendem Briefe an Kausler dürfte das Original
zu seinem Elfenkindchen herauszufinden sein.
Stuttgart, 14. Mai 1836
"Mein Bester!
Ich muß Dich bitten mir sogleich zu schreiben, ob ihr über Pfingsten
kommen werdet, namentlich ob Du, und es käme darauf an, eine
Zusammenkunft mit meinem Bruder beim Göppinger Liederfest abzusagen.
Freilich zieht es mich, denn er hat mir versprochen ein paar seiner
Mädchen mitzubringen, und ich leide, seit ich neulich in Weilheim
war, an einer Schwachheit, als ob ich unmittelbar einem iffländischen
ländlichen Ruhrstück entsprungen wäre. Dieses einsame langweilige
Leben in der Residenz, bei dem ich mich auf Seeger sehr
herzlich freuen würde, hat mich nach und nach so heimwehmüthig
gestimmt, daß ich in den zwei Tagen, die ich in Weilheim zubrachte,
ganz in Fröhlichkeit und Rührung aufgelöst war. Freilich, all das
liebenswürdige Gesindel um mich herum, von 5 bis zu 2 Schuh herab,
- ich hab lange nicht so viel hübsche Mädchen beisammen gesehen; um
nicht zu kurz zu kommen, führte ich wenigstens das Handküssen unter
ihnen ein. Getanzt hab ich auch bei der Hochzeit, und zwar fünf
Stunden lang, ohne ausgesetzt, was bei einem Mann von meinem Charakter
und meinem Ruhme, (denn es sind wieder ein paar Dinge vorgefallen)
nicht wenig zu bedeuten hat. Ich habe auch immer noch den
Krampf im linken Fuß davon. Betrunken habe ich mich ebenfalls und
zwar mit Barribal, aber nicht so skandalös wie dieser, es war ein
Unglück für beide, daß wir als gemeinschaftliche Vettern zusammen
trafen und natürlicherweise die einzigen trinkenden Brüste waren.
[20] Die Krone jedoch von allem ist, daß ich mich verliebt habe und das
so sehr ernstlich, sodaß ich wirklich wieder etwas zu leben angefangen
habe. Ich sah bei der Hochzeit ein Mädchen, wie Dir sicherlich
noch keins vorgekommen ist, sie war ungefähr auf 14 zu
schätzen, eine zierliche schnippische Elfengestalt, Gesicht und
Wuchs, eines dem andern würdig, und noch dazu bei der Maskerade als
Tyrolerin gekleidet, sodaß ich über Lewalds schöne Duferin (?)
lachen mußte. Ob ich ihr schön that und wie, weiß ich nicht mehr,
denn ich will für jenen Abend nicht verantwortlich sein. Aber am
andern Morgen ging ich sogleich in ihr Haus und fragte nach ihr.
Sie war in der Schule, sie ist 11 Jahre alt, aber sie war am
zweiten Tag so schön, wie am ersten. Indessen:
Mein Liebchen geht in die Schule,
Es werden ihr Tätzchen zutheil,
Dann kommt der zärtliche Buhler,
Und küßt ihr die Hand wieder heil.
You will never see a wilder beauty than this, a sweet little girl,
und wie sie mich gelegentlich ablaufen ließ, war das Allerköstlichste.
Sie heißt Mathilde und ihr Zuname ist ebenso poetich,
Ostermaier: Ihr Vater, der kürzlich gestorben, war ein kleiner
Kaufmann in Weilheim, und dabei kein kleines Herz; ich mag nur den
Ausdruck nicht gebrauchen, der ihn mit Schlesier und einigen andern
Gem... in einer Reihe stellen würde. Er war ein Unzufriedener,
wie mein Vater und hatte von diesem nur den Vorzug, daß er gereist,
mein Vater aber, außer Schweizerreisen, blos belesen war. Ostermaier
war in Konstaninopel, Troja, Jerusalem und Persien und hat
sich dann, im Begriff für immer nach Amerika zu gehen, in Weilheim
verliebt und geheirathet, ist ein friedlicher Bürger geworden, früh
und spät auf die Pflicht bedacht und sich nach und nach, in diesem
friedlichen Klein- und Stilleben, verzehrt, doch hat ihn dies nicht
gehindert, unter einigen andern Kindern, diese feenhafte Aprilsonne
auf die Welt zu setzen. - Ich habe das Zeug so vor mich hingeschrieben,
und Du kannst freilich draus nicht viel ersehen, als daß
hinter meinem Spaß möglicherweise ein bisschen Ernst stecken könnte.
Der Schluß meiner Novelle sagt mir auch nicht recht zu. Hauff war
mit mir darüber einverstanden, daß mein "Simplex" noch übermüthiger
werden sollte, nach der Art, wie ihn der Hafer sticht, wollte ihm
nicht gefallen, und ich gestehe mir auch zu, es passt eher für ein
Schubladenstück, wo es sich ausruhen kann. Ich kann auch kein
[21] Exemplar geben, ich habe nur eins bekommen und 28 Gulden außerordentlicherweise,
zwischen der Zeit, ich hatte keinen Kreutzer
und ging zu Schwab, um ihm meine Noth zu klagen, der hat es dann
dahin gebracht. Nun weiß ich nicht in welchem Zusammenhang es damit
steht, daß mich seit 8 Tagen alle Leute so mitleidig ansehen.- Ich
habe den "Protektor" zurückgelegt, aber nicht ad acta und schreibe
lieber gleich ein ganzes Buch sanfte Familiengeschichten, vom
Urgroßvater und der Urgroßmutter, bis herab zu mir: Wenn Ihr kommt,
so werde ich Euch ein Stück vorlegen können. Gegenwärtig bin ich am
Urgroßvater und der Urgroßmutter, rücke aber langsam vorwärts, denn
ich habe zwar den Ausgang mit seinen Lichtern, kann aber den Gang
nicht recht finden. Wo soll es mit uns enfants perdus noch hinaus?
Wenn nur Mathilde älter wäre, dann ließ ich mich zum Thorschreiber
machen. Schreib bald Deine Philosophie, ich will Dein Anfänger
werden und wenn es noch so abgeschmackt wäre und desarmier mich
nicht, Du kannsts noch viel schlechter bekommen, das ist so in der
Regel. Werd auch kein Ranziger des inneren Lebens, wie Jean Paul
Hegele nennt. Es ist tief in der Nacht, wir müssens diesmal
unterbrechen. Leb wohl, grüße Keller (A.16) Kurtz
Stuttgart, den 14. Mai 1836
Und diese Mathilde lebt noch als alte Frau in Stuttgart. Sie hatte
sich verheirathet, führte eine unglückliche Ehe, wurde Witwe, mit
dem Alter mehr und mehr Pietistin, die nur noch Sinn für ihre
Betstunden hatte, aber wie in ihren Kreisen der Name Hermann Kurz
genannt wurde, dann leuchtete es über ihr Gesicht wie ein
Verklärungsschein.
In den Jahren 1836-37, 1838 bis 43 lebte Hermann abwechslungsweise
in Stuttgart, seinem Karlsbad, Buoch, Winnenden und Weilheim an der
Teck, wo sich sein Bruder befand. In Winnenden war Kausler Vikar.
Vom Jahr 37 an trat er in ein immer inniger werdendes Verhältniß zu
Eduard Mörike, das in dem Briefwechsel der beiden Dichter der Nachwelt
unverloren ist.(17) So groß war die Geistesverwandschaft der
Beiden, daß Hermann den Schluß zu den Regenbrüdern dichten konnte,
ohne der Einheit des Stückes im mindesten zu schaden. Enthusiastisch
schloß sich der Jüngere, erst sehr enthaltene, Genius an den
älteren an, wie sehr aber Mörike, das ihm so ebenbürtige Genie zu
würdigen wußte, bezeugt seines, nun so oft citierten Distichen, das
Mörike in seinen Gedichten aufgenommen, und das in folgender ursprünglicher
Form am Beginn eines Briefes stand, in dem er ihn
[22] aufforderte, ihm immer eine aufrichtige Kritik über seine Gedichte
zu schreiben: "Sei mir Dichter willkommen, denn Dich hat wahrlich
die Muse geküßt." (durchgestrichen von Isolde, die schreibt: "Rede
Du offen mit mir, denn Dich hat wirklich die Muse etc., hieß es
ursprünglich") Die Geistesprodukte jener Jahre hat Paul Heyse in
seiner Biographie chronologisch aufgezählt, ich habe es mir daher
nicht zur Aufgabe gemacht, sie hier zu nennen.

Es versteht sich von selbst selbst, daß das gastfreie Kernerische
Haus in Weinsberg, auch den Dichter der "Heimathjahre" öfters in
sich beherbergte. Dort traf er auch mit Strauß zusammen, der schon
in Maulbronn und später in Tübingen, sein Lehrer gewesen war und
der seinen Geist für eine Zeitlang, als einziger Schüler mit Philosophie
gefesselt hatte, bis die mondbeglänzte Zaubernacht der Phantasie
und Poesie, ihn ganz in ihre Kreise bannte. Trotz eines
geheimen mystischen Zuges, die wohl alle Dichter gemein haben und
dessen sich sogar der tiefe Denker Strauß in seinen jüngeren Jahren
nicht ganz entziehen konnte, waren es gewiß weder die Poetengeister
von Weinsberg, mit der Seherin von Prevorst, (die über Strauß befragt,
seinen Glauben so hoch prieß, (weil er nie zum Unglauben
führen konnte)- es war vielleicht nicht einmal der treuherzige
Kerner
, sicher aber eine der Töchter, die den jungen Dichter
öfters an den Fuß der Weibertreu hinzog. So viel ich mich meine
erinnern zu können, wäre das in den "Heimathjahren" stehende
Gedicht: "Der Mond ist hell und kalt die Nacht, an Emma Kerner
gedichtet.
Folgende, unter ungedruckten Jugendgedichten aufgefundenen
Strophen, sind jedenfalls an Marie Kerner gerichtet, für die er
eine große Zuneigung hatte, obgleich es die junge Schwester Emma
war, die sein Herz für einige Zeit gefesselt hielt.
[23] An Marie
Ich habe Dich im Traum gesehen,
Du selber lagst im Traume still,
Und um Dich lag ein leises Wehen,
Wie wenn was Neues werden will.

Du lagst vom Sturm der Krankheit müde
Und deine Augen waren zu,
Auf deiner Stirne lag der Friede,
Um Deine Lippen spielte Ruh.

Es war so eine, von den Stunden,
Die unsre Lebensregel wählt,
Wenn Lieb und Seele angebunden,
Es zu erneutem Wirken stählt.

Und all die guten Augenblicke,
Die so das Dasein Dir verschafft.
Führt es von deinem Traum zurücke,
Und nährte Dich mit ihrer Kraft.

Und all die schönen Thaten kamen
Verschleiert, wie Du sie gethan,
Und nannten segnend Deinen Namen
Und hauchten Dich mit Kühlung an.

Dann trat, mit einer edlen Rose,
Der Engel an das Lager sacht.
Genesung weht aus ihrem Schoose
Und sieh, nun war sein Werk vollbracht.
[1840] den 23. Dez.
Die Gewohnheit spät zu Bett zu gehen und spät aufzustehen, die der
Dichter sein ganzes Leben beibehalten, veranlaßte Kerner folgenden
Vers in die Gedichtsammlung, unter das Gedicht: "Mein Bett" zu
schreiben: Weil Du der erste Dichter, der gesungen,
Dein Bette hat ein warmes liebes Lied,
Es hält zum Dank, wenn längst der Mittag glüht
Das Bett Dich oft noch warm und lieb umschlungen.
[24] Durch Mörikes Güte erhielt mein Sohn Erwin dieses Exemplar der Gedichte
im Herbst 1874 von ihm zum Geschenk.
10. Oktober 1878 in Florenz
Jahre sind vergangen, seit meinem ersten Entschluss, eine skizzenartige
Aufzeichnung aus dem Leben meines Mannes zu machen. Einestheils
waren es die zu großen Lücken, die ich nicht gehörig ausfüllen
zu können mir bewußt war; anderntheils stürmten so viele Sorgen
auf mich ein, besonders die halbjährige andauernde Krankheit meines
jüngsten Sohnes, sodaß der Gedankengang zerrissen wurde. Da ich
anfänglich auch in dem Wahn lebte, die Theilnahme des schwäbischen
Volkes werde für seinen Dichter, der wohl eines seiner treusten
Kinder war, so lebhaft bleiben, um sich nach Jahren noch für ihn zu
interessieren, und ich werde ihr, wie die Withwe Uhlands, ein Buch
darbieten dürfen, das ihr in kleinen Skizzen das Leben und Kämpfen
eines edlen Dichterherzens zeigt, und deßhalb gewissenhafter mit
mir zu Rathe ging, ob ich dieser Aufgabe auch gewachsen sei. Jetzt
weiß ich es zur Genüge, daß sein Volk und Land, das er so sehr geliebt,
nichts mehr nach ihm fragt. Die Welt ist eine ganz andere
geworden. Wer hat noch Sinn, in dem lauten Kampf des Tages, in den
tiefen verborgenen Dichterschacht hinabzusteigen, und so weiß ich
denn, daß es nur für meine Kinder ist, für die ich gleichzeitig
auch als eine Erinnerung an mich, die Bilder der Erinnerung fester
helfen suchen will. Für mich selber aber ist es ein Todtenkultus,
ein einziger mir möglicher, in dem fremden fernen Lande, in dem es
mir nicht vergönnt ist, an dem Sterbetage die heilige Stätte zu
schmücken, was meinem Herzen immer ein milder Trost gewesen, und wo
ich so oft Stunden einer begeisterten Weihe empfunden.
So versuch ichs denn noch einmal durch den Schleier zu dringen, der
die Vergangenheit umhüllt, bevor ihn ins Alter dichter und dichter
vor meiner Seele zusammenzieht.

Immer mit der Noth des Daseins ringend, übernahm Hermann Kurz
im Jahr 1843 die Redaktion des dt. Familienbuchs in Carlsruhe.
Hier beginnt, durch den Umgang mit Hecker und Mathy etc., sein
reges Interesse an der Politik. Mit Ludwig Pfau hat er in Carlsruhe
eine Zeitlang auf einem Zimmer gewohnt, Pult an Pult.
Aus dem Jahre 1847 ist ein Brief an Kausler vorhanden, den er von
[25] Heidelberg geschrieben: "Ich höre," heißt es darin, "mit Begeisterung
Collegien bei Henle (Antropologie) und bei Roth (Geschichte
der griech. Philosophie.)" Ich weiß, daß Roths Forschungen einen
gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht haben, und daß er, während
seiner späteren Redaktionszeit am Beobachter, manches Feuilleton
mit gezielten Bearbeitungen dieser Collegien angefüllt. Im
Jahr 1848
war Hermann auf Besuch nach Württemberg gekommen,
als der Ausbruch der Revolution ihn festhielt und das Steuer des
radikalen Blattes Schwabens ihm in die Hand gedrückt wurde.
In dem Jahre 1849 erinnere ich mich, nur wenig, den Gegenstand
meiner stillen Schwärmerei gesehen zu haben, ich war da doch durch
die Krankheit und den Tod meines Vaters mehr an das Haus gebannt.
Als ich aber, im Frühjahr des Jahres 1850 hin, eine Reise nach dem
Elsaß antrat, war er es, der mich in Stuttgart an den Eilwagen begleitete.
Vergeblich wartete ich auf ein Wort, das mich zurückgehalten
hätte, und so zog ich denn fort, in dem festen Vorsatz,
mir den Traum aus der Seele zu jagen, nicht die Begeisterung für
ihn, sondern den Traum, als könne er mein werden und damit der
höchste Wunsch meines Lebens in Erfüllung gehen, denn ich wußte ja,
daß er mit der Schwester seiner Schwägerin versprochen war.
Nach längerer Abwesenheit und noch größeren Reisen in die Schweiz
und den Rhein herunter, wieder in die alte Heimath in Obereßlingen
zurückgekehrt, war es an einem schönen Frühlingstage des Jahres
1851, daß ich mich zum ersten mal wieder in dem Wirthsgarten von
der Burg von Eßlingen mit Hermann zusammen fand, nachdem ich schon
früher in Stuttgart erfahren hatte, daß sein Verhältniß zu Ottilie
Faber aufgehört habe. Unter Blüthenbäumen gingen wir, bis tief in
die Nacht, spazieren. Als er mich hier zum ersten mal in die Arme
preßte, erwachten die alten Gefühle in ihrer ganzen Stärke wieder.
Nun trafen wir uns jeden Samstag. Nachdem er den letzten Correkturbogen
für den Beobachter gelesen, fuhr er zu mir herüber und blieb
bis Montag früh, wo ihn der erste Frühzug mir wieder entführte.
Wer vermag das Glück einer jungen aufblühenden Liebe zu beschreiben
die neu gefüllt war! Welcher Reiz in der Erwartung des Geliebten!
Ich sehe noch die schöne hohe Gestalt, mit dem schwarzen runden
Hütchen und vollendetem braunem Bart, um die Ecke meines Gartens
biegen; oh, so schön, so schön, wie es heutigentags gar keine
Männer mehr gibt! Es war eine glückliche Idylle, von keinem Mißton
getrübt. Ich hatte nie das Bedürfniß empfunden, diese freie und
[26] glückliche Vereinigung, durch das Gesetz legalisieren zu lassen,
aber, die offizielle Stellung eines Redakteurs des Beobachters,
verlangte diese Conzession, die, nachdem die vorgerückte Jahreszeit,
den ländlichen Aufenthalt und die frostigen Fahrten nicht mehr so
einladend gemacht, am 20. November 1851 in der Dorfkirche zu
Obereßlingen erfolgte. Den Versuch, eine Ziviltrauung zu ermöglichen,
war bei unseren beschränkten Vermögensverhältnissen gescheitert,
doch hatte sich der gefällige Dorfpfarrer zu jeder
Anpassung unserer Anschauungenweise bequemt. Kein christlicher
Anklang war in der kurzen Trauungsformel, die wir stehend, nicht
knieend, wie es bereits die Sitte war, über uns gesprochen.
Anwesend waren einige politische Freunde, der äußersten Linken der
Kammer angehörig, darunter Ludwig Seeger, der Dichter und geistvolle
Übersetzer des Aristophanes. Die Trauung hatte um 5 Uhr
abends stattgefunden. Dann wurde ein ganz einfaches Mahl, in den
bereits ihrer Möbel entraubten Zimmern meines elterlichen Hauses,
eingenommen. Das Fäßchen guten alten Weines, das aufgelegt war,
brachte bald eine sehr heitere und belebte Stimmung hervor, von der
vor allem das alte Pfäfflein ergriffen war. Der Abendzug führte die
ganze Gesellschaft, mit dem jungen Ehemann, nach Stuttgart, nur ich
blieb in den leeren Räumen zurück und kam erst den folgenden Tag
in der Junggesellenwirthschaft meines Mannes an, da wir die neue
Wohnung noch nicht beziehen konnten, da das Hausgeräth noch nicht
angekommen war, erst einen späteren Tag ankam, mit ihm auch meine
treue Josephine, die Pflegerin meiner Kindheit, in deren Hände ich
diese ganze Sorge für das Hauswesen niedergelegt hatte, und mein
kleiner Bruder Otto, den ich nach dem Tode meines Vaters zu mir
genommen, und der mehrere Monate bei uns blieb, bis seine Mutter
ihn mit sich nach Amerika nahm.
Unsere erste Wohnung, die wir bezogen, war in der Sophienstraße
im Hause des Schuhmachers Stelzer. In der ersten Nacht, die wir
in der eigenen Wohnung zubrachten, brachten uns die Freunde ein
schönes Ständchen mit dem Liede:" Der Himmel lacht und heitere
Lüfte spielen", (18) begonnen wurde. Die Tage flossen in ungetrübtem
Glücke dahin. In den Winterabenden erlasen wir zusammen italienisch
den Decamerone,(19) von Boccaccio, oder las mir Hermann aus dem
Shakespeare vor. Im folgenden Frühling machten wir eine kleine
Schwarzwaldreise zu Fuß. Über die Solitude, Böblingen und Weil der
[27] Stadt, zwischen 8 Tagen, wanderten wir in dem herrlichen Tannenwald
umher, wir besuchten Teinach, Zavelstein, die Thalmühle, die mir
ein gewisser Ort blieb, weil Hermann dort einen Theil seiner
"Heimathjahre" schrieb, und wo das schöne Lied: "Ich sitze auf der
Mühle" entstand. In Pfalzgrafenweiler besuchten wir eine Verwandte
meines Mannes, deren Mann Pfarrer dort war, und der später
so schrecklich endigte, indem er sich selbst entleibte, nachdem er
sein Haus angesteckt, wo er als verkohltes Häufchen gefunden. Wir
hätten die Reise noch weiter ausgedehnt, wenn mir die weidenden
Kühe nicht so viel Schrecken eingejagt, und der Schrecken sollte in
meinen Umständen vermieden werden. (Isolde schreibt weiter:)
[28] "Das Großelterliche Haus Schramm in Tübingen, Buchdruckereibesitzer,
damals noch eine angesehene Stellung. Der Alte war ein
durchaus humanistisch gebildeter Mann und avis verdemiens.
Die Töchter wurden für jene Zeit ganz fein erzogen.(Großmutter und
Tante Mohr, eine dritte mit Baurat Ehmann verheirathet) Die
Großmutter, eine fein zartfühlende Natur fühlte sich über die
Reutlinger Verwandtschaft unglücklich und gedrückt, aber die
Schwägerin Kenngott half wohl ihre Stellung zu erleichtern. Sie
hinterblieb als Witwe in großer Bedrängnis. Die Base Kenngott
(Dote) unterstützte sie und derjüngere 8jährige Sohn Ernst half
durch colorieren von Bilderbögen (je Kreuzer pro Stück) in seinen
Freistunden. Er war, wie es scheint, auch der Liebling der Mutter
schon als Nestkegel war Papa der Liebling der Tante, die viel
weniger gebildet aber begabter und größer angelegt war!
Mama wurde von der Partei bestürmt Papa beim Beobachter festzuhalten.
Man schickte ihr zu diesem Zweck Mögling, der als Märtyrer
der Freiheit von ihr besonders bewundert, weil er zehn Jahre im
Zuchthaus gesessen hatte. Aber sie blieb fest. Er habe genug
Opfer für die Parthei gebracht, jetzt müsse er den "Sonnenwirth"
vollenden. Den Beobachter redigieren? könne auch ein anderer, aber
den "Sonnenwirth" fertig schreiben kann nur er. (Mögling galt für
eine Sohn des Königs Wilhelms) Mit den Waffen in der Hand gefangengenommen
wurde er in Baden, jenseits des Landes verurtheilt.
Man schrieb an den König und forderte ihn auf, daß er eine Begnadigung
auswirke. Ein so tapferer Schwabe müssse seinem eigenen
Heldenherz gewogen sein. Er starb später in geistiger Umnachtung".
(Ende von Isoldes Nachtrag, sehr schlecht lesbar.)
[29] (Einlage von 4 Blatt in dieses Tagebuch:)
Wie ein Zauberwort drang das in meine Seele. Jetzt wars nicht mehr
die Laura die mich beschäftigte. Den Schöpfer der Laura, von dem
ich schon so viel gehört hatte und der auch zu dem Grafen Alexander
von Württemberg und Uhlands Tafelrunde zählte,- ihn wollte ich
kennnenlernen. Mein Enschluß war gleich gefaßt. Einen mir befreundeten
Studenten, einen schlank gewachsenen Jüngling, konnte ich
leicht für meinen Plan gewinnen meinen Toni abzugeben, und ich
selbst machte mich mit allem Eifer, den ich sonst nie für ein
Toilettenstück empfunden, an die Herstellung meines Zigeunercostüms.
Zu klein, um mich in Männerkleider zu stecken, wählte ich ein
halb männliches, halb weibliches Costüm. Ein altes Geschenk meines
Verwandten, sein rother Malteserordensmantel mußte herhalten, um
ein Barettchen und Jäckchen aus rothem Sammet herzustellen, ein
paar rothe hohe Stiefelchen und ein kurzes gelbes Atlasröckchen
vollendeten den Maskenanzug. Ich wollte ihm gefallen, wenigstens
auf einen Abend lang. Um mir eine recht schöne feine Haut zu machen
verfiel ich auf ein allzu entstellendes Schönheitsmittel. Ich hatte
mich nie mit Aufhellungsgeheimnissen befaßt, dennoch einmal bemerkt,
daß die Wäscherinnen Sodastücke in ihr Wasser zu thun pflegten, um
die Wäsche recht schön zu bekommen. Sofort, schon in aller Frühe
des festlichen Tages, nahm ich ein solches Mittel, aber ich sah
bald zu meinem Entsetzen, daß mein Gesicht wie ein gesottener Krebs
aussah, und diese Farbe paßte nicht für die feine Laura. Man rieth
mir Petersilienwasser an, was ich denn auch den Rest des Tages
anwandte den Mißgriff gut zu machen. Das würde einem in jetziger
Zeit nicht mehr passieren, die mit allen Schönheitsmitteln der
Gegenwart so vertraut ist, wie die raffinierteste Römerin der
Kaiserzeit.- Untadelhaft aber war das Costüm meines Toni. Und so
betraten wir den Tanzsaal. In der Mitte stand eine hohe Gestalt in
sehr einfacher Kleidung mit braunem Rock. Ein bleiches Gesicht
umrahmte ein schöner brauner Vollbart und die hellbraunen Haare
waren nach hinten gekämmt. Die sanften und doch so glänzenden Augen
schauten auf das Maskengewühl. Vorsichtig rührte ich mich von
hinten und drückte ein rosa Papierchen in seine Hand, auf das ich,
während ich mir auf den Brand meiner Wangen Umschäge machte,
ein Sonnett geschrieben hatte, in welchem ich ihn aufforderte mit
mir, seiner Laura in den Schwarzwald zu ziehen. Schnell entschlüpf
[30] Feder machte mich kenntlich. Er nahm mich an der Hand, sagte, zum
te ich ihm und verbarg mich in der Menge. Aber die wehende rothe xx
Schwarzwald sei es noch zu kalt, aber wir wollten uns doch in die
Einsamkeit begeben und zog mich auf ein einsames Bänkchen in einen
Winkel des Tanzsaales. Ein Tanz, den er später mit mir wagen wollte,
mißlang, denn wir hatten beide nicht im Tempel der Terphane geopfert,
und so zogen wir uns wieder in das Eckchen zurück.Nach
Mitternacht wurde gespeist, er stellte mir seine badischen
Freunde vor und wir tranken zusammen Champagner auf das Wohl und
Gelingen der heranbrausenden Revolution. Das war die erste
Begegnung mit Hermann Kurz. Keiner von uns hatte aber damals geahnt,
daß aus der ungestümen Pseudo - Laura die beglückte Mutter seiner
Kinder werden sollte, die der nachherige Schwager, so oft mit dem
Titel: "Du glückliche Cornelia" begrüßte. (In Hast hingesudelt.)
Es war im Jahre des Heils, d.h.im Beginn der neuen Aura 1848. Die
Stürme und Begebenheiten dieses merkwürdigen Jahres schwebten noch
zum größten Theil als platonische Ideen in der Luft. Noch hatte die
Sturmglocke nicht angeschlagen, die den neuen Tag verkündigen
lassen sollte, und wenn man auch sein Nahen witterte, ein junges
Mädchenherz, so sehr es auch später ergriffen wurde, konnte sich
noch freudig in das Dichterwerk versenken, das zu jener Zeit so
viel gelesen worden war und Aufsehen errregt hatte. Es waren
"Schillers Heimathjahre, die ich in meiner ländlichen Einsamkeit
verschlang. Die Erscheinung der Laura hatte mich am meisten
entzückt: Ihre Abwehr gegen jedwedes Zeremoniell, trotz ihres
fürstlichen Blutes und ihr freies Leben in den Wäldern des
Schwarzwalds, hatten meine Fantasie aufs Äußerste erregt.- Da kam
eines Tages ein befreundetes junges Mädchen aus Eßlingen zu mir und
erzählte mir, daß demnächst am 24.Februar ein Maskenball auf dem
Museum stattfinden werde, auf dem man den Dichter Hermann Kurz mit
mehreren seiner Freunde von der badischen Opposition, seiner Zusage
gemäß, auf diesem Ball erwarte.

Ende des Heftes 1853 (DLA 53. 1581)


Anmerkungen zu Heft IV
[31] (1) Bad Liebenzell (Buch: "900 J. Kirchengesch. von Friedr. Zeeb)
36 Jahre waren Pfr. Heinrich Buttersack,
1805-1861, und sein Vater Ludwig B. Seelsorger in Bad. Liebenzell.
Das obere Bad und untere Bad hatten jedes eine Quelle. (s.Beschr.
von G.F.Gmelin in: "600 Jahre Badgesch. Bad L." v.Gottlob Klepser)
Das obere Bad (Helenenbad, nach Helene Decker) ist heute das
Thermenhotel. Es ist im alten Stil eingerichtet. Das untere Bad
ist das heutige Paracelsusbad.
Was die zerbrochenen Töpferscherben betrifft, war es wohl ein
Abfallhaufen, von einem der Häfner, deren es damals viele gab.

(2) Ludwig Weisser, 1823-1879, Kunsthistoriker, Red. b. "Eulenspiegel",
Prof. an der Kunstschule Stgt., Verfasser des "Bildatlas zum
Studium der Weltgeschichte", bei dem auch H.K. mitarbeitet.

(3) Adolph Weisser, 1815-1863, Redakteur beim "Beobachter", Emigrant
in der Schweiz, Bruder von Ludwig, stirbt gebrochen in Göppingen.

(4) Dr. Paul Heyse, 1830-1914, München, Schriftsteller, 1. Frau Marg.
Kugler, 2. Ehe mit Anna Schubart. (Gemälde von Lenbach i.d.
Schakgalerie) unterstützte in edler Weise arme Schriftsteller.
Er schätzt H.K. als Schriftsteller und Mensch, Marie ist zeitenweise
sehr in ihn verliebt.

(5) Johann Georg Fischer, 1816-1897, Lehrer und Dichter. Marie Kurz
wollte ihn mit M. Caspart verkuppeln. (Buch v. Helm. Keller 1997)

(6) Ludwig Pfau, 1821-1894, Gärtnerssohn, Dichter, Journalist. Hsg.
der polit.-satirischen Zeitschrift "Der Eulenspiegel", arbeitet
mit am "Beobachter", später Frankfurter Zeitung, Preußengegner,
wird mehrmals verurteilt, versteckt sich in Paris, London, Schweiz,
Brüssel und Antwerpen.
(7) Gedicht: "Der Fremdling", siehe Kritik im Brief von Heyse an Mohr
[1862] vom 8. 1.
(8) Prof. Dr Brinz (Brienz?) Jurist, Tübingen, wohnte in der
Gartenstr. später in München.
[32] (9) Buoch, Kurort bei Winnenden. Die drei Dichterfreunde Hermann Kurz,
Rudolf Kausler und Bertold Auerbach lebten zeitenweise hier.
H.K. schreibt am 23.6.1837 an Mörike: "Wie leid tut es mir, daß
Sie nicht hieher kommen! Es ist ein abgeschiedenes Bergeiland,
von dem man auf die Welt heruntersieht." - Der Heimatverein Buoch
hat im alten Schulhaus ein hübsches kleines Heimatmuseum einger.

(10) Moriz Rapp, Tübingen
(11) Adalbert von Keller, 1812- 1883, Lit. Prof. und Oberbibliothekar
in Tübingen, Studienfreund von Hermann Kurz.
(12) meint Marie Caspart, sein Patenkind, sein Waldfegerlein

(13) dt. Im Zorn durch die himmlischen Herzen.

(14) Paul Pfizer, 1801-1867, Jurist, Führer der Opposit., Kultminister

(15) Gundert

(16) Rudolf Kausler war Anhänger von Schopenhauer

(17) "Briefwechsel zwischen Hermann Kurz und Eduard Mörike", hsg. von
[1885] Jakob Baechtold, Kröner - Verl. Stgt.
(18) nicht das Lied von Bagienski. (s.auch Anm.46 Heft II)
"Der Himmel lacht und Frühlingsblüten blühen." sondern von Kurz!

(19) "Decamerone"(auch Heft II Anm.43) sinnenfrohe Novellen v.Boccacio.

(20) Bei der Buchausstellung 1998 in Tübingen waren von der "Buchdruckerei
Schramm
vier Bücher ausgestellt, v.a. eine sehr
schöne Bibel (siehe Foto), jedoch wurden Schramm und Frank
berüchtigt in einer Sonderveröffentlichung des Schwäb. Tagblatts
Dr. H.- J.Lang: "Letztere beiden seien durch das "schändliche
Gewerbe des Nachdruckens übel berüchtigt, das aber auch der
Antiquar Cotta insgeheim ausübe." (Bericht von Nicolai 1781)

(21) Lehrer Julius Zeyer, s.a. Brief vom 8.5.1905 (Mappe 3/1905)
..."Er erschoß sich aus Lebensüberdruß"...
Heft V
Anmerkungen zu Heft V


Geschichten aus Tübingen


Isolde Kurz notiert darauf: "Mamas Heft II"






Transcription der "Tagebücher" von Marie K u r z
geb. von Brunnow



(abgeschrieben von Hella Mohr aus Tübingen 1998)


(I Kurz: Familie "Marie K u r z" DLA 53. 1581)


Aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach.


Transcription der "Tagebücher" von Marie K u r z geb. von Brunnow
aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (abgeschr. von Hella Mohr)
(I Kurz Familie Marie K u r z DLA 53. 1581) "Mamas Heft II"


Heft V
Mamas Heft II
"Geschichten aus Tübingen".

An meine Kinder! den 13.Juni 1866
Im Augenblick des Ausbruchs eines schrecklichen Bürgerkriegs,
in dem Ströme deutschen Blutes von Bruderhand vergossen, fließen
werden, wo die Cholera schon begonnen hat ihren giftigen Odem auszuhauchen,
und uns mit Tod und Verderben droht, drängt sich uns
der Gedanke an ein plötzliches Scheiden vom Leben auch wieder und
immer wieder mit stärkerer Gewalt auf. Auch mir kann es bestimmt
sein früher aus dem Leben zu scheiden, als es der eigentliche Lauf
der menschlichen Natur mit sich bringt, und wenn nun dieses Herz,
das Euch so heiß, so grenzenlos geliebt, kalt und stumm ist, und
kein Verständniß für Eure kleinen Sorgen und Mühen hat, so sollen
wenigstens diese Zeilen übrigbleiben, die zu Euch reden von der
unendlichen Mutterliebe, von Euch selbst und von vergangenen Tagen,
aus denen ich Euch Euer kleines Ich durch alle Phasen der Kindheit
vorführen will.-
So möge denn die Gegenwart mit ihren Schrecken und ihrem Haß
zurückweichen, und die leise Gedankenbarke mich zum friedlichen
Eiland der Vergangenheit führen.
Am 16. Januar 1853 morgens 6 Uhr erblicktest Du mein Edgar zu
Stuttgart in der Paulinenstraße im Hause Dr. Königs das Licht des
Sirius, der allein noch am östlichen Morgenhimmel mit wunderbarem
Glanze strahlte. Es war eine fruchtbar kalte Nacht, in der Dein
Vater von Frost und Angst schaudernd durch die Straßen nach einem
Arzte lief, da ich glaubte, Dich nicht ohne ärztliche Hilfe zur
Welt bringen zu können. Endlich trug dennoch die Natur den Sieg
davon, aber als ein Todtgeborenes trug Dich die Hebamme von meinem
Bett weg. Der Arzt ließ Dir Blut ab und die garstige Taufe, die man
mit einer Flasche Heidelbeergeist an Dir vollzog, gab Dich dem
Leben. "Da liegt eine kleiner Knopf," sagte der Doktor, als Du
Deine großen klaren Augen aufschlugst und mit verwunderten Blicken
die Welt sahst. Du warst bildschön und sahst Deinem Vater ähnlich
wie ein Ei dem andern. Aber nur kurze Tage durfte ich mich meines
ungetrübten Glückes freuen. Du kränkeltest von der ersten Zeit an.
Man gab meiner Milch schuld, und ich mußte Dich nach 6 Wochen
entwöhnen. Die Folge davon war, daß es noch schlimmer bei Dir
[2] wurde, fast keine Speise wollte bei Dir bleiben und ein Krankheitsanfall
folgte auf den andern. Fast keine Nacht hast Du im Bette
zugebracht, bald trug Dich der Papa, bald Josephine, bald ich umher
und Du warst das Schauckeln auf den Armen und fahren im Straßenwägelchen
so gewöhnt, daß man keinen Augenblick einhalten durfte,
ohne daß Du Zeichen des Mißfallens gabst. Unsere allzugroße Zärtlichkeit
zog Dich da schon zu unserem kleinen Tyrannen heran.
Als Du 1/4 Jahr alt warst, bekamst Du die Brechruhr und warst so
gefährlich krank, daß wir alle die Hoffnung aufgegeben hatten
und verzweiflungsvoll Dein Lager umstanden oder das abgezehrte Gerippchen
umhertrugen. Danach gelang es der unermüdlichen Sorgfalt
Dr. Stockmaiers, dessen Andenken mir daher immmer werth und theuer
bleiben wird, Dich zu retten. Nach dieser Krankheit fingst Du an gesunder
zu werden, es ging mehrere Monate recht ordentlich, die ewig
bleichen Wänglein und die weißen Lippen wurden angehaucht und die
großen Augen schauten nicht mehr so geisterhaft darein. Aber die
Freude währte nicht lange, bald kam eine Halsbräune, dann eine Gehirnkrankheit
und Du wurderst elender als je. Mit wunderbarer
Schnelligkeit entwickelte sich Dein Geist, Dein Begriffsvermögen,
Du konntest noch kein Wort sprechen, als Du schon die Bilder Hekkers
und Kossuths zu zeigen anfingst und ihre Stellungen nachahmtest.
Auch lerntest Du sehr bald reden, nur mit dem Laufen
wollte es noch nicht gehen. Einer der nicht geringen Kämpfe in
Deinem Kindheitsalter war mir, daß ich mich in die Nothwendigkeit
Dich taufen zu lassen, fügen mußte. Schon in den ersten Wochen
Deines Lebens, als man an Deinem Aufkommen zweifelte, wollte Dich
die Geistlichkeit durchaus dem Himmel retten und ließ diese ihre
Absicht uns durch die Hebamme kundthun; Dein Papa antwortete aber,
daß er den ersten Pfaffen, der sich unterstehen werde mit Gewalt
einzudringen, die Treppe hinab werfe. Bleibest Du am Leben so werde
er sich der Sitte, so wenig sie ihm zusage, fügen, um Dich nicht
der damit verbundenen bürgerlichen Rechte verlustig zu machen,
reiße aber der zarte Lebensfaden, so solle keine Macht der Welt ihn
zwingen noch vorher den Hokuspokus an Dir machen zu lassen. Als Du
einhalb Jahr alt warst, vollzog ein intimer Jugend- und Universitätsfreund
Deines Vaters Dr. Kausler, der dieselben philosophischen
Ansichten hat wie wir diesen Akt in aller Stille und Schnelligkeit.
Ein fideler Zopf, den sich Dein Pathe, der geniale Ludwig Seeger (1)
trank, gab der peinlichen Ceremonie ein listiges Ende. Unser
kleiner Abgott, das Wunderkind, das so schön war, daß die Leute in
[3] der Königstrasse stehenblieben, wenn ihn Josephine spatzieren trug,
sollte nicht lange unser Einziges bleiben. Nach 11 Monaten kam
ein von uns sehnlichst erwartetes Mädchen, das seine Ankunft mit
großem Geschrei meldete, noch ehe es der Welt ganz angehörte.
Wurde auch Dein Eintritt in die Welt, mein trautes Töchterlein,
nicht so festlich vor den andern Menschen gefeiert, erschien auch
Dir zulieb "Der Beobachter" am Tage Deiner Geburt, nicht mit Goldlettern
gedruckt, wie bei Deinem Bruder, so war doch unsere Elternfreude
nicht minder groß! Du warst zwar nicht so schön wie Edgar,
hattest ein aufgeschwollenes dickes rotzrothes Gesichtchen, aus dem
sich gar nicht ahnen ließ, daß einst die Grazien dieses Gesichtchen
als das ihrige ersetzen würden, was ihm Aphrodite vorenthielt, aber
Du blicktest so kerngesund in die Welt, ließest Dir gleich in
nimmersatten Zügen meine Milch schmecken und schenktest so mir
heitere Tage und ruhigere Nächte, als ich ja nicht bei Deinem
Bruder hatte. Bald fing auch das Gesichtchen an abzuschwellen, die
blauen Augen traten groß und glänzend aus dem zierlichen Köpfchen
hervor. Du wurdest jeden Tag runder und voller. Aus Begeisterung
und Liebe für Deines Vaters Meistestück: "Tristan und Isolde", gab
ich Dir den holden Namen, den Du trägst, und die Natur scheint
meine Muttereitelkeit nicht als Frevelmuth betrachten zu wollen.
Ein Jahr lang und drüber trankst Du an meiner glücklichen Brust. Du
lerntest sehr bald gehen, noch bälder reden, aber im Schreien
bliebst Du immer die gewaltigste Virtuosin.
Da Du als Mädchen keine bürgerlichen Rechte zu verlieren hattest,
man aber doch gewissermaßen zu einem derartigen Akt gezwungen war,
taufte Dich der deutschkatholische Prediger Friedrich Albrecht,
da ich selber offiziel wenigstens dieser Gemeinde angehörte.
Confessionslose gabs noch nicht. (2)
Im Frühjahr des Jahres 1855 schickte uns Dr.Stockmayer, weil Edgar
gar so elend geworden war, und ihn nichts stärken und heilen wollte
in die frische kräftige Schwarzwaldluft. Bei Pfarrer Buttersack (3)
in Liebenzell, einem Freunde Deines Vaters, und Schwager Ludwig
Seegers quartierten wir uns ein und fühlten uns gleich sehr wohl
und glücklich in der herlichen Natur. Die prächtigen Tannenwälder
mit ihrem Harzgeruch, die herrliche Burgruine, wo der Riese Erkinger
gehaust und alle Bräute der Umgebung geraubt und gefressen haben
soll, dorthin gingen unsere täglichen Ausflüge. Edgar wurde von
Josephine getragen denn, obgleich schon zwei Jahre alt, konnte er
doch noch kaum ein paar Schritte gehen so schwach und elend war er,
[4] ich aber trug den kleinen Schreihals, der zwar vortrefflich hätte
gehen können, wenn der kleine Eigensinn gewollt hätte. Leider war
meine Schwäche so groß wie der Eigensinn, so, daß ich mir täglich
die doppelte Last aufbürdete, denn ein drittes Leben regte sich
bereits in mir. "Die Madr, das Däle, auch das Lungendäle und der
Nette oder der Suiaze, (Schlingel)" das waren die Namen, die Ihr
Euch in jener Zeit selbst gegeben. Die gute Schwarzwaldluft that
ihre Wunder. Egar wurde täglich kräftiger, und die kleine Maus war
so kräfig und stark, daß sie das Übermaß ihrer Gesundheit durch
gewaltiges Gebrüll kund gab und sich bei sämtlichen Liebenzellern
den Beinamen "Schreierin" erwarb. Das obere und das untere Bad mit
seinen Kühen und Pfauen und Springbrunnen wird Euch vielleicht noch
manchmal in der Erinnerung auftauchen, ebenso der Platz, wo die
vielen zerbrochenen Töpferscherben lagen, der Euer Lieblingsaufenthalt
geworden war, und wo Ihr stundenlang mit kleinen Holzhämmerchen
drauflos schluget. Frug der Papa: "Wo seid Ihr gewesen," so
sagte die Kleine immer: "Hafenscherben bopfen müssen" -Hier in
Liebenzell war es auch, daß Euer Vaters seinen "Weihnachtsfund"
und "Sonnenwirth" beschlossen. Es waren schöne sonnenhelle, duftige
Tage, die wir hier so im Schoose der Natur zubrachten und
deren Zauber mir noch lange in den schwülen staubigen Straßen
Stuttgarts vorschwebte. In den ersten Tage des Augusts zogen wir
wieder heimwärts und wenige Tage darauf ward, unter furchtbaren
Schmerzen Alfred geboren. Während der ruhigen Tage meines Wochenbetts
dichtete ich folgendes Sonette an meinen Erstgeborenen:

Liebenzell

Die Sonne siegt; die schlanken Tannen heben
Das dunkle Haupt aus grauem Nebelmeer.
Der Kühe Glöcklein tönen rings umher,
Und es beginnt im Walde reges Leben.
Thautröpflein hängen dort in Perlen schwer
Im dunklen Moose, und es zieht daneben
Der Waldbach murmelnd durch das Thal einher
Den Wiesen sein befruchtend Naß zu geben.
Hierher mein guter Knabe laß Dich bringen
Wo Morgenlüftchen kosend Dich umwehn,
Der Tannen Düfte stärkend zu Dir dringen,
Hier laß ich Dich des Waldes Wunder sehn,
[5] Indeß die Bächlein Dich in Schlummer singen,
Nur holde Blümlein nickend um Dich stehn.
2.
Schon liegt er schlafend jetzt in meinem Schoße
Leis athmend und die Augen halb geschlossen
Von sanftem Roth die Wangen überflossen
Mit seinen Locken spielt der Zephir lose
Ein Zauber scheint auf alles ausgegossen
Und knisternd regt sichs neben mir im Moose,
Als hörte man die kleinen Blümlein sprossen
Erdmännlein sinds in traulichem Gekose.
Sie schlagen um mein Kind den Elfenreigen
Sie küssen es auf Wange, Stirn und Mund
Und flüstern, wie sie sacht sich zu ihm neigen:
"Wir küssten dich o holdes Kind gesund".
Verschwunden sind sie, wieder tiefes Schweigen
Und dankend stund ich auf vom Waldesgrund.
Alfred war ein kräftiges sehr schönes Kind, das von der ersten
Stunde prächtig gedieh und einen so ruhigen Schlaf hatte, wie keines
zuvor. In den ersten vier Wochen that er nichts als schlafen
und trinken, und ich erinnere mich noch heute mit Wohlbehagen an
die ruhigen Stunden meines Wochenbetts. Ich wüßte Dir auch aus den
ersten Monaten Deiner Kindheit nichts zu erzählen als daß Du
täglich dicker wurdest, daß Dich unsere Freundin Hedwig, die eine
große Freude an Dir hatte, einmal vom Arm fallen ließ, was das
erste Ungemach war was Dir begegnete. Doch so sollte es nicht immer
bleiben. Als Du acht Monate alt warst, taufte Dich derselbe Freund
der Edgar getauft und Du erhieltest die Namen Hermann Alfred, mit
letztem Namen nannte ich auch Dich nach einem Jugendfreund Alfred
von Thumb, (M.K. schrieb nicht Thum) in dessen reizendem Schlößchen
in Unterboihingen Ihr dieses Jahr so vergnügte Tage zugebracht habt.
Mit Deines Vaters Namen wollte ich Dich nicht nennen, da ich nie
dafür war, daß man den Namen eines berühmten Vaters den Kindern
geben soll. Bald darauf bekamst Du einen fürchterlichen Anfall; den
Stimmritzenkrmpf, der sich zwei mal wiederholte und der in den
meisten Fällen tödtlich ist. Schaum trat vor den Mund und Du warst
im Gesicht blau und aufgedunsen. Wollte ich Dir die Angst und die
Sorge beschreiben, die ich ausgestanden, so wäre das zu verstehen
für Dich unmöglich, denn nur ein Mutterherz versteht Mutterschmer>s5
[6] zen. Die Würgequalen gingen gnädig vorrüber und Du bliebest am
Leben und wurdest gesund.
Bis dahin hatten wir noch immer unsere Wohnung in der Paulinenstraße
(Sophienstraße zuerst geschrieben von Isolde durchgestrichen)
inne, da wurde das Haus nach dem Tode seines Besitzers, des Dr.
Königs, verkauft und wir mußten ausziehen. Wir zogen nun in die
Militärstraße, in ein Wirthshaus, das noch im Bauen und Ausbessern
begriffen, ein schlechtes Asyl für Eures Vaters geistiges Arbeiten
war. Unser Aufenthalt dort dauerte bis 2 Monate, wir fanden eine
herrliche Wohnung im Königsbad (auf dem Wege nach Berg gelegen),
in einem großen, früher königlichen Gebäude mit einem prachtvollen
großen Garten. Das war eine Freude, als wir dort in die schönen
großen Zimmer einzogen und ihr den ganzen Tag in dem schönen Garten
sein durftet, dessen Obstbäume gar freundlich zum Genusse einluden,
und da wir draußen, nebst einer bildsamen Familie, die einzigen
Einwohner waren, so ward auch das Aufheben Euch gestattet. Am
meisten ergötztet Ihr Euch an den Dörlitzenbäumen, und die herabfallenden
Kastanien gaben ein willkommenes Spielzeug. Es wurde
im Garten gespeist und der ganze Tag traf Euch im Freien. Im
September des Jahres 1856 zogen wir ein und im April (13.) des
folgenden Frühjahrs ward mein kleiner feiner Erwin geboren, so
zart und lieblich wie ein Mädchen. Auch dieses Kind gedieh an
meiner Brust.
27. Juli 1866
Lange hatte ich mich nicht mehr in die Vergangenheit, in Euren kleinen
Kinderkreis zurückgezogen, denn die Greuel das Tages, die Wuth,
der Haß, der Schmerz sie waren zu mächtig, um die Aufregungen des
Augenblicks zu überwinden. Unseres deutschen Vaterlands Gauen sind
zum Leichenhaus geworden, Hunderte und Tausende haben verblutet
und die Ungerechtigkeit, der Frevel siegt. Österreich läßt seine
hundertjährigen Frevel, und die gerechte deutsche Sache unterliegt.
Die preußischen Räuberherden mit ihrem Albus ziehen mordend und
brennend heran. Zwar haben unsere württembergischen Truppen siegreich
gegen sie gekämpft und ihnen Respect vor dem schwäbischen
Namen eingebläut, aber wir müssen dennoch der Übermacht und besseren
Organisationen unterliegen, und da die nächsten Tage alle
Schrecknisse des Kampfes oder der Einquartierung in unsere Stadt
bringen können, und ich nicht weiß was uns bevorsteht, so will ich
noch aufzeichnen bis unser Schrecken mir die Feder entreißt.
[7] Einige Monate nach Erwins Geburt hatten wir unsern Freund Pfau,
der als Flüchtling sein Vaterland besuchte, im Königsbad bei uns
versteckt. Er hatte eine ganz besondere Freude am drolligen Alfred,
der gerade zu jener Zeit in seinem nettesten Alter war; er nannte
ihn um seiner losen Streiche willen, nie anders als das "Sonnenwirthle,"
was sich der Dicke aber nicht gefallen ließ. "I net
Sonnenwirthle heiß, i Arwed heiß", gab er zur Antwort. Doch nannte
er sich selbst "Butte", von Butzel abgeleitet. In diesem Sommer ließ
ich die drei Ältesten von einem Kunstschüler malen. Es ist das Bild
das immer über dem Sopha hing. An Eures Papas Geburtstag, war er
damit überrascht. (4)
In dieses Jahr fällt auch die Herausgabe der Erzählung des ersten
Bandes, die zwei andern folgten im drauffolgenden Jahr. Bis dahin
hatten wir ein sehr ordentliches Kindsmädchen von Obereßlingen
gehabt, da diese nach Hause mußte, folgten ein paar andere, davon
jene die gestohlen hatte, und die dritte, ein junges hübsches Ding,
hatte die Krätze und steckte uns alle an. Es war eine schreckliche
Zeit. Inzwischen hatte sich der Bau immer mehr mit Wirthsleuten
gefüllt, wir waren auf eine andere Seite gezogen; in unser altes
Quartier zogen Weißers, mit denen wir auf sehr freundlichem Fuße
lebten. Sie nahmen Euch zwei Älteste zu sich, da ihr noch nicht von
der Krätze angesteckt waret; schließlich ward aber auch Isolde
davon überzogen und nur Edgar blieb verschont. Christine, die als
Aushilfe bei uns war, kam nun ganz zu Euch und wartete den kleinen
Erwin ganz vortrefflich ab, während hauptsächlich Alfred Josephine
zu schaffen machte und sie oft ganze Nächte mit dem schweren Buben
herumtrieb. Bis dahin war er ein herzig lieber Bub gewesen, jetzt
aber fing seine Unart und Rappelei an. Erwin war viel krank und
ließ mich selten eine Nacht schlafen. Der arme Schelm litt viel mit
seinem nässenden Ausschlag und bekam auch ein Geschwür, das Doktor
Fetzer aufschnitt. Das Kind war ein herziges Geschöpfchen mit einem
blonden Lockenköpfchen.
Edgar war fünf, Isolde vier Jahre alt, als ich ernsthaft mit ihnen
zu lernen begann. Sie lernten beide sehr leicht und machten unerhörte
Fortschritte. Isolde war kaum fünf Jahre alt, als sie fehlerlos
den "Held Harald" abschreiben konnte, und Edgar las mit sechs
Jahren schon "die Bürgschaft", wobei er so gerührt war, daß ihm die
Thränen herabliefen. In dieser Richtung blieb mir nichts zu wünschen
übrig, auch waren Eure Unarten noch so klein, da Ihr selber
klein waret, und sie wuchsen erst mir den Jahren, besonders Edgars
[8] unseliger Jähzorn.
Das dritte Jahr das wir im Königsbad zubrachten war ein sehr
schweres. Euer armer Vater, für den die Sorgen um Erhaltung der
Familie immer quälender wurde, hatte sich von seinem "Roman" Der
Pfarrer von Yburg und Abory" überarbeitet, seine Nerven, die von
jeher sehr empfindlich waren, wurden dergestalt überreizt, daß eine
gefährliche Krankheit drohte. Dabei war er menschenscheu und ließ
oft wochenlang niemand zu sich, tagelang selbst mich nicht, manche
Nacht brachte ich vor seinem Schlüsselloch zu und spähte nach dem
geliebten Kranken, der nicht beobachtet und nicht bewacht sein
wollte. Mehrere Wochen hatte es so gewährt, ihr hieltet auch musterhaft
ruhig, da er nicht das leiseste Geräusch ertragen konnte;
endlich folgte eine Abspannung, worauf es bald zur Besserung ging.
Mißhelligkeiten mit dem Hausbesitzer brachten es zum Bruch und da
nirgends in Stuttgart, noch in der Umgebung eine sommerliche billige
Wohnung zu finden war, so nahmen wir den Vorschlag unseres theuren
Freundes Hopf an, zu ihm nach Obereßlingen zu ziehen. Vorerst
wollten wir nur den Sommer dort bleiben, wir ließen daher die Hälfte
der Möbel bei Dr. Weißers und zogen mit einem einzigen Wagen ab.
Mit freudigen, ja seligen Gefühlen sah ich die alte Heimat wieder,
und wir wurden von Millers und alten Freunden aufs herzlichste bewillkommnet.
Der ganze Obereßlinger Aufenthalt war überhaupt für
mich eine liebliche Idylle. Wie heimelte mich jeder Baum, jede
Wiese an; das war noch der alte Neckar in dem ich als Kind und Mädchen
gebadet, und der tägliche Anblick meines väterlichen Hauses
führte mir so manche süße und schmerzliche Erinnerung aus meiner
Kinder- und Jugendzeit zurück. In Hopfs reizendem Landhaus bewohnten
wir den oberen Stock. Die Wohnung war eng aber freundlich, nur
Eurem Vater fehlte es an Licht, er hatte bloß halbe Fensterchen, da
sein Zimmer ein Mansardenzimmer war. Dafür aber entschädigte der
prächtige Garten mit seinen Blumen und Obstbäumen, seinen Träuble
und Stachelbeeren. Ja das war eine Wonne für Euch, so ungehindert
von Strauch zu Strauch gehen zu können, und sich im Garten balgen
und tummeln zu dürfen. Es war im Frühling des Jahres 1859 als wir
nach Obereßlingen zogen. In einigen Monaten ließen wir noch einen
Wagen mit Möbeln nachkommen, da wir beschlossen hatten auch den
Winter hier zuzubringen, ein großer Rest, dabei das Klavier blieb
bei Weißers. Unser Leben war ein sehr angenehmes, Hopf und sein
Töchterlein Marie immer gleich freundlich gegen uns, alles im Dorfe
zuvorkommend; auch mit meinem alten Freund C. Rommel kam ich wieder
[9] in Berührung, der eine große Freude an Isolde hatte und überhaupt
gegen Euch alle freundlich war, und Euch zu seinem zahmen Rehlein
brachte und Frl. von Bär, Frau von Rieger mit ihrem närrischen Mann,
dem sog. Groschenbaron, das Millersche Haus, das wird euch alles
wohl selbst in Erinnerung geblieben sein.
Edgar war sechs, Isolde fünf Jahre vorrüber. Die Morgenstunden hindurch
wurde fleißig gelernt: Naturgeschichte, Lesen, Diktiertschreiben,
und als Edgar sieben Jahre alt war fing ich auch das Französische
mit Euch an. Auch diese Sprache ging prächtig. Christine war
mir oft recht behilflich im Unterrichten und ließ Edgar stundenlang
in einem naturgeschichtlichen Buche lesen. Bei so viel Übung mußte
es gut gehen. Gedichte von Schiller, Göthe und Uhland wurden auswenig
gelernt und der Nachmittag war frei. Frau Weißer besuchte uns
oft. Auch der gute Ostjäck Dr. Finkh kam öfters. Alle Abende wurde
im offenen Neckar gebadet und der kleine Erwin badete tief wie ein
Fischlein so wenig wasserscheu, obgleich er kaum über zwei Jahre
alt war. Doch einmal wäre fast ein Unglück geschehen: der Papa badete
mit Isolde und rutschte aus, fiel, raffte sich zwar wieder
auf, aber das arme Kind schnappte nur noch und war ganz blau.
Erwin war zu jener Zeit ein reizendes Kind, wir nannten ihn wegen
seinem blonden Lockenkopf nur das Goldele.
Im Mai des Jahres 1860 kam Euer jüngster Bruder zur Welt. Dieses
Jahr war in der italienischen Geschichte ein merkwürdiges Jahr und
ganz Europa sah mit Staunen und Bewunderung auf die herrlichen Revolutionäre,
die das so lang geknechtete und doch nie zum Bedienten
herabgewürdigte Italien gemacht, auf den prächtigen Volksheros der
seine siegreiche Trikolore in Palermo und Neapel aufgepflanzt, der
die Burbonen, der die österrreichischen Tyrannen vom italienischen
Boden gejagt und eine neue Aura für sein Vaterland angebahnt.
Längst hatte ich mit Garibaldilieder den "Beobachter" angefüllt.
Unserer glühenden Bewunderung für den Freiheitskämpfer zulieb, gab
ich auch dem kleinen Liebling den gebenedeiten Namen, da aber eben
in der Kammer das Prinzip der Gleichberechtigung aller Dissidenten,
Juden und Ungläubigen ausgesprochen worden war, so ließen wir
das Kind diesmal gar nicht taufen, und kein Mensch hat je gewagt
nur die leiseste Einrede zu thun.
Der kleine Garibaldi gedieh herrlich, und ich befand mich so wohl
in diesem Wochenbett, daß ich nach 8 Tagen schon wieder die Schulmeisterei
mit Euch anfing. Ich stillte den kleinen Säufer 16 Monate
lang. In dieser Zeit schrieb Euer Vater den Text zu Weißers Kunstatlas
[10] Doch hatten wir nicht lauter selige Tage in Obereßlingen gehabt,
die Noth war uns oft so nahe getreten, daß ich bloß durch Umsetzung
von Möbeln und Silber unser Dasein fristen konnte. Dann hatten die
schlimmen Nervenzustände Euren Vater in Obereßlingen gepackt und
ihn unfähig zu jeder Produktion gemacht. Da brachte das Jahr 1859
das Schillerfest zu Schillers 100jährigem Geburtstag, durch diesen
die Schillerstiftung, die nun Eurem Vater nebst anderen Poeten ein
jährliches Gehalt von 400 fl auszahlte. Dieses Geld, so wenig es
für die zahlreiche Familie war, rettete uns wenigstens vor der
ärgsten Noth. Die Zeit kam heran, wo ich auch an das Latein von
Edgar denken mußte. Ich schaffte mir den Middendorf an und begann
nun, obgleich ich meine paar Brocken, die ich vor Jahren bei meinem
alten Professor gelernt, längst verschwitzt hatte mit Euch beiden
Großen die Declinationen. Ihr lerntet so gut, als es bei den
schlechten Lektionen möglich war, denn ich mußte mich selbst müh [1862]
selig erst wieder hineinschaffen. Im Frühling des Jahres
herrschte das Scharlachfieber in Obereßlingen. Die ersten paar
Kinder die davon befallen wurden starben. Todesangst ergriff mich,
und richtig war Alfred gleich einer unter den Folgenden, die diese
böse Krankheit ergriff. Doch trat sie gutartig auf und einen Tag
darauf hatte sie auch Erwin, wenige Tage darauf Isolde und fast
gleichzeitig mit ihr Edgar. Christine und Balde wurden völlig abgesondert
und die vier Bettladen standen nun in einer Reihe. Tag und
Nacht wich ich nicht von Euch. Dr.Hellmuth Steudel von Eßlingen behandelte
Euch, gab Euch aber nichts zu schlucken. Der Verlauf der
Krankheit war gutartig, während um uns herum die armen Kinder alle
wegstarben. Zuletzt zeigte sich auch noch ein kleiner Ausschlag an
Balde. Steudel ließ ihn, damit die Krankheit vollends ausbrechen
möchte in Eure Betten setzen, doch verschwand der Ausschlag nach
zwei Tagen wieder wieder ganz. Hopf war aufs Liebevollste gegen
Euch. Nie kam er von Stuttgart zurück, wohin er alle Tage wegen
der Redaktion des "Beobachters" ging, ohne Euch etwas mitzubringen.
April und Mai gingen über diese Krankheit dahin. In den drei Jahren
unseres Obereßlinger Aufenthaltes hatte Euer Vater an dem archälogischen
Text zu Weißers Kunstatlas gearbeitet. Doch war auch das
prachtvolle Gedicht, eines seiner werthvollsten Arbeiten: "Der
Fremdling" dort entstanden. Dieses Gedicht war es, was die Freundschaft
zwischen ihm und Heyse aufs Innigste geschlossen. Heyse
erkannte am besten den Werth dieser Poesie, und gab ihm seine Bewunderung
[11] in der herzlichsten und zärtlichsten Weise zu verstehen.
Auch Freund Bacmeister, (M.K. schrieb meist Backmeister) der uns
öfters in Obereßlingen besucht hatte war sehr entzückt davon.
Mit der Gesundheit Eures Vaters ging es in dieser Zeit nicht zum
besten. Die Nahrungssorgen, die doch immer wieder an uns heran
traten, da wir außer dem Gehalt der Schillerstiftung nichts zum
Zersetzen mehr hatten, wirkten beunruhinged auf seine ohnedies
immer leidenden Nerven, und ich hatte auch in Obereßlingen manche
Sorge auszustehen. -
Bald nach Euer Genesung verkaufte Hopf sein Haus, und da in Eßlingen
keine billige Wohnung zu finden war, machte sich der Papa auf
eine Entdeckungsreise und kam mit der Nachricht zurück, daß er in
Kirchheim u.Teck eingemiethet habe. Im Juli 1862 hielten wir den
Umzug. Der Abschied wurde uns allen schwer, sowohl von den Menschen
als dem idyllischen Landaufenthalt. Die neue Wohnung in einer
unfreundlich engen Gasse behagte uns wenig, und so reizend die
dortige Gebirgsgegend ist, ich konnte mich nie behaglich in Kirchheim
finden, doch wurde unser Aufenthalt dort bald durch den Besuch
unserer lieben Hedwig erheitert, die 8-12 Tage bei uns blieb.
Edgar bekam nun lateinische Privatstunden bei Herrn Bockel, die so
ausgezeichnet waren, und wo er so viel lernte; daß er, als er acht
Wochen später in die lateinische Schule eintrat, einer Klasse zugetheilt
werden konnte, wo die Knaben alle um zwei bis drei Jahre
älter waren. Er errang sich bald die Zufriedenheit aller seiner
Lehrer, wie auch die Gunst aller seiner Mitschüler. Auch Herr Dipper (?)
wird im liebevollen Andenken bei Dir gelieben sein. Im Monat Okto- Dunker?
ber kam Hedwig wieder und nahm mich mit nach Darmstadt. Erwin und
Balde blieben beim Papa; Edgar, Isolde und Alfred gingen mit mir.
Die beiden ersteren setzte ich bei Hopfs in Eßlingen ab und Alfred
wurde bei Frau Weißer einquartiert. Ich blieb acht Tage in Darmstadt
und bei meiner Rückkehr nahm ich Euch wieder mit nach Hause,
hatte aber den Schrecken, daß Erwinele in meiner Abwesenheit eine
Luftröhrenentzündung bekommen hatte. Der Winter ging gut vorrüber.
Wir hatten einen netten Christtag, an dem Paul Caspart,(5) Marie
Casparts Bruder anwesend war. Auch Rommel, der sich bald darauf mit
Emma Br. verheirathete kam öfters, dergleichen Marie Leo von
Ebersbach.
[12] Gegen das Frühjahr 1863 empfing Euer Vater eine dringende Einladung
nach München von Heyse. Da unser bisheriges Haus verkauft wurde, so
mußten wir uns bis Georgi um eine neue Wohnung umsehen und fanden
solche in der Mettingerstraße bei Schullehrer Hauber eine nette
sommerliche Gartenwohnung.(Isolde notiert seitlich: Richtung
Mettingerstraße)
Im April reiste der Papa nach München und wir besorgten mit Tante
Bertha unseren Umzug. Von diesem Zeitpunkt an, waren wir gerne in
Kirchheim, denn wir konnten ja den ganzen Tag im Garten sein,
lebten auf freundlichem Fuß mit den Hausleuten und Ihr konntet Eure
Liebhabereien haben. Isolde hatte eine Elster, die leider ein unglückliches
Ende in der Mistlache nahm. Edgar hielt sich Kielhasen,
die freilich vom Marder gefressen wurden aber diese Thierchen
erfreuten Euch doch alle eine Zeitlang. Sechs Wochen blieb Euer
Vater in München, doch bekamen wir jede Woche zwei Briefe, auch
einmal eine Photographie, auch Heyse schrieb; und es wurde sogar
der Plan gefaßt ganz nach München in die Nähe des Freundes zu
ziehen, ein Plan der lange nicht aufgegeben, aber schließlich doch
an Mangel an Geld scheitern mußte. Im Juni kehrte der Papa von
München zurück und fühlte sich ganz bahaglich in seinem sommerlichen
Zimmer. Im Laufe des Sommers schrieb er ein paar Novellen:
"Das verhängnißvolle Märchen" und "St.Urbans Flasche", ("Sankt
Urbans Krug") beide in ein Münchner Journal. Im Spätsommer
besuchte uns Schnitzer und Hopf 1863.

Im Spätherbst kam endlich, die von unseren politischen Freunden
betriebene Ernennung zum Universitätsbibliothekar in Tübingen. (6)
Meine Freude war groß, denn jetzt sah ich doch eine Möglichkeit
um einst meine Buben studieren zu lassen.
Am 2.Dezember 1863 trat Euer Vater sein neues Amt an, wir aber blieben
noch bis Ende Dezember in Kirchheim, wo mir Marie Hopf und Bertha
Pfäfflin beim Umzug behilflich waren. Letztere ging sogar mit hierher
und half umziehen ins Haus des Zimmerers Letsche. Wir gewöhnten
uns alle sehr bald hier ein. Auch trafen wir manche alten Freunde
die beiden jungen Hopf, Ludwig und Hermann waren noch Studenten.
Auch wurden wir im allgemeinen überall freundlich empfangen. Edgar
kam in die vierte Klasse zu Herrn Müller, an dem er einen sehr
humanen Lehrer bekam, auch hier war er ein Jahr jünger als seine
Kameraden und bald unausgesetzt der Erste. Alfred kam in die erste
Classe zu Herrn Mächtle, an dem er keinen guten Lehrer bekam. Er
[13] wollte dieses erste Jahr auch gar nicht gehen, und erst als er den
leider zu früh verstorbenen Präceptor Bartsch (6) bekam, fing er an
etwas besser und freudiger zu lernen. Der erste kalte Winter, den
wir hier verlebten, war schlimm für uns, wir waren fast immer alle
krank und Euer Vater hatte sich durch seine täglichen Gänge aufs
Schloß einen hartnäckigen Husten geholt. Mit dem Frühling ging es
besser. Da fingen die Pocken hier zu krassieren an, und da unserer
früherer Arzt Steudel, sonst ein entschiedener Gegner der Impfung
seine Meinung geändert, so ließen wir uns alle, sammt und sonders
von Dr.Gärtner impfen, was ganz ohne allen Nachtheil ablief. Außer
dem Husten besserte sich Eures Vaters Gesundheit täglich, die neue
Beschäftigung, so wenig angenehm und poetisch sie ist, wirkte eher
beruhigend auf seine Nerven, seine Stimmung wurde gleichmüthiger,
und ich muß heute noch diesen Wechsel unserer Verhältnisse als ein
großes Glück betrachten. In pekuniärer Beziehung gings uns zwar das
erste Jahr, in dem wir so viel Abzug erleben mußten, sehr knapp,
aber es war doch eher eine Aussicht vorhanden, daß auch diese Nöthe
mit der Zeit geringer werden würden. Die Jahre fliehen dahin ohne
bsondere Ereignisse. Edgar kam von Herrn Müller zu Herrn Kraft,
(10) bei dem er ebenso gerne war, hinauf in die 6. Classe wieder zu
Professor Müller, Alfred zu Herrn Fausel und Erwin zu Herrn
Zeyer, (7) zwischen beiden letzten entspann sich ein wahres
Liebesverhältniß, ohne daß jedoch der leichtsinnige oder liebenswürdige
Erwin seine Liebe durch besonderen Fleiß betheiligte.
Der Sommer 66 war für Edgar sehr schlimm: er litt im Frühjahr sechs
oder acht Wochen lang an den wahnsinnigsten Zahnschmerzen, denen er
zwei Zähne opferte, dem folgten anhaltende Kopfschmerzen, so daß er
fast nicht in die Schule konnte, doch bekam er wieder eine Prämie,
wie in allen vorhergehenden Jahren und trat am Ende des Semesters
in das Obergymnasium. Isolde schrieb im Laufe des Sommers ihren
Aristodemos, einen ersten dramatischen Versuch der mich sehr
beglückte, voll Poesie, Enthusiasmus und Vaterlandsliebe.
In der Herbstvakanz war Rudolf Kurz (8) von Münsingen da, da
wurden viele Touren gemacht, auch kamen wir viel mit Marie Fink von
Reutlingen zusammen. Isolde mußte gegen Ende October drei Wochen
lang im Bett zubringen an einer Lähmung des Facialis. Sie fing da
mit Eifer englisch zu lernen an und begann, als sie wieder aufstehen
durfte den ... Unterricht bei Frau Barth zu besuchen.
Das Jahr 66 hatte uns außer Hedwig und Marie Schauffele wenig
Besuche gebracht; doch waren wir im Mai alle recht vergnügt in
[14] Unterboihingen bei Alfred Thumb, der uns noch einmal im Anfang des
Dezember besuchte und die Hälfte der Sylvesternacht bei uns zubrachte.
Auch den Tod meiner armen Julie Müller brachte dieses Jahr.
1.Januar 1867 politik
So wäre denn dieses schreckliche Jahr 1866 ins Meer der Ewigkeit
hinab, noch aber sind die Thränen nicht gestillt die es gekostet,
ist auch das Blut vorrauscht und hat die Mutter Erde die Hunderttausende
mitleidig in ihrem Schoße verborgen, damit die Überbleibenden
den Schreckensanblick einer ganzen Leichenwelt nicht schauen
müssen, die Schrecknisse sind doch in der Seele zurückgeblieben,
und der Schmerz und die Furcht, daß auch dieses kleine Fleckchen
Freiheit, unsere schwäbische Heimat dem norddeutschen Borbonenthum
anheimfallen wird, läßt uns das neue Jahr mit gedrücktem Herzen
betreten. Wie viele Mütter werden wieder um ihre Söhne weinen, wie
viele Frauen und Mädchen die Geliebten ihrer Seelen betrauern. Der
heutige Tag brach schon höchst traurig für uns an, indem (Forts.
dick durchgestrichen)... Dr.Gärtner schickte abermals das Honorar
zurück. Wenn ihr je, meine Kinder, in sorgelose Lagen kommt, so
sucht die viele Liebe und Freundlichkeit die uns und dadurch
hauptsächlich Euch von Freunden, sowohl als völligen Unbekannten
zu Theil wurde zu vergelten.
Donnerstag den 30. Februar 1867 kam Gustav Struve hierher. Ich
brachte ein paar Stunden mit ihm bei Hellers zu. Abends hielt er
die erste Vorlesung über das Organ des Gehirns. Edgar und Isolde
gingen mit mir, der Vortrag interessierte sie, auch der Papa kam,
der alsdann nach Beeendigung des Vortrags noch einige Zeit mit
Struve im Volksverein zubrachte.
Den darauffolgenden Sonntag war Struve bei uns. Auch der alte Maier
und Emmi aßen bei uns. Es war ein vegetabilisches Mahl, weil der
berühmte Freiheitskämpfer kein Fleisch ißt. Auch Prof.Schäffle
sagte zu kommen, ward aber abgehalten, dagegen erschien Brinz.
Struve ist eine hohe gebietende Erscheinung, schlank, schön gewachsen
mit einem schneeweißen Bart, aber noch jugendlichem Gesicht.
Es war ein äußerst interessanter Nachmittag, und er erzählte viel
aus dem Freiheitskampf, den er unter dem Sternenbanner gegen die
Sklavenhalter gekämpft und sprach sich in Folge dessen auch
hoffnungsvoll für unsere Zustände aus. Nach einem solchen gewaltigen
Sieg, der die Freiheit in der westlichen Welt erbrachte,
meinte er, sei es nicht mehr möglich sie dauernd niederzudrücken.
Gegen Abend führte ihn Edgar zu Prof. Luschka, (9) mit dem er über
phrenologische Fragen (10) Rücksprache nahm. Wir gingen wieder
zusammen in die Vorlesung, da kam auch noch Hopf aus Stuttgart.
Nach der Vorlesung gingen die Kinder mit Frau Weber nach Hause und
ich ging wie einst in den Bewegungsjahren 48-49 mit Hermann und Hopf
in den Volksverein. Hopf blieb bei uns über Nacht und war den folgenden
Tag auch noch hier. Abends kneipten wir alle zusammen mit
Brinz in der Restauration vom Bahnhof. Am folgenden Tag wurde Edgar
krank, weil er in Folge einer närrischen Anwandlung nicht zum Essen
ging und den Tag über fastete. Er konnte zwei Tage nicht in die
Schule gehen. Donnerstag den 7ten kam Struve zum letzten Vortrag,
dem wir wieder beiwohnten. Den folgenden Tag ging ich nach Reutlingen
um Prof. Eckards Vorlesung über Ulrich von Hutten zu
hören. Noch nie hatte mir irgend ein Vortrag solchen Genuß gewährt,
in eine solche Begeisterung versetzt als dieses herrliche Lebensbild
das der Redner aufrollte, und als er mit den Worten schloß,
daß nichts mehr von dem kühnen Freiheitsstreite zurückgeblieben sei
auf den einsamen Ufern, als seine Feder, mit der der deutsche Geist
heute weiterschreibe, so mußte sich einem unwillkührlich die
Hoffnung aufdrängen, daß eine Nation, die so weitleuchtende
Gestirne aufzuweisen hat, nicht dauernd zum Absolutismus, zur
preußischen Pickelhaube verdammt sein könne. Ich blieb in
Reutlingen über Nacht. Am selben Abend waren alle vier älteren
älteren Kinder in der langweiligen Vorlesung von Dr.Zöpperitz
über das Himalaja Gebirge.- Ich traf am Samstag einen sechsseitig
langen Brief von Freund Backmeister an. Sonntag den 10ten war
warmes Frühlingswetter, überall Überschwemmung, die Häuser stehen
wie Pfahlbauten in dem ausgetretenen Neckar. Isolde hatte den
ganzen Tag heftiges Kopfweh. Alfred war morgens sehr unartig, weil
ihm seine Jacke nicht schön genug vorkam, dafür aber abends sehr
brav. Er fing für sich an im "L`homon" zu übersetzen. Balde spielte
mit dem Brinzle vor dem Hause.
17.Februar 1867 Große Volksversammlung der demokratischen
Parthei. Ich hatte Becher und Struve zum Mittagessen eingeladen.
Sie kamen aber nicht, auch Freese ließ abtelegraphieren. Dagegen kam
C. Mayer den Abend zuvor und Oesterle und Leipheimer heute Mittag.
Wir holten sie ab, und gingen um 2 Uhr in den Henneschen Garten (11)
wo die Versammlung im Sommertheater abgehalten wurde. Edgar schloß
sich C. Weiß an, Isolde und Erwin blieben bei mir außerhalb der
Umzäunung, wo uns jedoch kein Wort der Reden verloren ging. Zuerst
sprach Oesterle und entwickelte in einer Rede voll Pathos und
elegischer Modulation die Gewaltthaten des Jahres 66, die Abscheulichkeit
des Militärgesetzentwurfs, die Nothwendigkeit zur Rückkehr
der Gesetze des 1. Juli 1849. Darauf folgte unter nicht endenden
Bravos und Applaus C. Maier. Seine Rede war wie ein schneidendes
Schwert, eine stählerne Klinge- darunter köstlicher Humor. Er
schloß mit der eindrücklichen Mahnung die A.... an den König zu
unterschreiben, aber wohl zu bedenken, daß auch vielleicht Opfer
verlangt werden könnten, daß aus diesem ein Feldzug entstehen
könne. 1 500 Personen waren anwesend und machten, die von der
preußischen Parthei gestellten schlimmen Augurien zu Schanden.- Ich
verlebte einen recht schönen Tag, doppelt schön, weil ich sah, daß
es Eurem Vater unter den alten Partheigenossen recht wohl zu Muthe
war und daß ein alter Freiheitshauch ihn angeweht. Von hiesigen
Professoren waren Brinz, Schäffle, Fricker, Mandry, Hegelmaier und
Teufel anwesend, sie alle gingen mit in den bei Commerel(12) tagenden
Volksverein, wo Brinz noch schöne warme Worte sprach und
Schäffle eine treffliche Rede hielt. Vom Hause wehte, wie vom
Henneschen Sommertheater die schwarzrothgoldene Fahne. Wir
versammelten uns noch einmal am Bahnhof bei der Abfahrt der
Stuttgarter. Alfred war nicht mit uns dabei. Er ging mit dem
kleinen Brinz ins Waldhörnle. - Heute bekam ich auch einen Brief
von Dr.Dulk mit Ankündiung, daß er seinen "Conrad" hier vorlesen
wolle. - Am 22. Februar hielt Prof. Vischer einen sehr schönen
Vortrag
über "Hermann und Dorothea". Marie Finkh kam dazu herüber und blieb
zwei Tage. Es folgten wieder unangenehme Tage, die mit Logisuchen
und nicht finden zugebracht wurden. Balde macht mir jammervoll zu
schaffen, ich kann seinen starren Eigensinn nicht bändigen, und er
wird täglich unerträglicher so gutartig er auch ist. Das sind halt
Phasen, die der kleine Mensch durchmachen muß. (8 Zeilen durchgestrichen.
Man liest darunter: Wie viele Stunden in Thränen, die mir
meine Kinder verursachen, die ich doch so unendlich liebe. Mir ist
jeden Morgen beim Aufwachen Angst auf den Tag, denn selten vergeht
einer ohne Kummer....Ich bin im Laufe eines Jahres um vieles älter
geworden..... daß mir das Gedächtnis unklar....)
Wohl habe ich noch die heiße Liebe für die Meinigen und die rasch
auflodernde Begeisterung für das Hohe und Schöne, für die Freiheit,
für das Ideal, aber für die Freuden des Lebens bin ich abgestorben,
und aschgrau scheint mir das Leben und entsetzlich die Zukunft.
Wenn ich an die Wahrscheinlichkeit oder auch nur Möglichkeit denke,
daß meine Kinder in den Soldatenkittel und die Pickelhaube gesteckt
als Kanonenfutter dem Moloch des Menschenmordes geopfert werden
sollten! Bei diesem Gedanken packt nicht nur der Menschheit ganzer
Jammer mich an, nein der Wahnsinn macht sich fühlbar. Ich konnte
nie ein Thierlein tödten, ein Kalb das man zur Schlachtbank führt,
kann auf einen Tag mir die Heiterkeit rauben- aber die Gründer
dieser neuen Blutware, sie könnte ich mit eigener Hand tödten ohne
Zucken, ohne Schauder, läge es doch in meiner Macht und wie der
Heldenjüngling Blind (13) gäb ich mit tausend Freuden mein Leben
dran. Noch hab ich Euch meine Söhne, noch seid ihr mir nicht
entrissen, könnt ich doch die Gegenwart besser benützen, ihrer mich
freuen- wie lieb ich Euch, aber ihr seid noch jung, ihr wisst nicht
wie ein Mutterherz liebt, es kommt vielleicht doch noch die Zeit,
wo ihrs verstehen lernt.
Am 26ten Februar habe ich für Isolde einen Berneranzug bekommen.
Sie ist glücklich damit für ihren Tanzstundenball.
27ten Februar. Heute las ich mit Isolde mehrere von Huttens:
"Epistolae virorum obscurorum.- Salutem maximam et bonas noctes
sicut stellae in coelis et pisces in mari. Et sine debetis quod
ego sum sanus."
In diesem Style gehts weiter.
2ten März wurde Edgar und Balde unwohl. Edgar hatte einen heftigen
Husten und Balde Fieber mit Erbrechen. Auch der Papa wurde krank.
Neben Kartharr entwickelte sich eine Augenentzündung, die sehr
schmerzhaft war. Balde machte mir entsetzliche Angst und bei Edgar
befürchtete ich die Luftröhrenentzündung. Am 3ten kam Marie Finkh,
sie blieb über Nacht. Die Patienten müssen noch immer theilweise
Bettnd Zimmer hüten. Edgars Husten wird nicht besser, trotz drei
Flaschen Malzextrakt und Brechpulver.
Am 3ten war Isolde als Bernerin auf dem Maskenball des Tanzlehrers
Beck. (16) Emmie Maier kleidete sie an und Frau Hegelmaier
schenkte ihr ein herziges Sträußchen Edelweiß mit einem rothen Band
6ten März Balde ist wieder wohl, bei Edgar gehts noch nicht
besser. Isolde ist eifrig mit Übersetzung eines Romans von Erkmann:
"Chatrian" beschäftigt, den ihr C. Maier fürs Feuilleton des
"Beobachters" vorgestern zugeschickt. Sie ist sehr glücklich
darüber und nicht wenig stolz auf diese Ehre etwas gedruckt von
sich zu sehen und noch dazu im "Beobachter". Heute kam Heyses
"Syritta" an. Schon spukt die Cholera wieder in allen Orten, duch
den milden Winter begünstigt in Cöln und Elberfeld und Paris, und
die Weltausstellung wird nicht wenig zu ihrer Verbreitung beitragen.
Ich fürchte mich vor ihr, nicht für mich, aber für meine
Lieben und für die mich umwehenden Menschen. Es muß schrecklich
sein, die Menschen so massenweise sterben zu sehen. Sollen die
Menschen denn nie von solchen schrecklichen Plagen als da sind
Krieg und derartige Krankheiten, die als Gefolge des Ersteren stets
kommen, verschont bleiben? Ist es auch der Mühe werth zu leben?
Das Leben ist nur schön in der Jugend, man wird in späteren Jahren
seines Lebens nie mehr froh, weil man weniger Egoist mehr ist, weil
einem der Menschheit Jammer näher angeht, weil man mit sich selber
fertig ist, für sich nichts mehr wünscht und für andere geliebte
Wesen viel mehr bangt, als in der leichtsinnigen Rosenzeit des
Alters. Möchtet Ihr meine Kinder wenigstens diese kurze Wonnezeit
des menschlichen Lebens schön geniessen dürfen.
14ten März. Wir haben alle den Krampfhusten. Ich lag mehrere Tage
zu Bett. 18ten März. Heute erfuhr ich, daß Paul Heyse sich an
seinem Geburtstag, dem 15. März mit einem schönen 16jährigen
Mädchen verlobt hat.
22ten März. Des alten Mayers Geburtstag, der zur Feier desselben
das Doktordiplom von der philosophischen Fakultät erhielt.
Carl Mayer von Stuttgart anwesend. Abends kneipten wir mit ihm und
den Professoren, die zu unserer Parthei halten. Es geht immer noch
nicht besser mit dem Husten. Josephine ist recht krank dabei, und
auch bei Isolde ist er bedeutend im Zunehmen. Lili ist seit 8 Tagen
hier. Adolf Schuster steht in hellen Flammen für sie und sucht sie
täglich auf. Als neuer Schrecken hat sich wieder die Hundswuth
eingestellt. In Stuttgart wurde ein Herr von Ow nebst Kind und Magd
gebissen. Ich bin keinen Tag ohne Sorge daß Alfred, der sich die
ganze Zeit draußen herumtreibt, gebissen wird. Ich bin wahrhhaft
froh, daß die andern Kinder zuhause bleiben müssen. Balde ist
gegenwärtig sehr lieb, überhaupt ist seit ein paar Tagen ein
schöner Frieden, der mir unendlich wohl thut. Mein höchstes Glück
ist Euch um mich zu haben in Fried und Eintracht. Die Außenwelt
versinkt überhaupt immer mehr für mich und nur der häusliche Kreis
ist noch meine Welt. - Der ganze März traf uns im Lazareth. Bald
lag das Eine bald das Andere zu Bett. Immer derselbe Husten, wir
wurden elend und schwach, besonders Edgar und ich.
Sonntag den 7ten April kam Frau Scheuffele. Wir verlebten ein
paar heitere Tage. Montag den 8ten starb euer liebes Vögelein. Als
ich morgens in den Käfig sah, stand der arme Schelm ganz matt und
krank da, er hatte einen blutigen Durchfall und nahm keine Nahrung
mehr. Edgar wich nicht von seinem Käfig. Zuletzt schlug er mit den
Flügeln, Edgar nahm ihn heraus, und er starb in seiner Hand: Du
auch stiegest herab zu des Orkus traurigen Schatten, freundliche
Amsel, die stets traulich zu uns sich gesellt. Traurig denken wir
Dein, wenn des Ostens Pforten sich aufthun, und mit flötendem Ton
nimmer Dein Lied uns weckt.- Edgar ließ den Vogel ausstopfen. Am
Mittwoch ging Marie Sch. wieder, und Edgar wurde im Laufe des
Nachmittags krank, Schmerzen auf der rechten Seite, Fieber und
Kopfweh. Ich las ihm vor aus "Tausend und Einer Nacht". Frau Barth
war da und half Isolde im Englischen nach. Heute Donnerstag den
11ten April schickte Euch Frau Weber eine Schachtel voll gefärbter
Ostereier. Mit ists heute sehr unwohl. Der Husten ist sehr heftig
und mein Kopf schmerzt mich. Die Kinder zertrümmerten heute den
alten Sopha, den gelben.
Freitag den 12ten. Heute fingen wir an zu packen. Edgar leerte
seinen Pult und that den Inhalt in meinen Schreibtisch. Da fand ich
ein Notizbüchlein. Ich öffnete und entdeckte eine Anzahl Gedichte,
die sowohl dem Inhalt als der Form nach mein größtes Staunen
erweckten. Also auch du mein Sohn hast den Weihekuß der Muse
empfangen, du wirst Hand in Hand gehen mit deiner Schwester, ein
dichtend Geschwisterpaar! Ich kann es nicht ausdrücken und wiedergeben
welche Seligkeit mich ergriff, als mir so auf einmal deine
verborgen gehaltenen Gedanken in schöner poetischer Form kund
wurden. Sogar Sonette machst du, fehlendes 4fach verschlungen und
vor deinen Hexamitern muß ich mich ohnedies in Demuth beugen. Aber
mehr noch als die fehlerlose Form erfreute mich der Inhalt, deine
heiße Freiheitsliebe, der edle Zorn und die volle Hingabe an die
Idee für die deine Eltern ihr Leben lang geglüht und gekämpft. Du
wirst nie weichen vom Wege des Rechts und der Freiheit, du wirst
ein Jünger des Ideals werden, und das gemeine Treiben der Menschheit,
Gewinnsucht und schnöder Ehrgeiz werden keine Gewalt über
dich haben. Das hab ich alles schon in deinen sinnenden tiefen
Augen gelesen als du noch ein kleines Kind warst und folgendes
Verslein auf dich gemacht:

"Du bist ein kleiner Träumer,
Ein Erdengut versäumer
Ein Grübler und ein Denker,
Wirst nie ein Schlachtenlenker.
Doch in des Geistes Reichen,
Da wirst du Keinem weichen."

13.April 1867 Erwins heutiger Geburtstag traf ihn wieder so
ziemlich wohl. Er hatte eine große Freude an seinem 10.Lichtlein
und an den Kleinigkeiten, die wir ihm bescherten. Heute ging alles
wieder aus, obgleich das Wetter noch nicht recht warm werden will.
Mit List habe ich es jetzt herausgebracht, daß Edgar Sonette macht,
er schrieb sie mir ab. Aber auch Isolde wollte nicht dahinter bleiben.
Sie dichtete heute, den 14ten April (Sonntag) ein sehr schönes
warm empfundenes Sonette auf die "Gefallenen von Tauberbischofsheim".
Wie freut mich dieses geistige Aufblühen meiner zwei ältesten Kinder
und tröstet mich über die eigene geistige Abnahme. Wohin ist die
Zeit hinter mir, in der ich einstens geschrieben:

"Die Sternlein, die am Himmel sind
Gar freundlich niederblicken.
Viel schönre Sterne hat mein Kind,
Mein Stolz und mein Entzücken.

Sie lachen, wie der Himmel blau
Mit schelmisch klugem Blinken,
Und wenn ich selig in sie schau,
Möcht ich in sie versinken.

Doch auch die Zeit ist nicht mehr fern,
Wo sich mit süßen Wonnen
In diesem holden Augenstern
Ein ander Bild wird sonnen.

Wo andrer heißer Küsse Glut
Sie stürmisch wird bedecken.
Wo eines Meeres wilde Fluth
Dies Herzlein wird erschrecken.

O weile süße Kindheit noch
Wo sie so ganz mein eigen,
Und wo die holden Keime doch,
Die künftgen Blüthen zeigen."
Die Blüthen beginnen sich zu zeigen. Aus dem Kinde wächst ein
schlankes Jungfräulein heraus, noch ist sie ganz mein, ihre Welt
umgrenzen die Mauern unseres Hauses und ihre Gedanken und Emfindungen
sind nur eine Wiedergeburt der unsrigen, aber wie lange
wirds noch so bleiben? Holder Engel wie lieb ich dich und wie
tröstet mich dein Anblick in den Kümmernissen, die in dieser
schlimmen Zeit mir zustoßen. (seitliche Randbemerkung von I.K.:
"Unöthige Sorge, die junge Palas Athene blieb ungerührt.")
Am Gründonnerstag war ich mit Erwin in Reutlingen und kehrte
abends zurück und Erwin blieb bis Sonntag bei Max. - Mittwoch,
den 24ten April 1867 zogen wir aus. Es war der erste warme
Tag des Frühlings, die Bäume aufgeblüht im heißen Sonnenschein.
Wir schafften uns sehr ab, Alfred schleppte wie ein Lastträger,
aber ich verdarb mich so, daß ich wieder zwei Tage ins Bett mußte.
Letsche benahm sich aufs gemeinste, wie zu erwarten war, daher
verfaßte euer Vater eine Interimsklage gegen ihn. Die neue Woh-
nung, so eng und unbequem sie ist behagt mir sehr, wegen der
großen Freundlichkeit des Hausbesitzers.
Sonntag, 25ter April ging Alfred auf ein paar Tage nach Reutlingen.
Es war nach ein paar kalten Tagen wieder ein schöner Frühlingstag.
Wir gingen nachmittags mit Adolf Sch. nach Schwärzloch. Zum ersten
mal genoss ich die herrliche Aussicht ins Thal hinunter, wo alles
im Blüthenschmuck prangte. Abends war der alte Maier mit Emi und
Göckele da. Seit längerer Zeit ängstigt mich das Befinden eures
Vaters. Er ist niedergeschlagen und äußerst reizbar, kann nicht
arbeiten, leidet im Unterleib, dazu kommen noch die Widerwärtigkeiten
und Schikanen mit Letsche, was uns viele unangenehme Stunden
macht. Am ersten Mai wollten wir nach Kirchentellinsfurt, um
Alfred abzuholen, da aber Edgar eine heftige Augenentzündung hatte,
so telegraphierte ich ab, und Marie F. brachte Alfred selbst zurück.
Donnerstag, 2ten Mai mußten die Kinder zum erstenmal wieder in die
Schule. Balde blieb wegen Unwohlsein zurück. (13 Zeilen durchgestr.,
darunter liest man aber:) Ich hatte heute eine schreckliche Szene
und Edgar erregte mich sehr. Woher er diese Gereiztheit hatte,
weiß ich wirklich nicht. Es folgte ein Auftritt bis.....Ich hätte
ihm gern eins gewischt......Unglück im Zorn gewüthet....so ein...
10ten Mai. Sorgenvolle Tage sind hinter mir. Eures Vaters Leiden
hatte sich sehr verschlimmert, jetzt geht es wieder besser, aber
der Grund des Übels, der im Unterleib sitzt ist nicht behoben. Der
Trübsinn, die nervöse Gereiztheit, alles kommt daher und läßt mich
[22] bangend in die Zukunft blicken. Doch auch schöne Stunden brachte
mir diese Zeit. Wenn wir (Isolde) ihm nachts vorlesen durften,
so erfüllte mich ein langentbehrtes Gefühl beglückter Häuslichkeit
und traulichen Zusammenlebens. Wir lasen ihm aus Varnhagens Denkwürdigkeiten
vor. Heute erhielt Edgar seine neue orangegelbe Verbindungskappe,
die ihm große Freude macht. (19)
Bei Isolde geht es recht gut im Englischen, ich will nun diesselbe
Methode im Französichen und Italienischen einführen. Da wir nun
fast alle Tragödien von Voltaire zusammen gelesen fangen wir
heute seine Romane an. Wir beginnen mit "Candide". Apathokles (?)
war das letzte Drama, das wir gelesen. Bei Erwin wills gar nicht
voran gehen, trotz der unendlichen Mühe, die ich mir gebe und
Zeyers Privatstunden. Auch bei Alfred gehts nicht wie es sollte. Er
hat nun zwar das Griechische begonnen und zeigte Freude daran, doch
fehlts überall an Ausdauer. Mehr noch schmerzt mich seine Rohheit
und sein protziges unzufriedenes Betragen. (wieder einige Zeilen
durchgestrichen. Ich lese aber: Ich bin doch nur bedacht mir alles
zu entziehen, um es euch zu geben und doch wie könnt ihr so ungenügsam
sein. Anderntheils ist es meine Schuld die Schuld meiner
bangen Zärtlichkeit und ängstlichen Liebe. Könntet Ihr nicht
trotzdem wenigstens.... Mai 67
Vorgestern erhielt ich einen Brief aus London von Carl Blind der
mich sehr erfreute. Er war auf den Jahrestag von Ferdinand Blinds
Opfertod gerichtet, ein wiederholter Dank für meine Verse im
vorigen Jahr.- Es ist das herrlichste Frühlingswetter. Ein
ambrosischer Duft erfüllt die Luft, die Apfelbäume stehen in
schönster Blüthe. Doch nur halten thu ich einen Blick- und Athemzug
in dieser herrlichen Natur, weil ich von allen Seiten im Haus
festgehalten bin. Letzten Sonntag waren Hopf und Gertrud hier, am
[6] Montag drauf Marie F.- 13ten (wieder dick durchgestrichene
Zeilen, nichts lesbar) Heute kamen Oesterles von Stuttgart. Wir
gingen nachmittags mit ihnen und Prof. Brinz nach Lustnau. Abends
kam Hopf. Er blieb über Nacht. Sonntag den 14ten waren wir mit
ihm in Schwärzloch. Balde trank zu viel und fiel auf dem Heimweg
hin, Edgar war mit seinen Kameraden im Waldhörnle und Alfred in
Cressbach. Mit der Augenentzündung geht es besser, aber der böse
Mann scheut sich nicht und befolgt des Arztes Vorschriften nur sehr
mangelhaft. - Dienstag den 16. Mai ging Hopf nach Ofterdingen.
Mittwoch den 17ten kamen Gertrud und Marie. Sie blieben bis Freitag
nachmittag. Wir verbrachten ein paar gemüthliche heitere Tage mit
[23] ihm, und ich habe deutlich empfunden wie vergnügend der Umgang mit
ein paar jugendlichen Wesen wirkt. Auch that mir die völlige Übereinstimmung
der Ansichten, sowohl über Politik als über Religion,
oder vielmehr Nicht-Religion sehr wohl. Am 18ten Mai feierte Balde
seinen Geburtstag mit lauter Essen. Die Morgentorte, die er von
Genschowskys bekam verdarb ihm den Magen, er wurde krank und
brachte den folgenden Sonntag nachmittag im Bett zu. Wir waren in
Kirchentellinsfurt mit Hopfs zusammen. Erwin muß nun doch in die
I.Classe zurücktreten, es geht nicht, trotz aller Privatstunden,
das schlechte Lernen des sonst so liebenswürdigen Kindes macht mir
viel Jammer, doch kann ich ihm nicht böse darüber sein, denn er
trägt selbst nur einen halben Theil der Schuld und die Natur
scheint ihm das Sprachtalent vorenthalten zu haben, während sie ihm
sonst viel mit einem regen offenen Sinn für alles Schöne
beschenkte. Morgen wird er bei Herrn Fausel wieder bei den activa
und passiva Sätzen anfangen. (Wieder 13 Zeilen dick durchgestrichen)
...und doch hab ich der Herzensängste sonst genug...(letzter durchstrichener
Teilsatz, den man lesen kann, das andere leider nicht)
Sonntag 26. Mai 1867
Diese Woche ging ziemlich friedlich vorüber, nur machte mir das
große Einmaleins bei Alfred viel zu schaffen. Es waren kalte
frostige Tage, die die Kinder nicht viel ins Freie ließen. Alfred
litt viel an Zahnweh. Im Obergymnasium las Herr von den Berghen
die "Antigone" von Sophokles vor, was Edgar ungemein entsprach. In
Erwins Zeichenstunde erzählte der junge Letsche mit großem Entzücken,
daß er "Tristan und Isolde" gelesen hätte. "Da kommt eine
Isolde Goldhaar," sprach er zu Erwin "und Isolde Weißhemd vor".
"Ach, Du wirst nicht recht gelesen haben," sagte dieser, "Das soll
wohl Isolde Weißer heißen." Isolde lachte sich halb todt. Samstag
nachmittag war ich in Reutlingen und fand bei meiner Heimkehr Edgar
und Isolde sehr krank, Letztere mit heftigem Kartharrfieber und
bei Edgar ist in Folge von Erkältung, die eine Folge seines Eigensinns
war, der Krampfhusten aufs Neue und in höchstem Grad ausgebrochen.
Ich ging deßhalb heute nicht, wie verabredet war nach Reutlingen
sondern pflegte die Kranken und schickte nachmittags zu
Dr. Gärtner, der mich über Edgars Lunge beruhigte. Hermann ging
allein hin. Seit einigen Tagen ist seine Gemüthsstimmung wieder
etwas heiterer, was mich gleich selbst wieder muthiger macht und
mir meinen Blick in die Welt durch die schwarze Brille nimmt. Heute
erhielt ich auch einen Brief von Schober, wo meine Märchen jetzt in
[24] die Druckerei wandern sollen.- Die Witterung war endlich wieder
mild. Alfred und Erwin waren im Wald und brachten Maiblümlein mit
nach Hause. 28ten Mai. Edgar ist schwer erkrankt, es ist wieder der
alte böse Kartharrhusten, nur hat er noch Fieber dabei das an ihm
zehrt und heftige Lungenschmerzen. Auch Isolde und Erwin sind noch
unwohl, und heute brach auch bei Alfred der alte Husten wieder aus.
30ten Mai. Es geht bei allen wieder besser, auch Edgar ist wieder
auf, doch hustet er sehr heftig. Er muß nun Arsenik nehmen. Der
heutige Tag war heiß und gewittrig. Wir wollten spatzieren gehen,
wurden aber durch den Regen daran gehindert und kamen bloß in den
Kurtzschen Garten. Edgar hatte heute einen besonders liebenswürdigen
Tag. Er war so herzlich und zärtlich gegen mich, daß ich ihn
oft mit stillem Entzücken beobachtete. Der Abend wurde mir durch
Erwins Faulheit sehr verbittert. Es war mir nicht möglich ihm das
deporens lactari einzutrichtern. Alfred hatte wieder mit Zahnweh zu
thun und hatte dabei entsetzliches Nasenbluten.
Ich lese gegenwärtig die Geschichte der griechischen Philosophie von
Zeller. (19) Wenn wir heute mit Mitleid auf einen Thalus blicken, der als der
Grund alles Segens das Wasser und auf Heraklit der das Feuer dafür
nahm und der die Sonne für einen feurigen Dunst hielt der allmählich
erlischt, um sich morgens wieder frisch zu entzünden, so
bedenken wir nicht dabei, daß die Philosophie und Physiologen vom
Jahre 4 und 5 000 nach uns wohl ebenso lächelnd unsere Irrthümer
bemitleiden werden, denn auch wir haben die Neige der Erkenntniß
noch nicht geschlürft, und der Zukunft ist es vielleicht vorenthalten
durch Entdeckung auch kommende Naturkrägfte ein ganz anderes Licht
auf die Philosophie und Naturwissenschaften zu werden.
Sonntag 2ten Juni waren Marie F. mit Max da, Letzterer ging mit
Edgar und Erwin nach Schwärzloch, die Buben kamen alle bezopft
zurück und Erwin mußte sich sogar erbrechen, so endete der Tag nicht
gar fröhlich für mich. Am Montag ging Isolde nach Reutlingen, ich
holte sie am Mittwoch ab. Wir gingen zusammen nach dem Gaisbühl und
trotz eines quälenden Kopfwehs war ich doch recht vergnügt. Mein
Kopfweh verschlimmerte sich jedoch, ich lag den ganzen Donnerstag
zu Bett, heute wars besser, da fing Isolde an über Kopfschmerz und
Mißbehagen zu klagen. Ich hoffte sie werde sich durchs Theater zerstreuen,
und da die Witterung so mild war ließ ich sie mit Prof.
Brinz dorthin gehen. Aber welchen Schrecken mußte ich leiden, sie
kam zitternd vor Fieber zurück. Ich eilte nach Dr. Gärtner, er
führte sie ab, die Nacht war aber ganz schlecht, und auch ich bekam
[25] sehr heftige Zahnschmerzen. Der Samstag war nicht besser. Das
Fieber blieb sich gleich, und heute Sonntag ist auch noch keine
Besserung eingetreten, Gärtner befürchtete eine Halsentzündung oder
ein Schleimfieber, Alwine und Luise Sator waren nachmittags da,
abends kam Erni Mayer, die Alfred mit nach Schwärzloch nahm, von wo
er mit entsetzlichem Zahnweh zurückkehrte. Heute hatte sich auch
Balde verlaufen. Der Papa, Erwin und Fina gingen aus ihn zu suchen
und fanden ihn endlich in der "Langen Gaß".
Am Pfingstmontag trat Besserung bei Isolde ein, das heftige Fieber
wich, doch sagte mir Gärtner er habe sicher gelaubt sie bekomme das
Schleimfieber. Heute kam Dr. Vollmar, der Redakteur der Augsburger
Wochenausgabe.
Die Nacht auf den Montag war gut und das Befinden ist heute
Dienstag den 11ten so, daß sie ein paar Stunden aufstehen konnte,
doch war sie noch sehr schwach. Alfred machte heute mit C. Pfaff
eine Teefahrt nach dem Lichtenstein. Auch bekam der Papa Möglings
Photographie. Ich war mit Edgar, Erwin und Balde im Wald und in
Schwärzloch. Heute legte die Julie ein Ei.
kirchenfurt
Mittwoch den 12ten war ich mit Edgar und Erwin in Kirchentellinsfurt.
Isolde war noch zu schwach und Alfred zu müde um mitzukommen.
Wir hatten einen herrlichen Weg durch Wiesen und Wald und
waren in der heitersten Stimmung. Beim Glase Bier und in der Erwartung
von Marie und Max machten wir folgendes Dichtichen:

"Braunes schäumendes Bier, wie rinnst du so glatt durch die Kehle.
Während der schlechte Kaffee durstig die Durstende läßt.
Kühlung sichelt der Wind, und der milde Wein gibt uns Schatten.
Aber aus säuselndem Wald rufet der Kuckuck uns zu.
Lachende Flur und schäumendes Bier verkürzt uns das Warten
Bis mit dampfendem Roß uns die Erwartenden nahm."

Sonntag dem 16ten war Marie Finkh hier und am folgenden Donnerstag
war ich mit Isolde in Reutlingen bei einem Rendez-vous mit Alfred
Thum. Samstag 22. gingen Edgar, Isolde und ich mit Herrn Zeyer
nach Wankheim, Immenhausen und Bläsiberg. Wir waren alle recht
vergnügt. Heute, Sonntag bekam ich einen bösen Finger in Folge
eines Spreißels. Nachmittags ging Edgar mit Kameraden nach Bebenhausen
und fiel im Heimweg hin und verletzte sich empfindlich
dabei. Erwin kaufte sich ein kleines Vögelchen. Alfred ist wieder
unwohl und leidet immer an Sodbrennen; im Zahnweh wetteifert er mit
[26] mir. Donnerstag 27ten war Isolde mit S. auf der Liedertafel.
Freitag den 28.Juni fuhr ich mit dem Papa zu Adele Rantzau nach
Rottenburg. Wir gingen zu Fuß über die Weilerburg nach Niedernau.
Samstag machte Erwin seine Turnfahrt mit Herrn Zeyer und Fausel zu
Fuß über den Spitzberg auf die Wurmlinger Kapelle, dann nach
Rottenburg, Weilerburg, nach Niedernau und zurück nach Rottenburg,
wieder mit der Bahn hierher. Er war sehr vergnügt. - Heute am
letzten Juni ist Edgar in der Frühe um 6 Uhr ohne Frühstück mit
Kameraden auf den Roßberg. Balde wurde heute Nacht krank, erbrach
sich den ganzen Morgen, jetzt schläft er ruhig.
Sonntag, 7. Juli 1867
Eine schwere Woche liegt hinter mir. Balde wurde gefährlich krank.
Das Erbrechen war nur der Anfang einer Unterleibsentzündung. Dienstag
klystierte ihn Dr. Gärtner 3mal ohne allen Erfolg, am Mittwoch
setzte er ihm drei Blutegel, und auch der große Blutverlust brachte
keine Linderung im Fieber. Vier Tage hatte er nichts über den Mund
gebracht, am 5ten trank er ein wenig Milch. Inzwischen war aber
meine Angst aufs Höchste gestiegen, ich verlor alle Hoffnung, Verzweiflung
ergriff mich, ich sah das Kind schon über einen Raub des
Todes, da ließ abends am Donnerstag das Fieber nach, die Nacht war
ordentlich, auch der Freitag war nicht schlimm, aber die Nacht auf
den Samstag schon wieder schmerzhaft und der ganze Samstag war
sowohl in betreff der Schmerzen als des Fiebers schlecht. In der
Nacht zum Sonntag steigerte sich das Fieber bis zum Phantasieren
und meine Sorge wuchs von Stunde zu Stunde. Heute morgen nahm er
ein Bad das ihm gut bekam, die Schmerzen sind weg, das Fieber noch
[10] das Gleiche.- Erwin ist heute mit Herrn Zeyer fort und nachts
Uhr noch nicht zurück.- Montag, Dienstag und Mittwoch waren noch
sehr schmerzhafte Tage, da sich auch der Blasenkrampf dazugesellte.
Mittwoch kam Dr. Finkh um nach ihm zu sehen. Heute Donnerstag 11ten
ist er ganz auf dem Wege der Besserung, hat Schinken zu Mittag
gegessen und abends Brei mit großem Appetit. Mit Seligkeit drückte
ich das gerettete Kind an mein Herz, und die ausgestandene Angst
ist nur noch in den bleichen, abgefärbten Zügen seines Gesichtes zu
lesen.- Es ist ein überaus kühler Juli, wir heizen jeden Morgen zu
Baldes Bad ein.- Edgar las Humboldts Reisen und ist gegenwärtig in
Strauß "Leben Jesu" vertieft. Auch er hat ein Drama zu schreiben
begonnen: "Der Tod des Leonida". (21)
Samstag 13.Juli. Erwin klagte seit mehreren Tagen über Schmerzen
in den Füßen, er hinkte umher und fiel in Folge dieser Schwäche in
[27] den Beinen im Interstitium über einen Stein und verletzte sich die
Kniescheibe, so daß er den Fuß nicht mehr biegen konnte. Mein
Schrecken war nicht klein als man ihn ins Zimmer hereintrug.
Dr.Gärtner zog ihm unter schrecklichen Schmerzen den Fuß wieder
gerade und ordnete kalte Umschläge an. Heute, Sonntag 14ten geht es
schon wieder besser, doch kann er den Fuß noch nicht bewegen. Balde
war heute zum ersten mal eine Stunde auf. Isolde ging mit Sators ins
Concert. Heute Montag 16ten kam Marie Schauffelen.
Am 25ten Juli war Dulk mit einem seiner Freunde, einem Knaben und
seiner Tochter Anna hier. Letztere blieb ein paar Tage bei Isolde.
Es ist gegenwärtig alles wohl, die kühlen Tage verhindern das
Baden. Heute, Donnerstag 1.August war ich mit Isolde in der Aula
bei einem medicinischen Vortrag, Charlotte Rantzau war auch mit.
An Alfreds Geburtstag waren wir mit dem Papa im Kneiple. Wir
tranken ein so böses Bier, daß wir alle krank davon wurden und die
ganze Nacht zu leiden hatten. Am 6ten August waren wir alle zusammen
im Waldhörnle. Ich hatte den Tag in einer besonders trüben
Stimmung zugebracht, wozu auch die Nachricht von Frau Rödingers Tod
viel beitrug. Gestern, den 10ten wurde Alfred krank, Erbrechen,
Diarroe und Bauchweh. Heute ist es besser aber noch nicht gut. Er
sieht sehr übel aus und da die Cholera an verschiedenen Orten auftritt,
so steigen mir gleich Gespenster auf. Auch der Papa hatte
einen bösen Tag, Magenbeschwerden, und Josephine leidet beständig
an Durchfall und Übelkeit. Seit drei Tagen ist es heiß. Alles badet
mit Lust nur Edgar badet absolut nicht, was mich sehr quält, da das
Neckarbad seine Gesundheit stärken würde. Alle Abend ist er bis
zehn Uhr und darüber bei seinem Freund Mohl, ein Umgang der mir
zwar ganz lieb ist, da mir der junge Mensch sehr gefällt.- Heute
schickte ich die letzte Correktur meiner Märchen fort. Isolde
leidet an der Bleichsucht, hat viel Kopfweh und Müdigkeit, heute
auch eine Verhärtung im Becken. Sie wird täglich schöner und ragt
mit 13 Jahren schon einen Kopf über mich hinaus, dagegen wollen die
Buben nicht wachsen. Erwin ist ein kleines Erdwichtelein und Edgar,
der früher der Größte in seiner Klasse war ist so zurückgeblieben,
daß er der Kleinste ist. - Die Beschränktheit der Wohnung macht
immer viel zu schaffen, da sich Edgar gar nicht darein finden will,
kein Tag vergeht, wo der Jammer nicht losgeht und doch kann ichs
nicht ändern, die Geldnoth drückt uns derzeit sehr und die Pflege
der Kinder erfordert ganz andere Mittel.
Donnerstag den 15. war ich mit Dr. Finkh, Marie und Isolde in
[28] Imnau. Es war ein furchtbar heißer Tag, aber der Weg durch die
prächtigen Tannenwälder reizend. Isolde sollte dort tanzen, war
aber nicht dazu zu bewegen. Ich fand dort zu meiner Freude eine
alte Bekannte aus Eßlingen und Stuttgart wieder, Frau Haimann. Am
Samstag ging ich nach Reutlingen und blieb über Nacht. Morgens mit
Marie auf dem Gaisbühl, wo uns der Papa überraschte mit dem ich
abends 7 Uhr zurückkehrte. Es folgten lauter heiße Tage, wo wir
badeten. Endlich hat sich auch Edgar herbeigelassen ein paarmal
mit seinem Freund Mohl zu baden. Diestag wurde Isolde krank,
Fieber, Hals- und Kopfweh, hatte eine schlechte Nacht, doch gings
des andern Tags wieder besser. Mohl hat den Platen gebracht, den
sie nun lesen, daneben verschlingt Isolde den Heine, dessen Salyon
(22) sie sehr fesselt. Alfred ist naßleidig mit dem Griechischen,
weil er einen schlechten und groben Lehrer hat. Bei Erwin will es
leider keinen Rucker im Lernen thun. Was soll noch daraus werden?-
Samstag, 24ten. Heute früh bekam ich einen Brief von Marie Leo
aus St. Louis am Mississipi, der mich sehr interessierte und wieder
den Wunsch regt, daß wir, befreit von preußischer Zukunft, überm
Ozean wären. Besonders anziehend war mir die Beschreibung der
großen Stadt, die neben den prächtigsten Palästen und kunstvollsten
Anlagen, neben den tumultreichsten Straßen plötzlich wieder ganze
Wälder und Blockhütten enthält und so noch an ihren Urzustand
erinnert. - Bei Geislingen in einem Dorf ist die Cholera aufgetreten,
durch einen Handwerksburschen dahin verschleppt, und so
rückt einem auch dies Gespenst wieder auf den Hals. Warum hängt der
Mensch so sehr am Leben, da er sich doch kaum eine Stunde ungetrübt
desselben erfreuen kann? Es war heute durch Baldes Unwohlsein ein
trauriger Tag, da der Papa so verstimmt wurde, daß er bis tief in
die Nacht fortging. - Humboldts Reisen beschäftigen uns sehr. Am
Orinocco wohnt ein Volk, die Guaraunen die sich ihr Leben lang auf
dem Brotbaum aufhalten, der ihnen Nahrung und Wohnung zugleich
bietet. So haben diese menschen die Lebensart ihrer Urväter, der
Affen beibehalten. Die Otomaken nähren sich von Erde.
Samstag, den 31ten August 1867 waren wir mit Nikolaus Becker aus
New York in Bebenhausen. Es war ein heißer Tag. Der Weg durch den
Wald war köstlich. Der alte Mayer schritt rüstig voran. Edgars
Freund Mohl war auch dabei. Edgar verlor im Heimweg seinen Pultschlüssel,
den wir am Sonntag in einer Gluthitze vergeblich
suchten. Alle Tage wird gebadet und endlich badet auch Edgar.
Montag 2.September kam Marie Finkh und blieb zwei Tage. Wir waren
[29] abends im Waldhörnle und Dienstag Abend in Schwärzloch, von wo wir
beim schönsten Sternenschimmer heimgingen. Zum ersten mal sahen wir
da die Glühwürmchen. Am Mittwoch ging Marie und nahm Isolde mit
sich. Bei Erwin geht es seit einiger Zeit entschieden besser mit
dem Lernen, auch fiel das Examen wie das Zeugnis ganz ordentlich
aus, und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß doch noch etwas an ihn
hinzubringen sein wird. Auch bei Balde gehts gut. Zum ersten mal
hat Edgar kein Praemium erhalten, was mich tief schmerzte, so wenig
ich es auch merken lasse. Die Vakanz hat angefangen und mir ist
bang, wie sie herumgehen wird und ob ich fähig sein werde so viele
Köpfe unter einen Hut zu bekommen und sie zu beschäftigen und zu
befriedigen, da mir die drückende Geldknappheit keine großen Ausflüge
möglich macht..... wurml.Kapelle



Cholera ....Wird sie auch zu
uns kommen? Von welchen Schrecken ist doch der Mensch fortwährend
umgeben, bis er endlich selbst gepackt wird von dem schrecklichen
Sensenmann und der Zersetzungsprozeß ihn mit der Erde und den Elementen
vereinigt und die Natur ihn zu neuen Funktionen verwendet.
Wird alles aufhören? Wer kann diese Frage mit Gewissheit bejahen
oder wer kann sie mit Sicherheit verneinen? Sprechen nicht ebenso
viele Gründe dafür als dawider? Wer siehts der Kartoffel an, daß
man einen Spiritus aus ihr ziehen kann? Und ist nicht an das mikroskopische
Thier im Wassertropfen ein Bewußtsein geknüpft? Kennen
wir alle Kräfte der Natur? Wir haben den Ariadnefaden noch nicht
gefunden, der aus diesem Labyrinth der Fragen herausführt, aber
Eines wenigstens wissen wir - was wir hier auf dieser Erde zu thun
haben. Jeder kennt den Umkreis seiner Pflichten sehr gut und es
gewährt Befriedigung sie auszufüllen, das Rechte und das Gute um
des rechten und guten Willen zu thun, ist die einzig sittliche
Handlung der Menschen, denn der Gläubige, der Belehrung oder Besserung,
im Jenseits erwartet, handelt nicht mehr mit Freiheit,
sondern aus einem egoistischen Impuls.-
[30] Mittwoch morgens früh um 1/2 9 Uhr gingen Edgar, Mohl, Alfred und
Erwin mit mir nach Kirchentellinsfurth. Der Weg dahin war sehr
angenehm, nicht zu heiß, bedeckter Himmel. Um 10 1/2 kam Marie und
Isolde an. Wir ließen uns im Wald nieder und verzehrten unser
Mitgebrachtes, dann wurde gebadet. Am Saum des Waldes spielten wir
bis der Papa mit dem 1/2 3 Uhr Zug anlangte, und wir mit ihm in
verschiedenen Wirthshäusern wandelten, wo wir bloß schlechten Wein,
aber keine Nahrung fanden. Wir kamen sehr ermüdet zu Hause an und
schliefen heute bis 9 Uhr. Heißes Wetter, das wir zum Baden benutzten.
Erwin und Balde zupften Hopfen. Ich kann mich nicht
entschließen sie um Geld zupfen zu lassen. Dieses Jagen nach Geld
und sei es auch für Arbeit ist mir vor allem bei den Kindern
durchaus zuwider. Mag sein, daß es ein Rest Aristokratin ist, die
mir angeboren ist, aber ich kann ihn eben nicht überwinden, doch
denkt Marie wie ich darin. Edgar begehrt fort auf eine Vakanzreise
und ist übelgelaunt. Heut abend dichtete er von einem Mäusekrieg.
Von Zürich kommen immer erschreckendere Nachrichten. Wie lange wird
die Menschheit noch mit dieser Geißel heimgesucht werden? Jahr um
Jahr kehrt sie wieder, die unzertrennliche Gefährtin der Kriege. Könnt
ich doch den Jahren Halt gebieten. Wie freue ich mich täglich,
daß ich mein Heer Kinder beieinander habe, daß die Welt noch
keine Anforderungen an sie macht. Ach, auch diese kurze Zeit allerdings
wird vergehen und Trennung und die schreckliche Militärpflicht
rückt heran. Behalte ich aber das Leben, so sollt ihr mir
keine Waffen tragen, meine Herzenskinder, lieber nach Amerika, als
im brudermörderischen Krieg erstürmt oder die Hand mit Blut befleckt.
Dafür habe ich Euch nicht mit dieser Sorgfalt großgezogen
und euren Geist auf das Ideal gelenkt.
Dienstag ging ich mit Erwin nach Reutlingen zu Fuß, und blieb mit
ihm dort über Nacht, den andern Tag per Bahn zurück. Freitag den
20ten trafen wir mit Marie F. in Jettenburg zusammen, es war ein
prächtiger warmer Sonnentag. Abends um 10 Uhr starb der Apotheker
John (23) ein braver, wackerer Volksmann, den ich sehr schätzte und
dessen Tod mir schmerzlich weh that und mir traurige Stunden bereitete.
Am Sonntag darauf kam Hopf. Es war ein schöner warmer Tag.
Der Montag war herbstlich kühl und durch einen fatalen Auftritt in
der Gogerei gezeichnet. Wir wollten in die Berge gehen. Balde lief
an Edgars Hand, da kam ein Lümmel daher und schlug das Kind auf den
Kopf, worauf ihm Edgar seinen Stock an den Kopf schlug. Allgemeiner
Tumult entstand und halb ohnmächtig, mit bebenden Gliedern ging ich
endlich meines Weges weiter. Traurige Schattenseite einer kleinen
Universitätsstadt, in der kein Universitätsangehöriger ungefährdet
seine Straßen ziehen kann.- Abends lasen wir mit Alfred den "Tell".
Dienstag den 24ten reiste Isolde nach Cannstadt ab. Mit beklemmtem
Herzen ließ ich sie zum ersten mal so weit von mir fort, ich
habe keine ruhige Minute wenn ich ein Kind ferne weiß, und male mir
immer das Schrecklichste aus. Diesen Monat erschienen auch meine
Märchen Ich erhielt 10 Freiexemplare, wurde aber vom Verleger um 12 Gulden
gekürzt. 40 Gulden legte ich davon für Edgar an, damit er als
Student seine Bücher davon anschaffen kann. Ich hoffe noch für ein
jedes meiner Kinder eine ähnliche Summe zu verdienen. Es regnet
heute den ganzen Tag und die Herbstkälte spürt man recht
empfindlich. Die Vakanztage verliefen ziemlich ruhig. Alle Abend
lasen wir mit Alfred die Kernerschen Dramen und "Die Jungfrau von
Orleans," zuletzt las Edgar auch noch "Die Memoiren des Satans"
vor. Erwin war so von den Tragödien ergriffen, daß er des Nachts
nicht schlafen konnte. Er geht alle Morgen zu Herrn Fausel in die
Privatstunde. Isolde ist wohl und vergnügt in Cannstadt. Sie hat
vier mal geschrieben und bald werden wir wieder beisammen sein.
Mittwoch 2ten October 1867 kam Dr.Finkh. Wir waren mit ihm in
Lustnau. >Abends kam Wilhelm, der Eroberer, der Rüster durch Tübingen. Sämtliche
Mägdte rannten aus der ganzen Stadt auf dem Bahnhof zusammen,
wo sich die Preußenparthei aufgepflanzt hatte und den Menschenschlächter
und Kartätschenfürsten, den Mörder Teuschlands und Zerstörer
Frankfurts hochleben ließ. Doch auch Studenten waren aufgepflanzt,
die "pereat" riefen und mehrere Wehegesinnte riefen ihr
"Maulhalten" unter die Hochrufer hinein. Nachts um 5 Uhr kam Heinrich
Mohr mit seinem Buben. Letzterer blieb bei uns über Nacht.
Beide gingen am folgenden Mittag wieder. Donnerstag kam auch
Ernst Mohl der bei uns blieb, um heute Edgar mit sich nach Hildrizhausen
zu nehmen. Erwin und ich begleiteten sie bis Bebenhausen. Es
herrscht eine fast winterliche Kälte, was ein Unglück für die
Trauben, aber ein Glück wegen der so nahe herangerückten Cholera
ist. In Ravensburg, in Göppingen hat sie bereits ihren Einzug
gehalten, auch in Suttgart sollen Fälle vorgekommen sein, ich habe
schon zwei mal den Abtritt desinfiziert. Von Hopf erhielt ich
dieser Tage einen Brief der mich sehr erfreute. Ich hatte es
wirklich nicht erwartet mein Märchen so leben zu hören. Er lud mich
nach München ein, aber für mich gibt es keine Freude und keinen
[32] Genuß, der mit einer Trennung von euch verbunden ist. Ich will
wenigstens keinen Tag verlieren von denen die mir das Schicksal
vergönnt in eurer Mitte zu erleben.
Samstag den 5.October ging ich nach Cannstadt. Der Papa und Carl
Mayer begleiteten mich bis Reutlingen, wo sie für den demokratischen
Candidaten des Landtags zu egitieren suchten. In Cannstadt
verbrachte ich ein paar recht frohe Tage bei Hopfs, war einmal in
Stuttgart, wo ich von den politischen Freunden vernahm, daß sie
euren Vater bei der Neuwahl als Abgeordneten für Reutlingen empfehlen
wollen, was mich unendlich freute, obgleich ich recht wohl
wußte, daß er niemalen eine Wahl annehmen würde. Am Mittag kehrte
ich mit Isolde zurück, auch Edgar war an diesem Tag mit Mohl zurückgekommen.
Am Donnerstag begann die Schule wieder. Isolde übersetzt
an dem schon im Frühjahr begonnenen und dann unterbrochenen Roman
von Erkmann-Chatrian: "Le blocus" für den "Beobachter". Von Frau
von Rieger in Cannstadt hat sie ein Eisenbahn-Elisabethlos von
350 fl erhalten, d.h. die Versicherung, sie werde es nach ihrem
Tode ausgehändigt erhalten, vor der Hand aber die Zinsen, 16 fl
jährlich. Für Edgar will Frau von Rieger jährlich eine kleine Summe
zurücklegen bis er studiert.
Endlich ist in Zürich die Cholera im Abnehmen und das kalte Wetter
hat ihrem Weitergreifen in Württemberg entgegengewirkt. Wir haben
kalte Wintertage in denen sogar theilweise Schnee fiel, bis vor
einigen Tagen gehabt, jetzt ist es sommerlich milde, aber regnerisch.
Erwins Privatstunden machten über 6 fl aus, doch meint
Fausel sie hätten genutzt, und mit dem Lernen und dem Fleiß geht es
recht ordentlich. Es ist alles wohl, doch stürzte Alfred gestern
beim Turnen, was ihm heute noch empfindliche Schmerzen machte.
Auch leidet er ein wenig am Magen.- Gestern am 15ten October war
Marie Finkh hier und euer Papa wurde mit einer langen Arbeit die
als Buch gedruckt werden soll, (Shakespeare - Studien) fertig.
Adolf Schuster will die Johnische Apotheke kaufen, ich zweifle ob
es dazu kommt.(23b) Gegen das Ende des Monats bekam ich eine Kieferentzündung,
ich mußte vier Tage mit heftigen Schmerzen im Bett
bleiben. Am Dienstag verloren wir auch unser Täubchen, das durchs
offene Fenster davonflog und wahrscheinlich einer Katze zum Opfer
fiel, da es den Rückweg, wie wir gehofft, nicht fand. - Heyse
schickte sein neuestes Novellenbuch, das eine Widmung an euren Papa
enthielt und mir eine große Freude machte, trotz meiner Schmerzen.
[33] Freitag 25ten kam uns die Nachricht von Cannstadt, daß Marie Hopf
mit Dr. Schiler (25) versprochen. Samstag abend kam sie selbst
und Montag ihr Bräutigam. Dienstag den 29ten und Mittwoch wurde in
der Kammer das verrätherische, verabscheungswürdige Schutzund
Trutzbündnis, trotz aller Bemühungen der Volksparthei abgeschlossen.
So hat einmal wieder die Erbärmlichkeit und Niederträchtigkeit
der gesinnungslosen Masse gesiegt. Nicht Preußen, nicht
einmal die inländischen Preußenfreunde haben vermocht, was die
erbärmlichste Angst der Geldmenschen in die Winkel und Querzüge der
perfiden Regierung gethan.

Die Nachricht hat mich so darniedergeschmettert,
daß ich förmlich krank bin und eine so tiefe Schwermuth hat mich
ergriffen, daß ich mich zu keinem freudigen Gefühl mehr aufraffen
kann. So ist Württemberg faktisch jetzt nur noch eine preußische
Provinz. Ich mag die schönen Berge und Thäler meiner theuren Heimat
nicht mehr anschauen, weil der Schmerz noch viel heftiger mich
ergreift, wenn ich das Land so im Sonnenschein daliegen sehe und
mir sagen muß, auch aus diesen schönen Gauen ist der letzte Rest
von Freiheit entflohen. Wir sind nur noch preußische Heleten. Und
doch, so groß dieses Weh ist - ich könnte Herr drüber werden, wenn
ihr nicht wäret, mein geliebten Söhne! Bietet nicht die ganze
Weltgeschichte solche Scheußlichkeiten dar, ist ein Blatt nie
rein von Rechtsverletzung, Brudermord, zuckt nicht überall die
Menschheit in namenlosem Weh, sind nicht überall die Völker Schafe,
die von ihren Hirten geschoren und zur Schlachtbank geführt werden,
nur hin und wieder kurze Lichtblicke. Ja, es ist alles schon
dagewesen, so arg und noch ärger, aber auch die Freiheit kehrt
immer wieder zurück und keiner der Gewaltigen hat sie noch ganz
morden können. Dieser Gedanke könnte auch mich trösten, aber
fürchterlich greift der Gang der Entwicklung in das Heiligthum
meines inneren Lebens, und macht meine Söhne zu Gladiatoren der
neuen Kriegsarena. Euch soll ich hergeben, wenns dem Raube
Deutschlands gefällt, seine Raubsaat weiter auszubreiten. Euch soll
ich die besten Jahre unter die Pickelhaube verbleiben sehen. Nein,
das kann das darf nicht sein. Müßt ichs glauben, daß kein Ausweg
wäre, so würde ich wahnsinnig. Leben weiß ich, dem verzagten
mutlosen Herzen Muth erringen um euch vor diesem Schicksal zu
retten! Und sollte der Mutterliebe, einer solchen Mutterliebe wie
ich sie empfinde etwas unmöglich sein? Wie ichs mache, ich weiß
es nicht, daß ichs aber möglich machen muß, das weiß ich und
jedes Mittel ist mir recht dazu.- Nur für diesen Gedanken noch
lebe ich, für die Welt und die Menschen bin ich todt und sie für
[34] mich. Nachts, wenn ihr in euren Betten liegt und schlaft, wandle
ich von einem zum andern, betrachte euch mit heißen Thränen der
Liebe und des Schmerzes, preise mich glücklich, daß ich euch noch
besitze, noch herzen und küssen kann. Ach und allein muß ich alle
Kraft haben, kann zu keinem Gott um Hilfe rufen, denn ich glaube an
keinen, der dem elenden Menschengeschlecht beisteht und sich um
dasselbe bekümmert. Ist unser Stern unter den Billionen und Abertrillionen
von Sonnen nicht gerade der schlechteste, verabscheuungswürdigste,
und wo läßt sich das Walten einer Gottheit herausfinden?
Im abscheulichen Chaos der Menschenthaten, im ewigen Vernichtungskampf
der Natur, die das Individium so wenig spürt, wie der König =
Räuber, der jeden Deutschen in seine Uniform steckt. Nirgendsnirgends,
oder höchstens im Ideal, das der bessere Mensch ahnend in
sich trägt, zu dem er aber nirgends eine Verwirklichung findet.
4.Dec.1867 Die täglichen Mühen und Sorgen ließen mich viele Tage
nicht mehr zum Schreiben kommen. Nähen, Flicken, Stricken geht bis
in die tiefste Nacht fort. Während so das Leben gleichmäßig in engen
Kreisen abrollt, hat ein blutiges Trauerspiel in den schönen
Auen Italiens stattgefunden. Garibaldi und seine Heldenschaaren
sind von französischer Übermacht erdrückt worden. Hingemäht liegen
sie da, die jungen Helden, Kinder an Jahren, kommen mit der heißesten
Begeisterung für den edlen Heros ihres Landes durchdrungen,
jetzt blutig und entstellt durch die tückischen Anschlagsgewehre
und über ihren Leichen wüthet die scheußlichste Reaktion. In Frankreich
äußerste Knechtung der Freiheit, aber der Funken der Revolution
glüht im Verborgenen. Auch Englands Regierung hat schon Hände
mit Blut besudelt und einen Act schändlichsten Partheihasses an
dem unglücklichen Fauère verübt! Sie starben den Märtyrertod für
ihr unglückliches .... den Tod am Galgen den 23.November. Ich
habe inzwischen einen jungen französischen Republikaner kennengelernt
Vaillant, der voller Hoffnung auf die baldige Erlösung
seines Volkes ist, der die Tage Napoleons für gezählt hält. Auch
in Frankreich hat die föderativ-republikanische Form in den Gemüthern
Wurzeln gefaßt. -
Mit dem Lernen geht es inzwischen bei Alfred und Erwin entschieden
besser. Alfred ist der Dritte in seiner Klasse und Erwin der Zweite.
Nur Balde will nicht vorran machen. Der Freundschaftsbund zwischen
Ernst Mohl und Edgar wird immer inniger, sie sind unzertrennlich.
Auch mir ist der gute junge Mensch ans Herz gewachsen. Er kommt
fast täglich.- Eures Vaters Geburtstag am 30.November ging still
[35] vorrüber. Ihn zu feiern fehlten uns diesmal alle Mittel. Doch machte
ihm Edgar in Baldes Namen ein Ghasel das ihn freute. Am darauffolgenden
Sonntag waren wir mit Isolde bei Prof. Brinz. Wir leben
derzeit in der äußersten Noth, die Theurung ist auf einen ganz
abnormen Grad gestiegen, es findet sich kein Verleger für eures
Vaters langjährige Arbeit; Noth und Sorge nagt an mir.
24.December 1967 Der Weihnachtsbaum funkelt und glitzert heute
Abend in dem engen Stübchen und die Kinder waren fröhlich unter
ihren Gaben. In mir selber aber bleibts freudlos und dunkel. Von
Reutlingen von Gaylers kam ein großer Pack mit den schönsten,
kostbarsten Gegegenständen und erhöhte der Kinder Freude. - Warum
bin ich so traurig? Ists weil euer Vater das Fest nie mithält und
mich seine düstere Stimmung und seine Gesundheit ängstigt, oder ist
mein Herz zu alt geworden um noch einmal innige Freude zu erfassen?
Und doch ist mir ein großer Trost wiederfahren. Frau von Rieger hat
Edgar 300 fl geschenkt und will jedem von euch, wenn sie am Leben
bleibt, in den folgenden Jahren Ähnliches schenken. Damit ist mir
ein Mittel gegeben euch vielleicht vor dem Ärgsten zu bewahren.
Inzwischen ist C. Mayer zu fünf Monate Gefängnis und 150 fl verurtheilt
worden. Das liegt mir auch wie eine Zentnerlast auf.
Mit Erwins Lernen ist wieder ein großer Rückschritt geschehen, er
brachte auch ein schlechtes Zeugnis mit nach Hause, und bei Balde
wills gar nicht gehen. Mohl kommt täglich, ich zündete ihm den Tag
nach Isoldes Geburtstag ein Bäumchen an und schenkte ihm "Tristan
und Isolde".
1.Januar 1868
Mit kriegerischen Aussichten hat das neue Jahr begonnen und sorgenschwer
haben wirs angetreten. Die Kinder blieben auf nur Alfred
wälzte sich in heftigem Zahnweh die ganze Nacht schlaflos im Bett.
Am 1.Januar kam Hopf auf seiner Rückreise von Maries Hochzeit. Die
Kälte ist sehr groß, so groß, daß man in den letzten Tagen nicht
einmal Schlittschuhlaufen kann. Der Papa hat heftiges Leibweh. Die
Theurung ist immer im Steigen, nicht nur die armen Vögelein hungern
in der kargen Natur, auch tausende von Menschen können ihren
Hunger nicht mehr stillen und grausame Thaten reifen langsam ihrer
Vollendung entgegen. Wer kann sagen wen sie mitverschlingen?
16ter Januar. Inzwischen hat die Hungersnoth Tausende in Ostpreußen
dahingerafft, die pr. Regierung rührt sich kaum und nur
langsam fließen die Gaben von den übrigen Theilen Deutschlands.
Die Kälte ist jetzt gebrochen, doch kann man immer noch Schlitt>s36
[36] schuh laufen. Alfred war eine ganze Woche am Halsübel krank, der
Papa hat im ganzen Körper rheumatische Schmerzen, er hinkt einher,
auch Balde war und ist krank. Deinen heutigen Geburtstag, mein
lieber Edgar feierten wir in Vereintheit deines Herzensfreunds
Mohl, der dich mit Lenaus "Albingenser" (28) und einem schönen
Gedicht beschenkte. Eine große Freude ward mir zu dieser Geburtstagsfeier
zu Theil. Fr. Rieger schickte ein paar Tage zuvor den
Schein für 500 fl die sie für dich in der Rentenbank von Stuttgart
eingelegt. Ein unendlicher Trost ist mir dadurch geworden und auch
für die andern Knaben steht mir dieser Trost in Aussicht.
Gestern hat Isolde ihre Tanzstunden bei Herrn Beck begonnen, auch
sie ist seit längerer Zeit immer unwohl. Dienstag den 14ten Jan.
hörten wir, Edgar, Isolde und ich, einen herrlichen Vortrag von
Prof. Ekkart über Heine und Bören. Die vorige Woche waren Lili Sch.
und Emma Wilhelmi hier aber nur ein paar Tage. - 4.Februar. Balde
war wieder 8 Tage lang krank, Fieber und geschwollene Mandeln.
Isolde hat seit drei Wochen Tanzstunde und es handelt sich jetzt um
den ersten Ball. Es wird mir so schwer ihr eine Freude zu versagen
und doch ist die Sorge so groß sie könnte sich verderben.
14.Februar. Acht Tage des schmerzlichsten Krankenlagers sind
hinter mir. Ich hatte mich in Reutlingen erkältet und kam mit
Zahnschmerzen heim, die in einer Geschwulst und einem Geschwür
endigten. Inzwischen hat uns das Schicksal ein herziges Wesen
zugeführt: "Die Nixe von Griesbach" Marie Schmiedlein, die sich
Edgar zum Bräutigam erkor und ihm einen goldenen Ring ansteckte.
Sie kam alle Tage und sowohl Schwiegerpapa und Mama, wie die
Schwägerin Isolde und die kleinen Schwäger sind alle entzückt von
ihr. - Alfred ist in der vergangenen Woche der Erste geworden,
bliebs freilich nur 8 Tage, doch hatte ich das nie zu hoffen
gewagt, bei Erwin gehts nicht zum Besten, auch nicht bei Balde,
doch ist Letzterer recht lieb. Mohl wird uns nun vis-a-vis ziehen.Der
Hungertyphus greift immer noch um sich, auch Rußland, Italien
und Südamerika sind heimgesucht, nirgens geschieht so wenig dafür
wie in Preußen. Die Zahl der Verbrechen mehrt sich täglich, auch
bei uns, weil die Noth um sich greift. Den ganzen Februar hindurch
war abwechslungsweise eines von uns krank. Am längsten hat Alfred
mit seiner Diarrhoe zu thun, die schon seit mehreren Wochen anhält.
Isolde hat alle paar Tage Tanzstunde und war am 5ten März auf ihrem
ersten Ball mit Sartorius. Sie kam erst um 1/2 4 Uhr nach
[37] Hause und war glückselig. Auf diesen Tag der Freude folgte aber für
mich ein widerwärtiger Tag. Längst schon thaten Mohls Eltern alles
Mögliche ihren Sohn von uns weg zu bringen und nun ist die Bombe
vollends geplatzt. Er darf nicht nur nicht das Zimmer uns gegenüber
nehmen, er soll jetzt gar nicht mehr nach Tübingen zurück, sondern
nach seinem Maturitätsexamen auf eine andere Universität, wenn der
Rektor nicht noch hilft so droht dem Freundschaftsbund der beiden
Jünglinge eine schmerzliche Trennung. Was pietistische Borniertheit
ist hatte ich wieder zu sehen, eine nur zu gute Gelegenheit. Möge
der Teufel alle Pfaffen und ihre Anhänger haben! Die Geschichte
macht mich wahrhaft unglücklich. Ernst ist mir lieb geworden wie
ein eigener Sohn, am meisten aber freute ich mich darüber, daß
diese Freundschaft Edgar so vollkommen ausfüllte, daß er das Kneipenleben
entbehren kann. Balde fängt seit neuester Zeit an fleißig
zu werden. Erwin ist immer der Faulste, das Studentenwesen zerstreut
ihn gar zu sehr. - Ich habe kürzlich einen höchst interessanten
Artikel in der Vierteljahrsschrift (26) gelesen: "Die
Fortschritte in unserem cosmischen Wissen" von Reuschle, demnach
kann man mit Hülfe der Chemie die entferntesten Sterne und Nebelflecke
untersuchen und analysieren. Die Aerolithen (27) und Meteore
sind extrasoläre Körper und enthalten doch diesselben Stoffe, wie
sie die Erde hervorbringt, ein Beweis also, daß die Stoffe des
ganzen Universums nicht so mannigfaltig sind, als es sich die
Fantasie vorgestellt und daß im Grund wieder eine ungeheure
Einfachheit im Haushalt der Natur obwaltet.
Edgar hat sich in Bebenhausen, wo er Ernst abgeholt erkältet, bekam
eine Kehlkopfentzündung und mußte mehrere Tage zu Hause bleiben.
Isolde und ich waren in einer Vorlesung von Prof. Hebbe über die
Spectralanalyse. - Bedeutende Wahlagitation zum Zollparlamente. Die
Volksparthei, wählt nun doch, trotz der Abmahnung von Mayer, Haußmann.
Prof. Brinz hat in Reutlingen und Rottenburg für den
Candidaten der Volksparthei Ammermüller unter stürmischem Enthusiasmus
gesprochen.
Am 22. März feierten wir des alten Mayers 82. Geburtstag. C.Mayer,
der vom Asperg kam, war anwesend. Es war ein herrlicher Sonntag,
fast heiß und wolkenloser Himmel. Morgens besuchte uns Moriz
Hartmann und seine Frau, Ernst aß bei uns, nach Tisch las ich aus
der Reimchronik des Pfaffen Mauritius vor, dann gingen Isolde und
ich zu Mayers, wo sie Onkel Fritz als Feuilletoncollegin begrüßte.
Edgar machte ein Gedicht an C. Mayer junior. Am 28ten morgens
[38] reiste Emmermann ab, er kehrt halb kuriert in die Schweiz zurück.
Heute wurde Isolde krank, sie hat die Grippe, Nachmittags kamen
Hopf und Gertrud. Der Papa leidet den ganzen Winter an Rheumatismus.
Heute ist die Witterung wieder ziemlich kalt.
Sonntag den 29ten März 1868 war Mohl bei uns und übernachtete
auch bei uns. Montag mit dem 6 Uhr Zug fuhr er zu seinem Examen ab.
Samstag den 28ten begann der Druck im "Beobachter" von Isoldes
Übersetzung. Montag und Dienstag lag Balde im Bett. Dieser Monat
ist bedeutungsvoll für das Schwabenland, denn es fiel in ihm wieder
der erste politische Sonnenblick. Sämtlische Wahlen des Landes sind
antipreußisch ausgefallen, überall herrscht die freudigste Aufregung
und die Preußenparthei platzt fast vor Aerger und Wuth- alle
unterlegen, keiner wird mit Bismarck "unter den Linden" dahinwandeln,
ihre Rolle ist für jetzt ausgespielt- doch es sind Maulwürfe
die Mimiren nicht lassen werden.
Aber es ist doch ein frohes Intermezzo, ein Jubelruf.
Am 25ten starb Frau von Rantzau die Jugendfreundin meiner Mutter,
die auch mir stets eine treue theilnehmende Freundin war.Am
29ten schickte mir Frau von Rieger den Schuldschein für weitere
500 fl die sie für Alfred in Stuttgart angelegt. Welch ein Trost in
die Sorgen des Tages hinein! Wüßtet Ihr wie sauer es mir wird den
täglichen Lebensentwurf herzustellen, wie mich die Geldnoth drückt
und ich nie ohne Schulden durchkomme, Ihr würdet genügsamer sein, doch
nur Schulden bei Fina.
In diesem Monat kamen auch die spanischen Übersetzungen von
Cervantes von Eurem Papa heraus. Am 6ten April ward Heyse ein
Töchterlein geboren.
Mohl hat das Maturiätsexamen glücklich bestanden. Er wohnte acht Tage
bei uns. Edgar und er holten mich am Mittwoch in Reutlingen ab, wo ich
zwei Tage war. Am Charfreitag ging er heim, nachdem wir vorher keine
geringe Angst wegen eines von Edgar an ihn nach Stuttgart geschriebenen
Briefes ausgestanden. Am Gründonnerstag kam Frau Becher mit Emmi,
Becher war den Sonntag zuvor dagewesen.
Heute den 13ten April feierten wir Erwins 11. Geburtstag. Es war
wieder ganz dasselbe Wetter wie vor 11 Jahren, auch fiel sein Geburtstag
wieder wie bei seiner Geburt auf einen Ostermontag. Frau Genschowsky
ließ Euch allen den Hasen einlegen, und so fehlte er wenigstens
nicht am guten Bissen. Am Mittag war das erste Gewitter mit Hagel.
Der Papa mit Alfred befanden sich zu Fuß im nächtlichen Wald als es
losging. Der Hagel hat die Luft so abgekühlt, daß wir seit diesem
[39] Tag kaltes Winterwetter haben.
Am 14. und 15. April war Marie Finkh hier. Sonntag den 20ten wurde
Balde krank, Erbrechen, Bauchweh und Fieber, wir füchteten wieder
eine Unterleibsentzündung. Dr. Gärtner blieb eine ganze Stunde in
der Nacht da, wickelte und klystierte ihn. Montag früh war es besser
aber abends verschlimmerte es sich wieder und wir hatten abermals
eine schlaflose Nacht. Auch Josephine ist gegenwärtig immer leidend,
sie hat die Kopfgicht. Heute war Mohl zum ersten mal im Colleg,
gestern gab Isolde Edgar und Mohl eine englische Stunde.Abermals
ein Sieg über die Preußenparthei: Das Obertribunal hat die
Vorurtheilung C.Mayers zu 3 monatlicher Festungsstrafe kassiert und
die ganze Klage der preußischen Regierung abgewiesen und es bleiben
ihm nun nur noch die 6 Wochen für den Krach (?) v.Preußen.
Dienstag, 28.April war Edgar mit den neuen Studenten und seinem
Vereinsmitgliedern in Herrenberg, nachdem ich 8 Tage zuvor die
peinlichste Angst wegen dieser bevorstehenden Reise durchgemacht.
Er fuhr mit Felix Niemayer in einem eigenen Gefährt mit Kutsche
und somit war glücklicherweise meine Sorge unnöthig, und ich ließ
ihn auch dann ganz heiteren Muthes ziehen. Heiße Maitage. Isolde
hat bei Mohl den Tacitus zu übersetzen begonnen. Edgars Muse ist
sehr ergiebig, kein Tag vergeht ohne daß nicht mehrere Gedichte
entstehen, bei Isolde scheint die Hypokrene versiegt zu sein.
Josephine ist seit längerer Zeit sehr leidend. Sie hat die Kopfgicht
und wird täglich invalider. Mit tiefer Wehmuth sehe ich diese
treue Seele dahin siechen, die Euch alle auf den Armen getragen und
verpflegt, die Leid und Freud ein halbes, fast ein ganzes Menschenleben
mit mir getheilt. - 17ter Mai war ein sonniger Sonntag.
Um 6 Uhr ging ich mit Edgar und Mohl spatzieren und erquickte mich
gemüthlich an dem schönen Maienmorgen. Als wir heim kamen verkündete
ein Brief Heyses, daß des Gelehrten sein Töchterchen, das seit
Wochen tödlich erkrankt war genesend sei. Die frohe Kunde wirkte
belebend auf den ganzen Tag.- Montag, 18ten Mai war Balde sehr
glücklich über seinen Geburtstag. Nachmittags war Marie Finkh da
und wir gingen zusammen in einen Biergarten. Es ist heißes Wetter,
viel Gewitter, die Sterblichkeit ungewöhnlich groß, vier Schlaganfälle
folgten sehr schnell aufeinander.
23ten Juni. Peinvolle Wochen sind inzwischen vorüber gegangen, in
denen ich keinen Augenblick fand das Erlebte niederzuschreiben.
Josephine hatte sich beim Putzen die Hand verletzt, es kam ein
Rothlauf dazu und die Hand geschwoll, und eiterte unter namenlosen
[40] Schmerzen. Dr.Gärtner besuchte sie drei mal des Tages. Um die
Kosten zu ersparen nahm ich niemand zur Aushilfe, sondern versuchte
als Aschenbrödel Geschäfte des Hauses. Wohl 20 bis 30 mal stieg ich
des Tags die Treppe in ihre Kammer hinauf um ihr einen neuen Umschlag
aufzulegen. Endlich mußte geschnitten werden. Der arme
Schelm stand Schreckliches aus, den Tag darauf war ein zweiter
Schnitt nöthig und einige Tage war der Zustand so bedenklich, das
Wundfieber so stark, daß ich alle Hoffnung auf Wiedergenesung aufgab.
Der Gedanke die brave treue Person zu verlieren schmerzte mich
tief; doch trat Besserung ein und jetzt nach vier Wochen ist sie
wieder auf. Während ich gerade in der gößten Sorge um sie war,
brach die Hundswuth (Tollwut) hier aus, ein Mann und ein Kind wurden
gebissen. Zwei Tage brachte mich die Angst um meine Kinder fast
um, bis die Hunde endlich alle mit Maulkörben versehen wurden. Bis
jetzt ist an beiden Menschen die Wuth noch nicht ausgebrochen-. In
dieser Zeit kam auch Frau Vaillant hier zu Besuche bei ihrem Sohn
an. Sie kam täglich zu uns ins Haus trotz des Durcheinanders. Wir
bekamen uns genenseitig recht lieb, denn sie hat eine ebenso tiefe
leidenschaftliche Liebe für ihren Sohn wie ich für Euch und solche
Sympathien verbindet auch die Herzen. An Isolde fand sie einen
großen Gefallen und wollte sie mit nach Paris nehmen. Was mich ihr
hauptsächlich so nahe brachte ist das Versprechen das sie mir gab
meine Söhne zu sich zu nehmen und vor der Pickelhaube zu retten.
So wie der Ertrinkende sich an ein Strohhälmchen klammert, so bin
auch ich glücklich mich an etwas festklammern zu können.
Am Donnerstag war ich mit Isolde und Alfred in Niedernau. Die Mädchen
waren unendlich vergnügt und wurden von den Tänzern fast zerrissen.
Mit sieben Kränzen und fünf Bouquets beladen kehrte Isolde
zurück. Am Sonntag darauf waren wir mit Frau Vaillant und ihrem Sohn
in Ehningen.(30) Ich lernte bei dieser Gelegenheit einen recht
netten und gescheiten jungen Mann, einen Mediziner namens
Mühlberger kennen. Freitag den 19ten waren wir mit Prof. Vischer
und seinem Sohn in Schwärzloch und kehrten erst um 11 1/2 Uhr
zurück.- Samstag den 20.Juni starb Fr. Rödinger, ein alter
Partheigenosse der auf unserer Hochzeit war. Aus diesem kleinen
Kreise hat nun schon drei der Tod abgerufen, L. Seeger, Fr. Matté
und Rödinger. Zu gleicher Zeit starb auch Dulks Hans, ein herziger
Kerle. Wie schmerzt mich immer ein solcher Todesfall, der mir
zugleich ein schreckliches "memento mori" für meine eigenen Kinder
ist. Werdet ihr mir alle erhalten bleiben, oder wird mirs nicht
[41] erspart bleiben das Schrecklichste zu erleben? O der bloße Gedanke
daran ist Wahnsinn! Wir haben heiße Sommertage und heute am
Johannisfeiertag regnet es. Isolde ist mit Prof.Brinz zum Ball nach
Niedernau.
Sonntag, 28.Juni waren wir mit Mohl in Bebenhausen. Abends hielt
S. Schott eine Wählerversammlung. Das Wetter ist etwas kühler, absoluter
Mangel an Regen. Die Nahrungsmittel schlagen fortwährend auf,
schon ist die Theurung so groß, daß wir keinen Tag mehr ganz satt
werden und die Ernte droht gänzlich zu mißrathen. Heute Mittwoch
den 1.Juli ist Deile (seitl. Bemerkung von Isolde: Er war ein
Stiefsohn von Deile und hieß Wilhelm Schmid), einer der von dem
tollen Hund Gebissener unter furchtbarer Marter, die vier Tage
anhielten gestorben. Doch müssen die armen Eltern beständig in der
Todesangst leben. Ach und auch ich schwebe in beständiger Angst,
denn es sollen noch viele unbekannte Hunde gebissen worden sein.
Am letzten Sonntag machte Edgars Classe eine Turnfahrt an den
Rheinfall und auf den Hohen Twiel, es war mir ein großer Schmerz
dem theuren Kinde die Freude zu versagen und doch konnt ich nicht,
denn mir fehlts am Allernöthigsten.
1.Juli Immer noch in der Todesangst wegen der tollen Hunde.
Sobald eines von euch über die Straße muß ängstige und quäle ich
mich ab, obs ungebissen wiederkehrt, die Hunde laufen ohne
Maulkörbe oder mit schlechten herum und doch ist das Schicksal des
armen Deile so gräßlich, daß die Polizei Vorsicht gebrauchen
könnte. Die Alteration über den tragischen Fall und die Angst hat
mich krank gemacht.- Gestern war Marie Finkh da. Abends kam Frau
Heinrich, die bis heute blieb. Endlich ist Regenwetter.
Donnerstag war Robert Vischer bei uns. Wir machten einen großen
Spatziergang mit ihm und Mohl. 8.Juni Schott hat einen glänzenden
Sieg über Weber davon getragen. Wir haben 300 Stimmen weiter,
trotzdem daß Universität und Gerichtshof für Weber stimmten. Auch
die übrigen Wahlen des Landes fielen sehr günstig für die Demokratie
aus, am Glänzensten sind Becher, C.Mayer und Hopf gewählt.
Letzterer sprach bloß die paar Worte: "Meine Freunde, ich habe kein
Programm, ich bin selbst mein Programm, glaubt ihr daß ein Anderer
euch besser vertreten kann als ich es in diesen 19 Jahren gethan so
wählet ihn."- Großer Jubel in der Stadt.
Sonntag war Isolde und ich mit dem Papa in der Müllerei, wo der
junge Vischer und Hauptmann Vogler mit uns warteten. Vischer geleitete
Isolde nach Haus, er kommt seither täglich 2 - 3 mal. Edgar
[42] ist gegenwärtig sehr schlechter Laune und auch immer unwohl. Er
klagt über Schmerzen auf der Brust, Müdigkeit, ist niedergeschlagen,
hat keine Freude am Studium mehr und macht mir oft große Sorge.
Am 16ten Juli war ich mit Isolde in Niedernau. Sie hatte zum ersten
mal ihr schönes blaues Wollkleid an und tanzte den Cotillon mit dem
schönsten Studenten Tübingens, mit dem schönen Kapf. Sie war sehr
vergnügt, nur wurden wir im Heimweg von einem Wolkenbruch überrascht,
der uns so durch- und durch nässte, daß die Folgen der Erkältung
Schnupfen, Kopfweh und Zahnweh bei uns beiden nicht ausbleiben
konnten. Isolde hat auch Schmerzen an der Hand. Es wäre uns
noch übler ergangen, wenn uns nicht der Franke Moll mit Schirmen
versehen und durch die Wassernoth geleitet hätte.- Edgar war heute
den 18ten nicht in der Schule. - Eine wahrhaft tropische Hitze
liegt brütend über der Erde und doch müssen wir drei Isolde, Balde
und ich aufs Baden verzichten. Isolde in Folge einer Entzündung des
Gelenkes an der Hand und ich wegen rasender Gesichtsschmerzen.
Vierzehn Tage sind inzwischen verstrichen und die Schmerzen wollen
nicht weichen.
Montag den 20ten brannte es in der Neuen Straße, doch war bald
gelöscht. Wieder zwei neue Fälle von Hundswuth haben sich ereignet.
Der erste war Deiles Bruder, den Dr.Beck nach wenigen Tagen mit
einem neuen Wickel curierte. Der zweite heftigere Fall ist ein
junger Mann Lösch und auch dieser wurde nach längerer Behandlung
durch dasselbe Mittel von Dr.Beck geheilt. Es ist eine Mischung
von Schwefel und Brechwurz. So wäre endlich ein Mittel gegen diese
schreckliche Krankheit entdeckt. Ich bin seitdem viel ruhiger geworden,
obgleich ich noch immer keines der Kinder ohne Sorge das
Haus verlassen seh. Seit einigen Tagen ist Isolde leidend, hat Kopfweh,
sieht bleich aus und ist müde. Alfred leidet an Schwindel und
hat Fieber, Folgen einer Erkältung beim Baden und der Papa hat
wieder eine Augenentzüdung. Josephine ist wieder so ziemlich
hergestellt, dagegen schwinden meine Kräfte täglich mehr. Die
Geldnoth, die heißen Nahrungssorgen und die Angst um euch meine
Kinder, die mich keine Stunde verläßt, zehren noch mehr an mir als
die Schmerzen. Wäre ich doch nicht eine unselige Kassandra, die nur
Unheil vorraus sieht während andere Menschen wenigstens so weit
glücklich sein können, nicht immer an das drohende Verhängnis zu
denken. Ich bin leider nicht zur Epikureerin geboren, ich kann den
Augenblick nie verlassen, bin seiner nie bewußt als im Schmerze.
Am 1.August 1868 wurde die Stadt bekränzt und schwarzrothgolden
[43] befahnt. Die Turner rückten abends ein und Montag den 3ten war das
große Landesturnen. Die Buben kamen todtmüde abends heim und mußten
in dieser Verfassung noch bis 12 Uhr arbeiten. Es war prächtiges
Wetter und die italienische Nacht nahm sich in der dunklen Allee
herrlich aus. Am letzten Juli waren die ersten Trauben auf dem xxx
Markt. Alfreds Geburtstag konnten wir wegen der Schule und dem
totalen Probeotag nicht recht feiern. Er bekam ein Mütze und von
Josephine einen Strohhut. Der 5te August wurde in Ballvorbereitung
zugebracht. Edgar erfreute mich an meinem Geburtstag sehr durch
einen poetischen Spaß und Mohl desgleichen. Alfred rührte mich,
indem er von zwei Sechsern die ihm Papa zum Geburtstag gegeben xx
einen für ein Stück Kuchen für mich ausgab. Auch Isolde hat mir
etwas gedichtet, doch wurde es nicht fertig und ich sah dieser
Arbeit mit Sehnsucht entgegen, umso mehr, da es nach langen Monaten
wieder der erste Versuch war. Um 1 Uhr fuhren wir nach
Niedernau und Isolde eröffnete den Tanz mit Kapf. Sie war vergnügt
und somit war ich es auch. Damit ist für diesen Sommer das Niedernauvergnügen
beschlossen. Mohl holte uns abends ab und Isolde
legte sich diesmal sehr erschöpft zu Bett. Am 7ten August kam
abends Schartenmayer. Wir gingen mit ihm ins Café hinab und tranken
Bordeau. Er tändelte und spielte mit Isoldes langen Haaren, lud sie
nach München ein und auf nächsten Montag in seine Junggesellenwirthschaft,
um 1/2 12 gingen wir auseinander. Den andern Morgen wachte
sie mit Kopfweh auf, das sich bis Mittag sehr steigerte, plötzlich
brach ein heftiges Fieber aus und Schmerzen im Leib und Magen. Sie
hatte eine schlechte Nacht, doch ist heute das Fieber vorrüber,
aber Hals und Bauchweh noch vorhanden. Ich stand die Nacht über
große Sorge aus.- Endlich ist die Hundesperre über das ganze Land
ausgedehnt. Donnerstag 13ten August kam Anna Dulk und blieb
mehrere Tage. Abends, 7 Uhr holte ich Marie Schäuffelen an der Bahn
ab. Auch Lili kam mit die bei Sertors logiert. Um die beiden Gäste
unterzubringen mußte ich Edgar bei Mohl einquartieren. Am Freitag
nachmittag kam Roller und die beiden Dulks zum Caffée. Abends
gingen wir alle mit dem Papa nach Schwärzloch. Edgar war sehr
glücklich im Heimweg die schöne Lili führen zu dürfen. Wir trafen
Frau Heinrich beim Heimkommen. Samstag morgen reiste Marie Sch ab.
Nachnittags begleiteten wir Anna mit einem Gefolge von sieben Studenten
an den Bahnhof. Sonntag, 9ten immer heißes und trockenes
Wetter. Balde und ich badeten, Isolde ist abgehalten. Diese ging
abends mit Prof.Brinz ins Sommertheater.
[44] Freitag, 14ten August 1868 ist auch ein trefflicher Freund Vaillant
von Tübingen abgereist. er geht nach Paris und wird den Winter mit
Stehberger in Wien zubringen.
Dienstag, 18.8. bekam der nach Wien abberufene Prof.Schäffle einen
Fackelzug. Edgar und ich sahen bei Prof. Henkel zu. Erwin ist heute, xx
Sonntag den 16ten mit H. Zeyer nach Reutlingen.
Montag. Erwin verdirbt sich in Reutlingen und war diesen Morgen unwohl,
er mußte von der Schule wegbleiben. Isolde und ich waren heute
morgen bei Prof.Vischer. Er zeigte uns eine Steinwaffe aus den
Schweizer Pfahlbauten und sagte uns, daß er einmal in Begriff gewesen
sei eine Pfahlbauten Novelle zu schreiben. Sie war ungefähr
folgendermaßen angelegt: Auf ein Pfahlbauendorf kommt ein Jüngling
von einer benachbarten Pfahlbautens., die bereits in seiner Cultur
weiter vorangeschritten ist, denn die ersten bedienen sich noch der
Waffen von Stein, letzterer zeigte sich schon im Waffenschmuck von
Erz. Er wird besonders von den Frauen und Mädchen des Dorfes bewundert.
Es entspinnt sich eine Liebschaft mit einer der Pfahlbauschönen.
Der Jüngling im Erzschmuck verspottet die Cultur und
die Druiden des Dorfes und erklärt ihnen die Hinterlistigkeit ihres
Dogmas, ein Pfahlbauten - Strauß. Die Druiden lehren nämlich, daß
um sich von den irdischen Schlacken zu reinigen, um die Erbsünde
abzubüßen, sich die Menschen von dem gesunden festen Erdenboden auf
das Wasser zurückgezogen, wo ein ewiger Husten und Schnupfen sie
peinigt. Der frühere Anbeter der Schönen denunziert aus Eifersucht
die Ketzerei des Fremdlings durch Erblinden. Diese lassen den
Frevler greifen und einsperren und beschließen ihn beim nächsten
Opferfest am Ufer in majora Dei gloria zu verspeisen. Der Anbeter,
durch die Thränen seiner Ungetreuen bewogen, begibt sich als guter
Schwimmer unter das Gefängnis, durchsägt den Boden und rettet den
Eingekerkerten. Als den andern Tag die Druiden kommen, um das Opfer
abzuhalten, stürzen sie alle in den See.... des Schwimmens als
bevorzugter Stand unkundig, ersaufen sie alle. Seit jener Zeit aber
entstand der Name Erzketzer - Erzbösewicht.
20.August 1868
Edgar arbeitet Tag und Nacht fürs Examen Geschichte, auch Erwin hat
ungefähr viel auf. Leider gehts aber nicht recht voran, und auch
bei Alfred könnts besser sein.- Endlich haben wir etwas Regen.
Die Störche sind seit dem 1.August fortgeflogen.
Sonntag, den 22.August begleiteten Edgar, Alfred und ich Mohl bis
Bebenhausen. Wir waren vergnügt. Im Heimweg verirrten wir uns,
[45] waren aber doch um 4 Uhr wieder zurück. Ich ging dann mit Isolde
zu Carl Mayer, der im Müllerschen Garten war. Abends kam noch Vischer
um Abschied zu nehmen. Nachmittags war sein Sohn bei Isolde.
Am Montag kam Louise Kurz von Reutlingen herüber. Isolde und ich
waren mit ihr bei Dr. Euting (Anm.Mo.: Bibliothekar) im Stift und
tranken einen morgenländischen Kaffee. Abends kneipten wir mit ihr
in der Allee bei Späth. Dienstag fings Examen an. Edgar mußte von
7 Uhr bis 12 und von 2 bis 5 Uhr zwei Tage lang ausharren. Er sah
wie der Tod aus. Dienstag nachmittag ging ich mit Balde, Edgar und
Alfred nach Derendingen und in den Kressbacher Wald; es war ein
schöner und erfrischender Spatziergang. Freitag nachmittag fühlte
sich Edgar unwohl und blieb von der Schule weg. Nachmittags kam ein
alte Bekannte und Freundin meiner Mutter, eine Frau Balg aus Ulm,
die großen Jubel über meine Kinder hatte. Samstag vormittag war ich
mit Isolde beim Photograph. Sie war sehr schwer zu photographieren,
da sie keine Minute ruhig hielt, noch wissen wir nicht, wie die
Sache gelungen? Abends kam der "Maximilian" von Fischer. Edgar
ist außer sich, daß Mohl nicht schreibt, er weint und jammert,
fürchtet eine gefährliche Krankheit und bildet sich die tollsten
Dinge ein. Er will morgen fort nach Hildrizhausen, um ihn aufzusuchen.
Er jammert mich, aber ich jammere auch selber, daß ich ihn
in diesem aufgeregten trostlosen Zustand sehen muß. Ach, armes Kind,
wie manche Täuschung wirst du noch erleben müßen bis dein Herz
ruhig und gelassen schlagen wird!
Alfred war heute, den 29ten mit Herrn Held, zur Feier des glücklich
überstandenen Examens spatzieren. Gestern war Emi Mayers Geburtstag.
Ich schickte ihr Hey. Ditrichs "Brautfahrt." Diesen Monat starb
auch eine Jugendfreundin von mir, Charlotte Pfaff an Krebs, sie lit
heldenmüthig, ihr Tod und Leiden schmerzte mich tief. - Seit einiger
Zeit bin ich weniger schwermüthig und kann mich der Gegenwart, die
mir das stete Zusammensein mit meinen theuren Kindern gewährt, mehr
erfreuen. Dazu trägt wohl auch der Umstand bei, daß die politischen
Umstände etwas besser scheinen. So wie´s jetzt aussieht wird Preußen
seine habgierige Hand nicht über die Mainlinie strecken, das
Verhältnis zu Österreich wird annähernder und man kann wenigstens
wieder hoffen.
Sonntag, 30.August 1868
Wieder kein Brief von Mohl. Edgars Jammer bricht nun aufs Neue los.
Der Papa ging nachmittags mit Edgar, Isolde, Alfred und Frau Brinz
spatzieren. Indessen hatte ich Besuch von Walesrode. Kaum war dieser
[46] fort als mir die schreckliche Kunde ward, daß das Kind der Turnlehrers
Wüst beim Waldhörnle überfahren wurde und wenige Minuten
darauf starb. Welchen Jammer müßen die armen Eltern fühlen, welche
Verzweiflung, das Schreckliche verläßt mich nicht. Was ist doch das
Mitleid für ein peinliches Gefühl. Kann man je glücklich sein, wenn
man auch fremdes Unglück mit so viel Schmerzen tragen muß? Das macht
mich wieder auf lange traurig. (30)
Erwin und Josephine waren heute abend in "Kabale und Liebe" (31) xx
Montag 31.August gingen wir, Papa, Isolde und ich mit Walesrode
spatzieren. Es waren ein paar recht schöne Stunden, die wir mit dem
friedlichen Preußen zubrachten. Er wird wieder kommen. Dienstag
1.September lag ich mit einem schrecklichen Kopfschmerz zu Bett. Es
war ein trauriger Nachmittag. Wüsts Kind wurde begraben, und ich xx
versenkte mich so in den Schmerz der Eltern, daß mir fortwährend
das Weinen kam. - Der Papa war in Kirchentellinsfurt. Mittwoch
hatte Balde Examen. Nachmittags ging der Papa und ich mit ihm nach
Derendingen und ins Kneiple. Es war eine Gluthitze und wir kamen
sehr müde nach Hause. Heute, Donnerstag, 3.September hatte Erwin in
der Früh und Alfred nachmittags Examen. Erwin ging den Nachmittag
mit Zeiher nach Bebenhausen. Isolde badete und ging mit dem Papa
ins Kneiple. Ich räumte und reinigte die Kommode und Schubladen.
Gestern abend kamen Briefe von Mohl, ein herziger an Isolde. Heute
bekam ich einen von Bacmeister der mich sehr erfreute. Er will
Isolde seinen übersetzten Tacitus schicken und ihr Stoff zum
Übersetzen herschaffen. Josephine war heute mit Balde in den
Bergen. Edgar ist unwohl und niedergeschlagen. Für seinen gestrigen
Vereinstag hat er zwölf Lieder von Anakreva übersetzt. -
Heute ist meiner Mutter Todestag. 25 Jahre schläft sie nun den
ewigen Schlaf im fernen Grabe in Dätzingen. Kein Mensch pflegt die
Stätte, wo ihre Asche ruht...Meinem Herzen wird die Erinnerung
....Liebe nie erlöschen. Sie liebte...ich euch, sie that für
mich, was ich für... All ihr Denken, Fühlen, Sorgen galt.....
In 25 Jahren gedenket ihr meiner... eben so viel Wehmuth, wie ich
heute an sie denke. Unter welchen stillen S... da wohl ruhen,
und welche Stürme werden über unsere geliebten Häupter hingedonnert
sein? (Ecke von ds.Seite abgeschnitten)
Könnt ich doch alles Leid von euch nehmen und selbst tragen!
Das ist das Schrecklichste für ein Mutterherz, daß es alles Unglück,
alles Leid und der endliche Tod, der auch euch bevorsteht, täglich,
stündlich vorempfinden muß!- Möchte doch meine Liebe einst so auf
[47] euch übergehen können, daß, wenn ihr elternlos seid, ihr mit einiger
Liebe aneinander hänget. Dadurch könnt ihr unser Andenken am
meisten ehren.
Die Vakanz begann mit Samstag den 5.September. Edgar hat sein Examen
wie zu erwarten war, sehr gut bestanden, hatte 24 Nummern mehr
als nöthig. Auch die andern Knaben rücken alle um eine Klasse vor.
Balde ist jetzt also auch Gymnasist.

(Isolde notiert im Rückdeckel des Heftes: "Armes treues Mutterherz.
Wieviel unnöthige Selbstqual neben den begründeten Sorgen. Wieviel
leidenschaftliche Irrtümer bei so sonnenreinem und sonnenfrohem
Streben!")

(eingelegter Zeitungsausschnitt:): "Nachzutragen ist ferner
noch, daß der Schöpfer der Bismarckbüste Bildhauer Erwin Kurz,
durch Verleihung des Michaelsordens IV Klasse ausgezeichnet wurde,
welcher ihm vom Kultusminister Dr.von Wehner noch während der
Feier in der Walhalla überreicht wurde."Ende
von Heft V

Anmerkungen zu Heft V

(1) Ludwig Seeger, 1810-1864, Theologe, Dichter, Lyriker und
Redakteur, Shakespeare-Übersetzer, Abgeordn. für Ulm u. Bad Waldsee.

(2) Confessionslose gabs noch nicht. Marie war evangelisch,
trat aber mit Gustav Struve u.a. Liberalen und Demokraten der
Deutschkatholischen Nationalkirche bei, die Protestanten,
Katholiken und Juden aufnahm und von 1844 bis 1854 existierte.
Aus diesem Grund wird Marie Kurz amtlich fälschlicherweise als
katholisch bezeichnet!)

(3) Pfr. Heinrich Buttersack, 1804-1861, Sohn des Pfr. Ludwig
Buttersack, ebenfalls in Liebenzell und einer schwer nervenkranken
Mutter, war wegen seines sozialen Wesens in Bad L.
sehr beliebt. Es gab damals sehr viele Arme, in dem nicht
mehr berühmten Badeort. Das "Marienstift", die Kleinkinderund
Mädchenschule wurden auch unter Butters. von der Kirche
gefördert.
(4) Bild der drei ältesten Kurzkinder im Katalog.

(5) Paul Caspart, Notar, einer der beiden Brüder von Marie Caspart.

(6) Präceptor Bartsch

(7) Lehrer Zeyer, wohnten in der Neckarhalde 12, vorher i.d.Burgsteige.

(8) Rudolf (?) Kurz aus Münsingen. Der Bruder von Hermann Ernst
wohnte einige Zeit in Münsingen, später s. Tochter Louise.

(9) Prof. Dr. von Luschka war Vorstand der Anatomie.

(10) Gustav von Struve, 1805-1870 schrieb auch über Phrenologie =
Schädellehre

(11) Sommertheater im Henneschen Garten = Wirthsgarten bei der
"Marquardtei" (s.Tübg.Blätter 1979 v. Steinmetz-Rothmund:
"Bretterbude im Wirtschaftsgarten". I.K. nennt es "Tübg. Schmiere".
"Die Tbg. Sommerschmiere" wird auch von Ed.Devrient beschrieben.
Direktor war Dr. Carl Urban.

(12) Der Kommerellsche Saal i.d.Lenzei ? oder Gasthof Traube, Wilh.Str.8
ist nicht eindeutig festzustellen.

(13) Ferdinand Blind, siehe Gedicht von M.K. zu seinem Tod im
"Gradaus" und im Londoner "Hermann".

(14) (Dunkelmännerbriefe: Größtes Heil und gute Nächte (wünsche
ich) wie die Sterne am Himmel und die Fische im Meer. Und ohne
... , weil ich gesund bin.)

(15) Apomorphin und Kupfersulfat wurden angewandt, damit durch
den Brechakt die Krankheitsstoffe entfernt werden sollen.

(16) Tanzlehrer Beck

(17) Heyses 2. Braut war Anna Schubart, 1850-1930, Gemälde in der
Schackgalerie in München von Lenbach

(18) In Heft III schreibt M.K., daß keiner der Söhne in einer
Verbindung waren.

(19) "Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung" 3 Bd. 1845-52, hg.v.Nestle, Hauptwerk
von Eduard Zeller, Philosoph und Theologe 1814-1908

(20) Georg von Vollmar soz. Politiker 1850-1922

(21) Leonida, der König von Sparta 488 v.Chr.,im Kampf heroisch
gefallen)

(22) meint wohl "Salon de 1831"
51

(23) Die Johnsche Apotheke ist heute die Trappsche Apotheke.

(24) deutsch: "Er möge zu Grunde gehen."

(23b) Im Adressbuch von 1870 ist der Inhaber ein Joh. Schmid v. d.
[3] Neckarhalde

(25) Dr. August Schiler aus Zavelstein, 1840-1962, Oberamtsarzt i.Calw.
Schwiegersohn von Hopf.

(26) "Deutsche Viertel- Jahrsschrift", Cotta, Stgt.und Tübg.18381870)

(27) griech.: Meteorsteine

(28) Die Albingenser waren eine Gefahr für die katholische Kirche
im 12. Jahrhundert (Lenau, Band 2)

(29) Mimir - Aus der Gestalt des Mimir schuf Wagner die Figur
des kunstreichen Zwergen Mime. In der nordischen Dichtung ist
d. Mimir ein dämonisches Wesen.

(30) In Ehningen bei den Verwandten Pfr.Heinrich August Gottlieb
Mohr, 1780- 1861 verh. mit Wilhelmine geb. Schramm aus Tübg.,
1787 - 1864, Tochter des Akad. Buchdruckersherr Wilh.,Heinrich
[1823] Schramm 1758
(31) Wüsts wohnten damals in der Neckervorstadt 4, später Uhlands.13

(32) Einer der wenigen Klassiker, die im Tübinger Sommertheater
gespielt wurden.

(Die meisten Anmerkungen sind den Adreßbüchern des Tübg.Stadtarchivs
entnommen, Hinweise erhielt ich von Herrn Archivar Udo Rauch)
Heft VI
Anmerkungen zu Heft IV



(19 beschriebene Blätter gebunden und 1 loses Blatt)
September l868 (aus Tübingen)

[1] Sonntag 6.Sept. war ich mit Edgar und Alfred in Bebenhausen um
Mohl abzuholen. Wir trafen ihn schon hinter dem Schönbuch. Er
brachte acht fl mit, um mit Edgar in den Schwarzwald zu wandern.
Wir kehrten wieder durch den Wald heim. Mohl logierte bei uns.
Montag und Dienstag brachte ich noch mit der Zurüstung für die
Reise hin und am Mittwoch fuhren sie mit dem 11 Uhr Zug nach Horb
ab. Der Papa gab Edgar 3 fl. Der alte Maier und Emi legten 2 fl
bei, und ich fügte noch einen fl hinzu, Mohl legte seine fünf ersparten
den seinen bei, und mit Landkarten, Fleisch und sonstigen
Eßwaren versehen, traten sie die Reise an. Es hat mir keinen kleinen
Kampf gekostet meinen Edgar (er war 15 Jahre) so zum ersten mal
in die Welt hinaus zu lassen. Stündlich muß ich meine Ängstlichkeit
niederzwingen und nur der Gedanke an seine große Freude, die ich
mir doch auch stets vergegenwärtige, hilft mir dazu. Sie kamen
glücklich in Pfalzgrafenweiler bei Hopfs an, was mir den folgenden
Mittag mit einen Telegramm von Edgar, Mohl und Hopf gemeldet wurde.
Einen Tag blieben sie dort, den andern Tag fuhr sie Schiler ins
Murgthal. Freitag den 11ten und heute Samstag den 12ten kamen weitere
Briefe von ihm. Und Hopf schrieb mir, daß sie mit seiner Zustimmung
vom Mummelsee aus nach Straßburg zogen. In Kehl sollen
sie bei seinem Neffen Kaufmann Schwarz einquartiert werden. Ich
schwankte zwischen Furcht und Freude. Was kann ihnen nicht alles
zustoßen, aber auch welches Glück für die jungen Leute diese Reise
gemacht zu haben. Morgen werden sie in Straßburg sein. Ich schrieb
Edgar heute nach Kehl. Wir lebten inzwischen sehr ruhig. Alfred
lernt alle Tage bei mir französich und abends les ich ihm im
"Lichtenstein" vor. Mit Balde hab ich große Noth ihn ans Schreiben
zu bringen, doch erzwang ich es immer, denn es muß sein. Erwin hat
bei einem siebenbürgischen Studenten Lehni lateinischen Privatunterricht.
Gestern war ich mit den Kindern in Trautweins Weinberg. Es
ist immer heißes Sommerwetter; auch baden wir täglich. Große Dürre
ist überall. Der Papa hat wieder ungarische politische Artikel in
die Wochenausgabe der Allgemeinen Zeitung und in den "Beobachter"
geschrieben. Er ist wohl, bis auf die immer schwächer werdenden
Augen. (Isolde notiert dazu: "Übertreibung der Sorge, Papas Augen
[2] waren noch recht gut bis zuletzt!") Eine kleine Erholungsreise
thäte ihm auch wohl, aber er will nicht.
Isoldes Photographien sind fertig, doch sind sie nicht gut geworden.
Diese Woche ließ ich auch Balde photographieren, dessen
Bild sehr gut ausfiel.
Montag, den 12ten 9 abends kamen Edgar und Mohl nach Pfalzgrafenweiler
zurück, doch waren wir ohne Nachricht und in Sorge.
Dienstag, war M.Knapp da und nahm Erwin und Balde mit nach
Reutlingen. Mittwoch ging ich mit Alfred zu Fuß nach Reutlingen.
Wir waren nachmittags in Fincks Weinberg. Abends kam ein Telegramm
von Papa, das mir Beruhigung wegen Edgar brachte.
Freitag, 18ten fuhr ich mit Alfred nach Horb mit dem 1/2 9 Uhr Zug.
Um 10 Uhr waren wir dort und wanderten zu Fuß in die Schwarzwaldlandschaft
hinein, durch Altheim. In der Mitte des Dorfes kamen uns
Edgar und Mohl entgegen. Nun gings nach Salzstetten und von da an
unausgesetzte zwei Stunden lang durch die schönsten Tannenwälder.
Die prächtige frische Schwarzwaldvegetation überraschte mich, das
grüne weiche Moos war wie ein Samtteppich, die mächtig großen
Farnkräuter erinnerten an ihre urweltlichen Voreltern, und der
reiche Heidelbeersegen lud zum Schmausen ein. Wir ließen sie uns
auch prächtig schmecken. Endlich zwischen 2 und 3 kamen wir in
Pfalzgrafenweiler an. Ich traf dort die glücklichste Idylle,
Menschen, die eine seltene Harmonie verbindet, ein junges Ehepaar
das noch in den süßesten Flitterwochen lebt. Hopf hat hier Befriedigung
gefunden, nicht nur in der Tochter Glück, sondern in dem
neuen Wirkungskreis, in der politischen Thätigkeit, die wenn auch
nicht so groß, doch hier eher befriedigt als in der Kammer. Wir
brachten dort noch ein paar recht schöne Tage zu und traten endlich
am Sonntag unseren Heimweg an. Schiler und Hopf fuhren noch bis
Salzstetten, die Jugend ging zu Fuß, dort wurde noch einmal mehr
als nöthig gekneipt; dann kamen wir bei sinkender Nacht nach Horb.
Mohl blieb noch bis Dienstag bei uns, wo wir ihn eine Strecke
heimbegleiteten.- Balde hat seit Dienstag bei Herrn Kleinfelder
Rechenstunde. Isolde treibt mit Edgar englisch, ich französisch mit
Alfred. Letzterem hab ich auch den "Götz von Berlichingen" vorgelesen
und den "Armen Conrad", nachdem er schon in den ersten Tagen
der Vakanz den "Lichtenstein" gelesen. Die Vakanz verläuft friedlich
und gut, nur heute wurde ich durch eine R...katastrophe
erschreckt. Heute abend, am 2ten Oktober war Bankett der Volksparthei
für Schäffle, wobei die Abgeordneten C.Mayer, Ammermüller
[3]und Schott anwesend waren. Euer Papa war auch dort. Mayer soll eine
prachtvolle Rede gehalten haben. Auch Prof.Vischer ist nach Wien
berufen und so werden wir ihn also wohl nie mehr sehen, was mir
wirklich weh thut. (Er blieb in Stuttgart,von M. K. selbst in
Klammer eingefügt))
In Spanien ist eine große Revolution ausgebrochen, bis jetzt
ist Aussicht auf ihren Sieg vorhanden.
Freitag, 25ten September 1868
Heute morgen war Schäffle bei uns um Abschied zu nehmen. Nachmittags
machte ich einen schönen Spatziergang mit Edgar, Alfred und
Balde auf den Steinlesberg. Abends war ich bei Mayers und erfuhr,
daß C.Mayer nächster Tage mit Freiligrath herüberkommen werde.
Heute kam ein Brief von Mohl, der seit Dienstag wieder in Hildrizhausen
ist, auch einer an mich und ein lateinischer an Isolde.
Samstag, 2ten Oktober 1868 kam Marie Finck und gleich darauf Mohl.
Er blieb bei uns über Nacht.
Sonntag 9ten Oktober kam zu meiner großen Freude Vaillant aus
Paris, brachte mir einen Brief von Pfau. Er reiste am selben Tag
wieder nach Wien ab. Er ist voller Hoffnung über dies revolutionäre
Netz was bereits ganz Frankreich umspinnt. Mir hat der Sieg der
spanischen Revolution und die Versagung der scheußlichen Bourbonen
einen großen Jubel bereitet, und ich hoffe wieder den Tag der
Völkerfreiheit noch anbrechen zu sehen. -
Wir haben Regenwetter, es ist herbstlich kalt, die Vakanz naht sich
ihrem Ende. Alfred hat ziemlich viel französisch gelernt. Er hörte
mit großer Aufmerksamkeit "Die Räuber", die ich ihm vorlas. Heute
Montag den 5ten 10. ging Mohl wieder heim. Balde verletzte Erwin
an der Hand, sodaß der kleine Finger geschwoll. Heute starb
H.Kleinfelders kleiner Knabe an der Luftröhrenentzündung in Folge
einer Erkältung. Isolde ist seit längerer Zeit unwohl,sie leidet
wieder mal an Kopf- und Magenweh.
Donnerstag, 8ten 10. überraschte uns Bacmeister. Wir waren sehr
traulich und vergnügt mit ihm, kneipten bis Nachts 1 Uhr im Café
unten und behielten ihn über Nacht. An diesem Tag erhielten wir
auch die frohe Botschaft von Marie Schilers glücklicher Niederkunft
mit einem Buben.
Freitag. Heute begann die Schule wieder. Bacmeister verbrachte
den ganzen Tag bei uns. Isolde lag aber sehr krank an Fieber, Kopfund
Halsweh zu Bette. Abends um 9 Uhr ging Bacmeister nach Betzingen.
Zwischen ihm und Edgar hat sich ein sehr intimes und herzliches
[4] Verhältnis entsponnen. - Samstag. Isolde befindet sich
nach einer sehr ruhigen Nacht wieder ganz ordentlich, sodaß sie
mit mir an den Bahnhof gehen konnte, wo wir Bacmeister umsonst
erwarteten. Statt seiner kam Marie Finck.
Montag 12ten kam Bacmeister wieder und wurde mit unendlichem Jubel
empfangen. Wir blieben die halbe Nacht beisammen. Am Dienstag waren
wir mit ihm in Lustnau. Mittwoch wollten wir nach Bebenhausen, er
war aber leidend und so blieben wir zu Hause. Es kam auch ein heftiger
Regen. Donnerstag nachmittag begleiteten wir ihn auf die Eisenbahn,
die ihn nach Betzingen und den andern Tag nach Stuttgart
brachte. Jetzt ist er wieder in Augsburg.
Sonntag 18ten Oktober Heute war C.Mayer mit Freiligrath bei uns,
nachmittags wir dort. Isolde konnte nicht mit, da sie ihres
Kartharrs halber im Bett lag. C.Mayer brachte Isolde 60 fl als
Honorar für ihre Übersetzung der "Belagerung der Pfalzburg."
Auch Frau Stockmaier kam heute. Wir trafen sie noch auf dem
Bahnhofe und hatten eine große Freude die brave, gemüthliche und
heitere Frau wieder zu sehen. Eugen Stockmaier wird nun ein
Mitglied der Familie werden. An dem Sohn will ich vergelten, alles
was sein Vater an Edgar gethan. Freitag, 23ten Heute brachte mir
Mohl 60 fl zum Aufheben. Es wurden ihm vom philosophischen Seminar
74 fl Stipendien ausbezahlt. Von Bacmeister kam ein Paket Bücher,
für Edgar der "Sophokles" und für Isolde seine "Germania" mit
herzig lieben Briefen an uns. Isolde liegt viel zu Bett. Sie las in
jüngster Zeit den Äschylos Heute, 27. haben wir die erste
Sanscritstunde bei Mohl gehabt. Eugen Stockmaier kommt fast täglich
und belegt mich sehr. Ich lese gerade eine interessante Broschüre:
"Über die Berechtigung der Darwinschen Theorie" von Dr. A. Weissmann.
Er sagt darin, daß die Übergangsformen entdeckt und aufgefunden,
und beweist dies an einer im Steinheimer Süßwasserkalk zu
Millionen vorkommender Schneckengattung. Aber auch zwischen den
großen Gruppen des Thierreichs sei sie aufgefunden, wie in einem
einzigen Exemplar einer Platte aus Sollnhofen. Hier ist uns der
Abdruck eines Thieres erhalten, welches die heute so streng
abgeschlossene Klasse der Vögel mit den Reptilien verbindet. Der
berühmte Archaecopterix kann weder ein Reptil, noch ein Vogel
genannt werden, da er Charaktere von beiden Klassen in sich trägt:
"Der einfache Torsus, den Fuß, die Federn des Vogels, das Becken
und die lange Schwanzwirbelsäule der Reptilien."
[5]14ten Dec.1868
Viele Wochen konnte ich nichts mehr einschreiben, da ich in der
Kepplerischen Angelegenheit (1) viel zu thun hatte.- Am 30ten
November kam Hopf, um Hermanns Geburtstag mitfeiern zu helfen. Er
brachte eine Flasche Wein, die zur Hälfte getrunken wurde. Dies
hatte Folgen bei Alfred. Es war der 55. Geburtstag!
Wie schwer fällt mir diese Zahl aufs Herz. Wie wenig Jahre bleiben
ihm vielleicht noch zu leben, ach, und wie wenig Freude hat ihm das
vergangene Leben gebracht. Die Dornenkrone des Dichters und die
Sorgen, die vor der Zeit seinen Genius gelähmt.Bei
Alfred geht es jetzt, seit er bei Prof. Müller ist, bedeutend
besser. Er ist voll Eifer und Freude für's Lernen und Müller ist
sehr zufrieden mit ihm. Herz und Charakter ist gleich gut, nur der
furchtbare Jähzorn bringt mir oft noch traurige Stunden. Vor
einigen Tagen fiel Erwin beim Turnen von der Leiter und erlitt
eine heftige Erschütterung, der Schrecken war groß und der Grimm
über die dumme Turnerei noch größer.
21ten Dec. Isoldes Geburtstag konnten wir diesmal nicht recht
feiern, denn beide kleinen Knaben lagen zu Bett, Erwin noch immer
an den Folgen seines Sturzes, Balde mit Gliederschmerzen. Mohl gab
Isolde den "Chamisso" und zwei Arbeiten von sich, eine in mitteldeutschen
Versen.
24ten 12.68 Ein schöner großer Baum flimmert und glänzt im Zimmer.
Erwin und Balde sind aufgestanden und spielen vergnügt mit ihren
Geschenken. Mohl ist bei uns. Ich habe Zahnweh und Gliederschmerzen.
Am 25ten kam Marie Finkh auf ein paar Stunden. Am 26ten ging Ernst
nach Hause. Heute starb Herr von Rieger. Ob Erwin nun die versprochenen
300 fl bekommen wird, steht dahin. Die politische Atmosphäre
ist schwül und angstmachend. Nicht nur im Orient ist der
Krieg, vor uns auch Bismarck, er sinnt auf einen Staatsstreich,
auf Brechen der Verträge und Einsackung des Südens. Wenn der
politische Hahn nicht warnt, so sind wir verloren. Ich darfs und
wills noch nicht denken, das Schreckliche, das mir das Leben zum
Fluch schaffen würde.
Sylvester Abend l868.
So drohend schwer wie die Gewitterwolken des polit. Horizonts in`s
neue Jahr hinüberhängen, so finster wendet auch uns das Schicksal
sein Antlitz zu. Sorgenschwerer sind wir noch in kein neues Jahr
eingetreten. Das Geld der Schillerstifung ist ausgeblieben, und ich
lebe schon seit Wochen von fremdem Gelde. Nun gibt es große
[6]Rechnungen zu zahlen: Doktor, Apotheker, Buchhändler, Schuhmacher
und Lehrer. - Während ich dies schrieb, brach der Tisch mit allem
was drauf war vor eurem Vater zusammen. Sein Weinglas, aus dem er
schon seit 17 Jahren getrunken, zerbrach, alles stürzte auf ihn.
Kein Wunder, daß er es als ein böses Omen aufnahm in der traurigen
Stimmung in der er sich befand. Soll dies das Bild unseres Lebens
für dieses nächste Jahr sein? Geht auch unser häuslicher Familienkreis
in Trümmer, zerspringt ein Leben das mir theuer ist?
Edgar ist seit Sonntag in Reutlingen und hat wohl eine heiterere
Sylvesternacht zugebracht als wir. Erwin hatte bis jetzt an den
Folgen seines Sturzes zu leiden und Balde hatte eine Anwandlung von
Gliederweh, was auch ihn schon seit Wochen zu Hause und theils zu
Bette hielt. Seit ein paar Tagen ist Keppler hier, ich lief heute
mit seiner Mutter den ganzen Tag herum.
17ten Januar 1869 Traurig verlief gestern Edgars 16ter Geburtstag,
denn es ward mir in der Früh die Kunde, daß die Sendung der
Schillerstiftung dieses Jahr nicht für uns eintreffen sollte. Ich
bewog mich und verschwieg was ich wußte, um Edgar, der ohnehin
nicht heiter gestimmt war, den Tag nicht zu verderben, aber es war
mir sehr traurig zu Muthe, nichts als Schulden!- Marie F. bin ich
70 fl schuldig, Josephine 80 fl, noch sind die Neujahrsverzehrungen
nicht bezahlt und keine Einnahmen in Aussicht. Euer Vater arbeitet
sich ab Tag und Nacht, ist krankhaft überreizt, alles ist vergebens
Ihr ahnt nicht wie wir kämpfen und ringen müssen, ihr versteht es
nicht. Traurig wie das alte Jahr geschlossen, hat das neue begonnen
und ist sein weiterer Verlauf. Ach was wird noch ruhen in seinem
Schoße?
Februar 1869: Endlich ist das Geld der Schillerstiftung auf
Heyses eifriges Bemühen doch noch gekommen, aber nur auf dieses
Jahr noch bewilligt. Es langte gerade um die Schulden zu zahlen,
die ich jetzt bereits wieder von neuem machen muß. Keppler kommt
viel zu uns und Erwin geht oft zu ihm. Mohl und Stockmayer gehen
wie gewöhnlich ein und aus. Isolde las einige Romane von G.Sand
v.André: "Rose et Blache" und Isidora. Heyse schickte seine
neueste poetische Erzählung: "Das Feenkind," ein reizendes Gedicht,
der Stoff ist von Cazette. Von L. Pfau erschienen prächtige Briefe
gegen die Borussen im "Beobachter". - Bei Alfred gehts recht gut
mit dem Lernen, dagegen desto schlimmer bei Erwin und Balde. Ende
Januar starb die alte 89jährige Frau Kronmüller eines sanften Todes.
Mittwoch, 3ten .Februar war ich mit Isolde auf einem Liedertafelball.
Sie war reizend und sehr vergnügt, umschwärmt von Tänzern.
[7] Mit Carl Mayer III tanzte sie den Cotillon.- Es folgten ein paar
Tage Katzenjammer.- Eugen Stockmayer gibt Erwin Privatunterricht.
Alfred hat seit 8 Tagen heftiges Nasenbluten und Erwins Aussehen
ist sehr schlecht. Er bekommt jetzt Leberthran.
Heute den 8ten wurde Isolde mit der Übersetzung des Tacitus Germaniea
fertig.- Erwin hat gegen Ende Januar die 500 fl von Frau von Rieger
erhalten.- Eine Liedertafelunterhaltung und eine komische Oper von
Studenten aufgeführt, waren so ziemlich alle Vergnügungen, die
Isolde in diesen Monaten genoß. Die Vorlesungen sind langweilig und
ohne alles Interesse.- Wir lesen den "Catull" bei Ernst und nehmen
alle Woche ein oder zwei Sanskritstunden. Balde war 8 Tage an einem
Rachenkartharr zu Bette, auch Josephine war wieder krank und mußte
wegen einem Rothlauf und Rothlauffieber das Bett hüten. Erwin hat
immer mal Kopfweh und sieht sehr schlecht aus. Edgar ist ganz in
seine Physik versunken, die Poesie ist seit längerer Zeit etwas in
den Hintergrund getreten.- Heute, 3ten März, hat er von Mohl ein
weißes Mäuschen erhalten. Mit dem ersten März bekamen wir rauhes
Sudelwetter, bald Schnee bald Regen. Seit einiger Zeit fängt Edgar
körperlich zu gedeihen an, er wird stärker, doch ist er immer noch
ein kleiner Mensch.
Am 14ten März war Isolde in einer Gesellschaft bei Pfeilstickers.
In türkischem Costüm und aufgelösten Haaren machte sie mit Dr.
Epting und Maria Pf. ein Tatlein. Sie war sehr vergnügt. Es wurde
getanzt und erst um 1/2 4 Uhr morgens kam sie nach Hause.- Eugen
kommt fast täglich, Mohl kommt alle ander Tage morgens zum Sanscrit
und Ovid. Die heiße Liebe zwischen ihm und Edgar ist sehr abgekühlt.
Edgar leidet darunter, trägt aber die meiste Schuld selbst.
Bei Alfred geht es immer recht ordentlich im Lernen, bei Erwin und
Balde kann ich leider nicht dasselbe rühmen. -
Wir haben in letzter Zeit ein philosoph. Werk: "Die Philosophie des
Unbewußten" von E. von Hartmann (2) gelesen, was uns theilweise
sehr interessierte. Das Kapitel über das Unbewußte in der Sprache
und Geschichte, über Hunger in der Liebe sind sehr schön, Schoppenhauerischer
Einfluß ist sehr merklich.- Den jungen David Strauß,
Sohn des großen Strauß hab ich bei Keppler kennengelernt, auch mit
einer schönen Tschurkessin, einer jungen Frau von Diakonoff machte
er mich bekannt. - Mohl ließ sich vor einiger Zeit von einer
Zigeunerin wahrsagen. Sie prophezeite ihm, daß er sich in zwei
Jahren erschiessen werde. Man sollte nie solche Dummheiten treiben,
denn der Mensch hat einmal einen geheimen Drang zur Mystik, und was
[8] auch seine Vernunft abwehrt, eine derartige Prophezeihung kann doch
sehr verängstigen. Edgar läuft schon seit einiger Zeit mit einer so
üblen Laune und gedrückten Stimmung herum, daß mir sein Anblick
förmliche Pein verursacht. Er arbeitet auch nicht, und oft kommt es
mir wie ein förmlicher geistiger Stillstand vor. Es quält mich
schrecklich. Ich habe so große Hoffnung auf ihn gesetzt, er war ein
so geniales Kind und ein so hoffnungsvoller Knabe und jetzt, als
Jüngling, entspricht er nicht mehr dieser überreichen Blüthenfülle.
Der Stillstand in seinem körperlichen Wachsthum ist sicherlich viel
schuld an seinem sonderbaren Wesen.
Seit einigen Tagen sind die ersten Störche zurückgekehrt.
Heute den 18ten März hat sich Balde wieder mit Kopfweh und Halsweh
gelegt. Über Moriz Hartmann (3) aus Wien sind die traurigsten
Nachrichten vorhanden. Das Leben des liebenswürdigen Dichters ist
gefährdet.- Adolf Bacmeister hat seine Stelle in der Allianz
niedergelegt und ist jetzt brodlos.
3ten April
Seit 3 Wochen ist Balde wieder mit dem Gliederweh behaftet. Ich
hatte viel Angst und Sorge ausgestanden, sechs Nächte nicht geschlafen.
Es geht jetzt wieder beser, die Schmerzen haben aufgehört,
aber die Furcht ist da, daß das Leiden eben bei der geringsten
Gelegenheit wiederkehrt, daß das Herz angegriffen wird. Es
waren schlimme Vakanztage, die Kinder wollten sich nicht in das
Unvermeidliche schicken, jammerten über ihre freudlosen Tage, über
die Unbequemlichkeit die Baldes Krankheit mit sich brachte.
Endlich brachte der Papa Edgar nach Reutlingen, doch nimmt Alfred
jetzt seine Stelle in der Unzufriedenheit ein. Dazu drückt mich
die Geldnoth qualvoll und auch muß ich Erwin theure Nachilfestunden
geben lassen, weil er sonst unmöglich mehr weiter kommt. Und auch
bei Balde wird es so kommen. Isolde hat inzwischen den jungen David
Strauß kenengelernt. Edgar kam wegen Dr.Finkhs Krankheit bälder als
die Vakanz zu Ende war zurück. Balde konnte schon wieder aufstehen
und sogar ein wenig spatzieren gehen, er wurde aber rückfällig und
liegt nun seit 8 Tagen wieder zu Bett, die Schmerzen stellten sich
wieder an Händen und Füßen und selbst am Herzen ein, er hat Fieber
und ist sehr bleich. Doch hält Dr.Gärtner die Sache nicht für
[61] bedenklich. Erwin hat nun das Griechische angefangen, doch zweifle
ich daß er es fortsetzen kann, es wird ihm entsetzlich schwer.
Erwins 12ter Geburtstag konnte nicht sehr gefeiert werden, da ich
gar kein Geld habe und nur von geborgtem Geld von Josephine lebe.
[9]Am 15ten kam Mohl und blieb bis Sonntag. An diesen Tage, der sehr
schwül und heiß war gingen wir alle, mit Ausnahme des armen Balde
mit Frau Daniesky und Frau Diakov, Bresche und Engelhard nach Lustnau
und Kirchentellinsfurt.
Mai.Balde konnte wegen seinem Giederweh immer noch nicht in die
Schule. Es macht mir große Sorge wie sehr das Kind zurückkommt.
Bei mir will er absolut nicht lernen.
Am 1ten Mai waren wir, mit Ausnahme Alfreds und Baldes, mit den
beiden Russinnen, Strauss, Engelhard und Bertsch im Waldhörnle.
Sonntag den 2. besuchten uns Strauss und nachmittags Dr.Mögling.
und Carl Mayer III. Am Montag war Examen und dauerte bis Mittwoch.
Dienstag ging Edgar in eine Vorlesung über den Darwinismus von
Dr.Jäger.- Die Witterung ist kühl aber alles steht in herrlicher
Frühlingspracht. Mohl kommt viel seltener her und nur, um seine
Sanscrit- und Lateinstunde zu geben. Das so zärtliche, enthusiastiche
Verhältnis zwischen ihm und Edgar ist gelockert, beide tragen
Schuld daran, doch Edgar die größere, und gerade er war der innigere
und ausschließlich Geliebte. Am Himmelfahrtsfest waren wir mit
C.Mayer und Stockmayer in Schwärzloch.
Sonntag 9ten Mai war ich mit Isolde zum ersten mal dieses Jahr in
Niedernau. Sie war in weißem Kleide mit rosa Schürze und rothen
Rosen im Haar. Das Wetter war ziemlich kühl. Die Franken hatten den
Vortrag. Isolde tanzte die ersten 2 Touren mit Kapf und einige
folgende mit den übrigen Studenten. Als sie einen Tanz mit Roller
tanzte und Kapf sie durchaus haben wollte, gab die gehässige
Weigerung Rollers den Anfang zu Feindseligkeiten zwischen der
Burschenschaft und den Rhenanen, die sich schließlich noch gegen
C.Mayer sehr unartig betrugen. Ein Franke namens Mock, der ihr
große Aufmerksamkeit schenkte, tanzte besonders viel mit ihr.
Kapff begleitete uns nach Hause.
Am Samstag vor Pfingsten reiste Frau von Diakowa ab. In diesen
Tagen kam Heyses neuestes Buch: "Moralische Novellen" bei uns
an. Am Pfingstsonntag regnete es viel. Isolde lag bis Dienstag im
Bett. Ich war mit den drei Jüngsten in Bebenhausen, wohin Frau
Mögling morgens vorausgefahren war.
Heute Dienstag den 18ten Mai, Baldes 9ter Geburtstag: alles
voller Kränze und Schneeballenzauber, Dominospiel, Orange und
Maiwein. Das Wetter schön warm. Ich war mit dem kleinen Festöchslein
auf dem Schieß- und Turnplatz.(4) Mittags schmeckten ihm
die Kaffeekküchlein prächtig und nachmittags ging ich mit ihm zu
[10] Dr.Epting in den Haspelturm. Er klagte aber den ganzen Tag über
Schmerzen in den Füßen. Wenn nur dieses Leiden nicht wiederkommt.
Epting hat Isolde zwei russische Hermeneutiker heruntergeschickt,
sie stöberte den ganzen Tag darin, Frau von Daniesky soll ihr
Unterricht geben. Ihre Gesundheit ist leider nicht zum Besten und
sie wünscht deßhalb in den Schwarzwald zu Hopfs zu gehen. Am
Dreieinigkeitsfest war ich mit Isolde und Alfred, Frau von
Daniesky, Engelhardt, Mohl, Brasche und einem schönen Asiaten, der
Sanscrit hier studiert, namens Alexander Zagarelli in Hagelloch.
Mittwoch vor Fronleichnam war ich mit Isolde und den Buben in der
Liedertafel. Die Langweilerei des Gesangs wurde durch die Gesellschaft
von Kapf und Mayer reichlich aufgehoben. Am Donnerstag
darauf waren wir mit Zarelli und der übrigen russischen Gesellschaft
auf dem Bläsiberg. Isolde geht täglich in die russische
Stunde und lernt schon Gedichte auswendig. Bei Balde gehts recht
schlecht mit dem Lernen; der arme Papa, dem die Schulmeisterei
ohnehin ein Greuel ist, plagt sich nun mit ihm ab. Erwin hat noch
immer seine theuren Stunden, er ist aber so zerstreut und leichtsinnig,
daß sie wenig fruchten. Oh, diese Geistesbeschaffenheit bei
dem sonst so liebenswürdigen und weichen Kind macht mir große
Sorge, was soll aus ihm werden? Edgar löst sich gegenwärtig ganz
von mir ab, lebt für sich, er ist nicht mehr fleißig und hat zudem
Freude am Privatstudium. Es wird hoffentlich später wieder besser
kommen. Mohl kommt nun nur noch zu uns, zu Edgar nicht mehr. Er
liest "Ovid" mit Isolde. So ist eben nichts dauerhaft und unsere
heißesten Gefühle Täuschung. Man liebt gewöhnlich mehr die Liebe
oder die Freundschaft selbst, oder den erkorenen Gegenstand.
Meine Gesundheit ist sehr geschwächt. Ich habe wieder das häufige
Übelsein und Erbrechen. Die Ursache sind wohl die häufigen
Alterationen und die tiefe Sorge die an meinem Lebenswerk nagt.
Ich weiß nicht, wie unser Leben weiter zu fristen ist. Es ist immer
weniger möglich auszukommen, und die Kosten und die Ansprüche der
Kinder wachsen mit jedem Tag. All diese quälende Bitterkeit des Lebens
muß ich im Stillen erleiden, ich habe niemand, der dessen theilnehmendes
Herz ist und helfen kann; und euer Vater trägt so namenlos
schwer am Dasein, daß ich nichts Trübes mit ihm verhandeln kann.
Ewiges Regenwetter und Theurung. Strauß ist von München zurück,
wohin er seine schöne russische Braut begleitete, er brachte Isolde
ein Bild von ihr.- Am 6.Juni war Isolde mit dem dreimarkskleinen
Zagarelli und Brasche in Urach. Sie hatten schönes Wetter, Isolde
[11] kam aber krank nach Hause und blieb ein paar Tage zu Bette.
Donnerstag 17ten 6.1869 war Einweihung des Museumsgartens (5) mit
Ball, wo ich mit Isolde und Marie Hermann war. Fortwährend schlecht
Witterung, Regen und Kälte. Balde lag wieder einige Zage mit Gliederweh
zu Bett. Bei Erwin gehts ein klein bisschen besser. Er kommt
doch etwas mehr in die oberern Bänke beim probeo. Dagegen siehts
bei Balde schlimm aus. Edgar hat 55 fl Stipendiumsgelder bekommen.
Sie werden nicht allzulang halten, doch ist er seit dieser Zeit mal
wieder heiterer und umgänglicher.
Juli - Mit Erwins Lernen geht es besser, er ist der 9te, dann der
7te und schließlich wieder der 8te geworden. Endlich ist besseres
Wetter eingetreten.- Prof.Kaiser sagte mir auf dem Heimweg von
einer Liedertafel, die im Juni in Lustnau abgehalten wurde, daß er
so sehr mit Edgars Arbeiten zufrieden, was mich umso mehr erfreute
und wunderte, weil er zuhause gar nichts thut. Er gedeiht gegenwärtig
prächtig und ist bildschön.- Isolde hat große Fortschritte
im Russischen gemacht. Paul Heyses Schwiegermutter war diesen
Monat einige Tage hier. Frau Clara Kugler ist eine schöne feine
und edle Erscheinung.
Am 17ten Juli kam M. Sch. mit Lilli an, sie traf mich krank im
Bett. Edgar war in Reutlingen. Am 19ten 7. hat der Papa seine
Reise mit Heyse angetreten. Wir waren an diesem Tage mit C.Mayer
und Stockmayer in Schwärzloch.- Bei Balde geht es, seit die
Witterung anhaltend warm ist ganz gut, er wird dick.- Mittwoch
waren wir mit Frau Danievsky, Engelhard u.Bresche in Wankheim,
Edgar war auch dabei. Den Heimweg machten wir durch den Wald nach
[11] Lustnau. Die Kinder waren sehr vergnügt, und wir kamen erst um
Uhr an.- Donnerstag hatte Kapff ein Duell mit Roller und wurde
ziemlich stark am Kopf verwundet, er war dennoch abends auf dem
Museumsball, tanzte aber nicht. Auch Edgar und Alfred blieben dort
zum zusehen und kamen mit uns um 12 Uhr nach Hause. Zweimal kam
Nachricht von Papa. Er schrieb aus Maulbronn und Heidelberg.Freitag
waren die Russen und Epting bei uns. Abends gingen wir aus
[11] und nachher noch ohne ihn nach Schwärzloch, von wo wir erst um
Uhr heimkamen. Samstag war C.Mayer da und machte seine Rede für
Sonntag in Sebastiansweiler. Abends war Isolde mit M. Sch. und
Roller im Volksgarten und holte sich durch Springen heftige
Schmerzen in der Hüfte, weshalb ich in aller Angst zum Doktor
schickte, der sie ins Bett sprach. Es stellte sich heraus, daß es
bloß von einem Stoß herrührte und ich war trostlos, daß meine Angst
[12] sie um das Vergnügen gebracht hat. Gestern und heute habe ich keine
Nachrichten von Papa und bin nicht wenig in Sorge. Solange ich ihn
an Heyses Seite wußte war ich vollkommen beruhigt, seit er aber
allein im Land herum zieht ist mir keine Stunde wohl.
Montag den 26ten Juli 1869 kam der Papa von der Reise zurück, die
für Heyse ein so trauriges Ende nahm. Er wurde durch ein Telegramm
zu seiner Familie zurückgerufen, die im bayrischen Gebirge war,
traf zwar sein Kind noch am Leben, doch starb es wenige Tage darauf
an Diphteritis. Der traurige Ausgang dieser Vergnügungsreise
hat auf uns einen gar schmerzlichen Eindruck gemacht.
Dienstag, 27ten waren wir auf der Liedertafel. Donnerstag, 29ten
waren wir mit der Liedertafel in Niedernau. Lili und Isolde waren
sehr vergnügt. Sie wurde von Mayer, Kapff und Barthelmeß geführt.
Freitag den 30ten ging der Papa nach Pfalzgrafenweiler wo er bis
Sonntag abend blieb. Wir holten ihn mit Engelhard von der Bahn ab.
Edgar macht sich gegenwärtig eine elektrische Maschine und geht
ganz auf in der Physik. Alfred leidet wieder an Magenschmerzen.
4ten August Alfred war sehr betrübt, daß er seinen Geburtstag
wegen seinen vielen Stunden und Aufgaben nicht genießen konnte.
Edgar schenkte ihm drei Flaschen Bier, was ihn einigermaßen aussöhnte.
Nachmittags waren Roller und Mayer da, abends kam Emi
Weißer, die junge Künstlerin aus Stuttgart die bei Rauscher auf
Besuch ist. Eine große Trauer hatten wir alle durch den plötzlichen
Tod von Edgars herzigem Freund, der keine Sekunde zuvor krank
gewesen.- Am 5ten gingen wir mit Stecker und Mayer nach Bebenhausen
zum Picknick der Liedertafel. Abends mit Feuerwerk heim.
Freitag, den 6ten August kamen M.Sch. und Math.Gr.nebst Frank,
abends auch Marie Finck.- Ich bin jetzt das unruhige, nach VerVergnügen
ausschauende Leben herzlich müde und sehne mich nach Sammlung
und Ruhe, hauptsächlich für Isolde. Das Vergnügen darf nur da
sein um frisch und anregend zu bleiben, nicht blasiert machen,
nicht gesucht werden. Es gibt kein unglücklicheres Leben als ein
hohles. Sonntag, den 8ten August ging Isolde mit Lili, M.Sch.,
M.Grab (?), C.Mayer, Kapf, Frank und Roller nach Niedernau. Sie aßen
dort zu Mittag und tranken Champagner. Nachmittags um zwei Uhr kam
Engelhard um Abschied zu nehmen, er brachte Isolde sein Bild. Um
drei Uhr fuhr ich mit dem Papa nach Rottenburg, von dort gingen wir
zu Fuß nach Niedernau, wo die Rhenanen den Vortrag hatten. Die
Mädchen waren sehr vergnügt, wir nahmen die Photographien des
Liedertafelballes mit zurück. Montag reisten Marie und Mathilde ab.
[13] Ich begleitete sie bis Reutlingen, wo ich mit Marie Sch. einen Tag
bei Marie Finkh blieb. Dienstag führte ich Isolde und Lili auf den
letzten Museumsball, wo beide wieder sehr vergnügt waren. Roller
ist wahnsinnig in Lili verliebt und auch "Göckele" ist sehr
ungehemmt. -
Freitag gingen wir mit Lili und Mayer nach Schwärzloch. Mayer war
so liebenswürdig wie noch nie. Wir kehrten spät heim, Isolde erkältete
sich dabei und bekam den Schnupfen. Samstag reiste Lili ab,
nachdem ihr Mayer noch ein prächtiges Bouquet mit einem Gedicht
geschickt hatte. Der trostlose Roller begleitete mich von der
Eisenbahn heim. Nachmittags reiste Göckele ab und am Sonntag
Roller. Samstag nachmittag hatte Isolde die letzte russische Stunde
bei Frau von Daniesky. Abends ging ich mit ihr zu ihrem beiden
Söhnen nach dem Waldfr. - Sonntag abend war sie mit ihnen und
Zagarelli beim Thee bei uns, am Montag wir bei ihnen und Dienstag
reisten sie für immer von hier ab. Die Trennung von dieser Frau,
die so lieb, gut und aufopfernd gegen Isolde war, hat mir sehr weh
gethan. Brasche fing nun gleich seinen russischen Unterricht an.
Einmal kam noch Zagarelli zum Thee und brachte Isolde seine schöne
Photographie.- Sonntag 22ten war ich mit Edgar und Emi Weißer
morgens 1/2 7 Uhr in Schwärzloch wo wir frühstückten. Abends gingen
wir mit Zagarelli und Brasche ins Waldhörnle. Montag reiste auch
Zagarelli ab.
Wir vollzogen in diesen Tagen unseren Umzug.- Mittwoch war das
Examen. Balde kann nicht im Gymnasium bleiben, weil er zu weit zurück
ist. Ich muß ihn also ein Semester zu Hause behalten und ihn
in Privatstunden versuchen weiter zu bringen. Alfred, der ein
ganzes Jahr der dritte in seiner Klasse war, hat heut im schriftliches
Examen ein nettes Anekdötchen geliefert. Held diktiert:
Cateline war von hoher Geburt und er schrieb Tante Lina: "Aruncula
Lina benei locio nata erat." Wir haben uns den ganzen Tag über fast
todtgelacht. Heute hat auch Stockmayer Abschied genommen. Isolde
hat von Heyse einen italienischen Roman von Nievo zum Übersetzen
erhalten. Der Anfang ist aber entsetzlich langweilig.- Nun sind
alle unsere bekannten Studenten abgereist. Mayer verläßt die
Universität für immer, er geht nach Leipzig. - Fast der ganze
August war kalt. Man konnte kein einziges mal mehr baden, erst seit
heute ist es wieder warm.
September 1869
Edgar erhielt nach der Prüfung den Cosmos und Humbold als Praemie.
[14] Balde kann nicht in der Schule fortmachen, ich muß ihn das Wintersemester
nach Hause nehmen, eine schöne Aufgabe für den Winter. Am
2ten September hat die Vakanz begonnen. Isolde ist mit Erwin schon
einige Tage vorher nach Pfalzgrafenweiler abgereist.
Am 7ten 9. ging Josephine auf 8 Tage nach Ulm und Edgar nach Reutlingen,
ich blieb mit Balde und Alfred allein. Am 13ten ging ich
mit Alfred nach Pfalzgrafenweiler, Balde wurde von Edgar abgeholt.
Wir blieben 4 Tage dort und ich kehrte mit Erwin und Isolde zurück,
Alfred blieb dort. Ich habe mit Hopf Edgars Zukunft besprochen. Er
hat mir den Weg vorgegeben, wie er vom Militärdienst zu befreien
ist und so kehrte ich mit einem großen Trost zurück. Ich habe
jedenfalls noch drei Jahre Zeit, und drei Jahre darf ich ihn noch
behalten, dann muß ich ihn hergeben, aber alles lieber, als sie
Soldaten werden zu lassen, die Knaben einem anderen Vaterland
zuzuweisen. Sie von dem unglücklichen vergrößerten Deutschland zu
befreien, das ist das Ziel meines Lebens; hab ich`s erreicht, so
kann ich ruhig sterben.
Ich konnte vor des Tages Last und Mühe nicht mehr dazukommen Aufzeichnungen
zu machen. Seit ich Balde zu Hause habe, ist der ganze
Tag mit seinem Lernen ausgefüllt. Oft verläßt mich der Muth bei der
wenigen Begabung und der totalen Lernunlust des Knaben, dann ermanne
ich mich wieder und gehe mit erneutem Eifer vor, doch greift
es mich entsetzlich an und raubt mir den kleinsten Rest Lebenswillen.r>Alle
ander Tage kommt Barthelmeß, aber auch ihm gelingt`s
nicht Eifer in dem Knaben zu erwecken.- Es hat sich nichts
Wichtiges im Laufe dieser Monate zugetragen, diesselbe Geldnoth
wie immer, nur mache ich mehr mit Alfred durch, der im Lernen sehr
nachgelassen und immer übler Laune ist. Der gute Bresche kommt
täglich zur russischen Stunde und wird immer heimischer bei uns.
Isolde war im Dezember auf einem Ball, gesundheitlich aber ist sie
den ganzen Winter leidend. Ich habe eine zu hübsche Novelle angefangen,
finde aber so wenig Zeit und Sammlung, daß sie wohl nicht
zu ihrem Ende gelangt. Isoldes Geburtstag verbrachten wir ganz
einsam. Edgar gab ihr einen schönen schwarzen Fächer und von Mohl
bekam sie einen italienischen Brief und Geibels Juliuslieder.
Der Weihnachtsabend war heiter. Bresche war über Isoldes russische
Buchstaben, die sie ihm gebacken, sehr erfreut, er schickte uns
zwei Bücher: Erdmanns philosophische Briefe für seine Schülerin
und mir ein Buch von Fanny Lewald. Die größte Freude aber, die
Isolde und ich erfuhren, war die Kunde von Engelhards Ankunft.
[15] Er, Zagarelli und Bresche waren am Christfest bei uns zum Thee.
Täglich gehts auf die Schlittschuhbahn, wo Isolde immer Freunde
trifft. Zu ihnen gehört auch noch ein junger hübscher Oberprimaner,
Fielitz mit Namen, der sie täglich führt. Seit Oktober ist auch
Vaillant und Mühlberger wieder hier, sie kommen oft zu uns. Es sind
beide zwei wackere und geistig strebsame junge Leute. Montag nach
Weihnachten ließ sich Isolde photographieren und schenkte ihr Bild
Engelhard. Gestern abend den 30ten Dezember war Engelhard und
Brasche wieder bei uns. Das Kind des Südens, der schöne Zagarelli,
und der Aristokrat des Nordens Engelhard sind die beiden liebenswürdigsten
und bedeutensten Erscheinungen in unserer hiesigen
Männerwelt. Engelhard reiste am 8ten wieder ab. Bresche sagte uns
nun, daß er bald abzureisen gedenke und daß er deshalb wünsche
Isolde täglich zwei Stunden russisch zu geben. Am 15ten Januar
wollte er abreisen, verschobs aber von Tag zu Tag. Der Januar ist
kalt und fast täglich Schlittschuhbahn. Edgar präpariert sich fürs
Examen. Balde leidet am Herzen und wieder an den Gliedern, er ist
viel zu Bett. Am 19ten Januar waren wir auf einem elganten Museumsball.
Isolde ganz in Rosa angetan, sie tanzte Polonaise und Polka
mit Fielitz. Mohl kommt wieder mehr ins Haus und hat auch russisch
zu lernen begonnen, Zagarelli wird nun Isolde und Ernst zweimal in
der Woche russische Stunde geben. Heute am 21ten Januar ist Bresche
nach bewegtem Abschied endlich abgereist. Hedwig kommt im Mai,
worauf wir uns alle sehr freuen. Auch der Februar ist sehr kalt. Es
herrscht eine Rotheflecken- Epedemie, und auch die Pocken, die in
Stuttgart wüthen, zeigen sich. Die Kinder sind wohl, nur Balde
bringt die meiste Zeit im Bett zu, theils am Herzen, theils an den
Gliedern leidend. Auch Isolde ist den ganzen Winter nicht recht
gesund, sie leidet am Magen. Am 14.Februar waren wir auf dem
Liedertafelball, wo sich Isolde nicht sehr gut unterhalten hat.
Zagarelli und Fielitz waren nicht dort. Isolde macht bei ihrem
schönen Lehrer große Fortschritte. Leider führt ihn der März für
immer fort. Mit Baldes Lernen geht es immer gleich schlecht, und
Alfred hat alle Lust am Studium verloren. Ich bin oft recht tief
besorgt um seine Zukunft.
Am 25ten Februar 1870 starb der alte C.Mayer, nach langem Leiden
und Kämpfen. (6) 12 Tage war er ein Sterbender, trank nur noch
löffelweise Champagner und aß nichts mehr. Der edle vortreffliche
Greis, dessen ganzes Leben so rein wie die Blumen war, deren
"Sänger" er gewesen, wurde noch in seinen letzten Tagen von den
[16] fürchterlichsten Vorstellungen gequält. Wochen, Tage vor seinem
Tode kam sein Sohn mit seiner Frau. Er erkannte ihn und that einen
Freudenschrei, und wenn er stundenlang geistesabwesend war und der
theure Sohn trat ins Zimmer an sein Sterbebett, so lächelte er
freudig und drückte ihm die Hand. Die letzten Stunden waren
friedlich, auch sein Tod. Der Verlust dieses trefflichen alten
Freundes, der mir so freundlich zugethan war, hat mich tief
erschüttert. Ich brachte ihm den ersten Lorbeerkranz schwarzumwunden
zu seiner Bestattung, aber ich konnte nicht zum Begräbnis.
Ich kann den Friedhof nicht sehen, weil mir der Gedanke, daß auch
hier Euer Vater bald ruhen wird, alle Fassung nimmt. Nie geh ich in
die Kapelle und hinaus ohne zu denken: Da werden sie ihn auch
hinaus tragen.- Kurz bevor die Leiche aus dem Haus getragen wurde,
stürzte Louis Mayer von einem Schwindel ergriffen über die Altane
hinaus und brach sich neun Wirbel des Rückgrats. Er wurde von Bruns
eingerichtet, hat aber Schmerzen zum Rasendwerden. Der arme Mayer
konnte der Leiche seines Vaters nicht folgen, und fremde Hände
haben die erste Hand voll Erde auf ihn geworfen.
Zum ersten mal schien die Sonne warm, ein heiter blauer Himmel
lächelte auf des Sängers Grab, der den Frühling nun nicht mehr
grüßen durfte. Ich werde den alten Freund nie vergessen. Es ist mir
ein reicher Schatz an Liebe verlorengegangen.- Louis hat nun gar
fürchterliche Tage zugebracht, jetzt aber gehts etwas besser so,
daß die Ärzte alle Hoffnung zur Genesung geben.
Am 25ten wurde auch Isolde krank, ein heftiges Fieber packte sie,
drei Tage lag sie zu Bett, jetzt ist sie wieder wohl. Die Epedemie
hat noch nicht nachgelassen, nichts als Kinderleichen und in
Stuttgart sind die Pocken noch im Zunehmen.
Wir haben schönstes Frühlingswetter. Seit gestern ist der Storch
zurück.- Nach ein paar warmen Tagen folgte gleich wieder winterliche
Kälte. Am 7ten März waren wir mit Balde und Isolde sehr
vergnügt. Fielitz war da, und sie tanzte mit einem jungen böhmischen
Arzt Dr.B.Jerusch den Cotillon. Seit jener Zeit besuchte er
uns häufig und brachte oft halbe Nächte bei uns zu. Überhaupt
können wir uns über Einsamkeit nicht beklagen, denn Vaillant,
Mühlberger oder Zagarelli sind abwechslungsweise da. Letzterer
versah sein Lehramt mit großer Ausdauer. Es waren schöne Sonntage,
und da der schöne junge Georgier oft bei uns war, hat mir der
Abschied sehr weh gethan von ihm, dem meine Liebe galt, sowohl
[17] dem liebenswürdigen Prinzen aus "Tausend und eine Nacht" als auch
[69] dem russischen Lehrer. Am 19. März reiste er ab nach München mit
einem Empfehlungsschreiben an Heyse. Sonntag gingen wir mit
Jerusch (Dr. Boleslav Jerusch) spazieren, während Erwin, Vaillant
und Strauß einen Ausflug machten. Dienstag nahm er ihn mit in sein
Konzert und will ihn nun zu einem musikalischen Umgarn bringen, der
ihm Stunde auf der Violine geben soll, ein Dr. Böbisch. Balde ist
seit längerer Zeit sehr leidend, lang anhaltendes Erbrechen hat ihn
mager und bleich gemacht, es fehlt ihm ganz der Apetitt und zur
Krankheit kam jetzt ein Nierenleiden dazu.- Während die Epedemie
täglich Kinder dahinrafft, und mir vor Mitleid oft das Herz blutet,
stellt sich auch eine quälende Angst um meine theuren Kinder ein.
Jeder Freude folgt wieder ein Leid. - Mit Stolz und Wonne höre ich
Edgars Kenntnisse und seinen Verstand von seinen Lehrern loben. Mit
welcher Freude sehe ich Isoldes entfaltete Jugendreize, wie sich
täglich mehr Bewunderer um sie sammeln, wie sich alles um ihre
Schönheit und ihres Geistes willen reißt. Wie sticht da Alfreds
bäurisch wahres Wesen ab. Kein Tag vergeht, wo er mich nicht aufs
tiefste schmerzt und kränkt, kein Tag vergeht ohne die gräßlichste
Scene, und ich fühle so gut, daß ich nicht tauge den Knaben zu
lenken, daß ihm die starke Hand fehlt, er ist nicht bös, sein Herz
ist gut, aber sein Wesen hat eine furchtbare Richtung genommen,
kein Mensch kann`s mit ihm aushalten, niemand liebt ihn und ich
muß machtlos zusehen, wie das immer ärger wird. Welche Sorge
macht mir dieses Kind und wie übel wirds ihm im Leben gehen!
Freitag nachts war Zagarelli noch einmal bei uns. Es ist ein junger
Mann mit großen Kenntnissen, der eine sehr interessante Unterhaltung
gewährt. Er konnte sich kaum losreißen. Tübingen sei ihm so
theuer geworden. Er will im Sommer wieder kommen. Ich werde nun
nicht Edgar nach Stuttgart begleiten, da ich von Balde nicht fort
mag. Montag den 28ten März ist Edgar zum Examen abgereist.
Das war eine schlimme Woche. Baldes Zustand verschlechterte sich
so sehr, daß die Inanspruchnahme Dr.Gärtners sehr anstrengend war.
Zwei Tage fürchtete ich das Schlimmste und war in namenloser Verzweiflung.
Der Urin war voll Eiweiß, und kein Apetitt mehr vorhanden.
Seit ein paar Tagen nun hat sich das Hauptübel gebessert, aber
der Apetitt fehlt gänzlich und er ist elend abgemagert, die täglichen
heißen Bäder schwächen ihn auch. - Edgar hat das Examen
glücklich bestanden und wird heute Abend, Freitag den 8ten April
zurückkehren.- Heyse schrieb zwei mal von Zagarelli der ihm sehr
gut gefalle.- Auch der Papa ist gegenwärtig leidend.- Den ganzen
[15] April hindurch zog sich Baldes Krankheit; ich habe jammervoll gelitten
zwischen Hoffen und Fürchten, unter Thränen und Verzweiflung
die Zeit hingebracht. Wo bleibt da der Trost, wenn man dem Tod
eines Kindes entgegensieht und nicht an die Unsterblichkeit glaubt,
wenigstens nicht auf ein Wiedersehen in einem Folgeleben! Denn zur
allgemeinen Gewissheit ist mir auch dies, wie auch die Unsterblichkeit
nie geworden; doch kann ich im Zweifel keinen Trost finden und
muß mich zu Schopenhauers verzweifelter Lehre bekennen, daß "das
Leben der Übel schlimmstes ist, aber der Übertritt zum Nichtsein
eben noch schrecklicher." - Glücklich, glücklich die frommen
Seelen, die in einem frommen tröstlichen Wesen die starke Stütze
auch im namenlosen Jammer des Erdenlebens gefunden!
Emi Weißer war 14 Tage bei uns. Ihre Mutter holte sie am 2ten Mai
ab. In den letzten Tagen des April kam auch Hedwig mit ihrer Bertha.
Unruhiges Leben, wo keine Sammlung möglich war: Rückfälle in der
Krankheit des Balde, schließlich noch einmal 8 Tage Gliederweh. Edgar
geht ungern ins philosophische Seminar, nur Prof. Siegwarts
philosophische Vorlesungen interessieren ihn. Er macht mir viel
Sorge, lebt unregelmäßig, trinkt zu viel, schläft nicht, ißt nichts
und leidet an chronischer Heiserkeit. Auch Isolde ist immer leidend.
Auch von dieser Seite, das ist ein namenloser Jammer.- Sie will
Schauspielerin werden, und ich hatte ganz andere Lorbeerkränze
für sie geträumt!- Der Gedanke, sie vielleicht bald in eine so
fremde, so dornenvolle Laufbahn eintreten zu sehen, ist mir
schrecklich.- Erwin hat in der Vakanz eine Reise mit Vaillant und
Stehberger nach Straßburg gemacht, wo ihm Vaillant eine kostbare
Violine gekauft, er ist sein Liebling. - Hedwig ist gegenwärtig
mit Bertha in Stuttgart, wo Letztere krank liegt. Der Papa schreibt
den Text der den "Viomeroka`schen Shakespeare" bildet. (schlecht
lesbar, ganz schwache Tinte, fast ausgelöscht.)
Sonntag 16ten Mai waren wir mit Hedwig in Niedernau bei der Eröffnung.
Erwin ging morgens mit Vaillant nach Imnau, wo Letzterer
durch den Stoß einer Schaukel eine furchbare Wunde am Kopf bekam,
die Prof. Laxinger nähte. Dennoch kam er bei stürmischen Regen mit
Erwin nach Niedernau. Isolde tanzte über alle Maßen viel und hatte
auch den folgenden Tag Brustschmerzen, was mich sehr ängstigte.
Edgar war auch dabei und sehr vergnügt, Alfred besoff sich mit dem
Maiwein. Montag fing der Unterricht mit Brasche an, Isolde lernt
vorzüglich. Abends waren wir bei Hedwig zum Maiwein mit Fielitz,
Mohl und Vaillant, wir blieben bis nachts um 1 Uhr. Es ist drückende
[19] Sommerhitze, 29 Grad in der Sonne. Edgar hat in dieser Woche
als Stipendium von Prof.Teufel 20 Gulden erhalten, seine Collegiengelder
wurden ihm zurückgegeben. Er besucht fleißig das
Colleg, aber noch fleißiger die Kneipen und kommt selten vor ein
Uhr heim, und ich harre jeden Abend in unsäglicher Angst. - Mit
Balde gehts gut.- Zagarelli hat noch nicht geschrieben und das
Russische liegt brach.- Heute, Sonntag 22. waren.....und Keppler
hier. Seit Wochen habe ich nun Sorge und neuen Jammer. Hermanns
Nervenleiden hat sich wieder eingestellt. Der Verlauf ist ganz
wie vor Jahren, die Überarbeitung ist schuld daran, auch der zu
starke Genuß geistiger Getränke.- (Isolde notiert hier: "Mütterlein,
das ist Übertreibung! Er trank weniger als die meisten
andern. I.")
[12] (Es folgen, was ganz ungewöhnlich bei M.K. Sparsamkeit ist,
Blatt leer. Wahrscheinlich hatte sie das Heft verlegt?)

Ende von Heft VI
(Abschrift von Hella Mohr 1998 von den Orig.i. DLA Marbach 53.1581)


Anmerkungen zu Heft VI

[1868] (1) Die Kepplerische Angelegenheit im Dezember





(2) Eduard von Hartmann, 1842- 1906, Philosoph. Sein Jugendwerk
erregte damals Aufsehen und ist in 12 Auflagen erschienen.
In seiner Phil. des Unbewußten bestimmt er das Absolute als
das "Unbewußte", dessen wesentliche Eigenschaft der Wille sei.
Hingabe des Einzelindiviums an den Weltprozeß ist letzte Erlösg.
Seine Phil. fußt auf Hegel und Schopenhauer. (Brockhaus)

(3) Moriz Hartmann, 1821-1872, böhm.Jude, Gedichte: "Kelch und
Schwert", 1845,(3.Aufl. 1851) "Reimchronik des Pfaffen Mauritius"
1849, "satir. Verse über die Verhandlg. i.d.Paulskirche"
1874; emigriert i.d.Schweiz, nach England und Frankreich,
wird später in Wien Feuilletonschriftleiter der "Neuen freien
Presse" (Brockhaus)

(4) Der Schieß- und Turnplatz waren hinter dem Kurzschen Haus

(5) 17.6.1869 Einweihung des Museumsgartens in Tübingen.

(6) Diese Geschichte beschreibt auch Ottilie Wildermuth.

(7) Dr. Boleslav Jerusch
Heft VII
Tagebuch 1904 - 1905
Anmerkungen zu Heft VII


Lilith und

weitere Gedichte (hier nur ein Auszug)

Zeichnung von Alfreds Urnenkästchen-Inschrift


Verse von Goethe

Grundlagen zur griech. Mythologie

u.a. Notizen (englisch, griechisch, lateinisch usw.)

[158] DLA 53.
(Anmerkung Mohr:
Dieses "Tagebuch" ist vor- und rückwärts, oft auch seitlich
beschrieben. Dem Inhalt nach zu schließen, könnten die schulischen
Notizen von früheren Jahren stammen. Wann welches Gedicht entstanden ist,
ist nicht vermerkt. Ich versuchte möglichst alle Gedichte
zu entziffern und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.)
[1] Heft VII

(Aus "Tagebuch" mit vielen Gedichten und Notizen dazwischen,
ohne Zusammenhang, doch hier wohl als Tagebuch 1904/1905.)

Am Samstag den 25. Juni 1904 kam ich bei Regenwetter nach gut
überstandener Fahrt nach München. Am Sonntag bekam ich Erbrechen
und Schwindelanfälle, die sich oft wiederholten. Ich mußte ins
Bett, verlor im Laufe der nächsten Tage 2mal das Bewußtsein mit
einem unsäglichen Wehgefühl, schrie hinaus, weil ich in einen
Abgrund zu fallen empfand, ich erinnere mich nur schwach an diese
Tage, wurde mit großer Liebe und Sorge gepflegt. Es besserte sich
bald und endlich kam der lang erwartete Traum, der mir meinen
Edgar wieder zuführte. Ich sollte einen breiten Strom passieren, es
schien mir der Po, am andern Ufer wartete eine Chaise mit Erwin auf
mich. Mir schwindelte als ich den schmalen Steg betrat und ich rief:
"Edgar, Edgar, mich faßt ein Schwindel, komm!" Da fühlte ich seine
Hand, seine feine zarte Hand und seine Stimme rief mir ins Ohr:
"Ich halte dich, hab keine Angst, mir schwindelt nicht."
Gesehen hab ich nur ein weißes wallendes Gewand von ihm, sein
Gesicht nicht. - Heute Nacht den 3ten auf den 4ten träumte ich
wieder von ihm. Ich stand auf einer hohen Treppe und unten ging
Edgar vorbei. Diesmal sah ich ihn. Ich eilte hinab, um ihm das
Treppe steigen zu ersparen, da rief er: "Bleibe, bleibe" und stieg
zu mir empor. Da ich zwei Monate mit heißer Sehnsucht auf einen
Traum gewartet, der mir mein heißgeliebtes Kind bringen sollte so
machten mich diese zwei Träume glücklich. Das Weh weicht aber
doch nicht von mir, es gräbt fort, nur wenn Erwin neben mir ist,
nagt der Wurm weniger an meinem Herzen. Edgars Briefe aus seinen
Jugendtagen, die mir sein ganzes jugendhaftes Bild vor Augen
führen, geben mir Freude und Schmerz zugleich. Welch reiches,
geistig angeregtes Leben war das Seine!
Am Mittwoch, 16. Juli abends 10 Uhr kam Isolde mit Davidsohns
hier an. Erwin und Tilla holten sie ab. Davidsohns kamen den Tag
darauf zu uns, und wir machten einen Spatziergang mit ihnen nach
Kleinhesseloh. Den andern Tag reisten sie ab nach Berlin. Isolde
ist auch sehr angegriffen. 2 mal war ich bei Erwin im Atelier und
bewunderte seine reizende Brunnenfigur (1)
Ich habe nie was Schöneres gesehen. Welche Holdseligkeit im Antlitz.
Edgars Büste ist noch nicht ähnlich, der Mund ists noch nicht,
die Nase und Stirn sehr gut. Gestern am Freitag war ich mit Isolde
[2] auf der Prinzregentenbrücke. Erwins Figur ist ... einzig schön,
spielte und sang mir Irene: "Alle Lust hat Leid", und Erwin
begleitete sie auf der Violine. - Vergebens harre ich auf einen
weiteren Traum, der mir den Verlorenen zuführe, wenn auch nur in
schattenhaften Umrissen. Es scheint, daß man im hohen Alter keine
so intensiven Träume mehr bekommt, wie sie mir nach Hermanns Tod zu
Theil wurden, wo mir Nacht um Nacht der süße Trost wurde den geliebten
Todten lebendig in die Arme zu schließen. Ich weiß recht wohl,
was ich noch besitze an den drei mir Gebliebenen, aber dieser
Besitz ist mit einer so unsäglichen Angst verbunden, ob mir noch
einer entrissen werde, daß ich keinen frohen Augenblick mehr erringen
kann. Es ist nicht mehr der wilde Aufschrei der Verzweiflung,
aber es ist fast schlimmer, es ist eine dumpfe Passivität,
die auf mir liegt, und die Angst, ob meinen Söhnen nicht auch das
namenlose Unglück bevorstehe, ein Kind zu verlieren, lauert immer
im Hintergrunde.
15ten. Endlich habe ich einmal wieder von Edgar geträumt, aber
verworren. Er sagte mir, ich solle eine Pincette in der Stadt
holen, denn Maja habe eine Kräte verschluckt, die ihr im Hals
stecke. Ich eilte fort, da wirbelte noch der Traumgott, aber gleich
wieder in andere Bilder hinein, nichtssagende Gestalten huschten
vorbei. Es scheint, daß im Alter die einzelnen wachgeklärten (?)
Welten (?) nicht mehr so klar funktionieren können wie in der
Jugend, wo sie zusammenhängende Vorgänge schaffen. Es braucht im
Alter sämtliche Zellen zum Denken und Bilder schaffen. Das ist
fatal; denn ein schöner Traum ist der beste Balsam für ein trostloses
Vermissen Lieber. - Noch einmal bin ich auch am Briefwechsel
von Hopf mit Hermann in der Vergangenheit untergetaucht und
habe den Trost empfunden, daß ein dornenvolles Leben, in das sich
solche duftenden Blüten der Freundschaft schlangen - doch nicht so
traurig war als es uns oft erschienen. Ich fühle seit dem letzten
Anfall ein großes Abnehmen der Kräfte und eine gewisse Dumpfheit
im Seelenleben, ich bin nicht mehr ich, und mein Ich von früher
schwebt mir wie etwas Verlorenes, nicht mehr Erreichbares vor.
Die Nacht bevor Isolde abreiste, träumte mir, ich gehe mit Edagr und
Isolde auf einem grasbewachsenen Wall spatzieren, beide jung, blühend
und ich freudig angeregt. Unten war eine duftende Wiese, plötzlich
sprang Isolde hinunter- aber es war nicht der Wiesengrund, es war
[3] Moorland, sie versank vollständig, Edgar ihr nach, der sie retten
wollte, er versank gleichfalls. Ein Wagen mit Insassen kam, ich
stürzten die Leute hinein und zogen Edgar wohlbehalten hervor, aber
Isolde blieb verschwunden. Der Traum hatte mich furchtbar verfolgt,
ich wollte nicht mehr einschlafen um nicht weiter zu träumen, auch
am Morgen verfolgte er mich, und erst als ich Kunde von Isoldes Ankunft
in Stuttgart hatte, legte sich die Furcht.
Tristan kam, weiß nicht mehr wann. Armer Schelm. Geht er wohl nun
dem Tod entgegen, wie soll das mein armer Alfred ertragen? Ich kann
meinen Kindern nichts mehr sein, denn mein Zustand bessert sich
nicht, das Gedächtniß läßt immer mehr nach. Der Stuhlgang ist ganz
in Ordnung. Ich schlafe auch meist gut, aber ich habe fortwährend
einen leichten Schwindel und etwas Übelkeit, trotz guten Apetitts.
Die Verdauung also ist es nicht, aber es sitzt im Gehirn. Ich
möchte hier nicht sterben, denn mit Alfred muß ich auch noch eine
Zeitlang zusammen sein. Der ist ja am meisten zu beklagen, der
Einsame, Verlassene. Edagar war ja sein einziger Hort.
27. August. Ich war nie allein, oder mit Briefschreiben überladen,
Tristan und Jole um mich. Isoldes Rückkehr von W. brachte mir auch
wieder Sorge, weil sie in einem sonderbaren Zustand der Erschöpfung
sich befand, mit Kopfweeh gequält, dick geworden, unfähig zu arbeiten,
unfähig oft nur zu reden, matt, dabei stets guten Schlaf und
Apetitt. Der Arzt schickte sie nach Murnau, wo sie jetzt mit Tilla
ist.- Heute nacht war ich mit Edgar und Alfred zusammen. Diesmal
sah ich mein todtes Kind ganz lebendig vor mir, seine Figur und
sein Gesicht, sein Bart aber war zerzaust und dünn: "Du hast ihn
dir gewiß herausgerissen mit dem Zänglein, wie Jole that" sagt ich
zu ihm. "Nein das kommt von der Krankheit her," und nun sah ich
daß er sehr elend aussah. Ich erschrak und beschwor ihn, sich zu
schonen, Alfred redete ihm auch zu. "Ich könnte deinen Tod nicht
überleben" sagte ich zu ihm. - "Du wirst ihn überleben, antwortete
er und ich sterbe gerne, habe genug gelebt. Ein unendliches Weh
bemächtigte sich meine so lebhaft, wie man eigentlich im Traum
nicht sieht- Ja, ja ich habe ihn überlebt, das Schattengebilde
hatte recht, aber wie blutet die Wunde, wie ist mein Kopf zerstört,
wie schreit es oft in mir auf in unendlichem Weh und was wird
dieser zähe Körper nicht noch alles erleben müssen an den Andern?
Was wird Isoldes freudlose Zukunft sein, ich bin nicht geschaffen
ihr etwas zu bieten, das weiß ich schon lange, ich weiß, sei liebt
mich, beängstigt sich nur zu sehr um mich, aber ich bin ihr nicht
sympathisch. (Isolde notiert hier: "O du wunderliches Mütterlein!
Dein Kind.")
Gedicht zum Tod von Edgar Kurz

"Was sucht ihr den Lebendigen bei den Todten?

Wohl ist der Bruder dir entrissen,
Und in des Grabes Finsternissen
Gehalten, von bösem Zauberbann,
Ruht ewig mir, der geliebte Mann.

Der Dichter, der ist uns geblieben,
Nicht nur im Kreise seiner Lieben:
Denn was dem liederreichen Munde
Entströmt, in heilger Weihestunde,

Was klinget auf ewig fort und fort,
Das lebt unsterblich, in Schrift und Wort,
Dem werden noch, in der Nachwelt Tagen,
Begeisterte Herzen entgegenschlagen.

Drum laß uns nicht bei stummen Leichen,
Trostsuchend, uns die Hände reichen,
Der Schatten nur ist`s, der zum Orkus flieht.
Er ist uns geblieben, er lebt im Lied."



(handschriftlicher Eintrag von M.K. in "Tristan und Isolde" (herausgeg.
1844 von Rieger Stgt.)

[4] 15.Oktober (ohne Jahr) 1904 (aus München)
Viele Wochen griff ich nicht mehr zur Feder um Tagesgeschehen
niederzuschreiben, weil ich in Versen mit mir sprach. Inzwischen
kam Jole, Tristan war schon hier, sie blieben lange Zeit, aßen bei
uns, zuerst schied Tristan, dann Jole.- Stockmaiers hübsche Tochter
eine herzige Studentin, besuchte mich. Schlechstes trübes Wetter,
fast täglich Regen. Große Freude gab mir Isoldes Nachruf an Edgar
und die Vorrede zu seinen Gedichten.(2)
Ich las und las immer wieder von vorne, und Edgars Lieder summen
mir im Gehirn und rühren mich zu Herzen. Den Tag nach Hermanns
Todestag kam wieder ein ersehnter Traum. Leibhaftiger als je sah
ich Edgar, auf der Steinbank am Brünnele sitzen beim Löwenkopf,(?)
meinen Brief von Hedwig lesend. Ganz genau erkannte ich die großen
Buchstaben, dann sprach Edgar mit mir, ich solle doch nicht sagen
und schreiben, daß er sich übel befände, er sei ganz wohl. Die
Rosen blühten so schön und dufteten den ganzen Garten aus. Es war
ein langer Traum, so klar und logisch wie nie zuvor, mein Kleinod
so lebendig vor mir, den dunkelgrauen Rock, den warmen, hatte er an
und es war ganz wie in der Wirklichkeit. Ich wachte sehr gehoben
auf und hatte die Empfindung, als schicke er mir selbst die Träume,
um die ich so leidenschaftlich gebeten hatte. Es wurde mir in der
That leichter, seit er sich meinem Geiste wieder offenbarte.- Zwei
Nächte darauf kam er wieder, abermals ganz fühlbar, er eilte auf
mich zu, ich rannte ihm entgegen, da blieb ich aber in einer Dornenhecke
stecken und erwachte. Aber nur sein kurzer Aufenthalt
schon erheiterte mich auf den ganzen Tag.- Nebenher stiegen andere
Sorgen auch auf. Erwin ist so bleich, so müd, so abgehetzt und
magert auffallend ab. Sollte auch er als ein Opfer seines Berufs
als ein Märtyrer der Familie dahingehen müssen. Er leidet unsäglich
durch die Frohnarbeit in Bogenhausen, die Rücksichtslosigkeit für
sein Arbeiten. Das alles kann sein schlechtes Aussehen erklären,
den kurzen Athem aber beim Treppensteigen gewiß nicht. Wie mich das
quält! Sollte ich nochmals müssen Entsetzliches erleben! Weßhalb
muß ich denn immer noch auf der Erde herumtrampeln, ringen, den
Schmerz bezwingen, um vielleicht wieder neuen zu erleben. Ich bin
nicht mehr fähig Jemand etwas zu sein. Sehnsucht zieht mich zu
Alfred, nach Italien überhaupt, aber Sorge hält mich bei Erwin.Isoldes
neue Gedichte
sind herrlich, eines hätte ich gerne unterdrückt.r>Diese
Tiefe, diese Fantasie! Weßhalb hat ihr die Natur ein
ihr würdiges Glück versagt? So reich und zugleich so arm, so hochbewundert
[5] und dabei so wenig wahrhaft geliebt. Das Schicksal gab
ihr Ruhmesgränze in Fülle, als Ersatz für das, was ihr versagt
blieb. (Anm. Mo..: halbe Seite dick überklebt und überschrieben,
nicht von Isolde neugierig abgelöst, so sollen für die Nachwelt
diese damligen Empfindungen Maries unentdeckt bleiben.)
Ein großer Trost ist mir hier doch geworden. Das ist die Versicherung,
daß Isolde, wenn ich gestorben sein werde, die Schillerstiftungspension
erhalten wird, nicht als Tochter ihres Vaters,
denn es existiert bei ihr kein Erbrecht, aber als erste Dichterin
und Schriftstellerin Deutschlands.
An Frau Braun hat sie den einzigen männlichen Umgang, trotz
ihrer Taubheit kann sie mit einem Worte mehr geben als ein ganzes
Heer von Männern und Frauen miteinander. Wenn nur Sie am Leben
bleibt. Isolde hat mehr an ihr als an mir.- (Anm. Mo.: Ende des
überschriebenen Textes.)
Gerne möchte ich, für die kurze Spanne Zeit, die mir noch bleibt,
noch einmal einen Freudenstrahl in mein Herz lassen, aber es geht
nicht. Ich verschließe meine Trauer um Edgar ja so tief im Herzen
und falle niemand lästig damit, aber die Wunde brennt und brennt
immerfort, und das Schicksal meiner Kinder ist nicht angethan sie
nur etwas heilen zu lassen. Wo ich hinsehe zucken spitze Zacken.
28. Oktober.
Heute Nacht kam Edgar wieder zu mir, ich seh ihn jugendlich, aber
unser Heim war ein mir unbekanntes. Er kam und sprach zu uns.
Isolde war auch da, und er frug sie, wo sie so lange gewesen. Im
Theater, sagte ich. Dann sagte er mir, es stehe ganz gut mit der
alten Frau Heinrich und mit ... Helle, er sei bei ihnen gewesen.
Ich wußte aber, daß sie todt seien, und daß er es mir verheimlichen
wollte. Ich wachte auf und erhielt mich wach, damit mir das Bild
Edgars nicht aus den Augen schwinde. Früher, vor vielen Jahren, als
jene wunderbaren Träume von Hermann mir als Tröster kamen, hatte
ich oft gedacht, ob vielleicht nicht doch etwas vom Menschen zuückbleibe,
das die Macht habe, den Seinen im Traum zu erscheinen, aber
das so Ungereimte, Unfertige, das damit verbunden ist, zeigt mir,
daß es nur Bilder, Abbilder der Geliebten sind, die unser Hirn
selbst hervorbringt, aber auch diese eigene Schöpferkraft sei hoch
gepriesen, da sie ein süßes Wehe schafft, das auch beseligen kann.
10. November (1904)
Trübe Tage sind dahingegangen. Tillas Vater starb, zwar einen sanften
beneidenswerthen Tod, aber wieder hat eben das hohläugige Gespenst
[6] zu uns hereingeschaut und der Anblick Trauernder, Weinender,
läßt kein Herz das tiefe Wunden trägt unberührt. Was mir aber tiefer
einschneidet ist Erwins Anblick, sein schlechtes Ausssehen,
seine Müdigkeit, seine tiefe Verstimmung. Ob alles nur Überarbeitung
ist, ob tiefere Gründe obwalten, noch weiß ichs nicht, da er
sich absolut nicht will untersuchen lassen. Sein Schwager hält die
Kurzathmigkeit beim Treppensteigen für keinen Beweiß eines allarmierenden
Leidens, da er selbst bei unserer Treppe so schwer athmen
müsse. Ich wills hoffen und will versuchen die Gespenster zu verbannen.
Nun sind Edgars Gedichte erschienen, (3) leider in so
kleiner Ausgabe, die von Isolde werden bald folgen.
Wenn das Genie ein wunderbares Talent einen Menschen glücklich
machen könnte, so müßte sie´s sein. Es ist mir ein Trost, daß sie
wieder auflebt, sehr gut aussieht und liebt und freundlich mit jedermann
ist. Alle rühmen es. Es ist in der That nicht ihre Schuld,
wenn sie innerlich irritiert ist, oder von ihrer Umgebung gepeinigt,
öfters einmal lieblos zu sein scheint. Sie ist so viel gequält
und niemand tritt ihr recht nahe, weil sie kühl scheint und
zu stolz ist Theilnahme zu suchen. Schon
lange kein Traum mehr von Edgar. Mein Gemüth ist zu sehr bekümmert
um Erwin, das versperrt mir die Traumwelt. Das Wetter ist
scheußlich, Sturm, Regen und Kälte.
14. November, Sonntag.
Heute Nacht war ich glücklich. Von Edgar geträumt, alle meine
Kinder waren um mich, auch unsere theure Fina, die ich in den Armen
hielt und ihr für alle Liebe dankte, die sie uns erwiesen hatte.
Sie war sehr übel dran, da rief ich Edgar herbei, der sie gleich
wieder herstellte. Wir waren in einem schönen Garten, voll von
Herbstblumen, meine Stimmung heiter, ungetrübt. Sorge machte mir
nur, aber keine große, eine lateinische Übersetzung, die Alfred zu
machen hatte obgleich er schon Arzt war. Früh morgens wachte ich
auf und hielt mich wach, um den Traum nicht zu vergessen. Erwins
[7] Stimmung ist besser, seit er mit der unseligen Büste beinahe zu
Ende (4) Aussehen freilich immer noch bleich, aber der Druck ist
von ihm, und das ist schon ein Glück.
24. November, Donnerstag
Seit gestern unaufhörliches Schneegestöber. Die Wege ungangbar,
Himmel, Erde, Bäume in Weiß getaucht, scheußlich. Sonne von Florenz,
Oliven- und Lorbeerbäume in ewigem Grün, werde ich Euch
nochmals wieder sehen? Wie hasse ich dieses Deutschland, seit Edgar
[7] todt ist noch viel mehr. Er hat mir seinen Haß vererbt! Tagtäglich
wächst die Sorge um Erwin in mir und ich kann nichts machen.
Überarbeitet - und was wohl noch mehr? Er soll sich ausspannen,
sagt der Arzt, aber auch nicht rauchen und nicht trinken! Heute ist
die Angst doppelt groß. Viermal durch den englischen Garten nach
dem verdammten Bogenhausen. Wenn er versänke im Schnee, wer findet
ihn dort? Oh, wäre ich endlich todt und müßte die Gefahren, die den
Kindern drohen nicht wie brennende Kohlen auf der Seele tragen! Isolde
hatte die Influenza. Ich konnte sie anfänglich noch besuchen,r>das
Fieber ist weg, aber ich bin doch beunruhigt, ob sie
sich jetzt nicht wieder verdirbt, und ich kann nicht nachsehen.
11. Dezember
Heute Nacht einen schönen Traum von meinem Edgar. Inniges Wohlbehagen.
Ich sprach mit ihm, aber er war ganz jung und hatte seine
schönen braunen Haare, die ich ihm abschnitt, weil er nach Italien
wollte und dort die langen Haare verpönt waren. Gestern hatte ich
die Freude über den Erfolg seiner Gedichte in der "Norddeutschen
Allgemeinen".(5) - Wetter trübe, regnerisch, kalt. Heute Nachricht
erhalten, daß Jole in Padua ist.
12. Dezember
Wetter wieder schön, blauer Himmel.
16. Dezember
Ich suchte dich, ich suchte dich und fand dich auf einen Wonneschrei
auf der Ponte Vecchio! (6) Aber es waren verschmolzen in eins,
Edgar und sein Vater und beide hielt ich im Arm als eine Person,
selig wachte ich auf.
17.Dez. - Das Leben ist so traurig, und wer einmal so Herzzerreißendes
durchgemacht hat, der bringt das Angstgespenst nicht mehr
aus sich heraus. Dann kommen aber hie und da Träume von ungetrübtem
Lebensgenuß und solche geben auch Lebensmuth und Freude - für kurze
Stunden. So saß ich heute Nacht mit meinem Balde in einer Chaise,
fühlte mich glücklich ohne Ahnung. In ruhiger Behaglichkeit, stand
Edgar vor mir, vis a vis, und ich freute mich, daß seine Haare
wieder braun geworden waren, sah aber kein Wunder daran, sondern
etwas Selbstverständliches. Die Anderen waren auch alle um den Weg,
und ich war glücklich. Wenn nun die Nacht kommt und den Kummer und
die Sorgen des Tages verscheucht, ist dies nicht eine Lebensfreude,
und ists ein Wehe, das die Wirklichkeit nimmt, solange die Wirklichkeit
dauert.
[8] Erstes Begegnen mit Vanzetti.
Edgar wurde zu einem diphteriekranken Fräulein von Cramm berufen,
die von einem Schwindler Youry (?) behandelt wurde. Vanzetti war
gerufen worden und hatte erklärt, daß er den Fall nicht übernehme,
da er durch den englischen Schwindler bereits total verpfuscht sei.
Edgar nahm ihn an und bemerkte bald, daß es bei der Patientin zum
Hungertyphus geworden war und fütterte sie nun mit bestem Erfolg
mit rohem Fleisch, Beefsteaks und feinen Weinen. Diese gelungene
Kur verschaffte ihm Vanzettis Bewunderung und die Liebe der Schwester
der Kranken von Helga Cramm. Wo sie wohl sein mag? - Sie ist
ihm sicher vorausgegangen.
10. April (1905)
Die heutige Nacht gab mir einen seligen Trost. Mir träumte immer
wieder klar und lebhaft. Ich sah Fasola mit Edgar im Gespräch auf
mich zu kommen. Da that ich einen lauten Schrei und stürzte meinem
Kind in die Arme. Er sah aber bleich und angegriffen aus, wie nach
einer langen Krankheit.- Dann kam ein Scenenwechsel. Ich wußte
Edgar schlafend, flickte seine Hosen, um sie ihm ans Bett zu bringen.
Er erwachte, ich fragte wie er geschlafen. "Sehr gut" sagte er mir,
"und ich fühle mich auch ganz ausgezeichnet wohl." Er sah frisch
und gesund aus. Deutlich hörte ich ihn sprechen, genau sah ich
seine Züge. Es war nicht nur ein Traum, es war ein Lebensbild. Und
das geliebte Bild drang wie eine Wahrheit in mein Herz. Leider
treibt der laute Tag wieder spitze Zacken ins Gemüth, und das süße
Traumbild, das Ruhe und Sammlung will, flieht.- Warum kann ich Alfred,
den jüngst Verlorenen nicht auch sehen, so denke ich den
ganzen Tag und bei Nacht entflieht er mir.
13. April
Zum ersten mal wieder seit Erwins Übersiedlung nach Deutschland
habe ich seinen Geburtstag mit ihm verlebt, seinen 48ten. Unser
aller Stimmung war aber nicht heiter. Nachmittags besuchte ich ihn
im Atelier und abends war Isolde da. Am 14. sah ich die fertige
Büste Edgars,(11) herrlich gelungen. Sie machte mir einen erschüttern
den Eindruck. - In der Nacht vom 14. auf den 15. hatte ich
einen so beglückenden Traum wie noch nie. Wir waren in Edgars
Villa. Er und Alfred standen bei mir. Ich sah sie deutlich und
sprach mit ihnen, legte meine Hand auf Edgars weiße Brust, und an
der anderen Hand hielt ich Alfred, war so glücklich, hatte kein
Bewußtsein vom Vorgefallenen, und nun kam auch noch Fina dazu, die
10
ich ebenfalls deutlich sah und sehr glücklich darüber war. Nur der
Traum kann mir noch Freude geben, mein wahres Dasein ist eine Qual
und Angst. Beim Erwachen war es mir, als ob meine beiden Söhne in
der That zu meinem Troste gekommen gewesen wären und Fina mitgebracht
hätten, denn vor dem Einschlafen beschwor ich sie heute
Nacht zu kommen. Mit Montag dem 17ten beginnt Edgars Leidenszeit.
Da war er mit 39 Grad Fieber noch einmal bei seinem Patienten, der
dann einen Tag nach ihm starb. Diese zehn Tage sind eine schwere
Zeit für mich, ich sehe das Übel fortschreiten und muß immer daran
denken und alles miterleben.- Oh, einen Schleier darüber - es ist
zu traurig. Ich wäre so gerne jetzt zurückgereist. Noch einmal
sein Aschekästchen zu bekränzen. Im Tode wird durch die Trennung
von den irdischen Elementen, der Geist, das Pneuma des Menschen,
zwar nicht leben in der Weise wie es im Sonderdasein des Einzelmenschen
gelebt hat, aber es wird unsterbliches Bewußtsein behalten,
indem es in den unsterblichen Äther eingeht und mit dem
Allebendigen sich verschmilzt.
[10] 31. Januar 1905
Viele Wochen sind dahin geschwunden, der Tod war wieder eingekehrt
und holte die alte Frau, Tillas Mutter ab, um sie zu den Vorangegangenen
zu legen, deßhalb trübe Feiertage. Isolde war auch inzwischen
an Influenza erkrankt, ich an Magen- Darmkartharr. Jetzt
herrscht eine böse Epedemie von Lungenentzündung. Scheußliches
Wetter, und ich schwebe in steter Angst um Isolde und Erwin. Heute
Nacht sah ich Edgar wieder so recht lebhaft, jung und schön wie vor
vielen Jahren. Wir waren am Neckar und wollten zusammen baden. Das
Zusammensein dauerte aber lange und es war mir sehr wohl dabei. Ich
las dieser Tage mal wieder den Münchhausen (7) und las ihn mit neuerwachtem
Interesse! War es doch auch eine Lieblingslektüre von
meinem Edgar. Nicht im Schmerz sich eingraben ist ein ächter
Todtenkultus, sondern in den Gedanken und Bestrebungen des Todten
weiterleben und ihn an uns bannen.
4. Februar - Die Zeit der Abreise rückt heran, ob es das Schicksal
will oder nicht?
27. Februar 1905
Immer noch hier. Isoldes Fußleiden machte die Reise unmöglich.
Während ich da sitze wird wohl die Zehe operiert, und ich fühle
faktisch die Schmerzen mit. Die vergangene Nacht war scheußlich.
Wohl sah ich Edgar, aber elend und krank, Isolde ebenfalls so, auch
mußte ich alle Schrecken des Hingerichteten mitmachen. Könnte ich
solche Träume nur allen, die für die Todesstrafe schwärmen und
die sie einführten, ansagen, wie Edgar sagt:
"Wer einem Lebenden nicht Gnade schenkt
Soll von den Todten keine Gnade haben."
Maja ist seit acht Tagen abgereist.
Am 23.(2.1904) erhielt ich die letzte Karte von meinem Alfred,
voller Leben. Es gehe so gut mit seiner Gesundheit und am 2. März
war er todt.- Jetzt ist des Jammers zu viel.- Mit ihm verlor ich
Edgar nochmals!
[9] Alfreds Adresse: Palazzo Falier (8)
Calle Vitturi 2908, 1. Staforo
Es folgt ein griechischer Spruch von Anaxagoras (9, auch Kopie)
[12]Ein Gedicht von Alfred:

Gedanken kommen und singen
Mich an mit neckischem Ton
Doch will ich in Verse sie bringen
Sie fliegen als Blasen davor."





(Spruch mit Zeichnung von Alfreds Urnenkästchen)

"Nunc
tantum
mundi inscius
hic bone
gaudeo quite"

(dt. Jetzt noch unwissend freue ich mich hier in guter Ruh)





Dem langersehnten Wiedersehn
Folgt bald das Voneinandergehn.
Und trifft der Trennung bittern Schmerz,
Dem Dolchstoß gleich das Mutterherz.
Doch mälich taucht ein Trost empor
Die liebe Stimme klingt im Ohr.
Erinnerung malt mir Bild um Bild
Von der Erscheinung ganz erfüllt
Hol ich zuück vergangne Tage
Zeitlos versenkt und ohne Klage."







(Brief einliegend von Rtlg. von Prof. Kupfer vom 15.12.1905)




Geeehrtes Fräulein Isolde.

Die Grabschrift, die sie ihrem unvergeßlichen Bruder zu sagen
gedenken: "Im Dienste der Menschheit vor der Zeit aufgezehrt"
erinnert mich unwillkürlich an Bismarcks Wahlspruch:
"Pro patria inserviende consumor". (12)
Im Anschluß daran wäre die kürzeste Fassung:
"Hominibuis inserviendo praemature consumptus." (13)
Vielleicht können Sie diese zu Grunde legen.Aus
Ihrem Brief habe ich mit Freuden ersehen, daß Ihre verehrte
Frau Mutter sich wohl befindet. Ich erwiedere ihren freundlichen
Gruß aufs Herzlichste. Was mich betrifft, so habe ich im hohen
Grad unter katharralisch-rheumatischen Beschwerden zu leiden.
Das Alter macht sich eben in empfindlicher Weise geltend.

In größter Hochachtung

Ihr ergebenster Prof. Kupfer
(Ende von Tagebuch VII)

Thanatos
Ich sah den bösen Thanatos,
Wollt sich die schönste Blume pflücken.
Verzweifelt stürzt ich auf ihn los,
Ihn aus der Thüre schnell zu drücken.

"Oh, weich zurück, erhör mein Flehn,"
Ruf ich ihm zu, "laß blühn die Rose.
Ich will ja gerne mit dir gehn
Und still nur ruhn in deinem Schoße."

Da lacht der Tod, mitleidig schier,
Sieht meine blassen Wangen.
"Mein gutes Weiblein bleib nur hier,
Nach dir hab ich noch kein Verlangen.

Ich will auch nicht unhöflich sein,
Seh dein Geschenk an, als empfangen,
Erhalte dir dein Enkelein."
Auf weiten Wegen ist er gegangen.









Ach, wie ist die Ruhe süß,
Nach der Fluth, die furchtbar stürmte,
Well auf Well sich hochaufthürmte.
Ach, wie ist die Ruhe süß.

Ach, wie ist die Ruhe süß,
Seit ins Herz gekehrt der Friede,
Der so lange mich gemieden.
Ach, wie ist die Ruhe süß.

Ach, wie ist die Ruhe süß,
Alles strahlt im Rosenschimmer,
Und zum Eden wird mein Zimmer.
Ach, wie ist die Ruhe süß.

Ach, wie ist die Ruhe süß,
Seit mein Kleinod ist gerettet,
Bin auf Rosen ich gebettet.
Ach, wie ist die Ruhe süß.

Vergangenheit

Vergangenheit, du weitentrückter Stern,
Du scheinst mir nicht als blasses Licht von fern,
Du strahlst wie purpurleuchtend Abendroth,
Wie Sonnengold, dem kein Erlöschen droht,
Noch einmal auf, in voller Herrlichkeit.
Des Lebens Wirren fliehn zurück so weit.
Der Liebsten leuchtende Gedankenwelt
Hat zauberhaft noch einmal mich erhellt.
Und um mich wogen süße Melodien,
Die mir begeisternd durch die Seele ziehen,
Und seine geistentsprossenen Gestalten,
Die glaub ich liebeswarm im Arm zu halten.
Lebendig sind mir jedes geschrieben Wort,
Und tönt in meinen Ohren fort und fort.
Der liebe Frühling ist ins Herz gekehrt
Und hat der Welten schönste mir beschert.
Und diese Welt darf ich mein eigen heißen,
Daraus mich kann kein Macht von dannen weisen.
März 1904


Nachschrift
Wie wurde ich aus ihr herausgerissen,
Umgeben nun mit öden Finsternissen.
Die hellen Bilder sind nun schwarz verhüllt,
Und vor mir schwebt des Sohnes Todtenbild.
Mai 1904, FLorenz

Lilith


Als aus Jevohas Händen der erste Mensch entsprang,
Aus aller Welten Enden, ein Jubelruf erklang.

Denn hohe Schönheit schmückte, dies Gottesebenbild,
Sogar der Cherub blickte, von Staunen ganz erfüllt,

Auf diese Menschenblüte, der Augen blaues Licht;
Denn Neid wohnt im Gemüthe der selgen Geister nicht.

Und aus der Genien Kreise, schwebt liebend nun heran,
Ein Frauenbild, tritt Reise zum neuerschaffnen Mann:

"In allen Himmelszeiten bist Dus, der mir gefällt,
Du sollst mich nun begleiten, durch jeden Raum der Welt.

Ich will Dich lehren sehen, die Wunder der Natur;
Ich will Dich lehren gehen, auf selger Geister Spur."

Mit diesem Kusse zieh ich, Dich zum Gefährte mir,
Und Geistersame streu ich, zum Lohne Dir dafür."

So manche Jahre währte, der schön geschlossne Bund,
Lerngierig er, sie lehret und küssend scherzt ihr Mund.
[91] Es schwillt des Hochmuths Ader, dem staubgebornen Mann,
Erst dünkt er sich Berather, Gebieter gar sodann.

Da sieht er hoch erhoben, die zarte Luftgestalt.
Und bald ist ihm entschwoben, ihr Lebewohl verhallt.

Was er erforscht, gesehen, das fällt nun von ihm ab.
Und von den lichten Höhen stürzt er zur Erd` herab.

Verzweiflung faßt den Armen, im Herzen bittrer Tod:
"Jehova, hab Erbarmen", ruft er, "mit meiner Noth."

Allvater hört sein Flehen und sagt ihm väterlich:
"Dir soll ein Trost erstehen, so wie es ziemt für Dich."

Als Schlaf ihn nun umhüllte, zieht er aus seinem Leib
Ein unkluges Gebilde und gibt es ihm zum Weib.

"Die ist Dir ebenbürtig, ist Fleisch von Dir und Bein.
Dem Götterweibe würdig, kannst Du doch niemals sein,

So mag sie Dir denn frommen, Du, sei mein treuer Knecht,
Dann soll von ihr Dir kommen, ein dauerndes Geschlecht."

x x x
In eines Baumes Schatten, im Grase halb versteckt,
Da haben sich die Gatten ausruhend hingestreckt.

"Nun," ruft das Weiblein heiter, "sieh, dieser Früchte Pracht,
Hab eine, ohne Leiter, vom Ast mir losgemacht."

Und mit den weißen Zähnen, sie sogleich in sie biß,
Der Mann mit rauhen Tönen, sie sogleich ihr entriß.

"Unselge, welch Verbrechen, denkst Du denn nicht daran.
Wir dürfen sie nicht brechen, sonst ists um uns gethan."

Doch sie mit heitrem Lachen: "Geh doch, Du Hasenherz,
Laß Dir nicht bange machen, es war ja nur ein Scherz.
[92] Drum laß ihn Dir nur schmecken, so, wies auch ich gethan."
Fährt fort noch ihn zu necken. Da beißt er endlich an.

Doch eine Donnerstimme, erschüttert nun sein Ohr.
Und Gott in seinem Grimme, tritt aus dem Wald hervor:

"Den Bund habt Ihr gebrochen", er sich vernehmen ließ,
Mein Urtheil ist gesprochen: Fort aus dem Paradies.

Du sollst in Schweiß und Mühen, verdienen Dir Dein Brod.
Du sollst die Pflugschar ziehen, sie rettet Dich vor Noth."

"Und Du," spricht er zum Weibe, Du sollst verdammet sein,
Daß sich Dein Kind vom Leibe, nur löst in heißer Pein."

x x x

Wenn nach des Tages Ringen, hernieder sinkt die Nacht,
Wohlthätge Träume bringen vergangner Zeiten Pracht.

Ein Lichtbild sieht er schweben, das winkt ihm freundlich zu.
Sein einzger Trost im Leben. O L i l i t h, das bist Du.
x x x (siehe Gedichtband: "Lilith" von Isolde Kurz, durch das sie sehr
berühmt wurde.) (DLA 53.1581)

Welcher von den Göttern allen
Kann am meisten mir gefallen?
Zeus der böse Regengott, -
Macht den Frühling uns zu Spott.
Aphrodite und ihr Sohn,
Sehn mich an mit argem Hohn.
Pellas ist mir gar zu strenge,
Nur die lieblichen Gesänge
Holder Musen hör ich gern,
Neig mich ihnen auch von fern.
Doch du theurer Sohn der Nacht,
Hast mich selig oft gemacht,
Wenn der Tag mir böse Stunden,
Schreckgeschrei nur hat gebracht,
Hat dein Zauber mich umwunden,
Mitleidvoller Sohn der Nacht.

O Seele bist du, oder bist du nicht ?
Ist, was du denkst, nur Stoff allein,
Der mit dem Tode dann zusammenbricht,
Und ausgelöscht, vernichtet, ist ein Sein? -

Weßhalb dies Erdenleben voller Qual ?
Das Geistesleben, das entwickelt sich,
Das Streben nach dem höchsten Ideal,
Wenn gar nichts ist im All, mein armes Ich!

Es dringt der Geist in jene Spärenwelt,
Durchmisset der Gestirne Lauf,
Mit seinem Lichte hat er sie erhellt,
Und ihre Elemente zählt er auf.

Es hat das Licht in seinem Dienst gebannt,
Den Schall sogar, den schlechten, hält er fest
Mit welcher Kraft ist er dem Stamme x zugewandt,
Die ihn solch Herrliches vollbringen läßt?

Ein Theil vom All, aus seinem Stoff entlehnt,
Das forscht und denkt, es wohnt im Stoff der Geist.
Ist es ein Trugschluß, der nun ausgegährt,
Daß auch im All die eigne Seele kreist?

(gedichtet in Forte dei marmi)
(x Statt Stamme könnte man sagen: Ursprung=Gott)

Die schöne Sonne die im Niedergang
Mir solche holden Strahlen noch gesendet,
Die mir das Auge und das Herz geblendet
Wie ist es mir doch nun so bang, so bang!

Nun kommt die Nacht, hüllt mich in Dunkel ein,
Der großen Freude folget nun die Pein.
Das Schicksal hat zum Glück mich nicht erlesen,
Doch halt ich fest das Schöne, das gewesen.

Wenn die Thrän vom Auge quillt,
Fällt wie Balsam, ach so mild,
Sie auf deiner Seele Schmerzen.
Wenn die Thrän zu Eis erstarrt,
Fällt sie wie ein Stein so hart,
Gräbt sich tief dir ein im Herzen.

Thräne ist dem Herz gegönnt,
Dass dir nicht dein Herz verbrennt.
Nur die Angst hat keine Zähren,
Saugt in dein Gedärm sich ein,
Läßt dich nimmer ruhig sein,
Kannst durch nichts sie von dir wehren.
Die Sorge

Die Sorge hält gar treue Wacht,
Sie bleibet bei mir bei Tag und Nacht,
Nur manchmal wechselt sie das Kleid,
Doch immerdar ist sie bereit:

Mal rückt sie mir nur leis heran,
Bald packt sie mich mit Krallen an.
Die Beute wehret sich vergebens,
Das ist der Fluch des langen Lebens!

W a h n

Wie dem Wandrer in der Wüste,
Der ermattet niedersinkt,
Plötzlich eine Zauberkiste
Hoffnungsvoll entgegen winkt.

Freudig eilt er ihr entgegen,
Doch das holde Wüstenbild
Weicht zurück aus seinen Wegen,
Löst sich auf vom Dunst umhüllt.

Also, wer es wagt, vermessen
Nach dem flüchtgen Glück zu fahn,
Nur zu bald wird er ermessen,
Daß das Glück ist nur ein Wahn.

Willst du dennoch es umarmen,
Wie ein andrer Ibikus,
Wirds dir gehen wie dem armen,
Daß er ewig büßen muß.

Der Storch spricht:




Nicht den Frühling zu verkünden,
Komme ich zu Dir geflogen,
Der ist längst schon eingezogen
Mit den Blumenangebinden.

Bessres ich im Schilde führe,
Der Gesundheit goldne Tage,
Fort des Herzens bittre Klage,
Die noch schlimmern der Klystiere.

Mit der Freude holden Rosen
Will ich dir die Wangen zieren.
Dich zum Lebenswohle führen
Und zu ewig heitern Loosen.


Euripides sagt: Siehst du über und um uns den unermeßlichen
Äther, der die Erde mit frischen Armen rund umfängt.
Das ist Gott.

Es blühten gerade die Rosen

Wir saßen unterm Zypressenbaum
Einsam, in heimlichen Rosen.
Die Finken zwitscherten wie im Traum,
Als blühten gerade die Rosen.

Leuchtkäfer schwärmten um uns her.
Ein neckischer Elfenreigen.
Die Sonne versank im blauen Meer,
Rings nächtlich tiefes Schweigen.

Um Deinen Hals geschlungen hing
Ein Band, mit gelben Korallen.
Die sind, als mich Dein Arm umfing,
Gelöst zur Erde gefallen.

Und jauchzend begann die Nachtigall
Zaubermächtig zu schlagen.
Zuletzt verhallte der Jubelschall
Zu schmelzend süßem Klagen.

Der Jubel unsrer Liebeslust,
Verklang im sanften Kosen.
Du lagst so lieb an meiner Brust
Es blühten gerade die Rosen.

align="center">Sonnenblume

Mit Liebesbitten flehte
Der Mond die Blumen an,
Im Abendwinde wehte
Sein Wort zu ihr heran.

Nun, für Dein lichtes Blühen,
Mit deiner Schönheit Pracht,
Mit meinem sanften Glühen
Erhell ich dir die Nacht.

Sie aber schmerzlich schweiget,
Versteht die Sprache nicht,
Und tiefer noch sich neiget
Ihr Blumenangesicht.

Da springt mit mächtgem Tosen
Der Sonne Toren auf
Aurora streut ihr Rosen
Auf ihren Siegeslauf.

Die Freudenthränen feuchten
Das ganze Blumenheer.
Im Perlenschmucke leuchten
Und duften sie umher.

Doch ferne sie nun blicket
Zur Sonne unverwandt,
Dem Erdenreich entrücket
Von Zaubermacht gebannt.

Drum laßt ihr mir zum Lohne
Die Weltversöhnerin,
Die schöne Strahlenkrone
Auf ihrem Haupt erblühn.

Raphaella

Und auf heute abend wieder
Singt die kleine Rafaella
Mit den goldig blonden Haaren
Mit den rabenschwarzen Augen.

Langsam gleiten ihre Finger
Durch die Saiten der Gitarre.
Heftig, ungeduldig zitternd
Schnarrt des Vaters Mandoline.

Und sie schweigt, die langen Wimpern
Senkt sie leis und hebt sie wieder.
Seltsam glänzen ihre schönen
Märchenhaften Kinderaugen.

Nachahmung eines toskanischen Volksliedes

Es wandte sich ab, den so sehr ich liebe,
Auch wenn der andre mir fern dann bliebe,
Die Sonne, die kurz meine Tage erhellt.
So lebe du wohl, du schöne Welt.
Und muß ich ertragen dies Liebeswerben,
Wie ist mir so weh, ich möchte sterben. -

Warum, o Sonne, scheinst du so trübe,
Die mir geleuchtet in höchstem Licht?
Du bist nicht mehr das Gestirn der Liebe,
Du hast verwandelt dein Angesicht.

Du hast dich verhängt mit dichtem Schleier,
Draus trifft mich mehr kein warmer Strahl,
Wohl bleibst du mir stets lieb und theuer
Doch bleibt dirs nur zu meiner Qual. -

Schon ist er hingegangen,
Der holde Veilchenflor,
Bevor er noch empfangen
Die Sonne, die zuvor

Sie schien so matt und traurig,
Die Winde wehten wild
Die Veilchen lieblich, schaurig,
Vom Staub ganz eingehüllt.

Sie sanken trostlos nieder
Auf ihrer Mutter Brust,
Bevor der Vogel Lieder,
Erklang zu holder Lust.

Bevor sie ihre Düfte,
Aus ihrer Blüthen Schoos,
Entsendet in die Lüfte,
Ist auch gefalln ihr Loos.

Wie manche Menschenblüthe,
Zuvor voll Sonn und Licht,
Doch Trauer im Gemüthe
Vorzeitig zusammen bricht.

Nachruf für Uhland

Den treusten Kämpfer in dem Heilgen Streit,
Den größten Dichter hat das Grab verschlungen,
An seiner Gruft klagt die verwaiste Zeit. -
Doch seiner Leyer Ton ist nicht verklungen.
Es rang der Tod den Dichter nicht darnieder,
Er lebt und tönt aus abertausend Zungen. -
Er hebt sich aus dem dunkeln Grabe wieder,
Er schreitet siegend durch die künftgen Zeiten,
Er weckt den Keim für tausend neue Lieder. -
Und die ihn sehen in der Zukunft schreiten,
Sie nennen ihn mit Stolz, wie wir, den ihren,
Und werden Dankesfeste ihm bereiten. -
An wessen Stirn die Götterhände rühren,
Der wird des Genius hohen Stengel tragen,
Den wird er zu den heilgen Orten küren, -
Aus dessen Haupte werden Flammen schlagen;
Die Jugend aber wird in edlem Streben
Nun feurig nach der hehren Palme jagen, -
Die ihren Dichter durch sein ganzes Leben
Nebst Daphnens grünem Haare schön geschmückt,
Die der Vollendung Krone ihm gegeben. -

Und während wir ins offne Grab geblickt,
Als Opferspende unsre Thränenfluten
Dem heißgeliebten Todten nachgeschickt,
Entstand der Phönix in verjüngten Gluten.

Marie Kurz



(veröffentlicht in der Zeitschrift "Gradaus" am Sonntag 23.11.1862 nach
einem Nachruf für Uhland von ihrem Mann Hermann Kurz, siehe Katalog
Kurz Reutlingen Chronik von Gregor Wittkop Seite 172)

Gedicht zum Tod von Edgar

"Was sucht ihr den Lebendigen bei den Todten?

Wohl ist der Bruder dir entrissen,
Und in des Grabes Finsternissen
Gehalten, von bösem Zauberbann,
Ruht ewig mir, der geliebte Mann.

Der Dichter, der ist uns geblieben,
Nicht nur im Kreise seiner Lieben:
Denn was dem liederreichen Munde
Entströmt, in heilger Weihestunde,

Was klinget auf ewig fort und fort,
Das lebt unsterblich, in Schrift und Wort,
Dem werden noch, in der Nachwelt Tagen,
Begeisterte Herzen entgegenschlagen.

Drum laß uns nicht bei stummen Leichen,
Trostsuchend, uns die Hände reichen,
Der Schatten nur ist`s, der zum Orkus flieht.
Er ist uns geblieben, er lebt im Lied."



(handschriftlicher Eintrag von M.K. in "Tristan und Isolde" (herausgeg.
1844 von Rieger Stgt.)
Josephine
Ich stand an deinem Grabe
In tiefer Dankbarkeit,
Die einzge Liebesgabe,
Ich bot sie dir auch heut.

Oh, daß mein Laut noch dränge,
Hinunter an dein Ohr,
Daß sich ein Band noch schlänge,
Um mich zu dir empor!
Marie Kurz

An Josephine

Dein Name prangt auf keinem Marmorstein,
Und keinen Lohn gab es für solche Treue;
Doch grub ich ihn in meinem Herzen ein,
Und Dankesthränen geben ihm die Weihe.

Die Erde, welche solche Herzen trug,
Ist für die Besten auch noch gut genug,
Denn herrlich wirkt, wie höchste Geistesblüthe,
Solch opferfreudig, sonnenwarm Gemüthe.

Die Bleibenden

Alles geht der Vernichtung Bahn,
Selbst der Dichtung hehre Gewalten,
Dauernder als des Lebens Gestalten,
Sind dem Verhängnis unterthan,
Welken hin und veralten.

Nur enthoben dem Wechselspiel
Stehen die ewig jungen Helenen
Allem Schauen, Staunen und Sehnen bleibendes Ziel.
Wie die Zeiten brausend vorüber wandern
Ein Jahrtausend zeigt sich dem andern.

Das Schöne wird häßlich, zum Laster die Tugend,
Sie aber blühen in Götterjugend.
Heut noch am sonnigen Wiesenhang
Weidet Daphnis die Stier und Kälber
Zu der lieblichen Syrenen Klang
Tanzen Pan und die Nymphen selber.

Nimmer kann ich ihn vergessen
Jene Tage, süße Wonne
Jene neue Lebenssonne,
Die ich ach so kurz besessen
-Im süßen Honigworte
die verhallt im Sturm des Lebens
und ich harre nun vergenes
ob sich öffne nun die Pforte.draus
mehr licht mir dringet
und ersehnte morgenröthe
die der langen herzensöde
wieder ihren Balsama bringet.

So wär es wahr, ich darf aufs Neue hoffen,
Der Blitzstrahl, der gezuckt, hat nicht getroffen.
Die Nacht gelichtet, die mich tief umhüllt,
Geglättet meiner Seele stürmische Wogen.
Darauf mein Schifflein leise ist gezogen,
Vom Hauch der Hoffnung sanft sein Segel schwillt.
Noch sind am Horizonte dichte Ränder,
Ich will ich mich doch der guten Stunde freun.
Die Fernsicht noch im Nebel eingehüllt.
O duftet Rosen, und ihr Nachtigallen
Laßt mir noch einmal euer Lied erschallen,
Laßt fest mich halten dieses Frühlingsbild.
Der Lenz ist ja der Hoffnung schönstes Bild.

Traum


Die Dornen überwunden,
Haben sich davon gemacht,
Und die lieblichsten Gebilde
Zaubert mir der Traum hervor.
Heiße Wünsche, sich erfüllten,
Wesen, die ich längst verlor,

Alles darf ich wieder finden,
Meinen Dank dir darzubringen
Traum, ich dir Altäre gründen
Und mit Kränzen sie umwinden,
Bleibe hold mir bis zum Tod,
Tröster nach des Tages Noth.

Träumen ist das beste Lieben,
In dies Zauberreich versenkt
Wird nichts deine Ruhe trüben.
Was du willst, der Traum dir schenkt.

Niemals wirs Du sein verlassen,
Denn dein Liebstes geht mir Dir,
Kannst es mit den Händen fassen
Daß es nicht entspingt zur Thür.

Kannst es unter Schloß und Riegel
Sperren in dein Kämmerlein,
Drücken drauf sogar den Riegel,
Daß kein Dieb sich schleichet ein.

Nur was du im Herzen tragen
Kannst, ist ohne Wanken dein.
Laß das Wünschen und das Klagen,
Schöne Wahrheit ist der Schein.
März

Schlaf

Gib her des Tages Last,
Das ganze Heer von Sorgen,
Das du getragen hast,
Ich trag es dir bis morgen.

Ich führ dich in mein Reich,
Ich laß Dich Glück erträumen,
Ich mach dich Göttern gleich,
Der Lebenskelch soll schäumen. -






T o d

Gib her des Lebens Last,
Die du so lang getragen.
Ich halt dich treu umfaßt
Und stille deine Klagen.

Nirwana winkt dir zu,
Dich stört kein trüber Morgen.
Im Grabe nur ist Ruh,
Nur dort bist du geborgen.

Nicht was du thust, so hold auch deine Thaten,
Das was du bist, mich Dir zu eigen gibt.
Die Thaten sinds, die dein Gemüth verzehrten,
Dein goldnes Herz, das meins so innig liebt.

Es ist die Welt so kalt und stumpf geworden,
Wolken schweben überm Erdenrund,
Kriegsfeiern reizen auf zu blutgem Morden,
Wo gibt sich noch ein Laut der Liebe kund ?

Doch in tausend Blüthenknospen spriessen
Heb ich, Herz, an heilger Liebe reich.
Es will auf alle segnend sich ergiessen,
Die Erde machen einem Eden gleich.

O könnt mein Dank dir reichen Segen bringen,
Mit holden Zauberkräften schmücken dich.
Ich kann nur meine Arme um dich schlingen,
Mein Ohr dir flüstern: Herz ich liebe Dich.

(Anm.Mo.: Ist wohl an Isolde gerichtet?)

Von de Johr 1904 ond 1905

"Ich hasse dich du tückisch Element,
Das jenen holden Erdensohn verschlungen,
Der fruchtlos gegen deine Macht gerungen,
Die grausam waltend, kein Erbarmen kennt.

Den süßen Liebesbund hast du getrennt,
Das Saitenspiel des Herzens ist zersprungen,
Dein Brausen hat sein Todeslied gesungen
Das seiner Liebe ist sein Monument."



Wie kann Natur so aus dem Wollen schaffen, (Vollen?)
Um ihr Gebilde wieder zu entraffen,
Wo ist ein Hauch nur von Barmherzigkeit
Für seine Witwe, seiner Kleinen Leid,
Für ihre Wunden, die so blutend klaffen? Bleibt
nur die lahme Trösterin, die Zeit.



Es bleibt von ihm zurück ja wohl ein Hauch,
Der wird ein Bild in ihre Träume geben,
Er fächelt nieder von dem nächsten Strauch
Und wird mit Sonnenstrahlen sie umschweben.

Der flüstert ihnen Liebesworte zu,
Der mischt sich ein in der Gedanken Weben.
Der geht nicht ein zur seelenlosen Ruh,
Der will, solang sie lieben, noch mitleben.

Das beste das der Mensch empfangen hat,
Ist, daß die Zukunft ihm verborgen,
In Blindheit wandelt er auf seinem Pfad,
Am Heut sich freuend, schauend nicht das Morgen
Das ihm vielleicht Verderben bringen naht
Und ihn hinabstürzt in ein Meer von Sorgen.
Des Gottes Zorn wars, der Kassandra schlug,
Als sie der Zukunft Grausen in sich trug.

-.-.-.

Geliebt zu werden ist nicht nur recht schön
Von jeher ward uns schlecht zu lieben.
Mir scheint Pessimist will uns nicht gehn
Drum bin ich bei dem Optimist geblieben.
(kaum lesbar)
-.-.-.
Hades Nachen seh ich schwanken,
Hin und her am Ufersrand,
Und er winkte still der Kranken,
Nach dem fernen Geisterland.

Lieber Fuhrmann, sprach ich leise,
Hab noch eine Weil Geduld,
Denn für solche weite Reise,
Müßt ich bleiben Dir in Schuld.

Meine Barke hab erlangt ich,
Die ich jetzt hier sehen muß.
Doch es ist, was tief bewegt mich,
Daß mir fehlt der Obulus.

Und nächtlich kehrt den Rücken
Mir der graue Fuhrmann zu.
Er verschwand aus meinen Blicken,
Stört nicht wieder meine Ruh.

Hat mir der Augenblick ein Leid gebracht,
So dehnt er sich zu unmeßbarn Zeiten;
Hat er mich freundlich einmal angelacht,
Kann ich bei seiner Wohlthat oft mich weiden.

-.-.-.



Gleich tritt der Zukunft Schrecken vor mich hin,
Das Gute, das mir winkt, kann ich nicht fassen,
Die strengen Moren heißt mich ihr entfliehn,
Und ihrem Zorne bin ich überlassen.

-.-.-.
(Anm. Mora = Fingerspiel)

Mein Ich ist todt, es bleibt mir nur sein Schatten,
Mein Herz, das in der Liebe war gebannt.
Gedächtniß und der Geist sind nur Ermattung,
Und jedes glühet noch am Grabesrand.

Was thut es, wenn es nur auch bald zerstiebt,
Die Manen werden nichts dabei verlieren.
Das Mutterherz, das sie so heiß geliebt,
Sie werdens nach dem Tod noch spüren.

Bald ists vollbracht.
Es kommt die Nacht,
Die nimmermehr ein Tag erhellt.
Das Stück ist aus, der Vorhang fällt.
Nun ists, als ob es neu genesen.
Nur wer zu Ewigem erlesen,
Des Name kann in Flammenzügen,
Das Buch der Weltgeschichte schreiben.
Den wird des Todes Macht besiegen,
Wird ewig auf der Erde bleiben. -
andern müssen fort von hier,
So bald im Tode wir erblassen,
Auch unser liebes Ich verlassen,
Es scheinet doch andenklich mir,
Obs nagelneu, obs tief verschuldet,
Es war doch immerhin geduldet.
Nun soll es in dem All zerstäuben
Dahin sein Hoffen, Streben, Lieben,
Und gar nichts wär von ihm geblieben?
Vielleicht doch - mit dem All vermengt,
Daß es mit diesem sieht und denkt ?

Eine Seele tritt vors Himmelthor,
Und verwundert neigt sie sich davor.
Petrus aber droht ihr mit der Hand,
Schreit sie an, von heißem Zorn entbrannt:
"Frevler, kehre sogleich wieder um,
Denn es stinkt von fern dein Ketzerthum.
Hast auf Erdenleben nichts geglaubt,
Drum verfehmt, verflucht ist nun dein Haupt!"
Leise öffnet sich die Himmelsthür
Und der Herr schaut spähend jetzt herfür:
"Petrus," spricht er, "Machst mir viel Beschwer,"
Denn das Brüllen lockte den Hausherrn her.
"Wisse denn, gar lieb ist mir der Mann,
Der so forschen als auch zweifeln kann.
Hat er nun der Erde Trost entbehrt,
Sei der Himmel doppelt ihm bescheert.
Und ein goldner Stuhl ist ihm bereit,
Um zu theilen meine Herrlichkeit."
Petrus kratzt sich brummend in dem Haar:
"Wenn es nur der Papst nicht wird gewahr."

Im Paradies

"Ich, Mutter! " rief`s, "Bin im Paradies."
Was war mir nur beschieden?
Es strahlte süßer Frieden
Aus deinem klaren Aug` auf mich.
Wo nahmst du diesen Zauber her,
Der sonst so schwach beschieden,
Dem begünstigten Mann?
Nach nächtlich düstrem Grausen,
Nach düstrem Sturmesbrausen
Blinkt mir dies Himmelslicht!






Erinnerung

Dem langersehnten Wiedersehn
Folgt bald das Voneienandergehn.
Es trifft der Trennung bittrer Schmerz,
Dem Dolchstoß gleich, das Mutterherz.
Doch nämlich taucht ein Trost empor,
Die liebe Stimme klingt im Ohr,
Erinnerung malt mir Bild um Bild
Von der Erscheinung, ganz erfüllt,
Heb ich zurück vergangne Tage,
Zeitlos versenkt und ohne Klage.

[403] An den Mond

Bist du denn immer der trauliche Mond noch der alte,
Der dort milde und bleich steigt an den Bergen empor.
Seid ihr noch immer die lieblichen Schwestern, die Sterne,
Die mit flimmerndem Licht winkten so freundlich mir zu?
Du nur mein Aug bists nicht mehr, das freudig sie sonst begrüßt.
Anders mir Mond und Sterne durch die Thränen erscheint.
-.-.-.
Der Zigeunerknabe

Sage mir, was sitzest du
Einsam da und weinst?
Saß ich auf dir einst nicht der Mutter Schoß
Und wir theilten unser Loos.
Jetzt hat sie die Ruh.

Sag mir mein schöner Knab
Sitzest Du und weinst?
Hatt ich einst nicht einen Vater gut,
Stark an Arm und reich an Muth
Und er stürzt ins Grab.

Sag mir, mein armes Kind
Was sitzest du und weinst?
Einst, einst hatt ich eine Heimat schön
Das waren die dunkeln Waldeshöhn,
Und hatt einen Freund den Wind.

Fragst du mich, Zigeunerknab,
Was sitzest du da und weinst?
Ich wein um mein verlornes Glück,
Beweine die verlorne Ruh,
Die Freiheit, die ich besessen hab,
Einst, einst!
Maja

Auf Zettel "Poliklinik" schreibt Marie: 31.10.1877



Der Mond beschien das blaue Meer,
Es leuchteten die Wogen.
Die kleinen Wolken zogen
Am Himmel hin und her.

Auf hoher Flut trieb unser Kahn,
Wie trug die Flut den kleinen,
Fern schon dem Strand. Im Dunkeln
Die Himmelslichter funkeln
Erhellen unsre Bahn.

Marie Kurz
Gedichte - Verzeichnis (unvollständig)

Aus dem Buch "Meine Mutter" von I. K. und aus den "Tagebüchern".

Ach, wie ist die Ruhe süß
Alles geht der Vernichtung Bahn (Die Bleibenden)
Als aus Jehovas Händen (Lilith)
Alter kam herangekeucht
An Josephine 39 (Dein Name prangt)
An Mörike 29 (Die Augen, die der Muse Glanz umschlossen)
Auf San Miniato 37/38 (Ich komm zu dir)
Aus der geliebten Blumenstadt 58
Bin so gern an dieser Stelle 35
Das all versagt mir mein Geschick 54
Dein Name prangt 39 (an Josephine)
Dem langersehnten Wiedersehn
Der Mond beschien das blaue Meer
Der schlechtste Maler auf der Welt 44
Der Winter im Herzen 23 (Mein Winter)
Die Augen, die der Muse Glanz umschlossen 29 (An Mörike)
Die Bleibenden (Alles geht der Vernichtung Plan)
Die Lieb ist stärker als der Tod 25 (Nacht ist in mir)
Die Nachtigall 78 - 83
Sonne siegt (Liebenzell)
Die Sternlein, die am Himmel sind
Du bist ein kleiner Träumer
Du bist nicht tot 27
Du bist von mir gegangen 24/25 (Resignation)
Du Vögelein in meiner Brust 48
Ein schöner Lenztag 27 (Zum Tod von Ferd. Blind)
Es blühten gerade die Rosen (Wir saßen unterm Zypressenbaum)
Es pocht der Mensch 17
Es wandte sich ab, den so sehr ich liebe (Nachahmung eines kl.Volksl.)
Fort, ach fort 57/58
Gib her des Lebens Last (Tod)
Gib her des Tages Last (Schlaf)
Hab ein schwarzes Fell wie Seide (Zanebo) (Maja Kurz)
Hört ihr meine kleinen Lieder 49/50
Hochsommer wars 46
Ich bin bei dir 62 (Posthumes)
Ich komm zu dir 37/38 (Auf San Miniato)
Ich Mutter, riefs
Ich rief den Tod 36
Ich sah den bösen Thanatos (Thanatos)
Ich stand an deinem Grabe (Josephine)
Im süßen Honigwerk
In der glühend heißen 18/19 (Tübingen)
Kennt ihr wohl das große Reich der Mitte 78 - 83 (Die Nachtigall)
Kommt, griechische Exerzitien schreiben 50
Laß die ungelöste Frage 17
Leise kommt der Tod 58/59
Lieb und willkommen ist mir die Nacht 54
Liebenzell (Die Sonne siegt)
Lilith (Als aus Jehovas Händen)
Mein Winter ist kommen 23 (Der Winter im Herzen)
Mutter, Mutter läßt mich warten 36
Nachahnung eines kleinen Volksliedes (Es wandte sich ab)
Nachruf für Uhland (Den treusten Kämpfer)
Nacht ist in mir 25-27 (Die Lieb ist stärker)
Nichts stört mir so die letzte Frist 42
Nimmer kann ich sie vergessen
Noch bleibt mir eine Spanne Zeit 41
Nun ward die Stirn vom Lorbeerkranz 52 (4 Zeilen)
O Seele bist du, oder bist du nicht (Seele)
Posthumes (Ich bin bei dir)
Raphaella (Und auf heute abend wieder)
Resignation 24/25 (Du bist von mir gegangen)
Sage, wars dein Angesicht
Schlaf (Gib her des Tages Last)
Schöner Stern, der dort blinkt 41
Seele, o Seele, bist du
Sind das dieselben Stege 47
Thanatos (Ich sah den bösen Thanatos)
Tod (Gib her des Lebens Last)
Träumen ist das beste Lieben (Träumen)
Tübingen 18/19 (In der glühend heißen)
Um die kurze Spanne Zeit (4 Zeilen) 20
Vergangenheit, du weitentrückter Stern
Wahn (Wie der Wandrer)
Was sucht ihr den Lebendigen b.d.Todten (Wohl ist der Bruder)
Wenn starke Geisteskraft 63
Wie dem Wandrer in der Wüste (Wahn)
Wie wurde ich herausgerissen (4 Zeilen)
Wieder hab ich dich gesehen 55
Wir saßen unterm Zypressenbaum (Es blühten gerade)
Wir sind Gedanken Gottes 16
Wohl ist der Bruder dir entrissen
Zaneba (Hab ein schwarzes Fell wie Seide) von Maja Kurz

Anmerkungen zu Heft VII

(1) Brunnenfigur von Erwin Kurz

(2) Isoldes Nachruf für ihren Bruder Edgar, (Internist, Chirurg und
Gynäkologe, erschien im Süddt. Monatsheft 1904 1,9

(3) Gedichte von Edgar Kurz, hsg.v.Isolde Kurz, ersch. bei Cotta 1904

(4) Büste von Erwin Kurz für ? in Bogenhausen bei München

(5) "Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung"

(6) "Die Ponte Vecchio", weltberühmte Brücke von Florenz.

(7) Karl, Friedr.,Hieronymus, Freih.von Münchhausen, 1720 - 1797
(8) Palazzo Falier am Canal grande, schräg gegenüber der accademia
und Richard Wagners letzter Wohnung, wo er Tr.u.Isolde schrieb.

(9) Anax`agoras griech.Philosoph ca 500-428 v.Chr., sah in der
Vernunft die verursachende Kraft alles erkennbaren Seins.

(10) dt.: "Jetzt noch unwissend freue ich mich hier in guter Ruh"

(11) Büste von Erwin Kurz für seinen Bruder Edgar,

(12) dt.: Beim Dienen verzehre ich mich fürs Vaterland

(13) dt.: Im Dienst für die Menschen (hat er sich) aufgezehrt